Der Klinikarzt 2005; 34(4): 102-107
DOI: 10.1055/s-2005-868152
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Was ist zu beachten? - Aktuelle Revaskularisationstherapie beim akuten Koronarsyndrom

What is to be Considered? - Current Revascularisation Therapy in Acute Coronary SyndromeM.P. Heintzen1
  • 1Klinik für Kardiologie, Pneumologie und Angiologie, Klinikum Braunschweig gGmbH (Chefarzt: Prof. Dr. M.P. Heintzen)
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Anschrift des Verfassers

Prof. Dr. Matthias P. Heintzen

Klinikum Braunschweig gGmbH

Klinik für Kardiologie, Pneumologie und Angiologie

Salzdahlumer Straße 90

38126 Braunschweig

Publication History

Publication Date:
14 April 2005 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Entscheidende Kausaltherapie bei Patienten mit einem akuten Koronarsyndrom ist die Revaskularisation des ischämieauslösenden Herzkranzgefäßes nach der invasiven Abklärung. Alle Patienten benötigen eine Basistherapie aus Analgosedierung, antithrombotischer Therapie (Heparin), Thrombozytenfunktionshemmung (Clopidogrel und Acetylsalicylsäure, gegebenenfalls Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptorantagonisten), Betarezeptorenblockade und Sauerstoffgabe. Das optimale Revaskularisationsverfahren jedoch unterscheidet sich je nach der Erscheinungsform des akuten Koronarsyndroms. So ist bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom ohne ST-Streckenhebung (NSTEMI) nach der optimalen pharmakologischen Vorbehandlung eine schnelle invasive Diagnostik und Therapie empfehlenswert. Die invasive Diagnostik sollte binnen 24 Stunden nach Erstmanifestation erfolgen. Liegt dagegen ein ST-Elevationsinfarkt (STEMI) vor, ist eine schnellstmögliche Revaskularisierung - entweder durch Thrombolyse oder eine perkutane Koronarintervention - notwendig. In den ersten drei Stunden nach dem Infarkt sind beide Verfahren gleichwertig, nach diesem Zeitraum ist die interventionelle Behandlung der Lyse überlegen und sollte daher, wenn möglich, immer bevorzugt werden. Kann ein Patient innerhalb von 90 Minuten in ein interventionelles Zentrum überführt werden, ist dies ebenfalls einer Lyse vor Ort vorzuziehen, da die transferierten Patienten eine bessere Prognose aufweisen. Um flächendeckend für alle Patienten mit akutem Koronarsyndrom eine optimale Versorgungsstruktur zur Verfügung stellen zu können, ist es - vor allem aufgrund der einzuhaltenden Zeitvorgaben - daher nötig, optimale Netzwerkstrukturen aufzubauen.

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Summary

In patients with an acute coronary syndrome, revascularisation of the blocked coronary artery after prior invasive diagnostic measures is essential causal treatment. All patients require basic treatment comprising analgosedation, antithrombotic therapy (heparin), platelet inhibition (clopidogrel and acetyl salicylic acid, if necessary also glycoprotein IIb/IIIa receptor inhibitors), beta blockade and administration of oxygen. What constitutes optimal revascularisation, however, varies, depending on the form of acute coronary syndrome manifesting. For example, in the case of patients with acute coronary syndrome without ST elevation (NSTEMI), it is recommended that optimal pharmacological treatment should quickly be followed by invasive diagnosis and treatment with the least possible delay. Invasive diagnosis should take place within 24 hours of the primary manifestation. If, however, ST-elevation myocardial infarction (STEMI) presents, revascularisation - whether by thrombolysis or PCI - must be effected as quickly as possible. Within the first three hours after infarction, the two procedures are equally effective, thereafter, PCI is superior to thrombolysis, and whenever possible should always be given preference. If the patient can be transferred to an interventional centre within 90 minutes, this is also to be given preference over prehospital lysis, since transferred patients have been shown to have a better prognosis. In order to ensure optimal management for all acute coronary syndrome patients - in particular in terms of providing treatment within the time intervals mentioned - optimal network structures are mandatory.

Bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom ist die Revaskularisation des ischämieauslösenden Herzkranzgefäßes die entscheidende Kausaltherapie [Abb. 1]. Bezüglich der Revaskularisationsmaßnahmen haben sich im Laufe der letzten Jahre wesentliche Neuerungen ergeben: So sind für die Wahl des Revaskularisationsverfahrens der Schweregrad der Erscheinungsformen des akuten Koronarsyndroms (instabile Angina pectoris, Myokardinfarkt ohne ST-Streckenhebung = NSTEMI, ST-Streckenhebungsinfarkt = STEMI), der Zeitpunkt einer möglichen ersten Revaskularisationstherapie (unter anderem die Frage der prästationären Lysebehandlung) und die Dauer des bereits bestehenden Myokardinfarktes sowie die Verfügbarkeit der verschiedenen Revaskularisationsformen von Bedeutung. Für alle Formen des akuten Koronarsyndroms gilt, dass eine invasive Abklärung und bei geeigneter Koronarmorphologie auch eine interventionelle Behandlung angestrebt werden sollte. Jedoch unterscheidet sich die Vorgehensweise bei der Revaskularisation beim akuten Koronarsyndrom für die Gruppe der Patienten mit ST-Streckenhebungsinfarkt und den Patienten mit akutem Koronarsyndrom ohne ST-Streckenhebungsinfarkt (NSTEMI und instabile Angina pectoris).

Die gemeinsame Basistherapie besteht aus Analgosedierung, antithrombotischer Therapie, Thrombozytenfunktionshemmung, Betarezeptorenblockade und Sauerstoffgabe. Besondere Bedeutung hat dabei im Hinblick auf die folgende interventionelle Revaskularisation die frühzeitige Kombinationsbehandlung mit Acetylsalicylsäure (ASS) und Clopidogrel sowie die Behandlung mit unfraktioniertem oder niedermolekularem Heparin.

Im letzten Jahrzehnt sind deutliche Fortschritte bei der Behandlung von Patienten mit akutem Koronarsyndrom gelungen, die Infarktletalität hat unabhängig von den angewendeten Therapieverfahren kontinuierlich abgenommen [Abb. 2]. Dies ist neben der verbesserten pharmakologischen Therapie sicher auch auf den zunehmenden Anteil früh revaskularisierter Patienten zurückzuführen.

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Akutes Koronarsyndrom ohne ST-Streckenhebung

Alle Patienten mit einem akuten Koronarsyndrom ohne ST-Streckenhebung werden sofort ins Krankenhaus eingewiesen. Dort muss zügig die Risikostratifizierung und Eingruppierung in das entsprechende Krankheitsbild erfolgen.

Handelt es sich um Patienten mit hohem Risiko, im weiteren Verlauf einen Myokardinfarkt oder eine kardiale Todesfolge zu erleiden (hämodynamische Instabilität, Rhythmusinstabilität mit Ventrikeltachykardien oder Kammerflimmern, ST-Streckensenkungen oder laborchemischer Nachweis eines Myokardschadens sowie Patienten mit Diabetes mellitus), so ist eine frühzeitige definitive Klärung der Koronarmorphologie mit Intention zur interventionellen Revaskularisation (binnen 24 Stunden) erforderlich. Im Kollektiv der Niedrigrisikopatienten, die laborchemisch keinen Hinweis für einen Myokardschaden zeigen und nicht die oben aufgeführten Risikomerkmale aufweisen, kann vor der Entscheidung zur Katheterdiagnostik zunächst ein nichtinvasiver Ischämietest erfolgen. In Zweifelsfällen ist immer eine definitive Klärung durch eine Katheteruntersuchung anzustreben.

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Revaskularisationsverfahren

Eine systemische Thrombolysetherapie ist bei akutem Koronarsyndrom ohne ST-Streckenhebung komplikationsträchtiger als die konventionelle Therapie und daher nicht indiziert. Als revaskularisierende Verfahren kommen vor allem die kathetergestützte Behandlung und bei einem weit kleineren Prozentsatz der Patienten auch die dringliche operative Behandlung in Betracht.

Grundlage der katheterinterventionellen Behandlung dieser Patienten ist eine optimale Basismedikation. Als Standard wird Acetylsalicylsäure (500 mg akut intravenös) und Clopidogrel (300-600 mg frühestmöglich oral) empfohlen. Zusätzlich wird Heparin in einer Initialdosis von 5000 Einheiten als intravenöser Bolus und dann aPTT-gesteuerter Infusion (aPTT = aktivierte partielle Thromboplastinzeit; Ziel aPTT-Verlängerung auf das 1,5-2fache der Norm) oder Enoxaparin 1 mg/kg/ Körpergewicht zweimal täglich subkutan gegeben.

