Immer wieder flammt die Diskussion auf, ob bei intersexuellen Syndromen chirurgische
Eingriffe bereits im frühen Kindesalter oder erst im Erwachsenenalter durchgeführt
werden sollen. Einige Autoren befürworten gar, ein "drittes Geschlecht" zu etablieren.
Um zu dieser Problematik weitere Argumente liefern zu können, werteten amerikanische
Wissenschaftler Fragebögen von betroffenen Erwachsenen aus, in denen diese zu ihren
persönlichen Erfahrungen befragt wurden (J Urol 171; 2004: 1615-1619).
Mit eigenem Geschlecht zufrieden
Mit eigenem Geschlecht zufrieden
Insgesamt wurden Fragebögen von 32 Männern und 40 Frauen (Karyotyp 46, XY) im Alter
von 18 bis 60 Jahren ausgewertet. Das Ergebnis: Die überwiegende Mehrheit zeigte sich
mit ihrem Geschlecht zufrieden und lehnte ein drittes Geschlecht strikt ab (85%).
Die Befragten gaben an, dass sie sowohl mit dem äußeren Aussehen als auch mit der
Funktionalität ihrer Geschlechtsorgane zufrieden seien, wenngleich sich viele Männer
einen größeren Penis wünschten. Auch sollte nach Ansicht der Patienten die übliche
Praxis beibehalten werden, dass die operativen Eingriffe bereits in frühen Jugendjahren
durchgeführt werden sollten.
Fazit
Fazit
Geht es nach dem Willen der betroffenen Patienten, so ist derzeit keine Änderung der
aktuellen Vorgehensweise bei intersexuellen Syndromen notwendig. Lediglich eine Minderheit
von 15% befürwortet ein drittes Geschlecht bzw. wünscht eine Verlegung der Operationen
ins Erwachsenenalter.
Erster Kommentar
Erster Kommentar
M. Sohn
Verbindliche Leitlinien für die Geschlechtsfestlegung und allgemein gültige OP-Strategien
existieren nicht
Die Rechtsgeschichte im Umgang mit intersexuellen Betroffenen ist historisch gesehen
äußerst wechselhaft. Während im antiken Griechenland erwachsene Hermaphroditen vergöttert
wurden, wurden intersexuelle Neugeborene als Monstren getötet. In der Rechtslehre
von Justinian im späten römischen Recht wurden Anordnungen zum rechtlichen Umgang
mit intersexuellen Kindern gegeben, die in den meisten Fällen in dubio pro masculo
ausfielen, da Männer vom Erbschafts- und Zeugnisrecht begünstigt wurden. Erst im allgemeinen
preußischen Landrecht von 1794 wurden sehr fortschrittliche Regelungen vorgesehen:
So durften die Eltern nach der Geburt zur Taufe eine vorläufige Geschlechtsfestlegung
ihres intersexuellen Kindes bestimmen, die Betroffenen hatten jedoch die Möglichkeit,
sich im Alter von 18 Jahren selbst auf ein Geschlecht festzulegen. Eine körperliche
Untersuchung durch sachverständige Dritte wurde nur im Falle von ungelösten Erbschaftsfragen
erforderlich.
In den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts kamen Money u. Mitarb. zu dem Ergebnis,
dass die nach dem überwiegenden Genitalbefund ausgerichtete Geschlechtszuweisung und
die darauf basierende Geschlechtersozialisation letztlich die Entwicklung der Geschlechtsidentität
als Junge oder Mädchen bestimmten. Aufgrund dieser Erkenntnisse wurde ein interdisziplinäres
"Prozedere der optimalen Geschlechtszuschreibung" für die Behandlung von Neugeborenen
mit intersexuellem Genitalbefund etabliert, das auch in Deutschland zur Anwendung
kam. Dieses Prozedere sah vor, dass möglichst umfassend und schnell eine Diagnostik
der zugrunde liegenden Störung zu erfolgen hatte und dass möglichst frühzeitig bis
zum Ende des 18. Lebensmonats die Festlegung der Geschlechtszugehörigkeit zu determinieren
sei. Entsprechend dieser Festlegung sollte ebenfalls möglichst frühzeitig eine operative
Korrektur des ambivalenten Genitale entsprechend der getroffenen Geschlechtszuordnung
erfolgen. Dies beinhaltete eine frühzeitige operative Entfernung z.B. der männlichen
Gonaden, sofern sie der gewählten Geschlechtszuschreibung widersprachen, dies nicht
nur wegen des höheren Entartungsrisikos, sondern auch, um eine eventuell stattfindende
spätere Maskulinisierung in der Pubertät bei einem als Mädchen aufgezogenen Individuum
zu verhindern. Da die plastische Rekonstruktion eines Neophallus erheblich schwieriger
ist als die einer Neovagina, kam es innerhalb dieses Protokolls tendenziell häufiger
zu einer Entscheidung in dubio pro femina.
