Erste Erkenntnisse zur Vererbbarkeit schizophrener Erkrankungen wurden bereits um
die Jahrhundertwende von Emil Kraepelin aufgezeigt und konnten in der Folgezeit durch
systematische Familienuntersuchungen bestätigt werden. Das Erkrankungsrisiko korreliert
dabei stark mit dem Verwandtschaftsgrad, aber auch mit dem Schweregrad der Erkrankung
des betroffenen Familienmitglieds. Mittlerweile wird davon ausgegangen, dass Umwelteinflüsse
und genetische Faktoren gemeinsam zur Entstehung schizophrener Erkrankungen beitragen.
Wie hoch der jeweilige Beitrag ist oder auf welche Weise beide Bereiche zusammenwirken
(additiv und/oder interagierend), ist bisher noch unklar. Hinweise auf die Beteiligung
von genetischen Faktoren liefern Familien-, Zwillings- und Adoptionsstudien. Eine
Zusammenfassung der bisherigen Zwillingsuntersuchungen durch Gottesman [3] ergab eine Konkordanzrate von etwa 50 % bei eineiigen Zwillingen. Da für schizophrene
Erkrankungen weder ein Erbgang mit monogener, dominanter (Beispiel: Chorea Huntington)
oder rezessiver Vererbung (Beispiel: zystische Fibrose) nachgewiesen werden konnte,
werden schizophrene Erkrankungen den komplexen multifaktoriellen genetischen Erkrankungen
mit oligo- bzw. polygener Vererbung zugeordnet. In Abbildung 1 ist die hypothetische
Beziehung zwischen Dispositionsgenen und dem Phänotyp der Erkrankung dargestellt.
Zu den wesentlichen Voraussetzungen für die Aufklärung der genetischen Ursachen der
Schizophrenie zählen die Verfügbarkeit der DNA einer möglichst großen Anzahl von an
schizophrenen Störungen betroffenen, nicht miteinander verwandten Personen (Assoziationsstichprobe)
bzw. von Familien, in denen die Erkrankung vererbt wird (Kopplungsstichprobe), sowie
die jeweils gesicherte psychiatrische Diagnose der beteiligten Personen. Bei beiden
Stichproben wird untersucht, ob genetische Varianten häufiger bei den Erkrankten nachgewiesen
werden können als durch Zufall zu erwarten ist.
Bei der Kopplungsanalyse wird untersucht, ob die gemeinsame Vererbung einer DNA-Variante
häufiger an erkrankte Familienmitglieder erfolgt. Die Variante, deren Lokalisierung
bekannt sein muss, kann in diesem Fall Aufschluss über die bisher unbekannte Lokalisation
des Krankheitsgenorts geben. In Assoziationsstudien wird überprüft, ob ein statistisch
signifikanter Unterschied in der Verteilung der Allele eines Polymorphismus in Stichproben
aus nicht verwandten Erkrankten im Vergleich mit Kontrollpersonen besteht.
In den letzten 20 Jahren wurde weltweit eine Vielzahl von Kopplungs- und Assoziationsstudien
durchgeführt. Zurzeit werden Genregionen für schizophrene Erkrankungen auf folgenden
Chromosomen diskutiert [7]: 1q, 5q, 6p, 6q, 8p, 10p, 13q und 22q.
Ausgehend von der systematischen Genortsuche wurden in letzter Zeit mit Hilfe von
Assoziationsuntersuchungen Kandidatengene nachgewiesen, die als Dispositionsgene in
Frage kommen [6]. Zu diesen Kandidatengenen gehören:
-
Dysbindin auf Chromosom 6: Die von der Arbeitsgruppe Straub et al. gefundene Assoziation
[13] konnte auch von unserer eigenen Arbeitsgruppe in zwei unabhängigen Familienstichproben
bestätigt werden [10]. Dysbindin spielt möglicherweise eine strukturelle Rolle bei der Bildung und dem
Erhalt von neuromuskulären Synapsen
-
Neuregulin-1 auf Chromosom 8: Etwas oberhalb der Region, in der positive Kopplungsbefunde
von mehreren Arbeitsgruppen erhalten wurden [4]
[8], konnte nun das Neuregulin-1-Gen nachgewiesen werden, welches in unabhängigen Stichproben
Assoziation mit Schizophrenie zeigt [11]
[12]. Neuregulin spielt eine Rolle in Expression und Aktivierung von Neurotransmitterrezeptoren
(u.a. Glutamatrezeptoren)
-
G72 auf Chromosom 13: Angrenzend an die Region, in der Hinweise auf ein Suszeptibilitätsgen
erhalten wurden, konnte ein Gen (G72) mit Assoziation zur Schizophrenie nachgewiesen
werden [1]. Der Bonner Arbeitsgruppe gelang es, diesen Assoziationsbefund zu replizieren [9]
-
Weitere Kandidatengene aus den diskutierten Genregionen sind COMT (Catechol-O-Methyl-Transferase),
DISC1 (Disrupted-In-Schizophrenia 1) und PRODH (Prolin-Dehydrogenase).