Patienten mit hohem Risiko profitieren von einer aggressiven Thrombozytenfunktionshemmung mithilfe von Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptorantagonisten, wenn eine frühzeitige interventionelle Behandlung geplant ist. Erhalten die Patienten Abciximab, Tirofiban oder Eptifibatid, verläuft die präinterventionelle und insbesondere die postinterventionelle Phase nachgewiesenermaßen günstiger als bei konventionell therapierten Patienten. Aufgrund der hohen Kosten dieser Medikation werden im klinischen Alltag vor allem Patienten mit mehreren Hochrisikomerkmalen so behandelt (z.B. Diabetiker mit ST-Streckensenkungen und erhöhtem Troponin). Diese Therapie wird leitliniengerecht von allen Fachgesellschaften gefordert.

Die interventionelle Therapie von Patienten mit akutem Koronarsyndrom ohne ST-Streckenhebung hat aufgrund zahlreicher Studien im Laufe der letzten Jahre einen erheblichen Wandel erfahren. Frühe Untersuchungen aus den 1980er Jahren berichteten von einem deutlich erhöhten Risiko der perkutanen transluminalen Koronarangioplastie (PTCA) bei Patienten mit instabiler Angina pectoris, sodass diese Behandlung seinerzeit nur in Ausnahmefällen durchgeführt wurde. Im folgenden Jahrzehnt zeigten dann randomisierte Studien (VANQUISH[1], TIMI-IIIB[2]), dass zu diesem Zeitpunkt im Vergleich zur zuwartenden konservativen Behandlung („abkühlen lassen”) die frühzeitige interventionelle Behandlung nicht von Vorteil war.

Im weiteren Verlauf ließ sich jedoch durch eine optimierte pharmakologische Primärbehandlung und auch durch den vermehrten Einsatz koronarer Stents im Rahmen der interventionellen Behandlung belegen, dass eine frühinvasive Behandlungsstrategie der primär konservativen Behandlungsform überlegen ist (z.B. TACTICS[3] RITA[4]-3; [Abb. 2]). Subgruppenanalysen dieser Studien haben herausgearbeitet, dass insbesondere Hochrisikopatienten von einer frühzeitig aggressiven Therapie profitieren. Als „frühzeitig” gilt derzeit eine Intervention binnen 24 Stunden nach Symptombeginn.

Bei einem kleinen Prozentsatz der frühinvasiv untersuchten Patienten eignet sich die Morphologie des ischämieauslösenden Gefäßes nicht für eine Katheterbehandlung oder es ist aufgrund des Schweregrades der koronaren Herzerkrankung eine interventionelle Behandlung nicht indiziert bzw. erfolgversprechend. Lässt sich die Situation nicht medikamentös stabilisieren, so ist eine operative Sofortrevaskularisation notwendig.

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Zusammenfassung und Empfehlung

Bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom ohne ST-Streckenhebung ist eine optimale pharmakologische Vorbehandlung mit Thrombozytenfunktionshemmung (Acetylsalicylsäure und Clopidogrel, ggf. bei Hochrisikokonstellationen Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptorantagonisten vor Intervention), antithrombotischer Therapie mit Heparin (aPTT-gesteuertes unfraktioniertes Heparin oder gewichtsadaptiertes niedermolekulares Heparin in effektiver Dosierung) und eine schnellstmögliche invasive Diagnostik und Therapie empfehlenswert. Die invasive Diagnostik sollte binnen 24 Stunden nach Erstmanifestation erfolgen. Durch Aufbau eines Versorgungs-Netzwerkes zwischen Kliniken ohne Herzkatheterlabor und zugeordneten erfahrenen interventionellen Zentren können alle Patienten einer Region entsprechend der gültigen Leitlinien versorgt werden.

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Akutes Koronarsyndrom mit ST-Streckenhebung

Patienten mit ST-Streckenhebungsinfarkt haben eine Letalität von 30-50 % innerhalb der ersten 24 Infarktstunden. Die Sterblichkeit hängt im Wesentlichen von der Ausdehnung des Infarktes, den Begleiterkrankungen und dem Zeitpunkt einer effektiven revaskularisierenden Therapie ab.

