3 Ursachen von Sensibilitätsstörungen im Innervationsgebiet des Nervus trigeminus
Der Reflexion über die Möglichkeit einer Wiederherstellung der Funktion des Nervus
trigeminus muss immer eine Klärung der Ursache der Funktionsstörung vorausgehen.
Neben einer seitenvergleichenden Sensibilitätsprüfung (Berührungs- und Temperatur-
oder Schmerzreiz) ist auch eine Funktionsprüfung der Kaumuskulatur für die Topodiagnostik
erforderlich. Obligat ist auch eine Untersuchung des Kornealreflexes; bei fehlendem
Kornealreflex müssen Behandlungsmaßnahmen zur Prophylaxe einer Keratitis neuroparalytica
getroffen werden. Loescher et al. (2003 [7]) beschreiben ausführlich die strukturierte Diagnostik bei Sensibilitätsstörungen.
Zu achten ist auch auf trophische Störungen der Haut und Schleimhaut im Versorgungsgebiet
des N. trigeminus, namentlich auf habituelle Bissverletzungen an Lippen, Wangenschleimhaut
und Zunge sowie auf sog. neurotrophische Ulzera (Abb. [3]). Neurotrophische Ulzera können Wochen bis Jahre nach Unterbrechung der sensiblen
Gesichtsinnervation auftreten [8]. Typische Ursachen sind neben Hirnstamminfarkten (z. B. Wallenberg-Syndrom), Kleinhirnbrückenwinkeltumoren
auch destruierende Behandlungsverfahren bei Trigeminusneuralgie, wie sie allerdings
heute nur noch in Ausnahmesituationen zur Anwendung kommen. Bei der Entstehung der
Ulzera spielen wiederholte manipulative Läsionen eine Rolle, die zusammen mit der
durch die Alteration der autonomen Innervation bedingten Beeinträchtigung der Wundheilung
einen Circulus vitiosus unterhalten.
Abb. 3 Neurotrophisches Ulkus am rechten Nasenflügel einer 69-jährigen Frau mit Multiinfarktdemenz,
Paraparese, Fazialisparese links und Trigeminusneuropathie rechts. Die Läsion sollte
in der Annahme eines Basalzellkarzinoms biopsiert bzw. reseziert werden. Bei genauer
Beobachtung der Patientin wurden habituelle Manipulationen an der Nase mittels der
nichtparetischen linken Hand beobachtet. Nach Anlegen einer mobilitätseinschränkenden
Schiene am linken Arm heilte die Läsion nahezu vollständig ab.
Da der Nervus trigeminus eine großflächige Wurzelaustritts- bzw. -eintrittszone im
Bereich des Hirnstamms aufweist, sind vollständige Durchtrennungen des Nerven akzidenteller
Natur im Rahmen neurochirurgischer Eingriffe sehr selten. Traumatische und iatrogene
Läsionen betreffen zumeist nur Nervenäste. Lediglich bei Eingriffen oder Interventionen
im Bereich des Ganglion trigeminale kann es zu einer Beeinträchtigung des gesamten
sensiblen Nerven kommen. In Tab. [1] sind typische Ursachen für Läsionen des N. trigeminus und seiner Äste aufgeführt.
Tab. 1 Läsionen des N. trigeminus
Ort der Schädigung |
Pathophysiologie der Schädigung |
Bemerkungen |
Kerngebiet des N. trigeminus |
Entzündungen des ZNS, intrazerebrale Blutungen und Raumforderungen, Gefäßmalformationen |
|
Nervenwurzel, Wurzelaustrittszone |
Demyelinisierung durch neurovaskuläre Kompression, Hirnstammchirurgie (z. B. Oktavusneurinom,
neurovaskuläre Dekompression) |
|
Ganglion Gasseri |
Therapiemaßnahmen bei Trigeminusneuralgie: Elektrokoagulation, Thermokoagulation,
Mikrokompression, Alkoholinjektion, Glyzerolinjektion; Schädelbasisfrakturen mit Frakturlinienverlauf
durch das Cavum Meckeli; Trigeminus-Neurinome |
|
N. frontalis, N. supraorbitalis |
Stirnhöhlenchirurgie, Rhytidektomie (Facelift), externe Tränenwegschirurgie, Hauttumorchirurgie |
|
Nn. ethmoidales |
Siebbeinchirurgie, Epistaxischirurgie (Unterbindung der Aa. ethmoidales), externe
Tränenwegschirurgie |
|
N. nasociliaris |
Mittelgesichtsfrakturen |
|
N. maxillaris |
Mittelgesichtsfrakturen, Zystenresektion, Kieferhöhlenmalignome, Chirurgie der Maxilla,
des Sinus maxillaris und der Fossa pterygopalatina |
|
N. infraorbitalis |
Jochbeinfraktur, Orbitabodenfraktur, Mittelgesichtschirurgie, Osteosynthese, transorale
Kieferhöhlenchirurgie, Midfacial Degloving |
|
R. zygomatico temporalis, R. zygomatico facialis n. zygomatici |
Jochbeinfraktur, Gesichtschirurgie, Osteosynthese |
|
N. nasopalatinus |
Septumchirurgie, Septorhinoplastik |
|
N. alveolaris inferior, N. mentalis |
Unterkieferfrakturen, Zahnextraktionen (v. a. Weisheitszähne), dentale Implantation,
Osteosynthese, Wurzelspitzenresektionen, Überstopfung des Wurzelkanals, Zystenresektion,
Osteotomien, Parotischirurgie, Chirurgie der Mandibula, Lokalanästhesie, „Numb Chin
Syndrom” bei Schädelbasistumoren (z. B. Nasopharynxkarzinom, Lymphom) |
0,5 - 3,9 % bei retendierten Weisheitszähnen [63] Läsionsort: Gegend des Foramen ovale |
N. mentalis: R. horizontalis, R. verticalis, R. obliquus |
Biopsien an Lippenrot und Unterlippe (Sjögren-Syndrom, Granulomatosen) |
[55]
|
N. lingualis |
Zahnextraktionen (2. und 3. Molar), Chirurgie im Mundboden (Gangschlitzung, Abszessdrainage),
Exstirpation der Glandula submandibularis, Lokalanästhesie |
0,06 %; 12 % bei lingual split-Technik zur Weisheitszahnentfernung [63]
|
N. auriculotemporalis |
Parotischirurgie |
Frey-Syndrom (Geschmacksschwitzen) |
Nach Gregg (2000 [9]) kommt es bei rund 8,4 % (0 % - 19 %) der Patienten nach dentaler Implantatversorgung
zu persistierenden Irritationen der sensiblen Innervation. Die Kompression von Nervenästen
durch Implantatmaterial kann zur Ausformung eines Neuroms führen, von dem chronische
neuropathische Schmerzen ausgehen können. Kraut und Chahal (2002 [10]) weisen darauf hin, dass bei der dentalen Implantation der N. lingualis mehr gefährdet
sei als der N. alveolaris inferior, da der Verlauf des letztgenannten in aller Regel
durch Orthopantomogramme visualisiert sei.
Funktionsstörungen des N. trigeminus können auch im Rahmen definierter Syndrome auftreten.
Hierzu seien erwähnt: Gradenigo-Syndrom, Garcin-Symptomatik, Raeder-Symptomatik, Tolosa-Hunt-Symptomatik,
Wallenberg-Syndrom, Fissura orbitalis superior-Syndrom.
Eine postherpetische Neuralgie im Gesichtsbereich tritt vor allem bei über 60-Jährigen
auf und ist gekennzeichnet durch brennende Sensationen bei herabgesetzter bzw. aufgehobener
Sensibilität im betroffenen peripheren Trigeminusast (Anaesthesia dolorosa). Häufig
besteht auch eine Allodynie (Berührungsempfindlichkeit). Zostereffloreszenzen müssen
nicht obligatorisch vorgelegen haben (Zoster sine herpete). Der N. opthalmicus ist
mindestens viermal häufiger als die beiden anderen Äste betroffen, entsprechend ist
auf die Verhinderung einer Keratitis neuroparalytica zu achten.
