Laryngorhinootologie 2005; 84: 213-221
DOI: 10.1055/s-2005-861145
Gestörte Sprechfunktion
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Gestörte Sprechfunktion
Wiederherstellende Verfahren bei gestörter Sprechfunktion (Dysarthrie, Dysglossie)

H.  Schröter-Morasch1 , W.  Ziegler1
  • 1Abt. Neuropsychologie (Chefarzt: Prof. Dr. G. Goldenberg), Städtisches Klinikum München GmbH, Krankenhaus Bogenhausen
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Dr. med. Heidrun Schröter-Morasch

Abteilung Neuropsychologie · Städtisches Klinikum München GmbH · Krankenhaus München-Bogenhausen

Englschalkingerstraße 77 · 81925 München ·

eMail: HSM@extern.lrz-muenchen.de

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
22. April 2005 (online)

Inhaltsübersicht #

Zusammenfassung

Störungen des Sprechvorganges können (1) aufgrund sensomotorischer Beeinträchtigungen von Sprechbewegungen resultieren = Dysarthrien, oder (2) Folge struktureller Veränderungen der Sprechorgane sein und beim Erwachsenen insbesondere nach chirurgischer und radiochemischer Tumorbehandlung auftreten = Dysglossien. Durch die Minderung der Verständlichkeit, eine geringere Sprechbelastbarkeit, die Stigmatisierung durch eine auffällige Stimme und Sprechweise sowie die Reduzierung des emotionalen Ausdrucks bedeuten sie einen hohen Verlust an Lebensqualität, Einschränkungen der Berufsfähigkeit und verminderte soziale Kontakte. Eine an den pathophysiologischen Gegebenheiten orientierte intensive Therapie ist daher zwingend erforderlich. Im Vordergrund steht die funktionelle Übungstherapie, welche je nach Symptomatik und Dynamik durch prothetische und chirurgische Maßnahmen ergänzt werden kann. In schweren Fällen müssen Kommunikationshilfen zum Einsatz kommen. Bei allen Rehabilitationsmaßnahmen müssen zudem häufig assoziierte Störungen der Körpermotorik und/oder Beeinträchtigungen der Kognition und des Verhaltens berücksichtigt werden.

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1 Definition und Einleitung

Inhaltsverzeichnis
1 Definition und Einleitung … 214 2 Dysarthrien … 214
2.1 Ätiopathogenese der Dysarthrien … 214
2.2 Einteilung und Symptomatologie … 214
3 Dysglossien … 215
3.1 Ätiopathogenese … 215
3.2 Einteilung der Dysglossien … 215
4 Diagnostik von Sprechstörungen … 215
5 Therapie … 217
5.1 Verhaltensmodifizierende Verfahren und instrumentelle Hilfen … 218
5.2 Prothetische Versorgung … 218
5.3 Chirurgische Verfahren … 219
Literatur (Hinweis: erscheint nur in der Online-Ausgabe)

Mündlich-sprachliche Kommunikation gehört zu den elementaren Funktionen menschlicher Existenz. Sie wird durch die Fähigkeit der Bildung differenzierter Laute zur akustisch wahrnehmbaren Informationsübermittlung ermöglicht. Die Funktion der am Sprechen beteiligten Organe kann mit dem Aufbau einer Orgelpfeife verglichen werden: Die Atmung entspricht dem Blasebalg, der Kehlkopf der Orgelpfeife und die Artikulationsorgane Lippen, Kiefer, Zunge, Rachen und Gaumensegel - dem Ansatzrohr entsprechend - modifizieren den Luftstrom bzw. den im Kehlkopf erzeugten Ton durch Enge- und Verschlussbildung sowie die Veränderung von Resonanzräumen. Die schnelle Lautfolge beim Sprechen erfordert ein hochkomplexes, zeitlich genauestens abgestimmtes Bewegungsmuster der beteiligten Muskeln. Störungen des Sprechvorganges aufgrund sensomotorischer Beeinträchtigungen von Sprechbewegungen werden als Dysarthrien bezeichnet. Die Sprechbewegungen dysarthrischer Patienten sind durch Schwäche, Verlangsamung, Fehlkoordination, veränderten Muskeltonus oder durch dyskinetische Symptome charakterisiert. Gestörtes Sprechen als Folge struktureller Veränderungen der Sprechorgane - beim Erwachsenen insbesondere nach chirurgischer und radiochemischer Tumorbehandlung auftretend - wird als Dysglossie bezeichnet.

Durch die Minderung der Verständlichkeit, eine geringere Sprechbelastbarkeit, die Stigmatisierung durch eine auffällige Stimme und Sprechweise sowie die Reduzierung des emotionalen Ausdrucks haben Sprechstörungen einen hohen Verlust an Lebensqualität, Einschränkungen der Berufsfähigkeit und verminderte soziale Kontakte zur Folge.