Es ist von essenzieller Bedeutung, Patienten mit ST-Streckenhebungsinfarkt so früh wie möglich zu diagnostizieren und anschließend so früh wie möglich mit der revaskularisierenden Therapie zu beginnen. Da ein relativ großer Teil dieser Patienten bereits prästationär von einem Notarztteam versorgt wird, besteht schon hier die Möglichkeit, die Revaskularisation durch die Thrombolysetherapie einzuleiten. In jedem Falle muss ein Patient mit ST-Streckenhebungsinfarkt sofort in Arztbegleitung ins Krankenhaus gebracht und dort ohne Zeitverzug diagnostiziert und therapiert werden. Thrombozytenfunktionshemmung und die Gabe von Heparin sollten bereits bei Sicherung der Diagnose erfolgen, die weitere medikamentöse Basistherapie entspricht der bei Patienten ohne ST-Streckenhebungsinfarkt.

Grundsätzlich stehen im klinischen Alltag zwei Möglichkeiten der Revaskularisation zur Verfügung

  • die systemische Thrombolysetherapie und

  • die perkutane Katheterintervention.

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Thrombolyse bei STEMI

Der Stellenwert der Fibrinolyse ist für Patienten mit einem bis zu zwölf Stunden 'alten' ST-Streckenhebungsinfarkt sowie für Patienten mit neu aufgetretenem Linksschenkelblock und infarkttypischer Klinik etabliert. Der Effekt der Thrombolyse ist streng zeitabhängig: Nach der Analyse der FTT-Gruppe (Fibrinolytic Therapy Trialists) bei fast 60000 Patienten kann sie innerhalb der ersten Stunde nach Infarktbeginn von 1000 behandelten STEMI-Patienten 40 zusätzliche Leben retten, beträgt dieses Zeitfenster sechs Stunden werden zusätzliche 30 Leben von 1000 Erkrankten gerettet, bei zwölf Stunden sind es noch 20 Leben, und im Zeitraum von bis zu 18 Stunden können immerhin noch fast zehn Leben zusätzlich gerettet werden. Danach ist ein Überlebensvorteil durch die Thrombolyse nicht mehr nachweisbar. Möglicherweise ist der Therapienutzen in der ersten Stunde nach dem Infarkt noch höher als diese Analyse belegt, sodass besonders in dieser frühen Phase des Infarktes eine Lyse indiziert ist (auch prästationär).

Neben Streptokinase sind Alteplase, Reteplase und Tenecteplase zur Behandlung des ST-Streckenhebungsinfarktes zugelassen. Streptokinase und Alteplase werden über einen Zeitraum von 30-90 Minuten intravenös appliziert, Reteplase und Tenecteplase werden in Bolusform zugeführt und haben daher unter anderem den Vorteil eines möglichen Therapiebeginns im prästationären Bereich (Medikamente und Dosierung s. [Tab. 1]).

Die Kontraindikation zur systemischen Thrombolysetherapie sind umfangreich. Je nach der individuellen Situation des Infarktpatienten und seinem individuellen Blutungsrisiko muss unter Abwägen von Nutzen und Risiko über die Thrombolyse entschieden werden [Tab. 2].

Der eindeutige Vorteil der Thrombolysetherapie liegt in der ubiquitären Verfügbarkeit und einfachen Durchführbarkeit dieser Maßnahme, daher ist sie nach wie vor primäres Behandlungskonzept bei der überwiegenden Zahl der Infarktpatienten. Wichtige Grundvoraussetzung für die Durchführung der Thrombolysetherapie ist eine funktionierende Logistik im behandelnden Krankenhaus. Die Zeit für die Diagnosesicherung nach Eintreffen des Patienten im Krankenhaus bis zum Beginn der Thrombolysetherapie („door-to-needle”) sollte maximal 30 Minuten betragen, die Behandlung muss auf einer spezialisierten Station (Notaufnahme, internistische Intensivstation, „Coronary Care Unit”, „Chest Pain Unit”) unter kontinuierlicher Monitorüberwachung erfolgen.

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Interventionelle Behandlung

Seit etwa 25 Jahren wird auch bei Patienten mit frischem Myokardinfarkt eine interventionelle Behandlung durchgeführt, die Ergebnisse aus Beobachtungsserien von erfahrenen Zentren erschienen viel versprechend. Randomisierte Studien zur sofortigen perkutanen Koronarintervention unmittelbar nach einer Thrombolysetherapie erbrachten jedoch enttäuschende Ergebnisse, sodass der Stellenwert der Intervention bei ST-Hebungsinfarkten intensiv diskutiert wurde. Erst eine Serie von drei Publikationen aus dem Jahr 1993 konnte die Bedeutung der frühen interventionellen primären Ballondilatation ohne vorangegangene Lyse gegenüber einer Thrombolysetherapie herausarbeiten, was dann die weit verbreitete Anwendung dieses Vorgehens bedingte.