Durch die Geschichte zieht sich somit eine zwanghafte Festlegung der Betroffenen innerhalb
des männlich/weiblichen Dualismus oder tertium non datur.
Diese Sichtweise ist inzwischen Gegenstand massiver Kritik geworden, da der moderne
Zeitgeist dem Selbstbestimmungsrecht des Individuums höchste Priorität zuräumt und
diesen konservativen Dualismus nicht als vorgegebene Selbstverständlichkeit akzeptiert.
Hinzu kamen die Veröffentlichungen desaströser Verläufe durch inzwischen ins Erwachsenenalter
vorgerückte Betroffene, zumal das Money-Konzept das Verschweigen der ursprünglichen
Intersexualität vor den betroffenen Kindern durch die Erziehungsberechtigten und Therapeuten
beinhaltete. In den USA bildeten sich aktive und zum Teil aggressive Selbsthilfegruppen,
die mithilfe der Medien und spezialisierten Anwälten eine enorme Mobilisierung der
Öffentlichkeit bewirkten (Intersex Society of North America: ISNA) . Die Forderungen
gipfelten in der rechtlichen Anerkennung eines dritten, vierten oder gar fünften Geschlechts
neben der hergebrachten Einteilung in männliches und weibliches Geschlecht. Teilweise
wurden diese Forderungen schon umgesetzt, so erlauben australische Passformulare die
Eintragung eines dritten Geschlechts oder die Angabe, "indeterminate".
Diese Forderungen führten zu einer Neuentwicklung von Leitlinien zum Umgang mit intersexuellen
Patienten, die 1997 von Diamond erstmals publiziert wurden. Die Leitlinien beinhalteten
den Verzicht auf genital korrigierende Operationen und Hormonmedikationen in der Kindheit,
außer bei vitaler Indikation. Definitive Maßnahmen sollten erst dann durchgeführt
werden, wenn das Kind ein Alter erreicht hat, in dem es bewusst die verschiedenen
Optionen abwägen und mitentscheiden kann. Es wurde ein Operationsmoratorium gefordert,
das bisher jedoch nicht umgesetzt werden konnte.
Der Autor der hier vorliegenden Arbeit über die Einstellungen erwachsener Intersex-Patienten
hat seit mehreren Jahren darauf hingewiesen, dass gerade Patienten mit später und
unsicherer Geschlechtsfestlegung, unregelmäßiger ärztlicher Betreuung und Medikamenteneinnahmen
sowie bei späten und kosmetisch ungenügenden Operationsmaßnahmen im Genitalbereich
später einen Geschlechtswechsel anstreben, wohingegen konsequent und früh behandelte
Intersexuelle vermutlich eine gute Prognose für ihr weiteres Wohlbefinden in der zugewiesenen
Geschlechtsrolle entwickeln.
Aktuell ist festzuhalten, dass verbindliche Leitlinien für die Geschlechtsfestlegung
und allgemein gültige OP-Strategien nicht existieren.