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2 Dysarthrien

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2.1 Ätiopathogenese der Dysarthrien

Zu den Ursachen dysarthrischer Störungen zählen alle neurologischen Erkrankungen des Bewegungsapparates, wobei sowohl zentrale motorische Strukturen als auch das periphere motorische Neuron betroffen sein können. Relevante zentrale Schädigungsbereiche sind: Areale des sensomotorischen Kortex, die davon absteigenden kortikonukleären Bahnen zum Hirnstamm und die Formatio reticularis sowie die polysynaptischen motorischen Etappenbahnen einschließlich des Thalamus und der Stammganglien sowie das Kleinhirn. Auch bei Schädigungen des peripheren motorischen Neurons (Hirnnervenkerne und Hirnnerven V, VII, IX, X und XII, Zervikalnerven C1 bis C8 und Thorakalnerven T1 bis T12 sowie die Strukturen des neuromuskulären Überganges) sowie der Muskulatur treten Dysarthrien auf, die Sprechstörungen bei isolierten peripheren Paresen werden von einigen Autoren allerdings den Dysglossien zugeordnet. Zur Abgrenzung der nicht einheitlichen Terminologie muss auf entsprechende Fachliteratur verwiesen werden [1] [2].

Abhängig von der Lokalisation resultieren bei zentralen Schädigungen den Bewegungsstörungen der Extremitäten analoge Störungsbilder: Parese (schlaff, spastisch), Akinesie und Rigidität, Ataxie, Tremor und Myoklonus sowie Dyskinesien [1]. Charakteristisch für die nach zentraler Schädigung auftretenden Sprechstörungen ist, dass in der Regel mehrere Funktionsbereiche des Sprechens - also Sprechatmung, Phonation, Artikulation und die Gestaltung der prosodischen Muster (Sprechrhythmus, Intonation und Akzentuierung) - betroffen sind. Daraus resultieren auch die Bezeichnungen „Dysarthrophonie” oder „Dysarthrophonopneumie”. Sind aufgrund schwerster Schädigungen überhaupt keine Artikulationsbewegungen mehr möglich, liegt eine Anarthrie vor. Die häufigsten mit Dysarthrie einhergehenden Erkrankungen sind in Tab. [1] dargestellt.

Tab 1 Häufigste mit Dysarthrie einhergehende Erkrankungen
Zerebrovaskuläre Erkrankungen
zerebrale Ischämie
intrazerebrale Blutungen
Schädel-Hirn-Traumen
Degenerative Erkrankungen der Basalganglien
M. Parkinson
Chorea Huntington
Degenerative Erkrankungen des Kleinhirns
rein zerebelläre Atrophien
spinozerebelläre Erkrankungen
olivo-ponto-zerebelläre Atrophie
Infektions- und Entzündungskrankheiten
Multiple Sklerose
Enzephalitis
Tumoren
Intoxikationen
Schwere Hypoxien
Nebenwirkungen medikamentöser Therapie
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2.2 Einteilung und Symptomatologie der Dysarthrien

Die Einteilung der Dysarthrien kann sowohl nach dem Schädigungsort (kortikal, subkortikal - extrapyramidal, zerebellär, bulbär) als auch nach der Ausprägung der Symptomatik erfolgen. Eine syndromorientierte Klassifikation erscheint für die Erarbeitung des therapeutischen Vorgehens sinnvoller. Sie erfolgt nach den Beschreibungskriterien der Muskelkraft, des Muskeltonus (hyperton, hypoton) und der Kinematik des Bewegungsablaufes (Umfang, Tempo und Zielgenauigkeit der Bewegung):

Spastische Dysarthrie: Ursache sind spastische Paresen durch Läsion des ersten motorischen Neurons mit Hypertonus der Muskulatur sowie einer Verminderung der Kraft und der Feinmotorik. Reflektorische Bewegungen beim Husten, Würgen und Schlucken sind in der Regel erhalten („dissoziierte Parese”, s. auch Tab. [3]), ebenso Bewegungen bei emotionalen Äußerungen wie Lachen und Weinen. Auditive Merkmale sind: gepresste, raue Stimmqualität, Rückverlagerung der lingualen Artikulationszonen und unpräzise Konsonantenbildung, Hypernasalität (durch Spastik der Gaumenbögen oder Schwäche der Gaumensegelheber), sowie monotone und verlangsamte Sprechweise. Die spastische Dysarthrie ist die häufigste Dysarthrieform nach schwerem Schädel-Hirn-Trauma.

Rigid-hypokinetische Dysarthrie: Schädigungsorte sind vorwiegend die Basalganglien. Es liegt ein erhöhter Widerstand der Muskulatur gegen passive Dehnung bei erhöhter Hintergrundaktivität vor, sowie eine Akinesie oder Bradykinesie. Die Stimme ist leise und behaucht, die Artikulation unscharf, das Sprechtempo kann erhöht sein, Laut- und Silbeniterationen kommen vor. Häufigste Ursache ist der M. Parkinson, die Sprechstörung zählt zu den Frühsymptomen. Dabei kann auch ein Stimmzittern vorliegen als Ausdruck eines Stimmlippentremors.

Ataktische Dysarthrie: Die Muskelbewegungen sind durch ein Unter- und Überschießen charakterisiert (Dysmetrie) sowie durch die Unfähigkeit zur Aufrechterhaltung konstanter motorischer Leistungen. Ursache sind Schädigungen des Kleinhirns und seiner Verbindungen. In der Artikulation zeigen sich Lenisierungen und Fortisierungen, die Phonation ist rau und gepresst mit Entstimmungen, Stimmabbrüchen sowie Tonhöhen- und Lautstärkeschwankungen. Das Sprechtempo ist verlangsamt und die Sprechweise skandierend. Häufigste Ursachen sind entzündliche und degenerative Kleinhirnerkrankungen, aber auch zerebrovaskuläre Schädigungen des Kleinhirns und Traumen.

