Aktuelle Urol 2005; 36(2): 90-95
DOI: 10.1055/s-2005-870031
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Intersexuelle Syndrome - Drittes Geschlecht nicht erwünscht

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18 May 2005 (online)

 
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Immer wieder flammt die Diskussion auf, ob bei intersexuellen Syndromen chirurgische Eingriffe bereits im frühen Kindesalter oder erst im Erwachsenenalter durchgeführt werden sollen. Einige Autoren befürworten gar, ein "drittes Geschlecht" zu etablieren. Um zu dieser Problematik weitere Argumente liefern zu können, werteten amerikanische Wissenschaftler Fragebögen von betroffenen Erwachsenen aus, in denen diese zu ihren persönlichen Erfahrungen befragt wurden (J Urol 171; 2004: 1615-1619).

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Mit eigenem Geschlecht zufrieden

Insgesamt wurden Fragebögen von 32 Männern und 40 Frauen (Karyotyp 46, XY) im Alter von 18 bis 60 Jahren ausgewertet. Das Ergebnis: Die überwiegende Mehrheit zeigte sich mit ihrem Geschlecht zufrieden und lehnte ein drittes Geschlecht strikt ab (85%). Die Befragten gaben an, dass sie sowohl mit dem äußeren Aussehen als auch mit der Funktionalität ihrer Geschlechtsorgane zufrieden seien, wenngleich sich viele Männer einen größeren Penis wünschten. Auch sollte nach Ansicht der Patienten die übliche Praxis beibehalten werden, dass die operativen Eingriffe bereits in frühen Jugendjahren durchgeführt werden sollten.

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Fazit

Geht es nach dem Willen der betroffenen Patienten, so ist derzeit keine Änderung der aktuellen Vorgehensweise bei intersexuellen Syndromen notwendig. Lediglich eine Minderheit von 15% befürwortet ein drittes Geschlecht bzw. wünscht eine Verlegung der Operationen ins Erwachsenenalter.

Uwe Glatz, Eppingen

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Erster Kommentar

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M. Sohn

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Verbindliche Leitlinien für die Geschlechtsfestlegung und allgemein gültige OP-Strategien existieren nicht

Die Rechtsgeschichte im Umgang mit intersexuellen Betroffenen ist historisch gesehen äußerst wechselhaft. Während im antiken Griechenland erwachsene Hermaphroditen vergöttert wurden, wurden intersexuelle Neugeborene als Monstren getötet. In der Rechtslehre von Justinian im späten römischen Recht wurden Anordnungen zum rechtlichen Umgang mit intersexuellen Kindern gegeben, die in den meisten Fällen in dubio pro masculo ausfielen, da Männer vom Erbschafts- und Zeugnisrecht begünstigt wurden. Erst im allgemeinen preußischen Landrecht von 1794 wurden sehr fortschrittliche Regelungen vorgesehen: So durften die Eltern nach der Geburt zur Taufe eine vorläufige Geschlechtsfestlegung ihres intersexuellen Kindes bestimmen, die Betroffenen hatten jedoch die Möglichkeit, sich im Alter von 18 Jahren selbst auf ein Geschlecht festzulegen. Eine körperliche Untersuchung durch sachverständige Dritte wurde nur im Falle von ungelösten Erbschaftsfragen erforderlich.