In der Folge brachten weitere Untersuchungen mit verbesserter Begleitmedikation und vor allem unter Einsatz koronarer Stents konsistent positive Resultate zugunsten der interventionellen Behandlung. Derzeit gilt diese daher als die effektivste Behandlungsform beim ST-Streckenhebungsinfarkt. Die günstigen Resultate der interventionellen Behandlung im Vergleich zur Thrombolyse beruhen vor allem auf einer Reduktion der Re-Infarkthäufigkeit, einer Verminderung der Blutungskomplikationen sowie auf einer Reduktion der akuten Infarktsterblichkeit [Tab. 3].

Eine Metaanalyse von 23 Studien mit 7739 STEMI-Patienten, bei denen randomisiert entweder eine direkte Intervention (n = 3872) oder eine Thrombolyse (n = 3867) erfolgte, konnte konsistent einen Vorteil der Intervention dokumentieren. Als Thrombolytikum wurde in acht Studien Streptokinase (n = 837) und in 15 Studien ein fibrinspezifisches Thrombolytikum verwendet (n = 5902). 76 % aller thrombolytisch behandelten Patienten (n = 2939) erhielten ein fibrinspezifisches Thrombolytikum. Stents wurden in zwölf Studien und Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptorantagonisten in acht Studien verwendet. Die Ergebnisse der interventionellen Behandlung blieben auch im Langzeitverlauf konstant günstiger als bei thrombolytisch behandelten Patienten - unabhängig vom verwendeten Thrombolytikum und davon, ob der Patient aus einem Krankenhaus ohne Katheterlabor zur Intervention in ein Zentrum transferiert wurde.

Demnach kann die interventionelle Behandlung im Vergleich zur Thrombolyse bei 100 behandelten Patienten zwei zusätzliche Leben retten und zudem vier lebensbedrohliche Komplikationen (Schlaganfall oder Re-Infarkt) vermeiden. Auffällig ist der nicht streng zeitabhängige Erfolg der interventionellen Infarktbehandlung. Die Ergebnisse sind in einem Zeitrahmen von bis zu zwölf Stunden zeitunabhängig konstant, sodass im Vergleich zur Thrombolyse - insbesondere bei einem mehr als drei Stunden alten ST-Elevationsinfarkt - die perkutane Koronarintervention bevorzugt werden sollte (siehe auch die Ergebnisse der PRAGUE[6]-2-Studie in [Abb. 4]).

In Anbetracht dieser Resultate wurden Studien konzipiert, nach denen in einer Netzwerkstruktur Patienten mit ST-Streckenhebungsinfarkt aus Krankenhäusern ohne die Möglichkeit zur interventionellen Behandlung sofort in interventionelle Zentren mit dem Ziel der interventionellen Revaskularisation verlegt wurden (z.B. DANAMI[7]-2, PRAGUE-2). Die bislang vorgelegten randomisierten Studien zum Transfer von STEMI-Patienten belegen anhand der Behandlungsergebnisse von 3750 Patienten den Vorteil des Transfers zur Intervention im Vergleich zur Lyse vor Ort. Die Transferzeit betrug bei allen Patienten weniger als drei Stunden.

Der kombinierte Endpunkt 'Tod, Reinfarkt und Schlaganfall' reduzierte sich bei den Transferpatienten mit Intervention signifikant um 42 % gegenüber den vor Ort lysierten Patienten. Betrachtet man die einzelnen Endpunkte, profitierten die Transferpatienten bezüglich der Todesfolge (-19 %, p = 0,08), Reinfarkthäufigkeit (-68 %, p < 0,001) sowie der Häufigkeit eines Schlaganfalles (-56 %, p = 0,015). Als nicht transportfähig galten nur 4 % der Patienten. Die Komplikationsrate auf dem Transport war sehr gering, keiner der transportierten Patienten (96 %) verstarb.