Die Inzidenz schwerer Genitalfehlbildungen einschließlich chromosomaler Aberationen
liegt schätzungsweise in Deutschland bei 1:4000 - 1:10.000 Neugeborenen. Es gibt nur
wenige renommierte Operateure auf dem Gebiet der Intersex-Chirurgie. Diese gehören
dazu noch zahlreichen unterschiedlichen Fachgesellschaften an (Urologen, Kinderchirurgen,
Gynäkologen und Plastische Chirurgen). Es besteht des Weiteren ein dringender Bedarf
an sexualmedizinisch fundierten Langzeit-Nachuntersuchungen. Feminisierende Operationen
sind mit der geringsten Belastung für die Betroffenen am besten zwischen dem 6. und
15. Lebensmonat sinnvoll. Inzwischen sind mit gutem ästhetischen und funktionellen
Resultat auch maskulinisierende Operationen mit Aufbau eines funktionsfähigen Neophallus
möglich, dies jedoch sinnvollerweise erst zu einem späteren, noch nicht genau definierten
Zeitpunkt. Kein einzelner Facharzt kann bei der geringen Fallzahl und der Komplexität
der verschiedenen Intersexformen die Verantwortung für ein evidenzbasiertes Therapiekonzept
alleine übernehmen.
Seit Oktober 2003 wird das "Netzwerk Intersexualität" im Rahmen des Programms "Seltene
Erkrankungen" vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Fachleute
aus den verschiedenen medizinischen Disziplinen vom Humangenetiker bis zum Sexualmediziner
haben sich im "Netzwerk Intersexualität" zusammengeschlossen, um im Rahmen von grundlagenwissenschaftlichen
und klinischen Forschungen Evidenz-basierte Leitlinien für Diagnostik, Therapie
und den weiteren Umgang mit den Betroffenen zu entwickeln. Dies beinhaltet den Einbezug
von Selbsthilfegruppen und Elterninitiativen. Eine multizentrische, klinische Beobachtungsstudie
ist inzwischen aktiviert, in der wenn möglich alle Betroffenen eingeschlossen werden
sollten. Die Zentrale des Netzwerkes ist an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin
im Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, positioniert, Informationen
und schriftliche Publikationen der Arbeitsgruppe sind über die Homepage: www.netzwerk-is.de abrufbar.
Prof. Dr. Michael. Sohn, Frankfurt
Zweiter Kommentar
Zweiter Kommentar
Retrospektive Erforschung des Intersex-Phänomens notwendig
Weichen Meinungen diametral auseinander, dann ist die Sachlage meist komplexer als
beide Parteien annehmen. Geschlechtszuweisung und Therapie der verschiedenen Intersexformen
sind ein gutes Beispiel dafür.
Traditionell wurde von medizinischer Seite aus vom sinnvoll Machbaren ausgegangen
und den heute nicht mehr zutreffenden Vorstellungen, dass
1. die Geschlechtszuweisung quasi notfallmäßig in den ersten zwei Wochen nach der
Geburt zu erfolgen habe,
2. die Feminisierung einfacher sei als die Maskulinisierung und schließlich
3. aus psychologischem Grund die Korrekturoperation so früh wie überhaupt möglich
stattfinden sollte, um den Eltern den Anblick des intersexuellen Genitale zu ersparen.
Von dieser Einstellung ist fast nichts geblieben außer der Meinung, dass bei Mikropenis
oder Penisaplasie der Aufbau eines Penoids aufgrund der schlechten Ergebnisse sehr
problematisch ist.
Zur veränderten Einstellung beigetragen haben in den letzten 10 Jahren die z.T. sehr
militanten Aktivitäten amerikanischer Selbsthilfegruppen und profilsüchtige Psychologen.
Aufgrund anekdotischer Fälle von schlecht (traumatisch und verstümmelnd) behandelter
Patienten wurden die Forderungen aufgestellt, die frühe Geschlechtszuweisung und
die Frühoperationen zu unterlassen und auf einen Zeitpunkt zu verschieben, zu dem
die Betroffenen selbst entscheiden können, ob und in welche Richtung sie korrigiert
werden wollen. Das Verbot sollte mit einem Moratorium abgesichert und mit dem US-Bundesgesetz
über das Verbot von verstümmelnden Operationen des weiblichen Genitale gekoppelt
werden.
Diese Aktivitäten trugen erheblich zur Verunsicherung der beteiligten Ärzte bei, die
immer häufiger die Behandlung dieser Kinder ablehnten. Auch wurde Australien zum ersten
Land, welches offiziell die Möglichkeit eines dritten Geschlechtes schuf.