In den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts kamen Money u. Mitarb. zu dem Ergebnis, dass die nach dem überwiegenden Genitalbefund ausgerichtete Geschlechtszuweisung und die darauf basierende Geschlechtersozialisation letztlich die Entwicklung der Geschlechtsidentität als Junge oder Mädchen bestimmten. Aufgrund dieser Erkenntnisse wurde ein interdisziplinäres "Prozedere der optimalen Geschlechtszuschreibung" für die Behandlung von Neugeborenen mit intersexuellem Genitalbefund etabliert, das auch in Deutschland zur Anwendung kam. Dieses Prozedere sah vor, dass möglichst umfassend und schnell eine Diagnostik der zugrunde liegenden Störung zu erfolgen hatte und dass möglichst frühzeitig bis zum Ende des 18. Lebensmonats die Festlegung der Geschlechtszugehörigkeit zu determinieren sei. Entsprechend dieser Festlegung sollte ebenfalls möglichst frühzeitig eine operative Korrektur des ambivalenten Genitale entsprechend der getroffenen Geschlechtszuordnung erfolgen. Dies beinhaltete eine frühzeitige operative Entfernung z.B. der männlichen Gonaden, sofern sie der gewählten Geschlechtszuschreibung widersprachen, dies nicht nur wegen des höheren Entartungsrisikos, sondern auch, um eine eventuell stattfindende spätere Maskulinisierung in der Pubertät bei einem als Mädchen aufgezogenen Individuum zu verhindern. Da die plastische Rekonstruktion eines Neophallus erheblich schwieriger ist als die einer Neovagina, kam es innerhalb dieses Protokolls tendenziell häufiger zu einer Entscheidung in dubio pro femina.

Durch die Geschichte zieht sich somit eine zwanghafte Festlegung der Betroffenen innerhalb des männlich/weiblichen Dualismus oder tertium non datur.

Diese Sichtweise ist inzwischen Gegenstand massiver Kritik geworden, da der moderne Zeitgeist dem Selbstbestimmungsrecht des Individuums höchste Priorität zuräumt und diesen konservativen Dualismus nicht als vorgegebene Selbstverständlichkeit akzeptiert. Hinzu kamen die Veröffentlichungen desaströser Verläufe durch inzwischen ins Erwachsenenalter vorgerückte Betroffene, zumal das Money-Konzept das Verschweigen der ursprünglichen Intersexualität vor den betroffenen Kindern durch die Erziehungsberechtigten und Therapeuten beinhaltete. In den USA bildeten sich aktive und zum Teil aggressive Selbsthilfegruppen, die mithilfe der Medien und spezialisierten Anwälten eine enorme Mobilisierung der Öffentlichkeit bewirkten (Intersex Society of North America: ISNA) . Die Forderungen gipfelten in der rechtlichen Anerkennung eines dritten, vierten oder gar fünften Geschlechts neben der hergebrachten Einteilung in männliches und weibliches Geschlecht. Teilweise wurden diese Forderungen schon umgesetzt, so erlauben australische Passformulare die Eintragung eines dritten Geschlechts oder die Angabe, "indeterminate".

Diese Forderungen führten zu einer Neuentwicklung von Leitlinien zum Umgang mit intersexuellen Patienten, die 1997 von Diamond erstmals publiziert wurden. Die Leitlinien beinhalteten den Verzicht auf genital korrigierende Operationen und Hormonmedikationen in der Kindheit, außer bei vitaler Indikation. Definitive Maßnahmen sollten erst dann durchgeführt werden, wenn das Kind ein Alter erreicht hat, in dem es bewusst die verschiedenen Optionen abwägen und mitentscheiden kann. Es wurde ein Operationsmoratorium gefordert, das bisher jedoch nicht umgesetzt werden konnte.

Der Autor der hier vorliegenden Arbeit über die Einstellungen erwachsener Intersex-Patienten hat seit mehreren Jahren darauf hingewiesen, dass gerade Patienten mit später und unsicherer Geschlechtsfestlegung, unregelmäßiger ärztlicher Betreuung und Medikamenteneinnahmen sowie bei späten und kosmetisch ungenügenden Operationsmaßnahmen im Genitalbereich später einen Geschlechtswechsel anstreben, wohingegen konsequent und früh behandelte Intersexuelle vermutlich eine gute Prognose für ihr weiteres Wohlbefinden in der zugewiesenen Geschlechtsrolle entwickeln.

Aktuell ist festzuhalten, dass verbindliche Leitlinien für die Geschlechtsfestlegung und allgemein gültige OP-Strategien nicht existieren.