Insgesamt ergab sich ein deutlicher Vorteil der zur Intervention in ein Zentrum verlegten Patienten gegenüber einer vor Ort durchgeführten Thrombolysetherapie. Daher werden derzeit überall regionale Netzwerke für die Versorgung von Infarktpatienten geplant, aufgebaut und gepflegt [Abb. 5]. Diese sind auch für die Patienten von Bedeutung, die zunächst im Krankenhaus ohne Möglichkeit zur Katheterintervention thrombolytisch behandelt werden und bei denen nach Thrombolyseversagen die Möglichkeit zur Rescue-PCI in einem erfahrenen interventionellen Zentrum besteht. Vermieden werden sollte jedoch eine unkritische „Transferstrategie” von Patienten.

Der Zeitpunkt der ersten Therapiemöglichkeit (binnen der ersten drei Stunden ist die Lyse gleichwertig zur perkutanen Koronarintervention), der realistisch beurteilte Zeitverlust für den Transfer (vor Ort individuell messen und kontinuierlich durch Verbesserung der Logistik verkürzen) und die Qualität des Transfers („fast and clean” im modernen Intensivmobil mit erfahrenem Arzt, Monitor, Defibrillator, Respirator und allen Möglichkeiten der pharmakologischen Infarkttherapie und nicht „quick and dirty” ohne Begleitung im konventionellen Krankentransporter!) sind wichtige Determinanten des Erfolges einer regionalen Versorgung von Patienten mit ST-Hebungsinfarkt.

Bislang ist bei einem ST-Hebungsinfarkt der Stellenwert einer frühestmöglichen pharmakologischen Reperfusion mit unmittelbar nachgeschalteter Intervention nicht geklärt. Es scheint aber denkbar, dass Patienten nach einer bereits prähospital applizierten Thrombolyse sofort und ohne Zwischenschaltung eines weiteren Krankenhauses in ein spezialisiertes Interventionszentrum verlegt werden, um dort die komplette und dauerhafte Eröffnung des Infarktgefäßes zu erreichen. Bei einer entsprechend aufgebauten Logistik ist hier ein weiteres Potenzial zur Optimierung der regionalen Versorgung von Infarktpatienten zu erwarten.

Die schnelle und professionelle, der regionalen und patientenseitigen Situation angemessene Reperfusionsstrategie ist für die Prognose des Individuums von höchster Bedeutung, die richtige Wahl ist oft nicht einfach. Außerdem gilt nach wie vor: Eine schnell und professionell durchgeführte Thrombolyse mit einem modernen Pharmakon ist meist besser als eine nach einem riskanten und langen Transport durchgeführte teilerfolgreiche Intervention durch einen überforderten „Interventionalisten” in einem unerfahrenen Team.

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Zusammenfassung und Empfehlung

Bei Patienten mit ST-Streckenhebungsinfarkt ist die schnellstmögliche Revaskularisation notwendig. Innerhalb der ersten drei Stunden nach Infarktbeginn ist die Thrombolyse der Intervention gleichwertig, der langfristige Erfolg dieser Primärtherapie muss nach erfolgreicher Lyse im Weiteren durch invasive Diagnostik und Therapie gesichert werden. Ist bereits unmittelbar im erstversorgenden Krankenhaus eine interventionelle Behandlung möglich, so ist dieses Vorgehen als definitive Therapie zu bevorzugen. Insbesondere im Zeitraum von mehr als drei Stunden nach Infarkteintritt ist die interventionelle Behandlung der Lyse überlegen und sollte - wenn immer möglich - bevorzugt werden.

Wird ein Patient mit ST-Elevationsinfarkt in einem Krankenhaus ohne die Möglichkeit zur perkutanen Koronarintervention aufgenommen und ist es binnen 90 Minuten möglich, nach einem sicheren Transfer in ein erfahrenes interventionelles Zentrum eine Intervention durchzuführen, so profitieren die transferierten Patienten von dieser Vorgehensweise im Vergleich zu den vor Ort lysierten Patienten. Daher sollten Netzwerkstrukturen zur Behandlung von Patienten mit ST-Hebungsinfarkt in allen Regionen aufgebaut werden, um flächendeckend die optimale Versorgung von Infarktpatienten zu ermöglichen. Die oben genannten Zeitvorgaben müssen eingehalten werden.