Dyskinetische und dystone Formen der Dysarthrie: Inadäquate Muskelaktivierungen mit tonischen Kontraktionen und unkontrollierte Bewegungen können auch die Sprechmuskulatur betreffen. Sie führen zu wechselnder Beeinträchtigung der Stimmqualität, Unterbrechungen des Sprechflusses oder unwillkürlichen Lautäußerungen, wie z. B. beim M. Huntington oder der Athetose. Als Ausprägungen fokaler Dystonien sind die spasmodische Dysphonie (Kehlkopfmuskulatur betroffen) und die oromandibuläre Dystonie anzusehen. Repetitiv auftretende Hyperkinesen mit unterschiedlicher Frequenz, Amplitude und Beschleunigung sind Tremor und Myoklonien, die sowohl Stimm- als auch Artikulationsstörungen verursachen können [3].

Schlaffe Dysarthrie: Ursache ist eine schlaffe Parese durch Läsion des zweiten motorischen Neurons (Hirnnervenkerne im Hirnstamm, periphere Nerven), aber auch beobachtbar nach zentralen Läsionen. Es zeigen sich ein verminderter Muskeltonus, eine Aufhebung der willkürlichen und der reflektorischen Funktionen, eine Muskelatrophie und evtl. Faszikulationen, häufig nur einzelne Muskeln betreffend. Je nach Lokalisation der Schädigung findet sich eine leise und behauchte Stimme, Hypernasalität, unpräzise Konsonantenbildung und Verlangsamung. Häufigste Ursache einer schlaffen Dysarthrie ist eine Hirnstammschädigung („bulbäre Symptomatik”), z. B. bei amyotropher Lateralsklerose. Aber auch Schädigungen peripherer Nerven bei Polyneuropathie oder Tumorerkrankungen, des neuromuskulären Überganges, z. B. bei Myasthenie oder Muskelerkrankungen können die Symptomatik einer schlaffen Dysarthrie verursachen.

Mischformen: Bei ausgedehnten Schädigungen, z. B. bei Encephalitis disseminata, nach Schädel-Hirn-Trauma oder zerebrovaskulären Erkrankungen liegen häufig Kombinationen der Störungsbilder vor.

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3 Dysglossien

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3.1 Ätiopathogenese

Als Dysglossien werden Störungen des Sprechvorganges bezeichnet, welche durch Schädigungen der am Sprechen beteiligten peripheren Strukturen entstehen. Als Ursache kommen vielfältige Faktoren in Betracht: Kongenitale Fehlbildungen (insbesondere kraniofaziale Fehlbildungen einschließlich Lippen-, Kiefer-, Gaumenspalten, oro-mandibulo-faziale Fehlbildungen bei einer Vielzahl von Syndromen [4], erworbene Zahndefekte und Traumen, insbesondere aber die durch chirurgische und radiochemotherapeutische Tumorbehandlung des Kopf-Hals-Bereichs entstehenden Defekte und Gewebsveränderungen. Im Unterschied zu den Dysarthrien sind häufig nur einzelne Bereiche der Stimmgebung und des Artikulationsvermögens betroffen. Je nach Schädigung können unvollständige Lautrealisierungen resultieren oder auch komplette Ausfälle die Folge sein. Bei kongenitalen Fehlbildungen sieht man meist charakteristische Adaptationsphänomene.

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3.2 Einteilung der Dysglossien

Je nach Lokalisation der Schädigung können die Dysglossien in labiale, dentale, linguale, palatale, velopharyngeale und nasale Dysglossien eingeteilt werden, mit Schädigung der Lautbildung der ersten, zweiten und dritten Artikulationszone, aber auch der Phonation. Nach Leonard et al. [5] treten bei anterioren Resektionen der Zunge vermehrt Konsonantenfehler auf, bei posterioren Resektionen eher Vokalfehler. Resektionen von Mundhöhlen- und Oropharynxtumoren führen in der Regel zur Verschlechterung der Artikulationsfähigkeit mit unterschiedlicher Häufigkeit [6]: Zungengrund 100 %, Unterkiefer 87,5 %, Mundboden 81 %, Zunge 72,7 %, Lippen 28,6 %, Tonsille 27,3 %. Bedeutungsvoll für die Funktionsbeeinträchtigung sind auch die Rekonstruktionstechniken. Lokale Defektdeckungen zeigen das geringste Ausmaß, Dünndarmtransplantate und myo- oder fasziokutane Transplantate einen höheren Grad der Beeinträchtigung der Verständlichkeit [7]. Nach einer Studie von Koppetsch und Dahlmeier 2004 [8] an Patienten mit Zungen- bzw. Mundbodentumoren verschlechterten sich alle oralen Funktionen wie Kauen, Schlucken und Sprechen, aber auch die taktile Sensibilität und das Geschmacksempfinden nach Tumorresektion und Defektdeckung, insbesondere aber nach Beginn der Radiochemotherapie. Bei Defekten des Gaumens und Oberkiefers kommt es in der Regel zur Verbindung zwischen Nasenhöhlen, Nasennebenhöhlen und Mundhöhle, mit der Folge eines ausgeprägten offenen Näselns sowie schweren Schluckstörungen. Nicht außer Acht gelassen werden darf auch, dass sich durch Tumorresektion und Bestrahlung sekundäre Schädigungen peripherer Hirnnerven mit entsprechenden Beeinträchtigungen des Sprechens ergeben können, welche sowohl unmittelbar im Anschluss an die Behandlung erkennbar sind, aber auch erst Jahre und sogar Jahrzehnte später auftreten können [9].

