Nachdem es lange Zeit recht still geworden war um die Tageskliniken und sie im Schatten
der Psychiatriereform leise vor sich hin gedümpelt sind, ist plötzlich wieder Bewegung
in die Szenerie gekommen. Umfragen wurden gestartet mit dem Ziel zu klären, welche
Klientel denn aktuell in Tks behandelt wird [1]
[2]
[3], Bernd Eikelmann und Thomas Reker [4] gaben einen Sammelband zur Psychiatrie und Psychotherapie in der Tagesklinik heraus, zeitgleich erschien die Monografie von Renate Engfer „Die psychiatrische Tagesklinik: Kontinuität und Wandel” [5] und nicht zuletzt befasst sich die Arbeitsgruppe um Thomas Kallert in Dresden auf
nationaler und europäischer Ebene mit dem Thema [1]
[6]
[ 7]. Soweit das Wichtigste von der schreibenden Zunft. Selbstverständlich werden auch
wieder Kongresse zum Thema Tagesklinik veranstaltet. Wo soviel zu einem Thema geredet
und geschrieben wird, ist auch die Gründung eines „Vereins” nicht weit, zumindest
hier zu Lande. Tatsächlich hat sich inzwischen die Deutsche Arbeitsgemeinschaft Tageskliniken PsychiatriePsychotherapiePsychosomatik
(DATPPP) gegründet. Das wiederum hat „ackpa”, den Arbeitskreis der Chefärzte und Chefärztinnen von Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie
an Allgemeinkrankenhäusern in Deutschland auf den Plan gerufen, der eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Andreas Küthmann/Memmingen
und Renate Engfer/Offenbach installiert hat mit dem Ziel, ein Eckpunktepapier zu verfassen, das demnächst der Fachöffentlichkeit vorgestellt werden soll. Grund
genug also, sich an dieser Stelle die Geschichte der Entstehung psychiatrischer Tageskliniken
sowie ihre heutige Stellung und Funktion in einem gegliederten und regional bezogenen
Versorgungssystem noch einmal in aller Kürze zu vergegenwärtigen.
Ursprünglich im Russland der 30er-Jahre „erfunden”, nach dem Zweiten Weltkrieg in
England und den USA zu einer regelrechten „Tagesklinik-Bewegung” weiterentwickelt,
wurden Tageskliniken hier zu Lande erst im Zuge der Psychiatriereform zu einem festen
Bestandteil eines regionalen Versorgungssystems. Die Bundesregierung ging noch 1990
in ihrer Stellungnahme zum Bericht der Expertenkommission (1988) davon aus, dass bezogen
auf 100 000 bis 150 000 Einwohner 20 Tagesklinikplätze vorgehalten werden sollten.
Bezogen auf die Bundesrepublik mit rund 80 Mio. Einwohnern wären das 500 - 600 Tageskliniken
mit je 20 Plätzen. Tatsächlich gibt es heute ca. 350 allgemeinpsychiatrische Tageskliniken
mit insgesamt ca. 8500 Plätzen. Auch die Entwicklung psychiatrisch-psychotherapeutischer
Tageskliniken ist also auf halbem Wege stecken geblieben.
Gleichzeitig hat sich jedoch ein inhaltliches Umdenken vollzogen, das zur Sorge Anlass
gibt. Während die Tageskliniken der 70er-, 80er- und 90er-Jahre überwiegend chronisch
psychisch Kranke, Psychotiker zumal, behandelten und die Rehabilitation und Reintegration
dieser Patienten in die Gesellschaft weitgehend unbestrittenes therapeutisches Ziel
tagesklinischer Arbeit waren, hat sich die Situation im neuen Jahrtausend grundlegend
geändert: Psychotische Störungen machen den Umfragen zufolge nur noch weniger als
20 % der Klientel aus, Ängste, Anpassungs- und Persönlichkeitsstörungen, Ess- und
sexuelle Funktionsstörungen sowie jede Form von affektiven Störungen dominieren eindeutig.
Dies wäre nicht weiter tragisch, wenn die traditionelle Klientel anderswo hinreichend
versorgt würde. Genau dies ist aber nicht der Fall. Kallert et al. [8] weisen mit Recht darauf hin, dass in dieser Personengruppe das Ausmaß klinischer
und sozialer Probleme immer noch hoch und ihre Lebenssituation insgesamt prekär ist.