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Abb. 1 Die invasive Diagnostik bei einer 71-jährigen Patientin mit akutem Hinterwandinfarkt zeigt die verschlossene rechte Koronararterie (a). Nach der Rekanalisation und der Implantation eines Stents (b) ist das Gefäß wieder vollständig wiedereröffnet (c)

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Abb. 2

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Abb. 3

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Abb. 4

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Abb. 5

Tab. 1 Thrombolyse beim ST-Hebungsinfarkt

Thrombolytikum

Dosis

Applikation

Begleitmedikation

Streptokinase

1,5 Mio IU, 30-60 Minuten

Infusion

Heparingabe nach zwölf Stunden beginnen

Alteplase

15 mg

Bolus

60-U/kgKG-Bolus, dann Heparin parallel i.v. aPTT 50-70 Sekunden für zwei Tage

0,75 mg/kgKG; 30 Minuten

Infusion

0,50 mg/kgKG; 60 Minuten

Infusion

Maximaldosis 100 mg

 

Reteplase

2 x 10 U, 30 Minuten Abstand

Doppelbolus

60 U/kgKG Bolus, dann Heparin parallel i.v. aPTT 50-70 Sekunden für zwei Tage

Tenecteplase

30 mg bei < 60 kgKG

Bolus

60 U/kgKG Bolus, dann Heparin parallel i.v. aPTT 50-70 Sekunden für zwei Tage

35 mg bei 60-70 kgKG

40 mg bei 70-80 kgKG

45 mg bei 80-90 kgKG

50 mg bei > 90 kgKG

Tab. 2 Kontraindikationen zur Thrombolyse

absolute Kontraindikationen

relative Kontraindikationen

  • Schlaganfall binnen der letzten sechs Monate

  • relevantes Trauma binnen drei Wochen

  • große Operation binnen drei Wochen

  • Kopfverletzung binnen drei Wochen

  • Magen-Darm-Blutung binnen vier Wochen

  • Blutungsdiathese

  • ortendissektion

  • Tumorerkrankung

  • Erkrankung des zentralen Nervensystems

  • transitorische ischämische Attacke binnen sechs Monaten

  • frische Gefäßpunktion (nicht komprimierbar)

  • traumatische Reanimation

  • therapierefraktäre Hypertonie > 180 mmHg

  • Ulkusleiden

  • orale Antikoagulanzientherapie

  • aktive Endokarditis

  • Schwangerschaft

  • fortgeschrittene Lebererkrankung

Tab. 3 STEMI-Therapien im Vergleich

 

Katheter-intervention

Thrombolyse

p-Wert

Tod

5 %

7 %

0,0002

Re-Infarkt

3 %

7 %

< 0,0001

Schlaganfall

1 %

2 %

0,0004

kombinierter Endpunkt

8 %

14 %

< 0,0001

nach Keeley et al., Lancet 2003

1 veterans affairs non-q-wave infarction strategies in hospital

2 thrombolysis in myocardial ischemia phase IIIB

3 treat angina with aggrastat and determine cost of therapy with an invasive or conservative strategy

4 randomized intervention trial of unstable angina

5 fragmin and fast revascularisation during instability in coronary artery disease

6 primary angioplasty after transport of patients from general community hospitals to catheterization units with/without emergency thrombolytic infusion

7 danish trial in acute myocardial infarction

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Anschrift des Verfassers

Prof. Dr. Matthias P. Heintzen

Klinikum Braunschweig gGmbH

Klinik für Kardiologie, Pneumologie und Angiologie

Salzdahlumer Straße 90

38126 Braunschweig

1 veterans affairs non-q-wave infarction strategies in hospital

2 thrombolysis in myocardial ischemia phase IIIB

3 treat angina with aggrastat and determine cost of therapy with an invasive or conservative strategy

4 randomized intervention trial of unstable angina

5 fragmin and fast revascularisation during instability in coronary artery disease

6 primary angioplasty after transport of patients from general community hospitals to catheterization units with/without emergency thrombolytic infusion

7 danish trial in acute myocardial infarction

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Anschrift des Verfassers

Prof. Dr. Matthias P. Heintzen

Klinikum Braunschweig gGmbH

Klinik für Kardiologie, Pneumologie und Angiologie

Salzdahlumer Straße 90

38126 Braunschweig

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Abb. 1 Die invasive Diagnostik bei einer 71-jährigen Patientin mit akutem Hinterwandinfarkt zeigt die verschlossene rechte Koronararterie (a). Nach der Rekanalisation und der Implantation eines Stents (b) ist das Gefäß wieder vollständig wiedereröffnet (c)

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Abb. 2

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Abb. 3

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Abb. 5