Alle diese Gene sind in biologische Mechanismen involviert, von denen angenommen wird,
dass sie bei der Schizophrenie gestört sind (z.B. synaptische Transmission, Signaltransduktion,
Neuroentwicklung, Neurotransmitterregulation). Die pathogenen Mutanten der drei identifizierten
möglichen Dispositionsgene und deren funktionelle Konsequenzen in Bezug auf die Krankheitsentstehung
sind momentan noch nicht bekannt. Soweit derzeit absehbar, haben diese Gene aber recht
wenig mit jenen Wirkmechanismen zu tun, die der Entwicklung der für die Behandlung
der Schizophrenie eingesetzten Pharmaka, den Neuroleptika, zu Grunde liegen. Obwohl
die antipsychotischen Effekte dieser Medikamente gut belegt sind, ist ihre Wirkung
doch unzureichend, sodass neue psychopharmakologische Behandlungsverfahren mit neuen
Wirkmechanismen für eine bessere Behandlung der betroffenen Patienten dringend erforderlich
wären. Die nun neu identifizierten Dispositionsgene für die Schizophrenie stellen
hoffnungsvolle Kandidaten für die Entwicklung neuer Wirkprinzipien bei der Behandlung
der Schizophrenie dar.
Spezieller Projektverbund „Molekular- und Pharmako-genetik”
Ziel dieses Projektes des Kompetenznetzes Schizophrenie ist die Erforschung einer
Genotyp-Phänotyp-Beziehung mit der Fragestellung, wie klinische oder neurobiologische
Krankheitskorrelate durch spezifische Dispositionsgene beeinflusst werden.
Des Weiteren sollen genetische Determinanten identifiziert werden, die einen Beitrag
leisten zu den individuellen Unterschieden von Krankheitsentstehung und -verlauf,
Ansprechen auf Medikamente und Nebenwirkungen, Plasmaspiegel (Pharmakokinetik), Wirkweise
an den Rezeptoren (Pharmakodynamik) und Modulation der Genexpressionsstärke.
Für diesen Zweck ist in Bonn und München eine langfristig angelegte Zell-/DNA-Bank
für Schizophrenie mit klinisch, neurobiologisch und pharmakologisch charakterisiertem
Phänotyp angelegt worden. Dazu sind Blutproben von Patienten, die an den unterschiedlichen
Projekten in 14 deutschen psychiatrischen Kliniken teilgenommen haben, innerhalb des
Netzwerks gesammelt worden. Bislang konnten 390 Patienten in das Projekt eingeschlossen
werden. Durch das Netzwerk ist somit die Möglichkeit geschaffen worden, genetische
Faktoren an einem einzigartigen Patientenkollektiv.
Zunächst wurde eine Vielzahl von genetischen und pharmakogenetischen Untersuchungen
in Kollektiven durchgeführt, die in den Zentren Bonn und München rekrutiert worden
sind. Dabei wurden Polymorphismen untersucht in den Genen für den Serotonintransporter
(5HTT), für die Serotoninrezeptoren 5HTR2a und 5HTR2c, für die Dopaminrezeptoren DRD2
und DRD3, für die G-Protein-Untereinheiten Gß3 und GOLF, für die Monoaminooxidase
A (MAOA) sowie für COMT, ACE (Angiotensin Converting Enzyme), BDNF (Brain-Derived
Neutrophic Factor), Dysbindin, NOTCH4 (Homolog des NOTCH-Gens), G72, DAAO, MDR1 (Multidrug
Resistance 1) und das Cytochrom P450-System.
In der Bonner Arbeitsgruppe konnten durch Schwab et al. [10] in zwei unabhängigen Familienkollektiven die von Straub et al. [13] beschriebene Beteiligung des Dysbindin-Gens an der Ätiologie schizophrener Psychosen
bestätigt werden. Weiterhin gelang es Schumacher et al. [9], die von Chumakov et al. [1] berichtete Assoziation zwischen genetischen Varianten im G72-Gen sowie im D-Amino-Acid-Oxidase-Gen
(DAAO-Gen) mit Schizophrenie zu replizieren.
Darüber hinaus wurden pharmakogenetische Untersuchungen zur Clozapin-Response und
zum Auftreten tardiver Dyskinesien durchgeführt. Im Hinblick auf das Auftreten tardiver
Dyskinesien ist in der Einzelanalyse die Anzahl der Patienten nicht ausreichend, um
eine Assoziation des Dopamin-D3-Rezeptor-Ser9Gly-Polymorphismus mit dem Auftreten
tardiver Dyskinesien zu zeigen. In einer Metaanalyse werden die Befunde jedoch signifikant
[5].
Replikationsstudien im Gesamtsample dieses Projektes werden nun insbesondere an diesen
Genen sowie am Neuregulin-1-Gen und weiteren, möglicherweise neu beschriebenen Kandidatengenen
durchgeführt. Zusätzlich zu den Genotypen sollen auch Risikohaplotypen in Dispositionsgenen,
welche mit der Erkrankung assoziert sind, mit klinischen, neuropsychologischen und
-morphologischen Merkmalen (Endophänotypen) korreliert werden. Erweiterte Stichproben
mit neurobiologischen und Therapie-bezogenen Phänotypen ersterkrankter schizophrener
Patienten eröffnen die einzigartige Möglichkeit, einen sehr viel genaueren Zusammenhang
zwischen Genotyp und Phänotyp aufzustellen. Ein möglicher Ansatzpunkt wäre z.B. das
Arbeitsgedächtnis, dessen Leistungsfähigkeit in einer Studie als assoziiert mit einem
Met/Val-Polymorphismus im COMT-Gen [2] gefunden wurde. Sobald die klinisch erhobenen Daten in einer netzwerkinternen zentralen
Datenbank zusammengeführt sind, sind auch die ersten Ergebnisse zu Genotyp-Phänotyp-Beziehungen
zu erwarten.