Die veränderte Einstellung und das bessere Verständnis der Zusammenhänge führten auf
medizinischer Seite aber auch verstärkt zu Bemühungen, endlich klinische Langzeitergebnisse
zu erhalten und damit das weitere Vorgehen abzusichern. Dies ist auch Thema der vorliegenden
Arbeit. Diese gibt eine sehr gute Beschreibung der augenblicklichen amerikanischen
Verhältnisse, listet die Argumente über die Notwendigkeit zum Erheben exakter Daten
zur Geschlechtsidentität auf und geht dem Wunsch nach einem 3. Geschlecht und zum
als ideal empfundenen Zeitpunkt der Operation nach.
Die erhobenen Befunde und ihre Interpretationen sind beeindruckend. Ihre Aussage zeigt
aber, dass sie eher die präexistente Meinung der Autoren widerspiegelt, als dies der
tatsächlichen Datenlage entspricht.
Es sollten per Fragebogen Intersexe mit einem 46XY Chromosomensatz analysiert werden.
Leider wurde diese Gruppe aber nur sehr vage definiert. Da das untersuchte Kollektiv
ganz eindeutig auch Gonadendysgenesien, also auch Mosaike enthielt, mag die Gruppe
eher als Intersexe und schwere Hypospadien ohne 46XX-Intersex-Fälle definiert sein.
Von 96 Fällen konnten nur 72 Patienten befragt werden, und von diesen beantwortete
dann allerdings eine unklare Anzahl nur eine der vielen Fragen. Dies bedeutet, dass
einerseits eine extrem heterogene und schlecht definierte Gruppe gemeinsam ausgewertet
wurde und andererseits, innerhalb dieser Gruppe die Antworten unvollständig waren,
was in der Auswertung nicht berücksichtigt ist.
Zieht man z.B. in den einzelnen Auswertungsergebnissen die Gruppe der 17 CAIS, die
zunächst ohne Intersexproblematik und ohne Operation zunächst als "normale" Mädchen
aufwachsen, von dem Gesamtkollektiv ab, so kommt es in einigen Aussagen zur Umkehr
der Ergebnisse. Bei der Bewertung der Aussagen zum OP-Trauma bleiben Art und Umfang
der Operationen, z.B. bei CAIS und Minipenis, völlig unberücksichtigt, ebenso Alter,
Art und Umfang der Operation bei den perinealen Hypospadien. Bei einem Einschlussalter
bis zum 60. Lebensjahr waren die Techniken der damaligen Zeit von der heutigen so
weit entfernt, dass dies einen signifikanten Einfluss haben müsste. Letztlich bleibt
bei der Frage nach temporären Zweifeln an der Geschlechtsidentität die Angabe offen,
wie häufig dies wohl bei einer Vergleichsgruppe vorkommt. Die Autoren und Kommentatoren
sind sich der Schwäche ihrer Daten bewusst und fordern weitere Studien, halten ihre
Daten aber für zutreffender als die der Selbsthilfegruppen.
Trotz der geübten Kritik ist diese Arbeit sehr lesenswert, weil sie unser augenblickliches
Dilemma in der Behandlung der verschiedenen Intersexformen widerspiegelt. Diese Materie
ist außerordentlich komplex, weist sehr viele Teilaspekte auf und kann von einer einzelnen
beteiligten Gruppe nicht mehr beherrscht oder verstanden werden wie z.B.: Endokrinologen,
Genetiker, Psychologen, Ethiker, Kinderurologen, Selbsthilfegruppen, Juristen etc.
Diese Tatsache unterstreicht die Notwendigkeit einer umfassenden prospektiven und
retrospektiven Erforschung des Intersex-Phänomens, wie dies nun mit dem alle Gruppen
integrierenden Projekt des Netzwerkes IS erstmals geschieht. Deutschland geht damit
auf diesem Gebiet in Führung und wird in 5 - 10 Jahren hoffentlich in der Lage sein,
präzisere Daten zu liefern.
Prof. M. Westenfelder, Krefeld
Dritter Kommentar
Dritter Kommentar
S. Krege
Keine allgemeingültigen Schlüsse ziehen!
