Rofo 2005; 177(5): 769-771
DOI: 10.1055/s-2005-868473
Mitteilungen der DRG
Radiologie und Recht
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Finanzierung klinischer Studien im Krankenhaus - Anmerkung zum Urteil des BSG vom 22.7.2004, Az.: B 3 KR 21/03 R -

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Rechtsanwälte Wigge · Kleinke · Frehse

Dr. Tobias Eickmann
Rechtsanwalt Peter Wigge

Münster/Westf.

Email: kanzlei@ra-wigge.de

URL: http://www.ra-wigge.de

Publication History

Publication Date:
04 May 2005 (online)

 
Table of Contents #

I. Einleitung

Das BSG hat in der oben genannten Grundsatz-Entscheidung eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für eine im Krankenhaus durchgeführte klinische Studie vollständig abgelehnt. Nach Ansicht des Senats müsse der Sponsor einer solchen Studie neben den Kosten für die Abgabe des noch nicht zugelassenen Arzneimittels auch die sonstigen stationären Behandlungskosten tragen. Die Entscheidung widerspricht der klinischen Praxis, welche gesetzlich durch § 137c II 2, 2. Halbsatz SGB V sowie §§ 8 I 2, 17 III Nr. 2 KHEntgG abgesichert ist und setzt sich über den Willen des Gesetzgebers hinweg, so dass Anlass zu einer kritischen Würdigung besteht. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

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II. Sachverhalt

Der Kläger betreibt eine psychiatrische Klinik. In der Zeit von Januar 1994 bis Mai 1995 führte der Kläger an 12 bei der beklagten Krankenkasse versicherten Patienten eine Arzneimittelstudie in Form einer sog. "Placebo-kontrollierten Doppelblindstudie" mit dem in Deutschland nicht zugelassenen Arzneimittel "Duloxetin" sowie eine sog. "Dosisfindungsstudie" mit dem für die Behandlung von Depressionen nicht zugelassenen Arzneimittel "Pramipexol" durch. Die Beklagte zahlte zunächst die der jeweiligen Gesamtdauer der stationären Krankenhausaufenthalte entsprechenden Pflegesätze. Nach kritischen Presseberichten über Arzneimittelstudien beauftragte sie den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) und bat um Aufklärung, an welchen Tagen der stationären Behandlung Maßnahmen der Arzneimittelstudien und an welchen Tagen die anderen Therapieformen im Vordergrund gestanden hätten. Der MDK ermittelte während der Gesamtbehandlungsdauer der 12 Versicherten insgesamt 459 Tage, die Arzneimittelstudien gedient hatten.

Im Juni 1998 forderte die Beklagte vom Kläger die bereits erbrachten Pflegekosten für 459 Tage in Höhe von 90 524,22 Euro zurück. Als der Kläger die Rückzahlung ablehnte, rechnete die Beklagte im März 1999 mit laufenden anderweitigen Krankenhausrechnungen in entsprechender Höhe auf. Im Mai 1999 erhob der Kläger Zahlungsklage, die letztlich erfolglos blieb.

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III. Entscheidungsgründe

Das BSG hielt die im Wege der Aufrechnung geltend gemachten Ansprüche der Beklagten für begründet, nach Ansicht der Richter hätte die Beklagte sogar jegliche Bezahlung der Krankenhausbehandlung ablehnen können.

Der Rückforderungsanspruch der Beklagten beruht auf einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch. Maßgeblich war die Frage, ob die streitbefangene Zahlung der Beklagten ohne Rechtsgrund erfolgte, der Kläger also keinen Anspruch auf Erstattung der Pflegesätze hatte.