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4 Diagnostik von Sprechstörungen

Sie muss unter zwei Gesichtspunkten erfolgen: (1) Die Erfassung physiologischer Parameter (Bewegungsbeurteilung, Kraftmessung, EMG) kann Aufschluss über die zugrunde liegenden Störungsmechanismen geben und lässt damit Rückschlüsse auf Art, Ausmaß und Lokalisation der Erkrankung zu. (2) Durch die Erhebung auditiver und akustischer Merkmale können die funktionellen Auswirkungen sprechmotorischer Defizite definiert werden und damit die Kommunikationsbeeinträchtigung. Beide Komponenten sind zur differenzialdiagnostischen Bewertung und zur Erstellung von Therapieleitlinien unerlässlich [10].

Die klinische Untersuchung von Sprechstörungen sollte folgende Schritte umfassen: [11]

  • Anamneseerhebung,

  • auditive Untersuchung einschließlich Verständlichkeitstest,

  • inspektive und palpatorische Untersuchung der Sprechorgane einschließlich endoskopischer Untersuchung von Velopharynx und Larynx,

  • akustische Analyse des Sprachschalls,

  • aerodynamische Messverfahren,

  • Erhebung weiterer physiologischer Parameter,

  • ggf. bildgebende Verfahren.

Bei der Anamneseerhebung sind zu eruieren:

  • Grunderkrankung, bisherige Behandlung, Medikation,

  • bei Vorliegen einer Hirnschädigung: Ausmaß und Lokalisation,

  • Zeitpunkt der Schädigung, Verbesserung/Verschlechterung seitdem,

  • alltagspraktische Auswirkungen der Sprechstörung (Sozialkontakte, Beruf, Freizeit),

  • prämorbide Sprechstörungen, Sprachentwicklungsstörungen,

  • mögliche assoziierte Beschwerden: Missempfindungen, Schmerzen, Räusperzwang, Kau- und Schluckstörungen, Geschmacksstörungen,

  • Unerlässlich ist auch die Kenntnis möglicher assoziierter neurologischer und neuropsychologischer Störungen bei Dysarthrie (Tab. [2]).

Tab. 2 Häufige assoziierte neurologische und neuropsychologische Störungen bei Dysarthrie (Schröter-Morasch, v. Deuster 1998)
Störungen der Sensomotorik (Störungen von Haltung und Bewegung, häufig beeinträchtigte Kopfkontrolle, Rollstuhlpflichtigkeit; Störungen der Nahrungsaufnahme)
Beeinträchtigungen der Wahrnehmung
Beeinträchtigung der Kognition (Aufmerksamkeit, Konzentration, Gedächtnis, Planen)
Störungen der Sprachsystematik
Persönlichkeitsveränderungen

Sie können ihrerseits die mündliche Kommunikationsfähigkeit beeinflussen und müssen bei der Therapie entsprechend berücksichtigt werden. Bei akuten Hirnschädigungen liegt anfangs häufig eine Beeinträchtigung vitaler Funktionen wie Atmung, Kreislauf und Nahrungsaufnahme vor, welche Langzeitintubation, Tracheotomie und Sondenernährung erfordern. Diese Maßnahmen haben oft eine mechanische Schädigung der Stimm- und Sprechorgane zur Folge, welche von den hirnschädigungsbedingten Symptomen abzugrenzen ist.

Auditive Befundung. Mit der auditiven Befundung werden die Konsequenzen der Störungen von Sprechatmung, Phonation, Artikulation und Prosodie erfasst. Sie dient (1) der systematischen phonetischen Analyse und (2) der Identifizierung kommunikativ relevanter Aspekte der Sprechstörung. Die Symptome werden durch verschiedene Aufgabenstellungen überprüft und lassen sich anhand von Beurteilungsskalen charakterisieren [12]. Mit der deutschen Übertragung der „Frenchay Dysarthrie Untersuchung” [13] liegt ein standardisiertes Verfahren vor, das eine Kombination visueller und auditiver Beobachtungen dysarthrischer Symptome beinhaltet, allerdings bleibt die Erfassung sowohl der pathophysiologischen Ursachen als auch der funktionell relevanten Symptome unzulänglich.

Ein Hauptparameter der Kommunikationsfähigkeit ist die Verständlichkeit. Ein reliables und valides Verfahren zur Verständlichkeitsmessung ist das PC-basierte „Münchner Verständlichkeitsprofil (MPV)”, das neben einem Gesamtwert für die Verständlichkeit auch therapeutisch relevante Informationen liefert [14].