Als Ursache der klassischen („typischen”) Trigeminusneuralgie (Tic doloureux) wird
heute eine neurovaskuläre Kompression durch Arterien und/oder Venen (zumeist A. cerebelli
superior) an der Wurzeleintrittszone (Oberheimer-Redlich-Zone) angesehen. Hierdurch
wird eine fokale Demyelinisierung (Druckentmarkung) an myelinisierten Aβ-Fasern am
Übergang vom zentralen zum peripheren Myelin ausgelöst, die eine ephaptische Transmission
(„Kurzschluss” zwischen benachbarten entmarkten Axonen) auf wenig bzw. nicht myelinisierte
Aδ- und C-Fasern ermöglicht [11]
[12]. Weitere zentrale Mechanismen wie beispielsweise ein epileptischer Fokus im Trigeminuskern
werden diskutiert [11]
[13].
Die mutmaßliche Aufklärung der Pathophysiologie macht die früher übliche Unterscheidung
zwischen „typischer” = „idiopathischer” und atypischer Trigeminusneuralgie überflüssig.
Vielmehr muss von der Trigeminusneuralgie, die durch einschießende Schmerzattacken
mit zwischenzeitlicher Beschwerdefreiheit gekennzeichnet ist, die Trigeminusneuropathie
abgegrenzt werden, bei der permanente Funktionsdefizite (Sensibilitätsstörungen) -
nicht zwingend mit Schmerzen im Trigeminusversorgungsgebiet einhergehend - vorliegen.
Manche Autoren sehen die Trigeminusneuropathie als Folgestadium der Trigeminusneuralgie
an. Eine „symptomatische” Trigeminusneuralgie wie auch eine Trigeminusneuropathie
können als Symptom bei Encephalomyelitis disseminata, Wallenberg-Syndrom, pontinen
Zysten und Aneurysmen, Ponsgliomen, Kleinhirnbrückenwinkeltumoren und Syringobulbie
auftreten [13]
[14].
Die Trigeminusneuralgie bevorzugt das weibliche Geschlecht (m : w = 2 : 3) und weist
eine zunehmende Inzidenz mit steigendem Lebensalter auf (Gesamt-Inzidenz: 4/100 000;
> 70 Jahre: 25/100 000). Die rechte Seite ist - bislang unerklärt - doppelt so häufig
wie die linke Seite betroffen. Typisch für die Trigeminusneuralgie ist die Auslösbarkeit
der stets stereotypischen Schmerzsymptomatik durch Trigger (Berührung, Kauen, Sprechen,
Schlucken, Luftzug) ebenso wie das Grimassieren der Patienten. Die Trigeminusäste
V3 und V2 sind häufiger betroffen als V1.
Seltene Ursachen einer Trigeminusneuropathie bzw. -affektion sind in Tab. [2] aufgeführt [14]
[15].
Tab. 2 Seltene Ursachen einer Trigeminusaffektion
Infektionskrankheiten: |
Lepra |
Vergiftungen: |
Digitalis, Nitrofurantoin, Blei, Stilbamidin |
„Autoimmunerkrankungen”: |
SLE, Polymyositis, Dermatomyositis, Periarteriitis nodosa, Mischkollagenosen, Sjögren-Syndrom |
Sarkoidose |
|
Amyloidose |
|
Mitbeteiligung im Rahmen von Polyneuropathien |
Über die Effekte der Denervation der Nasenschleimhaut existieren nur wenige Erkenntnisse
in der wissenschaftlichen Literatur. Aufgrund der Beteiligung mehrerer Trigeminusäste
an der sensiblen und sekretorischen Innervation der Nasenschleimhaut ist eine traumatische
oder iatrogene Denervierung wohl in den meisten Fällen klinisch inapperent. Eine Durchtrennung
des N. nasopalatinus im Rahmen der Septumchirurgie kann zu einer Sensibilitätsstörung
im Frontzahn- und Hartgaumenbereich mit resultierenden trophischen Störungen an diesen
Zähnen führen [16]. Die gleiche, meist passagere Schädigung kann durch Eingriffe im Front- und Eckzahnbereich
auftreten [17].
Die isolierte Neuralgie des N. nasociliaris wird auch als Charlin-(Sluder)-Neuralgie
bezeichnet und ist gekennzeichnet durch neuralgiforme Schmerzen im Versorgungsgebiet
des N. nasociliaris. Unter einer Sluder-Neuralgie versteht man hingegen das Syndrom
des Ganglion pterygopalatinum; hier liegen zusätzlich parasympathische Funktionsstörungen
vor.
Nach Nasentraumen und auch nach Eingriffen an innerer Nase und Nasennebenhöhlen sind
ebenfalls chronische, teils neuralgiforme Schmerzen beschrieben [18], die teilweise durch eine Denervierung der entsprechenden sensiblen Nerven, teilweise
auch durch eine Irritation der Nerven im Narbengewebe zu erklären sind.
5 Wiederherstellung der Trigeminusfunktion durch nicht-operative Verfahren
Wie sich aus den dargestellten tierexperimentellen Befunden ableiten lässt, verfügt
der N. trigeminus auch beim Erwachsenen über eine „Plastizität”, die es ermöglicht,
dass es nach stattgehabten Verletzungen ohne chirurgische Intervention zu einer Funktionswiederkehr
kommt. Besonders hervorhebenswert ist in diesem Zusammenhang, dass - zumindest im
Tierversuch - andere benachbarte sensible Nerven ihr Innervationsgebiet ausweiten
können und somit die gestörte Funktion der betroffenen Trigeminusäste übernehmen können.
Daneben kann auch eine spontane Funktionswiederkehr durch genuine Nervenregeneration
erfolgen. Es ist leicht verständlich, dass die Nervenregeneration bei Kontinuitätstrennung
des Nerven langsamer und qualitativ schlechter vonstatten geht als bei erhaltener
Kontinuität.
Es stellt sich die Frage, ob die „Selbstheilungskräfte” des Körpers durch physikalische
oder medikamentöse Maßnahmen gestärkt oder fokussiert werden können. In diesem Zusammenhang
ist auf folgende Therapiemöglichkeiten einzugehen:
Rosén und Lundborg (2003 [24]) haben für die sensible Reinnervation der Hand ein Trainingsprogramm entwickelt,
das ein kortikales Remodelling der sensorischen Projektionsfelder ermöglichen soll.
Hierzu wird frühzeitig, d. h. in den ersten Tagen nach Nervenrekonstruktion, ein Sensor-Handschuh
angepasst, der an den Fingerspitzen Mikrophone enthält, die als Ersatz für den fehlenden
Tastsinn die Geräusche bei Berührung aufnehmen und an das Ohr weiterleiten. Hierdurch
soll ein akustisches Feedback entstehen, das positiven Einfluss auf die kortikalen
sensiblen Projektionsfelder haben soll. Ergebnisse dieser Methode sind bislang nicht
veröffentlicht; sollte sich das Verfahren in praxi bewähren, wäre eine Modifikation
für die Anwendung im Trigeminusversorgungsgebiet, vor allem für die Oberflächensensibilität,
vorstellbar.
Es gibt ansonsten keine Belege, die den Nutzen einer Reizstromtherapie zur Förderung
der sensiblen Reinnervation aufzeigen.
Die B-Vitamine B1, B2, B6 und B12 - hiervon vor allem Vitamin B6 - werden nach historischer
Tradition auch als neurotrope Vitamine bezeichnet und in teilweise extrem hohen Dosierungen
nach Nervenverletzungen zur Förderung der Nervenregeneration eingesetzt. Experimentelle
Belege für den Nutzen einer solchen Therapie fehlen ebenso wie klinische Evidenz.
Der Einsatz von B-Vitaminen kann somit nicht empfohlen werden, gewarnt werden muss
sogar vor der parenteralen Applikation hoher Vitamindosen ohne nachgewiesenen Mangelzustand.
Demgegenüber konnte kürzlich von Iskandar et al. (2004 [25]) tierexperimentell gezeigt werden, dass die Gabe von Folsäure den Heilungsprozess
nach Verletzungen des ZNS und des sensiblen Rückenmarks signifikant begünstigte.
α-Liponsäure ist zugelassen zur Therapie der diabetischen Polyneuropathie, wird aber
auch häufig bei anderen „Nervenleiden” verordnet. Ein klarer Wirksamkeitsbeleg der
Substanz bei der Nervenregeneration fehlt, sodass der Einsatz der Substanz vorerst
nur bei Diabetikern und im Rahmen von kontrollierten Studien empfohlen werden kann.