Die Inzidenz schwerer Genitalfehlbildungen einschließlich chromosomaler Aberationen liegt schätzungsweise in Deutschland bei 1:4000 - 1:10.000 Neugeborenen. Es gibt nur wenige renommierte Operateure auf dem Gebiet der Intersex-Chirurgie. Diese gehören dazu noch zahlreichen unterschiedlichen Fachgesellschaften an (Urologen, Kinderchirurgen, Gynäkologen und Plastische Chirurgen). Es besteht des Weiteren ein dringender Bedarf an sexualmedizinisch fundierten Langzeit-Nachuntersuchungen. Feminisierende Operationen sind mit der geringsten Belastung für die Betroffenen am besten zwischen dem 6. und 15. Lebensmonat sinnvoll. Inzwischen sind mit gutem ästhetischen und funktionellen Resultat auch maskulinisierende Operationen mit Aufbau eines funktionsfähigen Neophallus möglich, dies jedoch sinnvollerweise erst zu einem späteren, noch nicht genau definierten Zeitpunkt. Kein einzelner Facharzt kann bei der geringen Fallzahl und der Komplexität der verschiedenen Intersexformen die Verantwortung für ein evidenzbasiertes Therapiekonzept alleine übernehmen.

Seit Oktober 2003 wird das "Netzwerk Intersexualität" im Rahmen des Programms "Seltene Erkrankungen" vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Fachleute aus den verschiedenen medizinischen Disziplinen vom Humangenetiker bis zum Sexualmediziner haben sich im "Netzwerk Intersexualität" zusammengeschlossen, um im Rahmen von grundlagenwissenschaftlichen und klinischen Forschungen Evidenz-basierte Leitlinien für Diagnostik, Therapie und den weiteren Umgang mit den Betroffenen zu entwickeln. Dies beinhaltet den Einbezug von Selbsthilfegruppen und Elterninitiativen. Eine multizentrische, klinische Beobachtungsstudie ist inzwischen aktiviert, in der wenn möglich alle Betroffenen eingeschlossen werden sollten. Die Zentrale des Netzwerkes ist an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin im Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, positioniert, Informationen und schriftliche Publikationen der Arbeitsgruppe sind über die Homepage: www.netzwerk-is.de abrufbar.

Prof. Dr. Michael. Sohn, Frankfurt

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Zweiter Kommentar

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Retrospektive Erforschung des Intersex-Phänomens notwendig

Weichen Meinungen diametral auseinander, dann ist die Sachlage meist komplexer als beide Parteien annehmen. Geschlechtszuweisung und Therapie der verschiedenen Intersexformen sind ein gutes Beispiel dafür.

Traditionell wurde von medizinischer Seite aus vom sinnvoll Machbaren ausgegangen und den heute nicht mehr zutreffenden Vorstellungen, dass

1. die Geschlechtszuweisung quasi notfallmäßig in den ersten zwei Wochen nach der Geburt zu erfolgen habe,

2. die Feminisierung einfacher sei als die Maskulinisierung und schließlich

3. aus psychologischem Grund die Korrekturoperation so früh wie überhaupt möglich stattfinden sollte, um den Eltern den Anblick des intersexuellen Genitale zu ersparen.

Von dieser Einstellung ist fast nichts geblieben außer der Meinung, dass bei Mikropenis oder Penisaplasie der Aufbau eines Penoids aufgrund der schlechten Ergebnisse sehr problematisch ist.

Zur veränderten Einstellung beigetragen haben in den letzten 10 Jahren die z.T. sehr militanten Aktivitäten amerikanischer Selbsthilfegruppen und profilsüchtige Psychologen. Aufgrund anekdotischer Fälle von schlecht (traumatisch und verstümmelnd) behandelter Patienten wurden die Forderungen aufgestellt, die frühe Geschlechtszuweisung und die Frühoperationen zu unterlassen und auf einen Zeitpunkt zu verschieben, zu dem die Betroffenen selbst entscheiden können, ob und in welche Richtung sie korrigiert werden wollen. Das Verbot sollte mit einem Moratorium abgesichert und mit dem US-Bundesgesetz über das Verbot von verstümmelnden Operationen des weiblichen Genitale gekoppelt werden.