Eins von 3000 Neugeborenen weist ein intersexuelles Genitale auf. Die nicht eindeutige
Zuordnung zu einem der beiden Geschlechter stellt für die Eltern eine enorme psychische
Belastung dar. Diese Situation konfrontiert den behandelnden Arzt unmittelbar mit
dem drängenden Wunsch, eine Klärung herbeizuführen. Dies beinhaltet zum einen die
Ermittlung der zugrunde liegenden Diagnose, was heute insbesondere mit molekulargenetischen
Methoden in den meisten Fällen kurzfristig möglich ist. Zum anderen verlangt die gesellschaftliche
Konvention eine Korrektur des äußeren Erscheinungsbildes zu dem einen oder anderen
Geschlecht. Daher wurde bislang unter Berücksichtigung der zugrunde liegenden Diagnose
und den damit verbundenen Gegebenheiten sowie Absprache mit den Eltern eine frühe
operative Korrektur der äußeren Genitalien vorgenommen. So erhalten genetisch weibliche
Kinder mit adrenogenitalem Syndrom (AGS), bei denen durch den pränatalen Androgeneinfluss
eine mehr oder weniger starke Vermännlichung des äußeren Genitale besteht, eine Verkleinerung
der Klitoris auf das normale Maß und eine Vaginalplastik. Dies erscheint bei bestehendem
XX-Karyotyp und inneren weiblichen Geschlechtsorganen logisch. Genetisch männliche
Kinder mit partieller oder kompletter Androgeninsensitivität (PAIS/ CAIS) , bei denen
ein äußeres weibliches Genitale besteht, werden in der Regel als Mädchen aufgezogen,
da eine Stimulation des Peniswachstums nicht möglich ist. Aber schon an diesen beiden
Beispielen können Probleme aufgezeigt werden: Viele AGS-Mädchen weisen trotz perfekter
chirurgischer Korrektur des äußeren Genitale und einer weiblich konformen Erziehung
typisch männliche Verhaltensweisen auf. Studien hierzu zeigten, dass dies besonders
in der Kindheit zu Phasen von Identitätsstörungen führen kann. Im Erwachsenenalter
besteht allerdings bei der Mehrzahl der Betroffenen Geschlechtsakzeptanz, obwohl auch
Fälle späterer Transsexualität berichtet werden (Zucker et al., 1996). Nicht zu vernachlässigen
sind allerdings Probleme im sexuellen Bereich. Besonders Patientinnen mit primär ausgeprägter
Vermännlichung des äußeren Genitale und daraus resultierenden aufwändigen Korrekturen
haben Angst vor sexuellen Kontakten, was sich u.a. in einem geringeren Prozentsatz
an Geschlechtsverkehr oder auch Eheschließungen widerspiegelt. Komplikationen bei
den stattgehabten Operationen können zu Problemen beim Geschlechtsverkehr führen,
Schmerzen bei der Penetration durch narbige Scheidenverengung, Sensibilitätsstörungen
nach Klitorisreduktion (Kuhnle et al., 1995; Wachter et al., 1999).
In diesem Zusammenhang wird auch der richtige Zeitpunkt für die operativen Korrekturen
diskutiert. Während für die Klitorisreduktion von Seiten der Mediziner weit gehend
Einigkeit besteht, diese innerhalb des ersten Lebensjahres durchzuführen, gehen bei
der Vaginalplastik die Meinungen auseinander. Die eine Partei favorisiert eine einzeitige
Operation zusammen mit der Klitorisreduktion, die andere Partei führt die Vaginalplastik
erst mit Beginn der Pubertät durch. Die Mädchen können dann selbst in der Vaginaldilatation
unterwiesen werden und verstehen deren Sinn, nämlich einer Stenose durch Narbenbildung
vorzubeugen (Krege et al., 2000). Bei Patienten mit PAIS oder CAIS, die als Mädchen
aufgezogen wurden, kommt es im jugendlichen Alter häufiger zu einer Konversion zum
männlichen Geschlecht. Umgekehrt identifizieren sich Patienten mit Androgeninsensitivität,
die in der männlichen Rolle aufgewachsen sind, trotz des zu kleinen Penis mit ihrem
männlichen Geschlecht (Zucker, 1999).
Diese Beispiele verdeutlichen wie vielfältig die Problematik intersexueller Patienten
ist. Bereits aus medizinischer Sicht zeigt sich, dass die getroffene Wahl für das
eine oder andere Geschlecht problematisch sein kann. Ebenso gibt es für und wider
für verschiedene Zeitpunkte bestimmter operativer Korrekturen. Gerade in den letzten
Jahren melden sich zunehmend Betroffene zu Wort und kritisieren, dass operative Maßnahmen
an ihnen zu einem Zeitpunkt eigener Unmündigkeit und Hilflosigkeit vorgenommen wurden.