Inspektive und palpatorische Untersuchung der Sprechorgane im Rahmen einer phoniatrischen Untersuchung unter neurologischen Gesichtspunkten. Sie ist ein zentraler Bestandteil der Untersuchung von Sprechstörungen. Mittels der Untersuchung erfolgt eine qualitative Erfassung der laryngealen und artikulatorischen Bewegungsstörungen. Beurteilt werden [15] [16]:

  • strukturelle Veränderungen (Entzündungen, Defekte, Narben, Schleimhautveränderungen),

  • Charakteristika der sensomotorischen Störung nach den Merkmalen der Tonusänderung, der Bewegungseinschränkung und Verlangsamung, nach hyperkinetischen Zeichen und apraktischen Symptomen durch Prüfung in Ruhe sowie willkürlicher und reflektorischer Abläufe. Die wichtigsten Unterscheidungsmerkmale zentraler und peripherer Paresen sind in Tab. [3] dargestellt,

  • Beeinträchtigungen der Sensibilität und Reflexauslösbarkeit,

  • Zeichen funktioneller Fehlanpassungen (z. B. laryngeales Pressen).

Tab. 3 Unterscheidungsmerkmale peripherer und zentraler Paresen der Sprechorgane (Schröter-Morasch 2002)
Beurteilungskriteriumperiphere Paresezentrale Parese
willk. Bewegungenaufgehobenaufgehoben oder beeinträchtigt (Feinmotorik, Koordination)
reflekt. Bewegungen bzw. emotionale Bewegungenaufgehobenerhalten
Muskeltonuserniedrigtim Anfangsstadium erniedrigt, später erhöht
Muskelatrophiebei längerem Bestehen vorh., an der Zunge möglicherweise Ausbildung eines lateralen Sulkus keine
Faszikulationen vorhanden (nicht immer beobachtbar)keine
Hyperkinesenkeinemöglicherweise vorhanden

Mundboden- und Halsmuskulatur, Lippen, Kiefer, Zunge und Gaumensegel werden visuell und palpatorisch beurteilt. Zur Untersuchung von Velopharynx und Larynx gehören die Lupenlaryngoskopie, Stroboskopie und die endonasale Velum-, Pharynx- und Larynxbeobachtung mittels flexibler Optik. Die Videoaufzeichnung der erhobenen Befunde erlaubt eine Bewegungsanalyse in Zeitlupe, dient der Befunddokumentation, der Therapieevaluation und kann zur Biofeedback-Therapie genutzt werden [17].

Untersuchungen mit Hochgeschwindigkeitskameras, die 3D- Endoskopie und die Kymographie, die Ultraschalluntersuchung und die Elektroglottographie können sowohl bei Strukturbeeinträchtigungen als auch bei peripheren Nervenläsionen und zentralen Störungen der Stimmfunktion differenzialdiagnostisch in der Bewertung der Bewegungsstörungen von großer Bedeutung sein.

Messung akustischer Parameter. Mit der Analyse des aus dem Bewegungsablauf resultierenden Sprachsignals besteht eine Möglichkeit zur objektiven Beschreibung sowohl qualitativer Veränderungen von Lautrealisierungen als auch der Quantifizierung kommunikationsrelevanter Folgen wie Verlangsamung, Tonhöhenänderungen oder Beeinträchtigungen des Redeflusses.

Aerodynamische Messverfahren erfassen die Druck- und Luftströmungsverhältnisse beim Sprechen. Durch getrennte Messung des oralen und nasalen Luftstroms lassen sich z. B. Störungen der Gaumensegelfunktion definieren [18].

Erfassung weiterer physiologischer Parameter. Die Messung der elektrischen Muskelaktivität (EMG) ist insbesondere für die Differenzialdiagnose peripherer (Auftreten pathologischer Spontanaktivität) versus zentraler Paresen von Bedeutung.

Eine Reihe von Untersuchungsverfahren spezifischer Artikulationsbewegungen, welche auch in der Klinik zur Anwendung kommen, wird bei Gröne 2002 [19] ausführlich dargestellt:

Die Palatographie ermöglicht Aussagen über den Kontakt der Zunge mit dem Gaumen. Die Elektropalatographie ist darüber hinaus ein Verfahren zur detaillierten Darstellung zeitlicher und räumlicher Aspekte der Zungenkontakte mit dem harten Gaumen während des Sprechens. Die elektromagnetische Artikulographie erlaubt Bewegungsanalysen von Zunge, Rachen und Velum.

Bildgebende Verfahren. Mittels der Ultraschalluntersuchung können sowohl strukturelle Veränderungen erfasst als auch einzelne Bewegungsabläufe dokumentiert werden. Die Röntgen-Kinematographie bzw. Videofluoroskopie des Sprechvorganges erlaubt eine differenzierte Beurteilung von Bewegungsabläufen und insbesondere ihrer Koordination, bedarf jedoch wegen der Strahlenbelastung einer besonders sorgfältigen Indikationsstellung. Ebenso ist die Magnetresonanztomographie (MRT) geeignet, sowohl strukturelle Veränderungen darzustellen als auch Bewegungsanalysen durchzuführen, wobei die zeitliche Auflösung noch unbefriedigend ist.

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5 Therapie

Hauptziele der Therapie von Sprechstörungen sind die Verbesserung der sprechmotorischen Leistungen und die Verbesserung der kommunikativen Fähigkeiten und somit die Reduzierung der Behinderung im Alltag. In der Abschätzung des Rehabilitationspotenzials und der Formulierung eines erreichbaren Therapieziels müssen an prognostischen Faktoren dabei berücksichtigt werden:

  1. Art und Ausmaß der Hirnschädigung, Zeit seit der Erkrankung und ihr Verlauf, Progredienz oder Stabilität der Erkrankung. Bei Tumorpatienten müssen mögliche weitere Strukturveränderungen durch Narbenbildung oder Gewebsumbau nach Bestrahlung und Chemotherapie in Betracht gezogen werden.