Diese Aktivitäten trugen erheblich zur Verunsicherung der beteiligten Ärzte bei, die immer häufiger die Behandlung dieser Kinder ablehnten. Auch wurde Australien zum ersten Land, welches offiziell die Möglichkeit eines dritten Geschlechtes schuf.

Die veränderte Einstellung und das bessere Verständnis der Zusammenhänge führten auf medizinischer Seite aber auch verstärkt zu Bemühungen, endlich klinische Langzeitergebnisse zu erhalten und damit das weitere Vorgehen abzusichern. Dies ist auch Thema der vorliegenden Arbeit. Diese gibt eine sehr gute Beschreibung der augenblicklichen amerikanischen Verhältnisse, listet die Argumente über die Notwendigkeit zum Erheben exakter Daten zur Geschlechtsidentität auf und geht dem Wunsch nach einem 3. Geschlecht und zum als ideal empfundenen Zeitpunkt der Operation nach.

Die erhobenen Befunde und ihre Interpretationen sind beeindruckend. Ihre Aussage zeigt aber, dass sie eher die präexistente Meinung der Autoren widerspiegelt, als dies der tatsächlichen Datenlage entspricht.

Es sollten per Fragebogen Intersexe mit einem 46XY Chromosomensatz analysiert werden. Leider wurde diese Gruppe aber nur sehr vage definiert. Da das untersuchte Kollektiv ganz eindeutig auch Gonadendysgenesien, also auch Mosaike enthielt, mag die Gruppe eher als Intersexe und schwere Hypospadien ohne 46XX-Intersex-Fälle definiert sein. Von 96 Fällen konnten nur 72 Patienten befragt werden, und von diesen beantwortete dann allerdings eine unklare Anzahl nur eine der vielen Fragen. Dies bedeutet, dass einerseits eine extrem heterogene und schlecht definierte Gruppe gemeinsam ausgewertet wurde und andererseits, innerhalb dieser Gruppe die Antworten unvollständig waren, was in der Auswertung nicht berücksichtigt ist.

Zieht man z.B. in den einzelnen Auswertungsergebnissen die Gruppe der 17 CAIS, die zunächst ohne Intersexproblematik und ohne Operation zunächst als "normale" Mädchen aufwachsen, von dem Gesamtkollektiv ab, so kommt es in einigen Aussagen zur Umkehr der Ergebnisse. Bei der Bewertung der Aussagen zum OP-Trauma bleiben Art und Umfang der Operationen, z.B. bei CAIS und Minipenis, völlig unberücksichtigt, ebenso Alter, Art und Umfang der Operation bei den perinealen Hypospadien. Bei einem Einschlussalter bis zum 60. Lebensjahr waren die Techniken der damaligen Zeit von der heutigen so weit entfernt, dass dies einen signifikanten Einfluss haben müsste. Letztlich bleibt bei der Frage nach temporären Zweifeln an der Geschlechtsidentität die Angabe offen, wie häufig dies wohl bei einer Vergleichsgruppe vorkommt. Die Autoren und Kommentatoren sind sich der Schwäche ihrer Daten bewusst und fordern weitere Studien, halten ihre Daten aber für zutreffender als die der Selbsthilfegruppen.

Trotz der geübten Kritik ist diese Arbeit sehr lesenswert, weil sie unser augenblickliches Dilemma in der Behandlung der verschiedenen Intersexformen widerspiegelt. Diese Materie ist außerordentlich komplex, weist sehr viele Teilaspekte auf und kann von einer einzelnen beteiligten Gruppe nicht mehr beherrscht oder verstanden werden wie z.B.: Endokrinologen, Genetiker, Psychologen, Ethiker, Kinderurologen, Selbsthilfegruppen, Juristen etc.