Sie fordern, jegliche Maßnahmen bis zu einem Zeitpunkt zu verzögern, an dem sie sich
selbst für oder gegen operative Schritte entscheiden können. Damit verlangen sie aber
auch, dass die Gesellschaft ein drittes Geschlecht zwischen den Polen männlich und
weiblich akzeptiert, einmal während der Phase der eigenen Unmündigkeit, womit dann
vornehmlich die Eltern konfrontiert sind, ggf. aber auch auf Dauer, wenn schließlich
die eigene Entscheidung dahin geht, in diesem dritten Geschlecht weiterzuleben.
Wir haben es also mit einer Situation zu tun, in der die Mehrzahl der Mediziner noch
immer meint, die richtigen Entscheidungen für die Patienten treffen zu können, sich
aber mehr und mehr Betroffene zu Wort melden und eigenverantwortliche Entscheidungen
fordern, was aufgrund der geschlechtlichen Zwischenstellung (Intersex) während der
Kindheit neue Fragen (Probleme?) aufwirft.
Um sich der Problematik objektiver zu nähern, bedarf es daher der Auswertung größerer
Patientenkollektive mit der Erfassung verschiedenster psychischer Parameter und der
Beurteilung operativer Maßnahmen, ihrer Komplikationen und den kosmetischen wie funktionellen
Ergebnissen. Meyer-Bahlburg hat dies in der vorliegenden Arbeit für 72 Patienten mit
46XY-Karyotyp und bei Geburt bestehendem intersexuellen Genitale, Mikropenis oder
weiblichem äußeren Genitale retrospektiv durchgeführt. 32 Patienten lebten als Mann,
40 als Frau. Die Auswertung ergab, dass die Mehrzahl der Patienten (85%) mit ihrem
gelebten Geschlecht zufrieden waren. 32% hatten jedoch diesbezüglich Lebensphasen
von Unsicherheit hinter sich. Ein drittes Geschlecht lehnten 85% ab. Hinsichtlich
der Sexualität bestanden durchaus Probleme: 42% fanden, dass ihr äußeres Genitale
auffällig sei. Von denen als Mann lebenden Patienten fanden 76% ihren Penis zu klein.
Nur 45% waren mit ihrer Sexualität vollkommen zufrieden. Hinsichtlich des Zeitpunktes
für notwendige Operationen fand die Mehrheit das Kindesalter als geeignet.
Die Ergebnisse tragen sicher dazu bei, einen besseren Einblick in das Erleben betroffener
Personen zu bekommen. Dennoch sollten auch aus größeren Patientenauswertungen keine
allgemeingültigen Schlüsse gezogen werden. Auch wenn die Mehrheit der Patienten einige
Fragen gleichgesinnt beantwortet hat, bleibt ein gewisser Prozentsatz an Patienten,
der eine andere Einstellung vertritt. Der Umgang mit Intersexualität bleibt individuell.
Neben retrospektiven Auswertungen sollte zudem die prospektive Auseinandersetzung
mit Betroffenen erfolgen. In diesem Zusammenhang sei abschließend das seit 2003 in
Deutschland vom BMBF geförderte Projekt Netzwerk Intersexualität erwähnt. Mediziner
verschiedener Fachrichtungen und Psychologen wollen ihre Aktivitäten in verschiedenen
Studien koordinieren. Die Studien beschäftigen sich mit vielfältigen Aspekten der
Intersexualität. Neben Grundlagenforschung erfolgen klinische Evaluationen. Auch soziokulturelle
Aspekte werden beleuchtet. Betroffene und verschiedene Selbsthilfegruppen arbeiten
aktiv in dem Projekt mit. All dies zeigt, dass Intersexualität kein Tabu-Thema mehr
ist und ein Dialog mit Betroffenen zustande gekommen ist. Auf diesem Wege besteht
eine begründete Hoffnung, die Probleme intersexueller Patienten besser zu verstehen
und helfen zu können.
Literatur bei der Autorin
PD Dr. Susanne Krege, Essen