  2. Patienten in höherem Alter sind häufig durch Multimorbidität und schlechtere psychosoziale Bedingungen in der Therapiefähigkeit benachteiligt.

  3. Die Verfügbarkeit qualifizierter Therapeuten in erreichbarer Nähe des Patienten muss gewährleistet sein.

  4. Persönlichkeit und psychosoziales Umfeld können den Therapieverlauf entscheidend beeinflussen.

  5. Begleitende neuropsychologische Störungen wie Beeinträchtigungen von Kognition, Sprache und Wahrnehmung sowie Verhaltensänderungen, z. B. Antriebsstörungen haben einen Einfluss auf Therapieverlauf und -ergebnis.

Die Prinzipien der Behandlung von Sprechstörungen wurden bereits von Darley et al. 1975 [20] formuliert:

  1. Ein frühzeitiger Behandlungsbeginn soll Fehlanpassungen vermeiden, z. B. die Überaktivität erhaltener Muskelfunktionen; bei fortschreitenden Erkrankungen soll eine Verständlichkeit möglichst lange erhalten werden.

  2. Durch Erlernen kompensatorischer Strategien, z. B. ein verlangsamtes Sprechtempo, soll eine maximale Ausnutzung verbliebener Funktionen ermöglicht werden.

  3. Der Patient muss eine bewusste Kontrolle des Sprechvorganges in unterschiedlichen Situationen seines privaten und beruflichen Alltags erlernen.

  4. Voraussetzung für eine notwendige Modifizierung des Sprechverhaltens ist eine adäquate Selbstwahrnehmung, deren Erlernen wesentlicher Bestandteil der Therapie ist.

  5. Die Funktionskreise des Sprechvorganges Atmung - Phonation - Artikulation beeinflussen sich wechselseitig. Daher ist es unverzichtbar, diagnostisch den am stärksten betroffenen Funktionskreis zu erfassen und diesen vorrangig zu behandeln.

  6. Die zu vermittelnden kompensatorischen Sprech- und Kommunikationstechniken müssen für den Patienten und seine Umgebung akzeptabel sein.

  7. Die Motivation des Patienten muss geschaffen und erhalten werden, indem ihm das Verständnis für die Art seiner Störung und ihrer Behandlungsprinzipien vermittelt wird.

Die therapeutischen Verfahren gliedern sich nach den allgemeinen Prinzipien der Rehabilitation, Restitution - Kompensation - Adaptation:

Restitution bedeutet die Wiederherstellung gestörter Funktionen, beispielsweise eine Kräftigung paretischer Muskeln oder die Wiederherstellung einer durch Narbenbildung behinderten Zungenbeweglichkeit. Kompensation bedeutet die Funktionsverbesserung bei bestehender Störung durch den Einsatz von Ersatzstrategien oder die Ausnutzung von Restfunktionen. Adaptation bedeutet die Anpassung an die Störung, d. h. in erster Linie eine Änderung des kommunikativen Verhaltens, z. B. das Vermeiden von Umgebungslärm bei Gesprächen, in schweren Fällen ist der Einsatz alternativer Kommunikationshilfen erforderlich.

In Anlehnung an Duffy 1995 [21] lassen sich die Behandlungsansätze bei Sprechstörungen in (1) verhaltensmodifizierende Verfahren, (2) prothetische Versorgung und (3) medizinische Maßnahmen einteilen.

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5.1 Verhaltensmodifizierende Verfahren und instrumentelle Hilfen

Verhaltensmodifikation bedeutet hier die Beeinflussung einer oder mehrerer (sprech-)motorischer Funktionen und des linguistischen oder des kommunikativen Verhaltens. Die spezifische Behandlung der Sprechmotorik kann wiederum in indirekte und direkte Verfahren eingeteilt werden [22]:

Indirekte Behandlungsverfahren: Indirekte Behandlungsansätze zielen hauptsächlich auf eine Wiederherstellung der gestörten Funktion, entsprechen also dem Prinzip der Restitution. Die Übungsaufgaben sind nicht durch phonetische Inhalte bestimmt, sondern erfolgen „außerhalb” des Sprechvorganges und orientieren sich an den Prinzipien der Physiotherapie, modifiziert nach den spezifischen Bedingungen der Sprechmuskulatur. Hierunter zählen z. B. Entspannungstechniken, Haltungskorrektur, Abbau pathologischer Reflexe, Stimulationen (sensible Stimulation, passives und aktives Bewegen) und Einzelübungen, welche die Beeinflussung des Muskeltonus, der Kraft, des Radius, der Zielgenauigkeit und Flüssigkeit, der Selektivität und der Symmetrie von Bewegungen zum Ziel haben, sowie den willkürlichen Zugriff fördern. Die indirekte Behandlung findet in allen Funktionskreisen (respiratorische Bewegungen - laryngeale Funktion - Artikulationsbewegungen) Anwendung und kann durch instrumentelle Hilfen und Feedback-Verfahren wirksam unterstützt werden: Durch ein visuelles Feedback pneumotachometrischer Messgrößen lässt sich die Kontrolle der exspiratorischen Volumengeschwindigkeit trainieren, durch ein Feedback kinematischer Parameter beispielsweise abdominale und thorakale Atmungsbewegungen. Die Stimmgebung kann durch Registrierung von Lautstärke und Tonhöhe visualisiert werden (visipitch), auch die Koordination von Ausatmungsstrom und Stimme lässt sich visuell darstellen und damit vom Patienten erkennen und beeinflussen. Im Bereich der Sprechmuskulatur haben sich auch EMG-Feedbackgeräte bereits als sehr hilfreich erwiesen, sowohl in der Reduktion des Muskeltonus als auch in der Verbesserung der selektiven Beweglichkeit von außen zugänglicher Muskeln. Ein Transfer der durch indirekte Behandlungsverfahren erzielten Verbesserungen auf das Sprechen erfolgt nicht automatisch. Er muss durch eigenständige Transferübungen hergestellt werden.