Der nerve growth factor NGF ist bislang nicht als Pharmazeutikum verfügbar. Es handelt
sich um ein der Familie der Neurotrophine zuzuordnendes körpereigenes Peptid. Die
Substanz wirkt als Chemokin auf das aussprossende Axon am peripheren Nerv, entfaltet
aber auch Wirkungen am zentralen Nervensystem. Nach einer peripheren Nervenläsion
kommt es zur lokalen Ausschüttung von NGF. Dies induziert - offensichtlich durch retrograden
axonalen Transport - in Ganglienzellen eine vermehrte Expression des NGF-Rezeptors
trk a (Tyrosin-Rezeptorkinase A, [26]). Ebenso wird der brain derived neurotrophic factor BDNF vermehrt exprimiert, der
an seinen Rezeptor trk b bindet. Durch das Wechselspiel der genannten Faktoren und
zugehörigen Rezeptoren wird einerseits die Nervenregeneration gesteuert, andererseits
die Schmerzhaftigkeit der Nervenläsion vermittelt [27]. Es ist zu erwarten, dass künftige Untersuchungen die komplexen Vorgänge der Nervenregeneration
auch auf molekularer Ebene noch besser verstehen helfen. Dies ist gleichzeitig auch
die Voraussetzung für den nutzbringenden Einsatz von NGF bei peripheren Nervenverletzungen
und in der Nervenchirurgie.
Die Arbeitsgruppe um Siemionow entwickelte ein Verfahren zum Auffangen der aus den
verletzten Nervenendigungen austretenden axoplasmatischen Flüssigkeit, die eine hohe
Konzentration von Neurotrophinen enthält. Diese Flüssigkeit wurde dann zur Förderung
der Nervenregeneration im Bereich der von Epineurium überdeckten Nervennaht injiziert
(Übersicht bei [21]). Das Verfahren scheint sich positiv auf die Nervenregeneration auszuwirken.
Auch die lokale Applikation von VEGF (vascular endothelial growth factor) sowie die
lokale und systemische Applikation von Steroiden, speziell von DHEA (Dehydroepiandrosteron),
erwies sich als vorteilhaft für die Regeneration [21]. Der Wirkmechanismus von DHEA und anderen Steroiden wird hierbei vor allem in der
antioxidativen Wirkung gesehen.
Analog zu diesen Erkenntnissen werden andere Antioxidanzien und Radikalenfänger (z.
B. Ascorbinsäure) empirisch eingesetzt.
Bei der Trigeminusneuralgie liegt ebenfalls eine Funktionsstörung des N. trigeminus
vor, die für Betroffene meist eine weitaus größere Belästigung darstellt als ein mit
schmerzlosen Sensibilitätsstörungen einhergehender Funktionsverlust.
Diagnostik und Therapie der Trigeminusneuralgie sind primäre Aufgaben des Neurologen.
Der HNO-Arzt wird häufig zu differenzialdiagnostischen Fragestellungen („symptomatische”
Trigeminusneuralgie bei NNH-Affektionen, Septumpathologien etc.) herangezogen, wird
aber gelegentlich auch mit dem undiagnostizierten Krankheitsbild primär aufgesucht.
Somit sind detaillierte Kenntnisse über Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie
für den HNO-Arzt in Praxis und Klinik unabdingbar. Wenngleich die derzeit angenommene
Pathophysiologie des Krankheitsbilds eine primär operative Therapie nahe legt, wird
dennoch in aller Regel einem medikamentösen Therapieversuch initial der Vorzug gegeben.
Carbamazepin stellt derzeit das Medikament der ersten Wahl zur Therapie der „klassischen”
Trigeminusneuralgie dar, es wird über eine Erfolgsrate von 60 - 70 % berichtet. Die
Dosierung sollte einschleichend erfolgen (typische Startdosis: 100 mg alle 8 Stunden).
Ähnlich wie bei der Therapie von Anfallsleiden wird eine Plasmaspiegelkontrolle empfohlen,
wenngleich die Dosierung nach subjektiver Wirksamkeit titriert werden sollte. Blutbild-
und Transaminasenkontrollen sind erforderlich. Im zeitlichen Verlauf ist leider häufig
ein Wirksamkeitsverlust, verbunden mit der Tendenz der betroffenen Patienten zur -
auch unkonsentierten - Dosissteigerung zu verzeichnen, entsprechend nimmt die Verträglichkeit
der Therapie ab.
Antikonvulsiva entfalten bei der Trigeminusneuralgie ebenso wie bei den Anfallsleiden
ihre Wirksamkeit durch Membran stabilisierende Effekte.
Als therapeutische Alternativen stehen Oxycarbazepin (900 - 1800 mg/d), Gabapentin
(600 - 3000 mg/d), Lamotrigin, Phenytoin (2. Wahl) sowie Baclofen, letzteres nur als
add-on-Medikation, zur Verfügung [28]. In den USA sind auch Clonazepam (Cave Sedierung!) und Amitryptilin gebräuchlich.
Nicht-Opiat-Analgetika, Triptane, Betablocker, Kalziumantagonisten und Serotoninantagonisten
gelten als unwirksam, Opiatanalgetika sollten nur in begründeten Ausnahmefällen zur
Anwendung kommen.
Anekdotisch wird über den erfolgreichen Einsatz des Prostaglandin E1-Analogons Misoprostol
berichtet, eine Substanz, die primär als Magenschutz bei Therapie mit nichtsteroidalen
Antiphlogistika eingesetzt wird [29].
Die Charlin-(Sluder-)Neuralgie kann durch die topische Anwendung von Sympathikomimetika
und Lokalanästhetika meist nur kurzzeitig gebessert werden, Erfolg versprechender
ist die topische Anwendung von Kortikosteroiden. Die Anwendung von Capsaicin wird
kontrovers beurteilt, vor allem unter dem Aspekt eines eventuellen retrograden axonalen
Transports der Substanz ins ZNS.
Auch Botulinumtoxin wurde - ebenso wie bei der hyperreflektorischen Rhinopathie -
erfolgreich eingesetzt. Operativ kann eine Turbinoplastik an der mittleren Muschel
erwogen werden.
Bei postherpetischer Neuralgie können Therapieversuche mit Carbamazepin und trizyklischen
Antidepressiva unternommen werden; klassische Analgetika wirken zumeist nicht ausreichend.
Mit Sympathikusblockaden konnten nur bei frühzeitigem Einsatz Therapieerfolge erzielt
werden. Der Einsatz der transkutanen elektrischen Nervenstimulation (TENS) kann erwogen
werden. Der lokale Einsatz von Capsaicin und Acetylsalicylsäure wird noch kontrovers
diskutiert, bringt aber zumindest im Einzelfall therapeutische Erfolge.
Bedeutsam ist der Hinweis, dass die Entwicklung einer postherpetischen Neuralgie nach
einer adäquaten virustatischen Therapie signifikant seltener eintritt. Da ein Herpes
zoster und insbesondere eine postherpetische Neuralgie einen Hinweis auf eine Immuninkompetenz
darstellen können, muss eine konsumierende, immunkompromittierende Grundkrankheit
ausgeschlossen werden.
6 Wiederherstellung der Trigeminusfunktion durch operative Verfahren
Dieser Abschnitt widmet sich der Rehabilitation des N. trigeminus durch chirurgische
Therapiemaßnahmen. Zum einen ist die Behandlung der Trigeminusneuralgie zu diskutieren,
zum anderen die Optionen bei traumatischer oder akzidentell-iatrogener Läsion peripherer
Trigeminusäste.
6.1 Experimentelle Befunde
Holland fasste 1996 in einem Review die elektrophysiologischen und morphologischen
Befunde im Tierversuch nach Verletzung und Rekonstruktion von N. alveolaris inferior
und N. lingualis zusammen [30]. An Schädigungsmechanismen wurde zwischen Quetschung (Axonotmesis) und Durchtrennung
(Neurotmesis) unterschieden. Am gequetschten Nerv war die zu beobachtende Regeneration
hinsichtlich der Nervenleitungsgeschwindigkeit besser als am durchtrennten Nerv, jedoch
verbleiben in jedem Falle Defizite. Bei Regeneration nach Neurotmesis resultierten
kleinere Rezeptorfelder und höhere erforderliche Reizschwellen. Der Anteil nicht-myelinisierter
Fasern am regenerierten Nerv war höher als am nativen Nerv.