Ein etwaiger Anspruch des Klägers hätte sich einzig aus § 39 I 2 SGB V ergeben können. Danach haben Versicherte Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist. Dabei umfasst die Krankenhausbehandlung im Rahmen des Versorgungsauftrags alle Leistungen, die im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinische Versorgung der Versicherten notwendig sind, § 39 I 3 SGB V. Ausgenommen sind aber solche Behandlungsformen, die nicht den in §§ 2 I, 12 I und 28 I SGB normierten Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitskriterien genügen. Demnach müssen die Leistungen einerseits dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen und den medizinischen Fortschritt berücksichtigen, andererseits zweckmäßig, wirtschaftlich sowie notwendig sein. Klinische Studien sollen grundsätzlich nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) durchgeführt werden, allerdings sei verschiedentlich eine Beteiligung an der Entwicklung neuer Behandlungsmethoden vorgesehen wie etwa für Modellvorhaben in §§ 63 ff. oder für klinische Studien in § 137c II 2, 2. Halbsatz SGB V. Daraus folgert das BSG, dass klinische Studien gerade nicht der Standardbehandlung und damit auch nicht dem Qualitätsmaßstab des § 2 I 3 SGB V entsprechen.

Eine Verpflichtung der GKV zur Übernahme der Kosten einer Krankenhausbehandlung könne nicht dem vom Kläger angeführten, in §§ 40, 41 AMG niedergelegten Grundsatz entnommen werden, wonach die GKV zumindest anteilig die Kosten einer klinischen Prüfung zu tragen habe. Klinische Prüfungen seien nämlich keine klinische Studien im Sinne des § 137c II 2, 2. Halbsatz SGB V. Darüber hinaus würden es die unterschiedlichen Zielrichtungen von Arzneimittelrecht und dem Recht der GKV verbieten, von der Zulässigkeit eines Arzneimittelversuchs auf etwaige Finanzierungspflichten durch die GKV zu schließen. Zweck des AMG sei es, im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung von Mensch und Tier für die Sicherheit im Verkehr mit Arzneimitteln, insbesondere für deren Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit zu sorgen (§ 1 AMG); die GKV habe demgegenüber die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern (§ 1 I 1 SGB V). Inhaltlich regele das AMG demnach nur, in welchen Bahnen sich der medizinische Fortschritt im Bereich der Arzneimittelentwicklung zu bewegen habe; ob und inwieweit dies von Seiten der GKV ganz oder teilweise zu finanzieren sei, bleibe im Arzneimittelrecht unentschieden.

Auch liege kein Modellversuch nach § 63 IV 2 SGB V vor, da weder Fragen der biomedizinischen Forschung noch - wie vorliegend der Fall - Forschungen zur Entwicklung und Prüfung von Arzneimitteln Gegenstand solcher Vorhaben sein können.

Eine Verpflichtung der Beklagten folge schließlich auch nicht aus § 137 II 2, 2. Halbsatz SGB V, §§ 8 I 2, 17 III Nr. 2 KHEntgG. Zwar sei die Krankenkasse danach verpflichtet, Entgelte für die allgemeinen Leistungen des Krankenhauses zu entrichten, jedoch gemindert um die Kosten für wissenschaftliche Forschung und Lehre, die über den normalen Krankenhausbetrieb hinausgehen. Damit sei nach Ansicht des Senats aber keine anteilige Finanzierung von faktisch trennbaren Teilen einer Behandlung gemeint, da eine Krankenhausbehandlung zu komplex sei, als dass sie in Standard- und Forschungsbehandlung aufgeteilt werden könne. § 137 II 2, 2. Halbsatz erfasse nur Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, nicht aber klinische Studien mit noch nicht zugelassenen Arzneimitteln. Dies lasse sich bereist aus § 47 I Nr. 2 g) AMG ableiten, wonach Arzneimittel, die zur klinischen Prüfung bestimmt sind, an Krankenhäuser und Ärzte nur abgegeben werden dürfen, sofern sie kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Darin sei der Grundsatz verwurzelt, klinische Prüfungen nicht auf Kosten der Krankenkassen durchzuführen. Ferner rechtfertige sich diese Überlegung dadurch, dass die pharmazeutischen Unternehmen über die Gestaltung der Arzneimittelpreise die aufgewandten Kosten amortisieren könnten.

Aufgrund dieser Erwägungen - so das BSG - sei die stationäre Krankenhausbehandlung eines Versicherten nicht von der GKV zu vergüten, "solange sie der klinischen Prüfung eines nicht zugelassenen Arzneimittels dient, ohne dass es darauf ankommt, ob die Arzneimittelstudie dabei im Vordergrund steht oder nicht".