Direkte Behandlungsverfahren: Darunter wird die Modifikation der eigentlichen Sprechbewegung verstanden, eingeschlossen sind also alle Übungen mit phonetischen und linguistischen Inhalten. Hauptsächlich handelt es sich um die Verhaltensmodifikation nach dem Prinzip der Kompensation. Dies bedeutet, dass eine gestört verbleibende Funktion durch Ersatzstrategien verbessert wird. So wird zum Beispiel bei Parkinsonpatienten versucht, mittels gezielter Übungen zur Variation der Atemtiefe und des Anblasedruckes, verbunden mit ganzkörperlicher Anspannung, Press- und Stoßübungen, die Lautstärke einer infolge laryngealer Hypoadduktion zu leisen Stimme zu steigern (Lee Silverman Voice Treatment [23]). Direkte Therapieverfahren können auch Hilfsmittel und Biofeedback-Techniken wie das taktile Tastbrett, das der Rhythmisierung dient, oder Sprachverzögerer einbeziehen. Zur Visualisierung von Artikulationsbewegungen des Gaumensegels oder laryngealer Bewegungen kann die Videoendoskopie mit der flexiblen Optik [17] [24] dienen.

Indirekte und direkte Behandlungsverfahren ergänzen einander und kommen in der Regel gemeinsam zur Anwendung. Dabei sollte eine Hierarchie der Störungsschwerpunkte der einzelnen Funktionskreise beachtet und auf eine Reduktion kompensatorischer Fehlanpassungen (z. B. laryngeales Pressen, Überartikulation, zu hohes Sprechtempo) Wert gelegt werden. Eine ausführliche Darstellung spezifischer Behandlungsmaßnahmen der einzelnen Funktionskreise findet sich bei Vogel 2002 [22].

Neben der Behandlung der Sprechstörung sollen dem Patienten in der Therapie auch kommunikative Strategien vermittelt werden, welche seiner Verständlichkeit und Belastbarkeit angepasst sind (z. B. kurze Äußerungen, gezielte Planung, präzise Inhalte). Dazu gehört auch, mit dem Patienten und den Angehörigen geeignete Korrekturtechniken zu erarbeiten.

Alternative Kommunikationsmittel kommen zur Anwendung, wenn keine ausreichende mündliche Kommunikationsfähigkeit erreicht werden kann. Von der einfachen Buchstabentafel über den Schreibcomputer bis zu aufwändigen Multimediasystemen gibt es eine Vielzahl von Geräten, die individuell angepasst werden müssen und ein entsprechendes Training zum effizienten Einsatz erfordern.

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5.2 Prothetische Versorgung

Als einfache prothetische Maßnahme bei Störungen der Unterkieferstabilität beim Sprechen ist ein kleiner Kunststoffblock (Beißblock) anzusehen, welcher zwischen die Zähne geklemmt wird und sowohl Mitbewegungen des Unterkiefers hemmt als auch der Beibehaltung eines engen Kieferöffnungswinkels dient.

Prothetische Maßnahmen kommen insbesondere bei ausgedehnten Defekten von Zunge, Mundboden, Unterkiefer und Oberkiefer und Velopharynx oder schweren Funktionsstörungen von Zunge und Velopharynx aufgrund von Lähmungen zur Anwendung. Die sog. Obturatorprothese ermöglicht bei Zungenatrophie oder lingualen und palatalen Substanzdefekten den Zungen-Gaumen-Kontakt und gewährleistet bzw. erleichtert damit die Lautbildung. Des Weiteren kann eine mögliche Verbindung zwischen Mund- und Nasenhöhle abgedichtet werden, wodurch der Luftverlust vermieden wird und ein adäquater oraler Druckaufbau möglich ist (Abb. [1])

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Abb. 1 Obturatorprothese bei 54-jähr. Pat., w., nach Zungenresektion.

Auch eine prothetische Verbreiterung des Alveolarkammes kann bei Zungendefekten eine verbesserte Funktion nach Zungenteilresektionen bewirken.