Nach Verlust der sensorischen Innervation der Zunge durch den N. lingualis (bzw. die
Chorda tympani) wurden eine qualitative und quantitative Veränderung der Geschmacksknospen
beobachtet, nach Reinnervation eine entsprechende epitheliale Redifferenzierung. Mechanorezeptoren
überwogen gegenüber anderen Rezeptoren (z. B. Chemorezeptoren) hinsichtlich Zahl und
Geschwindigkeit der Regeneration. Im zeitlichen Verlauf kam es am Gerbil bei Nervenquetschung
zur Regeneration von rund 60 % der Geschmackspapillen, bei Nervdurchtrennung nur von
rund 20 %.
Tyndall et al. konnten bereits 1984 am Beispiel des N. infraorbitalis der Ratte zeigen,
dass die Regeneration nach Nervenquetschung besser vonstatten ging als nach Nervendurchtrennung
[31]. Diese experimentellen Befunde unterstreichen nochmals die Erkenntnis, dass das
funktionelle Ergebnis bei erhaltener Nervenhülle deutlich besser ausfällt als bei
vollständiger Durchtrennung eines Nervs, wenngleich auch bei Axonotmesis keine Restitutio
ad integrum erwartet werden kann. Bezogen auf das Rekonstruktionsverfahren erbrachte
die direkte Nervennaht das beste funktionelle Ergebnis gegenüber der Kombination aus
Naht und Verwendung eines gesiebten Polyethylen-Führungsröhrchens (Tube).
Nach Durchtrennung des N. alveolaris inferior bei der Katze wurde eine spontane Funktionswiederkehr
(gemessen anhand des Kieferöffnungsreflexes) nach drei bis neun Monaten beobachtet,
und zwar selbst dann, wenn die Nervenenden durch Kappen bedeckt wurden. Strukturell
fand sich eine Reinnervation der Zahnpulpa durch andere ipsi- und kontralaterale Nerven.
Holland betont, dass das Phänomen einer spontanen Reinnervation von kontralateral
bislang in keinem anderen Körperabschnitt beobachtet wurde.
Zuniga et al. (1990 [32]) untersuchten an der erwachsenen Ratte die Regeneration bzw. Reorganisation des
Ganglion trigeminale nach Resektion des N. mentalis mit und ohne Rekonstruktion. Hierbei
zeigte sich das beste Regenerationsergebnis nach sofortiger Nervrekonstruktion, der
Zustand wie bei unbehandelten Kontrollen wurde jedoch nicht wieder erreicht. Somit
unterstützt auch diese Studie das Postulat der Sofortrekonstruktion. Die Mitwirkung
anderer Nerven am Regenerationsprozess wurde in dieser Studie im Gegensatz zu den
von Holland dargestellten Ergebnissen nicht festgestellt.
Im Widerspruch hierzu konnten Zuniga und O’Connor (1987 [33]) an der Ratte die Überlegenheit der direkten Sofortrekonstruktion des N. mentalis
gegenüber der verspäteten Rekonstruktion bzw. der Verwendung von - allerdings nur
3 mm kurzen - Interponaten nicht belegen. Zuniga teilte 1999 nach einer weiteren Studie
an Ratten mit, dass es nach Durchtrennung des N. mentalis zum Untergang von Nervenzellen
im Ganglion trigeminale mit resultierender verminderter Zelldichte kommt, nach Reinnervation
das Ganglion aber wieder sein ursprüngliches Volumen zurückerhält [34]. Die Autoren führen diese Beobachtung auf Axonverzweigungen und/oder Proliferation
von Gliazellen zurück.
In einer Studie von Smith und Robinson (1995 [35]) wurden an der Katze die elektrophysiologischen Befunde nach Rekonstruktion des
N. lingualis mittels epineuraler Nervennaht oder Schienung („Entubulation”) verglichen.
Hierbei erwies sich die Nervennaht als das überlegene Verfahren, wenngleich auch hier
eine verzögerte Nervenleitgeschwindigkeit und erhöhte Schwellen zurückblieben. Andererseits
war die Spezifität der regenerierten Axone bei der Entubulation höher.
Für die Entubulation wurden zahlreiche Materialien (Polyethylen, Kollagen, autologe
Venen, Polyester, PGA, Silikon, Goretex etc.) verwendet (Übersicht bei [33]). Die beiden Nervenenden werden durch von der Schnittstelle entfernte Nähte an der
Schiene befestigt, um die Schnittflächen nicht durch nahtbedingte Verletzung an der
Regeneration zu hindern.
In einer getrennten Arbeit beleuchten die gleichen Autoren die Ergebnisse beim identischen
Vorgehen bezogen auf die sensorische Innervation durch die Chorda tympani [36]. Auch hier war die epineurale Naht der Entubulation überlegen, wobei auch bei der
Nervennaht vor allem mechanosensitive Fasern und weniger chemosensorische Fasern regeneriert
wurden.
Die gleiche Arbeitsgruppe [37] verglich nach Durchtrennung des N. lingualis an der Katze den Spontanverlauf mit
einer um zwölf Wochen verzögerten Nervenrekonstruktion. Es wird konstatiert, dass
die Ergebnisse nach verzögerter Rekonstruktion nur unwesentlich besser sind als bei
der spontanen Regeneration.
In einer weiteren Studie der gleichen Autoren [38] erfolgte am gleichen Modell ein Vergleich zwischen direkter Nervennaht unter Spannung,
der Verwendung eines Interponats und der Verwendung eines kältekonservierten Muskelpräparats.
Hierbei erwies sich die direkte Anastomose den beiden anderen Verfahren als überlegen.
Einschränkend ist festzustellen, dass kein Vergleich mit einer spannungsfreien End-zu-End-Anastomose
angestellt wurde, für die ein noch besseres Regenerationsergebnis zu erwarten wäre.
Curtis et al. beschrieben 1998 [39] zwei Techniken zur intraossären Reanastomosierung des N. alveolaris inferior im
Canalis mandibularis der Ratte. Neben der üblichen direkten Nervennaht kam eine „Laserverschweißung”
mit einem ICG- und einem IR-Diodenlaser zur Anwendung. Beide Verfahren werden als
gleichwertig angesehen.
Die Diskussion um den Benefit der Entubulation bei der Nervregeneration wurde unlängst
erneut entfacht durch die Beschreibung eines Copolymer-Neurotubes mit einem aus neuroprotektiven
Faktoren und Schwann-Zellen bestehenden viskösen Gel. Diese NVR-Tubes (NVR = geschützte
Bezeichnung der Neural and Vascular Reconstruction Laboratories) wurden tierexperimentell
an der Ratte zur Überbrückung eines 2 cm langen Defekts des N. ischiadicus eingesetzt
[40]. Die bisherigen Erfahrungen sind limitiert, aber ermutigend. Siemionow & Sari (2004
[21]) propagieren den Einsatz von Nervenhüllen, vor allem auch, um dem regenerierenden
Nerven eine optimale Mikroumgebung mit hoher Konzentration von Neurotrophinen zu schaffen.
Besonders wird auf die Protektion der Nervenstümpfe durch eine Umhüllung mit autologem
Epineurium („epineural sleeve neurorrhaphy”) hingewiesen. Die Autoren sprechen sich
außerdem gegen die alleinige Verwendung von Fibrinkleber zur Fixierung der Epineuriumhülle
aus und geben der Naht (10-0 Nylon) den Vorzug.
Belkas et al. (2004 [41]) widmen sich in einem weiteren Review den verschiedenen Tube-Materialien und stellen
diese vergleichend gegenüber. Die Autoren verleihen der Hoffnung Ausdruck, dass eine
weitere Optimierung der Entubulationstechnik durch das Tissue Engineering in naher
Zukunft ermöglicht wird.
Geuna et al. (2004 [42]) verwenden im Rahmen der Entubulation ein Venen-Muskel-Tube und berichten über gute
Erfolge bei der Überbrückung von 10 mm langen Nervendefekten im Tiermodell.
Wie bereits oben festgestellt, hat die anscheinend ohnehin selten vorkommende Denervierung
der Nasenmukosa keine bekannte klinische Relevanz. Whicker und Kern (1973 [43]) untersuchten tierexperimentell an Hunden die akuten und subakuten pulmonalen Effekte
einer bilateralen (!) nasalen Denervierung. Hierbei konnten keine von den Normalwerten
abweichenden Veränderungen der Compliance und der Resistance festgestellt werden,
wobei natürlich auch die Wechselwirkung zwischen Intubationsnarkose, maschineller
Ventilation und Lungenphysiologie berücksichtigt werden müssen.