Ob die Beklagte durch die klinische Studie die Kosten einer Standardbehandlung gespart hat, hielt der Senat für nicht mehr feststellbar. Zudem sei die versuchsweise durchgeführte Behandlung anderer Qualität, da sie möglicherweise wirkungslos sei oder den Patienten sogar schade. Das BSG kommt insoweit zu der rechtlich nicht näher begründeten Feststellung: "Angesichts der Komplexität der Behandlung, bei der begleitende Maßnahmen nicht isoliert betrachtet werden können, kommt auch eine Vergütung für nichtärztliche Leistungen sowie Unterkunft und Verpflegung nicht in Betracht, weil die Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit der Krankenhaus-behandlungen insgesamt nicht festzustellen ist."

Nach Ansicht des BSG war daher der Rückforderungsanspruch der Beklagten begründet, die Klageforderung durch die im Übrigen zulässige Aufrechnung erloschen, so dass die Klage abzuweisen war.

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IV. Kritische Würdigung

Die Entscheidung des BSG beruht auf einer fragwürdigen Auslegung der §§ 137 SGB V, 8, 17 KHEntgG, die dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers widerspricht und die bisherige klinische Praxis unbeachtet lässt.

Zunächst lehnt das BSG zu Recht eine Übertragung der Prinzipien des AMG auf die GKV ab. AMG und SGV V verfolgen eigenständige Zielrichtungen, die jedenfalls für die vorliegende Problematik der GKV-Leistungspflicht für klinische Studien in Krankenhäusern nicht aussagekräftig sind. Umso mehr überrascht es, wenn der erkennende Senat auf § 47 I Nr. 2 g) AMG zurückgreift, um die restriktive Auslegung des § 137 SGB V zu rechtfertigen. Auch ist dem AMG der Grundsatz, klinische Studien seien nicht auf Kosten der Krankenkassen durchzuführen, jedenfalls nicht in der Weise zu entnehmen, wie ihn das BSG interpretiert. Wie die erkennenden Richter selbst ausführen, bestimmt § 47 I Nr. 2 g) lediglich, dass die zur klinischen Prüfung bestimmten Arzneimittel kostenlos zur Verfügung gestellt werden müssen; ob und inwieweit die Kosten der stationären Unterbringung von der GKV zu tragen sind, regelt das AMG demgegenüber nicht. Insoweit vermag die Argumentation des BSG nicht zu überzeugen.

Ein weiterer Ansatz des Senats ist ebenfalls nur im Ausgangspunkt richtig: Klinische Studien sind keine Standardbehandlung und können damit auch nicht dem Qualitätsmaßstab des § 2 I 3 SGB V entsprechen. Dieser unbestrittenen Tatsache aber tragen sowohl das SGB V als auch das KHEntG Rechnung. § 137c SGB V ermächtigt den gemeinsamen Bundesausschuss, Untersuchungs- und Behandlungsmethoden durch Richtlinien zu untersagen, die für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung des Versicherten unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse nicht notwendig sind. § 137 II 2 2. Halbsatz SGB V nimmt klinische Studien von einer Bewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss aus ("die Durchführung klinischer Studien bleibt unberührt") und verdeutlicht dadurch, dass klinische Studien von den Kriterien des § 137 I SGB V unabhängig sein sollen. Noch evidenter ist dieser Gedanke im KHEntgG niedergelegt: Nach § 8 I 2 KHEntgG sind bei Patienten, die im Rahmen einer klinischen Studie behandelt werden, die allgemeinen Krankenhausleistungen zu berechnen, abzuziehen sind gemäß § 17 III Nr. 2 KHEntgG Kosten für wissenschaftliche Forschung und Lehre, die über den normalen Krankenhausbetrieb hinausgehen.