Demgegenüber entfallen bei den Krankenkassen drei Viertel der ambulanten Leistungen
auf die Richtlinien-Psychotherapie, chronisch psychisch Kranke stehen also in den
Praxen niedergelassener Psychiater auch nicht besonders hoch im Kurs. Was bleibt sind
die Psychiatrischen Institutsambulanzen. Aber auch dort richtet man das Augenmerk
zunehmend auf die so genannten „Verdünnungsscheine”, auf Patienten also mit geringfügigen
Problemen, die jedoch über die Quartalspauschalen den gleichen Erlös in die Kassen
spülen wie aufwändig zu behandelnde Schwerkranke.
In dieser Situation erscheint die von manchen propagierte Öffnung der Tageskliniken
für Patienten mit leichteren Störungen als ein Schritt in die falsche Richtung. Gefördert
wird diese Fehlentwicklung allerdings durch mächtige Bündnispartner, allen voran die
Rentenversicherungsträger. Bekanntlich unterhalten diese mit ihren psychotherapeutisch
ausgerichteten Reha-Kliniken (einem Einrichtungstyp übrigens, der in anderen Ländern
gänzlich unbekannt ist) Institutionen, die neuerdings von der grünen Wiese in die
Städte drängen. Nach den bereits verabschiedeten Rahmenrichtlinien der Rentenversicherungsträger
sollen diese „psychotherapeutischen Fachkliniken” zunehmend ambulantisiert und durch
die jetzt wohnortnah mögliche Einrichtung von Tageskliniken mit psychotherapeutischem
Schwerpunkt ergänzt werden. Explizit wird dabei abgehoben auf Patienten mit Depressionen
und Anpassungsstörungen, Angst- und somatoformen Störungen sowie auf psychosomatisch
Kranke. Für den gleichen Typ von Patienten sollen in Zukunft auch neue Versorgungsangebote
im Bereich der psychosomatischen Medizin und Psychotherapie entstehen, die als selbstständige
Abteilungen in die allgemeine Medizin integriert werden sollen. So jedenfalls die
Absicht derer, die sich dafür stark machen. Eigentlich darf es nicht wahr sein: während
an deutschen Universitäten die psychosomatischen Abteilungen aus guten (auch wissenschaftlichen)
Gründen in die Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie reintegriert werden (siehe
z. B. die Medizinische Hochschule Hannover), sind in der deutschen Provinz die Uhren
des Fortschritts stehen geblieben. Dort will man weder wahr haben, dass dem Fach Psychosomatik
zunehmend die klassischen Krankheitsbilder abhanden gekommen sind, noch dass die reformierte
Psychiatrie der letzten 30 Jahre das (organozentrische) Feindbild ist, auf das sich
getrost einschlagen lässt. Die Reklamation des so genannten biopsychosozialen Modells
als eine Erfindung der Psychosomatischen/Psychotherapeutischen Medizin ist dabei der
Gipfel der Ignoranz, mit der man zwar einige Hinterbänkler in den Ministerien beeindrucken
mag, freilich nur deswegen, weil diese die Entwicklung der Psychiatrie und der psychotherapeutischen Medizin verschlafen haben. Das 2005 im Auftrag des Hessischen
Sozialministeriums erstellte Gutachten des IGSF [9] ist hierfür ein beredtes Beispiel.
Wohin aber sollten und könnten sich psychiatrisch-psychotherapeutische Tageskliniken
in Zukunft entwickeln? Sicher ist eines: sie können nicht so bleiben wie sie sind.