Auf die mögliche zukünftige Rolle des Einsatzes von NGF bei der Nervenregeneration
bzw. -rekonstruktion wurde bereits oben hingewiesen. Ein weiterer, aktueller Ansatz
besteht in der lokalen Anwendung von Knochenmarkstromazellen [44]. Es konnte - allerdings am Nervus ischiadicus der Ratte - gezeigt werden, dass durch
die Applikation autologer Stromazellen des Knochenmarks die Nervenregeneration sowohl
hinsichtlich der Geschwindigkeit als auch hinsichtlich des funktionellen Ergebnisses
signifikant verbessert wurde.
6.2 Klinische Aspekte
6.2.1 Trigeminusneuralgie
Wie oben dargelegt, gilt hinsichtlich der Pathogenese der „klassischen” Trigeminusneuralgie
heute die Hypothese der neurovaskulären Kompression als weitgehend akzeptiert [12]. Diese Erkenntnis hat die parapontine mikrovaskuläre Dekompression der Trigeminuswurzel,
wie vor allem von Janetta beschrieben und propagiert, zur operativen Therapieempfehlung
der ersten Wahl werden lassen. Über eine subokzipitale, retroaurikuläre Trepanation
wird hierbei der N. trigeminus dargestellt und bis zu seiner Wurzeleintrittszone am
Hirnstamm verfolgt. Komprimierende Gefäße (zumeist A. cerebelli superior oder deren
Äste, pontine Venen) werden vom Nerv abpräpariert, um dann einen „Insulator” (Muskel,
Teflon, Ivalon) einzulegen. Der Eingriff gehört in die Hand des Neurochirurgen. Wenngleich
über „Erfolgsraten” von bis zu 90 % berichtet wird, sollte der operativen Intervention
ein medikamentöser Therapieversuch (siehe oben) vorausgegangen sein. Die Erfolgsraten
der neurovaskulären Dekompression haben die Bedeutung anderer operativer Verfahren
zur Behandlung der Trigeminusneuralgie neu definiert (Übersicht über die historische
Entwicklung bei [45]).
Als historisch und größtenteils verlassen anzusehen sind destruktive Verfahren wie
die Exhairese peripherer Trigeminusäste, die Resektion des Ganglion Gasseri, die Alkoholinjektion
in selbiges nach Härtel, die subtemporale Duraspaltung (Dekompression des Ganglion
Gasseri) nach Taarnhoj, die retroganglionäre extradurale Durchtrennung der sensiblen
Trigeminuswurzel nach Spiller und Frazier und die intradurale Durchtrennung der sensiblen
Trigeminuswurzel nach Dandy (Dandy-Rhizotomie). Der Traktotomie nach Sjöqvist, bei
der die nozizeptiven Bahnen in der Medulla oblongata durchtrennt werden, haftet ein
hohes Operationsrisiko an [46]. Als moderne Alternative zur Sjöqvist-Operation steht die Nukleotraktotomie zur
Verfügung, bei der eine Radiofrequenzläsion (DREZ-Läsion, dorsal root entry zone)
am Subnucleus caudalis des Nucleus spinalis n. trigemini gesetzt wird. Größere Serien
hierzu existieren nachvollziehbarerweise nicht.
Görge [12] sieht eine Indikation zur Dandy-Rhizotomie, sofern sich bei der Janetta-Operation
kein die Nervenwurzel komprimierendes Gefäß auffinden lässt.
Die perkutane Radiofrequenz-Thermokoagulation (Thermorhizotomie) des Ganglion Gasseri
nach Sweet wird heute noch als „Alternative” zur neurovaskulären Dekompression vor
allem bei älteren und morbiden Patienten eingesetzt [12]. Ziel dieses immer weiter modifizierten und verfeinerten Eingriffs ist die möglichst
selektive Ausschaltung der nozizeptiven Aδ- und C-Fasern unter Schonung der sensiblen
Aβ-Fasern. Die primäre Erfolgsrate wird mit bis zu 72 % angegeben ([47], N = 1200), wobei es sich in aller Regel um einen nur wenige Jahre anhaltenden Erfolg
handelt. Als unerwünschte Nebenwirkungen treten eine Hypästhesie bzw. Anästhesie (>
2 %) bis hin zur Anaesthesia dolorosa (0,2 - 4 %) auf. Bei rund 17 % der Patienten
tritt eine Hypersalivation auf. Eine passagere Kaumuskelschwäche ist häufig [12]. Die Letalität wird in einer großen Serie von 22 000 Patienten mit 0,08 % angegeben
[48].
In die gleiche Gruppe der perkutanen Trigeminus-Rhizotomien des Ganglion Gasseri wie
die Radiofrequenz-Thermokoagulation gehört die perkutane Mikrokompression mittels
Ballonkatheter nach Meglio, Cioni und Lobato. Dieses Verfahren wird vor allem in den
Mittelmeerländern der Thermokoagulation vorgezogen, auch wenn es häufiger zu - vorübergehenden
- Kaumuskelparesen kommen soll [12]. Auch über die Anwendung von kochendem Wasser wurde berichtet.
Bei der perkutanen retroganglionären Glyzerin-Instillation nach Hakanson wird über
das Foramen ovale das Cavum Meckeli mit Glyzerol infiltriert. Hierdurch soll eine
selektive Ausschaltung der nozizeptiven Fasern bewirkt werden. In kleinen Serien wird
über Erfolgsraten bis zu 83 % berichtet [11]. Allerdings hält der Effekt nur wenige Jahre an [12].
Der Stellenwert der stereotaktischen Radiochirurgie (Dosis 70 - 80 Gy) ist bislang
nicht ausreichend evaluiert, es wird über komplette Remissionen in 53 % und Besserungen
in weiteren 35 % berichtet [48].
Bei Anaesthesia dolorosa nach vorausgegangen Behandlungen wegen Trigeminusneuralgie
kann als „ultima ratio” eine Elektrostimulation des Ganglion Gasseri oder des zentralen
Höhlengraus in Betracht gezogen werden [12].
Kasuistische Erfolge wurden auch mit der ganglionären lokalen Opioidanalgesie des
Ganglion cervicale superius (GLOA-GCS), das nozizeptive Projektionen aus dem N. trigeminus
vermitteln soll („trigeminovaskulärer Komplex” nach Moskowitz et al.) erzielt [12]. Ist durch eine Sympathikusblockade die Schmerzsymptomatik positiv beeinflussbar,
liegt definitionsgemäß ein sympathisch unterhaltenes Schmerzsyndrom vor.
Aus HNO-ärztlicher Sicht muss die Sinnhaftigkeit von operativen Eingriffen an Nase
und Nasennebenhöhlen bei Trigeminusneuralgie diskutiert werden. Beachtenswert ist
in diesem Zusammenhang, dass früher bei Patienten mit Trigeminusneuralgie großzügig
Zahnextraktionen vorgenommen worden, ohne dass dies irgendeinen Benefit auf die Erkrankung
gezeigt hätte [11]. Auf HNO-ärztlichen Gebiet ist eine differenziertere Betrachtung nötig. Zunächst
muss die Unterscheidung zwischen klassischer, auf eine neurovaskuläre Kompression
am Hirnstamm zurückzuführende Trigeminusneuralgie und symptomatischen Trigeminusaffektionen
wieder aufgegriffen werden.
Die angenommene Pathophysiologie der klassischen Trigeminusneuralgie verlockt zu der
Schlussfolgerung, dass Behandlungsmaßnahmen in der Nervenperipherie nutzlos sein müssen.
Hier wird jedoch außer Acht gelassen, dass die Schmerzattacken durch externe Reize
getriggert werden. In diesem Sinne können sinunasale Pathologien durchaus als Trigger
bzw. begünstigende Faktoren angesehen werden.
Bei der Rhinoskopie ist vor allem auf Septumsporne zu achten, die vor allem bei Muschelkontakt
Quelle eines Gesichtsschmerzes sein können. Den Autoren sind einige Patienten mit
einer langjährigen Kopf- bzw. Gesichtsschmerzanamnese und vielen erfolglosen medikamentösen
Behandlungsversuchen bekannt, bei denen schließlich eine Septumkorrektur bzw. Muschelplastik
zu einer anhaltenden „Heilung” geführt hat.