Der Senat argumentiert nunmehr mit dem Wortlaut und einer teleologischen Reduktion, um den - eigentlich doch klaren - Gesetzeszweck zu widerlegen: § 137 II 2, 2. Halbsatz SGB V erfasse nur Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, nicht aber klinische Studien mit noch nicht zugelassenen Arzneimitteln: Die Beteiligung der GKV an klinischen Studien "beschränkt sich aber auf die Anwendung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden und gilt nicht auch für klinische Studien mit noch nicht zugelassenen Arzneimitteln. Als Untersuchungs- und Behandlungsmethoden sind zwar alle professionellen heilkundlichen - medizinischen - Verrichtungen anzusehen, die zur Erreichung der Behandlungsziele nach § 27 I 1 SGB V vorgenommen werden. Trotz dieser weiten Formulierung ist die klinische Prüfung von noch nicht zugelassenen Arzneimitteln - Doppelblindstudien ebenso wie Dosisfindungsstudien - aber davon auszunehmen."

Zur Begründung dieser restriktiven Auslegung führt der Senat zunächst den oben bereits erläuterten unzutreffenden Rückgriff auf § 47 AMG an. Es folgt eine Bezugnahme auf § 63 IV SGB V, der die Besonderheiten bei der Entwicklung und Prüfung von Arzneimitteln dokumentiere und darauf schließen lasse, dass der Gesetzgeber keine Finanzierung klinischer Studien durch die GKV wolle. Dieser Ansatz ist indes untauglich, weil die in § 63 SGB V erfassten "Modellvorhaben" einen anderen Forschungsinhalt haben als "klinische Studien" im Sinne des § 137c II 2, 2. Halbsatz SGB V. Daher schließt § 63 IV SGB V - was der Senat auch anerkennt - Forschungen zur Entwicklung und Überprüfung von Arzneimitteln von den Modellvorhaben aus. Zudem stellt sich die Frage, was nach Ansicht des Senats als klinische Studie im Sinne des § 137 II 2, 2. Halbsatz SGB V verbleibt, wenn die Arzneimittelforschung, insbesondere im Rahmen von Doppelblind- und Dosisfindungsstudien, ausgenommen wird. Letztlich greift der Senat auf eine ergänzende Erwägung zurück: Pharmazeutische Unternehmen könnten die erhöhten Kosten über die Gestaltung der Arzneimittelpreise amortisieren. Der Senat führt freilich nicht aus, wer im Weiteren die "erhöhten Arzneimittelpreise" zu zahlen hat.

Das BSG übersieht, dass der Gesetzgeber die Problematik erkannt hat und eine Beteiligung der GKV an der arzneimittelrechtlichen Forschung in Ansätzen für gerechtfertigt hält, da die Forschungsergebnisse letztlich den Versicherten zugute kommen. Wie in §§ 7, 18 KHEntgG niedergelegt, soll die GKV aber nur die Kosten tragen, die im Rahmen einer klinischen Studie über den normalen, also ohnehin anfallenden Pflegesatz hinausgehen. Die Kostentragungspflicht soll also nur dann bestehen, wenn und solange der Versicherte ohnehin stationär versorgt werden muss. Diese Wertung ist sowohl dem Gesetzestext als auch der Gesetzesbegründung zu entnehmen. In letzterer wird ausgeführt: "Insbesondere bei Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die im Rahmen klinischer Studien (...) angewandt werden, bleibt es dabei, dass die Krankenkassen die notwendige stationäre Versorgung der in die Studien einbezogenen Patienten mit den Krankenhausentgelten vergüten" (vgl. BT-Drucks. 14/1245, S. 90). Das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung hat auf die vom BSG geschaffene, politisch jedoch nicht gewollte Situation zwischenzeitlich reagiert und angekündigt, eine gesetzliche Klarstellung in die Wege zu leiten. Diese sollte zügig erfolgen, da das Urteil des BSG nicht der Gesetzeslage entspricht und zu einer erheblichen Verunsicherung bei Patienten, Ärzten und pharmazeutischer Industrie geführt hat.

Nach der Gesetzeslage hätte eine Leistungspflicht der Beklagten jedenfalls insoweit bestanden, als der stationäre Aufenthalt während der klinischen Studie notwendig gewesen ist. Diese Frage hätte gutachterlich geklärt werden müssen, so dass insoweit keine Entscheidungsreife vorlag. Es verwundert doch sehr, wenn der Senat diesbezüglich ohne nähere Begründung und ohne Kenntnis der medizinischen Hintergründe ausführt, dass "die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlungen insgesamt nicht festzustellen ist".

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