Von besonderer Bedeutung ist die prothetische Versorgung des Gaumensegels, dessen Luftstromsteuerungsfunktion im Zusammenspiel mit den übrigen Artikulatoren eine zentrale Rolle einnimmt. Ist der velopharyngeale Verschluss gestört, resultiert daraus nicht nur eine ausgeprägte Beeinträchtigung der Resonanz mit Hypernasalität, sondern es können auch die Kinematik und Koordination der anderen Artikulatoren, der Stimmgebung und der Atmung beeinträchtigt sein und ausgeprägte funktionelle Fehlanpassungen auftreten. Die Behandlung der velopharyngealen Störung hat daher eine besondere Bedeutung. Verhaltensmodifizierende Therapieansätze zeigen oft nur unbefriedigende Ergebnisse, insbesondere bei doppelseitigen Gaumensegelparesen, einem häufigen Störungsbild nach schwerem Schädel-Hirn-Trauma. Aber auch Defekte des Velopharynx nach Tumorresektion und Bestrahlung zeigen ein schweres Störungsbild mit Einbeziehung der o. g. Funktionskreise. Die Gaumensegelprothese („palatal lift”) gehört daher zu den erfolgreichsten und effektivsten Maßnahmen der Dysarthriebehandlung [21]. Sie wurde in der technischen Konstruktion, den Anpassungsmodalitäten und den notwendigen nachfolgenden funktionellen Therapieschritten entscheidend von Vogel und Sauermann [25] weiterentwickelt. Zur Anhebung und evtl. Verlängerung des Gaumensegels wird ein der Form des weichen Gaumens angepasster ummantelter Metallsteg wie eine Zahnspange an den Zähnen befestigt, die Ummantelung weitet sich nach hinten zu einem dünnen elastischen Kunststoffblatt. Dieses hebt das Gaumensegel an und verschließt damit weitgehend die velopharyngeale Passage (Abb. [2]).

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Abb. 2 Gaumensegelprothese.

Die unmittelbar verbesserten aerodynamischen Verhältnisse beim Sprechen (verminderter Luftverlust, möglicher intraoraler Druckaufbau) tragen häufig zur Normalisierung der übrigen sprechmotorischen Fähigkeiten bei und ermöglichen damit erst eine effektive Übungsbehandlung. Den Nachteilen und Risiken (Fremdkörpergefühl bis Würgreiz, Beeinträchtigung der Nasenatmung, erhöhter Speichelfluss, Schluckbeschwerden) muss mit geduldiger Anpassung begegnet werden. Eine ausreichend lange intensive begleitende Übungstherapie (mindestens 6 Wochen) ist unerlässlich. Wünschenswert ist ein möglichst frühzeitiger Einsatz, der Effekt kann jedoch auch bei schon jahrelang bestehender velopharyngealer Insuffizienz hervorragend sein. In vielen Fällen hat sich gezeigt, dass auch eine Stimulationswirkung resultieren kann, mit der Folge der Fazilitierung einer aktiven Gaumensegelhebung, welche das Tragen der Prothese nicht mehr erforderte.

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5.3 Chirurgische Verfahren

Bei Vorliegen einer Dysarthrie sind chirurgische Verfahren zur Stimmverbesserung nur in seltenen Fällen indiziert. Dies kann jedoch der Fall sein, wenn nach Läsion des Hirnnervenkerns des N. vagus das Bild einer peripheren Stimmlippenlähmung mit Exkavation der Stimmlippe und aufgehobenem Glottisschluss vorliegt. Oberhalb der Glottis sind operative Verbesserungen der Lautbildungsfähigkeit je nach Lokalisation und Schwerpunkt der Störung in verschiedenen Bereichen möglich, z. B. die Verbesserung einer velopharyngealen Insuffizienz durch eine Velopharyngoplastik oder eine Pharynxplastik. Eine Velopharyngoplastik (Verbindung zwischen Velum und Rachenhinterwand durch kranial oder kaudal gestielten Lappen) kann erfolgreich sein, wenn noch Kontraktionen der seitlichen und posterioren Pharynxmuskulatur vorhanden sind. Diese sind bei zentralen Schädigungen jedoch häufig ebenso betroffen wie das Gaumensegel. Zudem ist der Operationserfolg oft durch Lappenschrumpfung und Narbenbildung nicht dauerhaft. Ist noch eine Restfunktion einer Gaumensegelanhebung vorhanden, aber nicht ausreichend, kann versucht werden, durch Unterfütterung der Rachenhinterwand mit körpereigenem Gewebe oder Fremdmaterial einen velopharyngealen Kontakt zu ermöglichen.

Bei oropharyngealen Defekten nach Tumorbehandlung kann eine plastische Rekonstruktion artikulatorisch relevanter Bereiche (Unterkiefer, Mundboden, Zunge, Gaumen, Rachen) zur Verbesserung der Sprechfähigkeit führen. Auch eine chirurgische Lösung von Narbenstrukturen kommt bei entsprechend durch sie bedingten Beweglichkeitseinschränkungen infrage.

Eine medikamentöse Beeinflussung besteht vorerst nur in der Applikation von Botulinum-Toxin bei schwerer Spastik der orofazialen Muskulatur oder fokalen Dystonien, insbesondere bei spasmodischer Dysphonie.

Bei allen prothetischen und chirurgischen Maßnahmen ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Sprachtherapeut, Phoniater, Zahnarzt/Kieferorthopäde und HNO-Arzt unerlässlich.

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Literatur

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Dr. med. Heidrun Schröter-Morasch

Abteilung Neuropsychologie · Städtisches Klinikum München GmbH · Krankenhaus München-Bogenhausen

Englschalkingerstraße 77 · 81925 München ·

eMail: HSM@extern.lrz-muenchen.de

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Literatur

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Dr. med. Heidrun Schröter-Morasch

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Abb. 1 Obturatorprothese bei 54-jähr. Pat., w., nach Zungenresektion.

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Abb. 2 Gaumensegelprothese.