Da aus differenzialdiagnostischen Gründen bei Trigeminusaffektionen in aller Regel
ohnehin ein Schichtbildverfahren zur Anwendung kommt (die Routine-Bildgebung erlaubt
allerdings bislang nicht den zweifelsfreien Nachweis einer neurovaskulären Kompression
[49]), eröffnet sich auch das Nebenhöhlensystem der Beurteilung. Bei nachweisbaren Pathologien
(und nur dann!) wird man in aller Regel zu einem sanierenden Eingriff raten, natürlich
nicht ohne den Hinweis auf einen nicht zu garantierenden Erfolg zu vergessen.
Gesichtsschmerzen nach Nasentrauma oder -chirurgie sollten zunächst einem konservativen
Therapieversuch (topinasale Corticosteroide, evtl. vorausgehend diagnostischer Test
mit Lokalanästhetika) zugeführt werden. Eine chirurgische Revision birgt die Gefahr
einer Beschwerdepersistenz oder sogar -verschlimmerung. Auch die Anwendung von Carbamazepin
oder Gabapentin kann erwogen werden.
Sensibilitätsstörungen im Versorgungsgebiet des N. infraorbitalis bzw. des N. supraorbitalis
sind nicht mit einer klassischen Trigeminusneuralgie vereinbar und müssen den Verdacht
auf ein sinunasales Malignom so lange unterstützen, bis Bild gebend und ggf. bioptisch
das Gegenteil bewiesen ist.
6.2.2 Gesichtsschmerz nach transmaxillären Kieferhöhlenoperationen
Chronische Gesichtsschmerzen nach vorausgegangener transmaxillärer Kieferhöhlenoperation
(„Post Caldwell-Luc-Syndrom”, [50]
[51]) stellen auch heute noch ein therapeutisches Problem dar, wenngleich diese Operationstechnik
zumindest bei entzündlichen Erkrankungen fast vollständig durch die endonasale Nasennebenchirurgie
abgelöst wurde.
Wie bei allen neuropathischen Schmerzen ist ein medikamentöser Therapieversuch angezeigt;
Carbamazepin gilt auch hier als Substanz der ersten Wahl. Alternativen sind oben aufgezeigt.
Bei unzureichendem Erfolg der medikamentösen Therapie kann eine Dekompression bzw.
Neurolyse des N. infraorbitalis versucht werden [48]. Die Identifikation des Nerven auf oralem Wege ist durch Vernarbungen häufig erschwert,
eine akzidentelle Durchtrennung muss von der präoperativen Aufklärung abdeckt sein.
Als Alternativzugang bietet sich die Darstellung des N. infraorbitalis von oben über
einen transkonjunktivalen oder infraorbitalen Zugang an. Eine absichtliche Durchtrennung
des N. infraorbitalis bzw. N. maxillaris [52] führt praktisch nie zum Ziel der Schmerzfreiheit, sondern nur zur zusätzlichen Anästhesie
mit der Gefahr einer Anaesthesia dolorosa. Hier scheint die Nozizeption über unmyelinisierte
C-Fasern im Sinne eines Deafferenzierungsschmerzes eine Rolle zu spielen.
Gregg (1990 [53]) weist darauf hin, dass eine erfolgreiche Ausschaltung des lokalen Schmerzes durch
Lokalanästhetika ein guter prädiktiver Faktor für den Erfolg einer mikrochirurgischen
Nervdekompression ist.
6.2.3 Andere Gesichtsschmerzen
Neben der bereits ausführlich diskutierten Trigeminusneuralgie existieren zahlreiche
andere Formen von Gesichtsschmerzen. Hierzu zählen unter anderem auch die bereits
oben erwähnten, einzelnen Nerven bzw. Ganglien zuzuordnenden Syndrome, aber auch der
Cluster-Kopfschmerz, die Icecream-Headache usw. Eine Diskussion aller dieser Krankheitsbilder
übersteigt die Intention dieses Referats.
Es sei nur kurz auf folgende Operationsverfahren hingewiesen, die bei den Einzelnerv-
bzw. Ganglien-bezogenen Neuralgien in Erwägung gezogen werden können:
-
Durchtrennung des N. petrosus major über einen transtemporalen Zugang
-
transantrale Neurektomie des N. pterygopalatinus (N. Vidianus)
-
Resektion des Ganglion pterygopalatinum
-
Exhairese der Nn. ethmoidalis über einen transorbitalen Zugang.
Alle genannten Eingriffe dürften heute nur noch in Spezialfällen eine Indikation haben;
die Techniken sind bei Denecke und Ey (1984 [54]) illustriert.
6.2.4 Rekonstruktion von Trigeminusästen
Die Kopf-Hals-Chirurgie ist inzwischen auf einem so weit fortgeschrittenen Niveau
angelangt, dass die vielfach (?) noch anzutreffende Mentalität, ein sich dem Chirurgen
bei der Präparation „in den Weg stellender” Nerv sei keiner Schonung wert, wenn es
sich „nur” um einen sensiblen Nerven handelt, der Vergangenheit angehören sollte.
Die akzidentelle Durchtrennung von sensiblen Hautnerven kann durch eine subtile Präparationstechnik
auf der Basis fundierter topoanatomischer Kenntnisse vielfach vermieden werden. Das
primäre Ziel von chirurgischen Eingriffen im Gesicht muss daher die bewusste Schonung
der die Oberflächensensibilität der Haut und Schleimhäute vermittelnden Trigeminusäste
sein.
Als Beispiel sei hierzu die Lippenbiopsie zur Abklärung des Verdachts auf Sjögren-Syndrom
angeführt. Wenngleich es sich um einen diagnostischen Routineeingriff handelt, kommt
es nach der Literatur in 0,8 - 3,9 % zu anhaltenden Sensibilitätsstörungen [55]. Die funktionellen Folgen einer Lippenanästhesie sind leicht vorstellbar. Durch
anatomische Serienuntersuchungen konnten Alsaad et al. [55] drei Grundmuster der sensiblen Innervation der Lippe erkennen und hierauf basierend
dezidierte Empfehlungen zur Optimierung der Schnittführung bei der Unterlippenbiopsie
geben.
Auch der Nervus auricularis magnus verdient bei Parotis- und Halseingriffen eine Schonung,
nicht zuletzt auch, um als Transplantat für eventuelle Nervenrekonstruktionen zur
Verfügung stehen zu können.
Selbstverständlich gibt es Erkrankungen und Situationen, bei denen einer oder mehrere
sensible Nerven nicht erhalten werden können. Ein einen malignen Tumor durchquerender
Nerv muss in aller Regel mit entsprechendem Sicherheitsabstand abgesetzt werden. In
solchen Situationen können aber durchaus Überlegungen angestellt werden, die Funktion
des Nervs durch Rekonstruktionsmaßnahmen wiederherzustellen. Man mag zwar geneigt
sein, einem postoperativen Sensibilitätsdefizit im Rahmen der Tumorchirurgie keine
besondere Beachtung beizumessen und deshalb eine relevante Verlängerung der Operationszeit
durch Nervenrekonstruktionen nicht in Kauf nehmen zu wollen, doch sollte diese Sichtweise
mit Verweis auf mögliche erhebliche Beeinträchtigungen des Patienten revidiert werden.
Dies gilt besonders auch für Läsionen des N. ophthalmicus, die eine Keratitis neuroparalytica
zur Folge haben können.
Durch chirurgische Verfahren rehabilitierbare periphere Läsionen des N. trigeminus
betreffen vor allem den N. alveolaris inferior, den N. lingualis und den N. infraorbitalis
[56].
Nach einer Studie von Lam et al. (2003 [57]) an 46 Patienten zeigten sich 55 % nach chirurgischer Rekonstruktion von N. alveolaris
inferior oder N. lingualis zufrieden mit dem erzielten Ergebnis.
Für die operative Technik gelten die gleichen Grundsätze wie für die Chirurgie anderer
peripherer Nerven. Hinsichtlich der primären End-zu-End-Nervennaht wird auf die einschlägige
Literatur verwiesen. Hausamen (1981 [58]) verweist wie die meisten anderen Autoren auf die Notwendigkeit der Verwendung des
Operationsmikroskops bei der Nervennaht. Es gelten folgende Grundsätze für die Optimierung
der peripheren Nervenchirurgie:
-
Eine spannungsfreie Anastomose ist eine wesentliche Voraussetzung für eine rasche,
gerichtete Reinnervation [21]. Andernfalls kommt es zudem auch gehäuft zu Dysästhesien auslösenden Neuromen durch
Fehlaussprossungen von Axonen.