Die Zeit der Tageskliniken als „Lebensschulen” ist ebenso vorbei wie die eines monatelangen
Behandlungssettings für chronisch psychisch Kranke. Dass Mitarbeiter und Patienten
in Tageskliniken gemeinsam alt werden, lässt diese Gesellschaft nicht mehr zu, und
dies mit gutem Grund. Ambulant vor teilstationär, vor stationär ist zwar leichter
gesagt als getan, deswegen aber nicht unrichtig. Und richtig ist auch, dass den Schwerstkranken
die fachlich qualifiziertesten Behandlungsmöglichkeiten offen stehen sollten, während
leichter Kranke weit weniger Ressourcen des medizinischen Systems benötigen. Thornicroft
und Tansella [10] haben dies in ihrem Konzept des „well targeted model” versus des „poorly targeted
model” einprägsam skizziert. Obwohl die Zielsetzungen eines „well targeted model”
theoretisch hoch plausibel sind, hat sich in vielen Ländern immer wieder gezeigt,
dass die Eigendynamik real existierender Versorgungssysteme dazu führt, dass ein Abdriften
in Richtung „poorly targeted model” droht: psychisch schwerst erkrankte Menschen werden
bereits jetzt häufig nicht auf dem höchsten Niveau der Versorgung behandelt.
Psychiatrisch-psychotherapeutische Tageskliniken sind auf der spezialisiertesten und
kostenintensivsten Stufe des Versorgungssystems angesiedelt. Nur ein psychiatrisches
Bett ist noch teurer. Demgemäß sollten sie auch die besonders schwer von psychischen
Krankheiten betroffenen Patienten versorgen. Traditionell gehören die psychotischen
Störungen, insbesondere die Schizophrenie, zu dieser Gruppe. Zu einem hohen Prozentsatz
werden akut psychotisch erkrankte Personen primär stationär aufgenommen und lange
in diesem Status gehalten, was die Kosten in die Höhe treibt. Die internationale Evaluationsforschung
der letzten Jahre hat jedoch gezeigt, dass etwa 20 - 40 % der akut behandlungsbedürftigen
Patienten nicht unbedingt vollstationär, sondern häufig mit gleich gutem Erfolg (und
bei mehr Patientenzufriedenheit) auch teilstationär behandelbar sind [5]
[6]. Wenn dem aber so ist, spricht alles dafür, dass in Zukunft Klinikbetten zugunsten
von tagesklinischen Plätzen abzubauen sind. Sind diese Plätze jedoch durch leichter
Kranke blockiert, ist alle Liebesmüh' vergebens: dann nämlich bleiben die schwerer
Kranken im Bett, die „klassische” Tagesklinikklientel pendelt als „Drehtürpatienten”
zwischen Bett und Institutsambulanz und gerät letztlich zwischen alle Stühle. Die
psychotherapeutisch-psychosomatischen Tageskliniken werden sicher gut nachgefragt
sein und zwar von Personen mit weniger schweren Störungen, die eigentlich ambulant
behandelt werden müssten. Die Chance für eine strukturelle Weiterentwicklung des psychiatrischen
Versorgungssystems wäre damit in weite Ferne gerückt.
Ein Ausweg aus der sich abzeichnenden tagesklinischen Misere könnte allerdings aus
einer ganz anderen Ecke kommen: der Einführung eines regionalen Psychiatriebudgets.
Tatsächlich könnte ein regionales Psychiatriebudget und dessen administrativer Rahmen,
so wie es gerade eben von Christiane Roick et al. [11] am Beispiel der Klinik Itzehoe dargestellt worden ist, die im vorstehenden benannten
Kontroversen rund um die Tagesklinik weitgehend gegenstandslos werden lassen. Denn
dann wäre klar: auch die zukünftige Tagesklinik hat ihren Platz in einem regional
bezogenen Versorgungssystem und sie wäre überdies in einer recht komfortablen Lage;
konkurriert sie doch (gewollt) mit ihren Plätzen gegen die Betten im stationären Bereich,
die, so zeigen es auch die ersten Ergebnisse in Itzehoe, keineswegs immer nur von
denjenigen Patienten genutzt werden, die sie wirklich brauchen. Ein tagesklinischer
Anteil von ca. 30 % an der stationären Gesamtkapazität von RPB-Einrichtungen wäre
dann eine realistische Größe, auf die sich Kostenträger und Krankenhausträger leicht
verständigen könnten, da jeder davon profitiert - nicht zuletzt aber die Patienten.
Man darf gespannt sein, ob sich letzten Endes die Stimme der Vernunft, von der Sigmund
Freud seinerzeit meinte, sie sei leise, aber auf Dauer nicht unwirksam, durchsetzen
wird.