-
Je früher die Nervenrekonstruktion erfolgt, desto besser ist das erzielbare Ergebnis.
-
Mit einer primären, spannungsfreien End-zu-End-Anastomose ist in aller Regel ein besseres
Reinnervationsergebnis zu erzielen als mit einem Nerveninterponat.
-
Eine direkte, epineurale Nervennaht, ausgeführt unter dem Operationsmikroskop, führt
zu besseren funktionellen Ergebnissen als eine alleinige Schienung des Nerven (Entubulation).
6.2.4.1 Geeignete Interponate
Sofern eine primäre, spannungsfreie End-zu-End-Anastomose auch nicht durch ein Rerouting
des Nervs möglich ist, kann die Wiederherstellung der Kontinuität über ein Nerveninterponat
erfolgen. Hierzu haben sich in der Praxis vor allem zwei Nerven bewährt:
-
N. auricularis magnus
-
N. suralis.
Meyer (2001 [59]) und Wolford (1992 [60]) haben ausführlich die Vor- und Nachteile dieser beiden Transplantate beleuchtet.
Das entnommene Interponat sollte 20 - 25 % länger als die zu überbrückende Strecke
sein. Nach Meyer kommt es bei der Auswahl des Spendernervs weniger auf Durchmesser,
die Zahl der Faszikel und das Faszikelmuster (polyfaszikulär-gruppiert, polyfaszikulär-nicht
gruppiert, oligofaszikulär) an als auf die korrekte Orientierung des Spendernervs
in Bezug auf die Richtung des axoplasmatischen Flusses. Die Bedeutung des letztgenannten
Aspekts wird allerdings in der Literatur kritisch hinterfragt.
Wolford (1992 [60]) favorisiert die Dopplung des N. auricularis magnus als „cable graft”, um den zu
geringen Durchmesser eines einzelnen Nerven auszugleichen.
Eppley und Snyders führten bereits 1991 [61] ähnliche Betrachtungen durch und kamen zu dem Ergebnis, dass der N. auricularis
magnus dem N. trigeminus mikroanatomisch ähnlicher und daher als Interponat zu bevorzugen
sei.
Als weitere Interponate kommen folgende Nerven in Betracht:
-
N. cutaneus medialis antebrachii
-
N. cutaneus lateralis antebrachii
-
N. thoracicus longus (im Rahmen der Entnahme entsprechender Lappen leicht zu präparieren).
Alle drei Nerven sind nach Meyer (2001 [59]) vor allem zur Rekonstruktion des N. alveolaris inferior geeignet.
N. auricularis magnus
In der Regel können Transplantate von 2 - 4 cm Länge gewonnen werden. Ein typischer
Nerv hat einen Durchmesser von 1,5 mm und weist acht bis neun Faszikel auf. Es resultiert
ein Sensibilitätsdefekt im Bereich des Lobulus und der oberen Regio parotidea.
N. suralis
Aus dem N. suralis kann ein Interponat von 20 - 30 cm gewonnen werden. Die Präparation
des Nerven erfolgt mittels subkutaner Tunnelung und „Strickleiterinzisionen” [58]. Über den entstehenden Sensibilitätsdefekt am Unterschenkel nach Nervenentnahme
sollten vor allem aktive Sportler aufgeklärt werden. Der Nerv hat einen mittleren
Durchmesser von 2,1 mm und verfügt über elf bis zwölf Faszikel.
6.2.4.2 Rekonstruktion des N. alveolaris inferior
Schädigungen des N. alveolaris inferior entstehen zumeist entweder traumatisch oder
iatrogen. Entsprechend werden die zur Verfügung stehenden Therapieoptionen überwiegend
in der zahnärztlichen und Mund-Kiefer-Gesichts-chirurgischen Literatur dargestellt.
Schmelzle und Schwenzer (1990 [62]) weisen daraufhin, dass bei 30 % der Patienten nach Mandibulafrakturen nach einem
Jahr noch Sensibilitätsdefizite vorliegen.
Der intraossäre Verlauf des N. alveolaris inferior hat hinsichtlich der Nervenrekonstruktion
sowohl einen positiven als auch einen negativen Aspekt [63]. Eine spannungsfreie End-zu-End-Anastomose bei Nervendurchtrennung ohne Interponat
wird durch den Knochenkanal erschwert bzw. häufig unmöglich gemacht, andererseits
vermittelt der Canalis mandibulae eine genuine Leitstruktur („guiding influence”)
für die spontane Nervenregeneration. Daher ist es gerechtfertigt, bei Sensibilitätsstörungen
im Versorgungsgebiet des N. alveolaris inferior länger hinsichtlich einer spontanen
Funktionswiederkehr abzuwarten. Ruggiero nennt hierfür ein Intervall von 6 - 8 Monaten.
Hausamen et al. (1974 [64]) raten demgegenüber, den rekonstruierten Nerv nicht im avaskulären Knochenkanal
zu belassen, sondern ihn in das gefäßreiche submandibuläre Bindegewebe zu verlagern,
um die Ernährung durch Diffusion zu ermöglichen, bis sich Vasa nervorum ausgebildet
haben. Aus gleichem Grund empfehlen die gleichen Autoren die Verwendung eines dünnkalibrigen
Transplantats, da dieses besser durch Diffusion zu ernähren ist.
Für die Rekonstruktion des N. alveolaris inferior sollte nach Zuniga (2001 [56]) der transorale gegenüber dem transkutanen Zugang bevorzugt werden, da hierdurch
der Nerv auf einer weiteren Strecke dargestellt werden kann.
Stößt man bei der Freilegung auf einen in der Kontinuität erhaltenen Nerven, so muss
die Möglichkeit einer Fibrose durch Medikamente (z. B. Kortikosteroide, Lokalanästhetika)
oder zahnärztliche Werkstoffe in Betracht gezogen werden. Nach Schmelzle und Schwenzer
(1990 [62]) sind viele Wurzelfüllungsmaterialien neurotoxisch, daher sollte eine Überstopfung
des Wurzelkanals bei der Wurzelkanalfüllung vermieden bzw. überfülltes Material umgehend
entfernt werden. Bei der vorsichtigen Palpation des Nervs kann eine Verhärtung getastet
werden. Dieses Nervenareal muss dann exzidiert werden; die Rekonstruktion erfolgt
durch spannungsfreie End-zu-End-Anastomose (meist nicht möglich) oder über ein Nerveninterponat
[56]. Erforderlichenfalls sollte nach Exzision eines fibrosierten Nervs die strukturelle
Unversehrtheit der zu reanastomosierenden Enden durch Gefrierschnitte sichergestellt
werden.
Gregg (2000 [9]) empfiehlt beim Vorliegen von Dysästhesien nach dentalen Implantationen eine Dekompression
des betroffenen Nervs innerhalb von drei Monaten, um der Zentralisierung des neuropathischen
Schmerzes vorzubeugen.
6.2.4.3 Rekonstruktion des N. lingualis
Der N. lingualis kann im Rahmen von chirurgischen Maßnahmen im Mundboden (Schlitzung
des Ductus submandibularis, Abszesseröffnung), an den Unterkieferzähnen und in der
Regio submandibularis Schaden nehmen. Nach Schmelzle und Schwenzer (1990 [62]) berührt der N. lingualis in rund 60 % das Weisheitszahnfach. Der Nerv kann bei
Osteotomien im Bereich der hinteren Molaren durch Bohrer, Lindemann-Fräse oder durch
zu tief angesetzte Nähte geschädigt werden. Bei intraoperativ bemerkter Nervendurchtrennung
sollte eine unmittelbare Nervennaht nach den üblichen mikrochirurgischen Prinzipien
ausgeführt werden. Da die meisten Eingriffe in Lokalanästhesie durchgeführt werden,
ist die intraoperative Erkennung einer Nervenläsion anhand ihrer funktionellen Auswirkungen
aber erschwert bis unmöglich.
Bei der Rekonstruktion des N. lingualis muss bedacht werden, dass die Schädigung des
Nerven meist an einer Stelle erfolgt, wo sich der sensible N. lingualis bereits mit
der sensorischen Chorda tympani vereinigt hat. Eine gezielte, getrennte Rekonstruktion
beider Faserqualitäten ist operationstechnisch nicht möglich. Aus experimentellen
Untersuchungen (siehe oben) weiß man, dass es zumindest im Tierexperiment bevorzugt
zur Regeneration mechanosensibler Fasern kommt. Dies ist bei der Aufklärung des Patienten
zu berücksichtigen.
Potter et al. (1978 [65]) raten dazu, die Rekonstruktion des N. lingualis aus Gründen der Prozess- und Ergebnisqualität
in Allgemeinanästhesie durchzuführen. Loescher et al. (2003 [7]) raten zu einer chirurgischen Exploration des N. lingualis, wenn es nach drei bis
vier Monaten nach Eintritt einer durch eine Zahnextraktion hervorgerufen Nervenläsion
zu keiner spontanen Besserung gekommen ist. Renton (2002 [66]) bemängelt, dass die bislang veröffentlichten Ergebnisse der Lingualis-Rekonstruktion
wenig aussagekräftig seien, da einerseits die Diagnosekriterien sowohl für die Nervenläsion
als auch für den Therapieerfolg nur vage definiert seien, andererseits auch keine
klaren Therapierichtlinien existierten. Zu dem gleichen Ergebnis kamen 1997 bereits
Dodson und Kaban [67] bei Anwendung der Grundsätze der Evidenced Based Medicine.
6.2.4.4 Rekonstruktion des N. infraorbitalis
Es ist zu hoffen, dass die Rate von persistierenden Sensibilitätsstörungen nach Jochbeinfrakturen
in der aktuellen Realität weitaus weniger häufig sind wie von Fogaca et al. (2004
[68]) mit 76 % angegeben.
Nach Brand et al. (1991 [69]) fand sich in einer Serie von 418 Patienten mit Jochbeinfraktur in 58 % präoperativ
eine Sensibilitätsstörung im Infraorbitalis-Versorgungsgebiet, postoperativ in 39
%. Diese Studie ist sicherlich nicht repräsentativ zur Ermittlung der Häufigkeit einer
Infraorbitalis-Läsion bei Jochbeinfraktur, da es sich um eine Selektion von operationspflichtigen
Patienten handelte. Im eigenen Patientenkollektiv [70] fand sich bei 65 Patienten mit isolierten Orbitabodenfrakturen in 40 % eine Sensibilitätsstörung
im Infraorbitalis-Versorgungsgebiet, die sich bei allen Patienten nach Operation zurückbildete.
In jedem Fall gilt eine Sensibilitätsstörung im Infraorbitalis-Versorgungsgebiet als
Operationsindikation bei Jochbeinfrakturen. Brand et al. (1991 [69]) erzielten die besten funktionellen Ergebnisse bei Operationen innerhalb von drei
Tagen, so dass bei Sensibilitätsstörungen eine frühzeitige Operation angestrebt werden
sollte. Zwischenzeitlich sollte eine intensive antiphlogistische Therapie zur Anwendung
kommen.
Die Literatur beschäftigt sich überraschend wenig mit der Rehabilitation des N. infraorbitalis
im Rahmen von Jochbein- und Orbitabodenfrakturen. Dennoch bleibt klar festzuhalten,
dass die Rehabilitation und ggf. Rekonstruktion des N. infraorbitalis neben der stabilen
Osteosynthese ein wesentliches Operationsziel darstellt [71]. Bei präoperativ ungestörter Sensibilität ist die Vermeidung einer operationsbedingten
Schädigung des N. infraorbitalis oberstes Ziel. Bei der Präparation des Orbitabodens
(Canalis infraorbitalis) ist maximale Sorgfalt erforderlich, um eine sekundäre Läsion
des Nerven durch Knochensplitter zu vermeiden. Bei der Osteosynthese ist ein ausreichender
Abstand zwischen Bohrlöchern und Nerv einzuhalten. Eine stabile Form der Osteosynthese
- zumeist durch Miniplatten - ist anzustreben [72].
Liegt präoperativ eine Sensibilitätsstörung im Infraorbitalis-Versorgungsgebiet vor,
so stellt die Wiederherstellung der Nervfunktion ein wichtiges Operationsziel dar.
Der Orbitaboden und das Foramen orbitale sollten mit maximaler Vorsicht dargestellt
werden, bis feststeht, ob der Nerv in seiner Kontinuität erhalten ist oder nicht.
Ein nicht durchtrennter Nerv sollte akribisch von Knochensplittern etc. befreit und
somit dekomprimiert werden. Verläuft der Frakturspalt durch das Foramen infraorbitale
und ist eine Kompression des (intakten) Nervs nach Osteosynthese zu befürchten, sollte
der knöcherne Kanal erweitert werden. Bei Trümmerfrakturen, die das Foramen infraorbitale
einbeziehen, kann auch ein Rerouting des Nervs mit Bildung eines Neo-Foramens erforderlich
werden [73].
Ist der N. infraorbitalis durchtrennt, sollte eine Sofortrekonstruktion durch primäre
Nervennaht ausgeführt werden; eine spannungsfreie Naht muss erforderlichenfalls durch
ein Rerouting des Nervs erzwungen werden.
Bei Sekundäreingriffen gelten die gleichen Grundsätze wie bei der Infraorbitalis-Dekompression
(siehe 6.2.2). Der Zugangsweg ist meist durch den Ersteingriff vorgegeben. Der N.
infraorbitalis sollte möglichst weit proximal aufgesucht werden, da sich der Nerv
bereits unmittelbar nach dem Foramen infraorbitale auffächert [60].
6.2.4.5 Rekonstruktion anderer Trigeminusäste
Ein durchtrennter N. supraorbitalis wird nach den gleichen Regeln rekonstruiert wie
der N. infraorbitalis.
Der N. buccalis kann ebenfalls im Rahmen einer Weisheitszahnextraktion geschädigt
werden; Angaben zur Inzidenz liegen nicht vor [7]. Optionen zur Rekonstruktion sind bislang nicht beschrieben, es kann aber eine spontane
Regeneration in einem gewissen Prozentsatz erwartet werden.
Das Frey-Syndrom (aurikulotemporales Syndrom, Geschmacksschwitzen) entsteht durch
eine Fehlregeneration sympathischer sudomotorischer Fasern in parasympathische sekretorische
Fasern und tritt regelhaft nach Eingriffen in der Regio parotidea auf. Wenngleich
hier der N. auriculotemporalis als Trigeminusast an der Pathophysiologie beteiligt
ist, handelt es sich weniger um ein sensibles als um ein autonomes Innervationsproblem.
Strategien zur Vermeidung eines symptomatischen Frey-Syndroms sind andernorts ausführlich
beschrieben; eine Diskussion im Rahmen dieses Referats würde den Rahmen sprengen.
6.2.4.6 Spezialfälle
Trifft man bei der Exploration eines peripheren Trigeminusasts auf ein (Amputations-)
Neurom, ohne ein distales Nervenende für eine Reanastomosierung auffinden zu können,
so stellt sich die Frage nach der optimalen Behandlungsstrategie im Falle des Vorhandenseins
von chronischen neuropathischen Schmerzen. Eine isolierte Resektion des Neuroms ist
mit einer hohen Rezidivwahrscheinlichkeit verbunden. Es sollte daher eine der folgenden
Behandlungsoptionen gewählt werden:
-
Verbindung des angefrischten Nerven mit einem Skelettmuskel
-
Bildung eines epineuralen Lappens am angefrischten Nerven mit okklusiver Naht des
Epineuriums über dem Nerven („epineural envelope”).
Beide Techniken sollten der erneuten Ausbildung eines Neuroms vorbeugen [56].
Lässt sich dagegen nur das distale Nervenende präparieren, kann im Falle des N. alveolaris
inferior eine End-zu-End-Anastomose mit dem proximalen Ende eines durchtrennten N.
auricularis magnus erwogen werden [59].
Mucci und Dellon (1997 [74]) präsentieren eine Kasuistik, bei der die Oberflächensensibilität der Unterlippe
bei einer 33-jährigen Patientin mit zentraler Trigeminusläsion erfolgreich durch eine
Anastomosierung mit dem N. supraclavicularis wiederhergestellt werden konnte.
6.2.5 Andere Behandlungsverfahren
Neurotrophische Ulzerationen können zur Abheilung gebracht werden, wenn die hierfür
teilursächlichen Manipulationen unterbunden werden können. Durch die transkutane Elektrostimulation
kann die Wundheilung gefördert werden [8]. Erforderlichenfalls muss eine Defektdeckung durch regionäre Hautlappenplastiken
erfolgen, die bevorzugt von adäquat sensibel innervierten Gebieten, in der Regel also
von der Gegenseite, erfolgen sollten [8].