Diese Tatsache unterstreicht die Notwendigkeit einer umfassenden prospektiven und retrospektiven Erforschung des Intersex-Phänomens, wie dies nun mit dem alle Gruppen integrierenden Projekt des Netzwerkes IS erstmals geschieht. Deutschland geht damit auf diesem Gebiet in Führung und wird in 5 - 10 Jahren hoffentlich in der Lage sein, präzisere Daten zu liefern.

Prof. M. Westenfelder, Krefeld

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Dritter Kommentar

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S. Krege

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Keine allgemeingültigen Schlüsse ziehen!

Eins von 3000 Neugeborenen weist ein intersexuelles Genitale auf. Die nicht eindeutige Zuordnung zu einem der beiden Geschlechter stellt für die Eltern eine enorme psychische Belastung dar. Diese Situation konfrontiert den behandelnden Arzt unmittelbar mit dem drängenden Wunsch, eine Klärung herbeizuführen. Dies beinhaltet zum einen die Ermittlung der zugrunde liegenden Diagnose, was heute insbesondere mit molekulargenetischen Methoden in den meisten Fällen kurzfristig möglich ist. Zum anderen verlangt die gesellschaftliche Konvention eine Korrektur des äußeren Erscheinungsbildes zu dem einen oder anderen Geschlecht. Daher wurde bislang unter Berücksichtigung der zugrunde liegenden Diagnose und den damit verbundenen Gegebenheiten sowie Absprache mit den Eltern eine frühe operative Korrektur der äußeren Genitalien vorgenommen. So erhalten genetisch weibliche Kinder mit adrenogenitalem Syndrom (AGS), bei denen durch den pränatalen Androgeneinfluss eine mehr oder weniger starke Vermännlichung des äußeren Genitale besteht, eine Verkleinerung der Klitoris auf das normale Maß und eine Vaginalplastik. Dies erscheint bei bestehendem XX-Karyotyp und inneren weiblichen Geschlechtsorganen logisch. Genetisch männliche Kinder mit partieller oder kompletter Androgeninsensitivität (PAIS/ CAIS) , bei denen ein äußeres weibliches Genitale besteht, werden in der Regel als Mädchen aufgezogen, da eine Stimulation des Peniswachstums nicht möglich ist. Aber schon an diesen beiden Beispielen können Probleme aufgezeigt werden: Viele AGS-Mädchen weisen trotz perfekter chirurgischer Korrektur des äußeren Genitale und einer weiblich konformen Erziehung typisch männliche Verhaltensweisen auf. Studien hierzu zeigten, dass dies besonders in der Kindheit zu Phasen von Identitätsstörungen führen kann. Im Erwachsenenalter besteht allerdings bei der Mehrzahl der Betroffenen Geschlechtsakzeptanz, obwohl auch Fälle späterer Transsexualität berichtet werden (Zucker et al., 1996). Nicht zu vernachlässigen sind allerdings Probleme im sexuellen Bereich. Besonders Patientinnen mit primär ausgeprägter Vermännlichung des äußeren Genitale und daraus resultierenden aufwändigen Korrekturen haben Angst vor sexuellen Kontakten, was sich u.a. in einem geringeren Prozentsatz an Geschlechtsverkehr oder auch Eheschließungen widerspiegelt. Komplikationen bei den stattgehabten Operationen können zu Problemen beim Geschlechtsverkehr führen, Schmerzen bei der Penetration durch narbige Scheidenverengung, Sensibilitätsstörungen nach Klitorisreduktion (Kuhnle et al., 1995; Wachter et al., 1999).

In diesem Zusammenhang wird auch der richtige Zeitpunkt für die operativen Korrekturen diskutiert. Während für die Klitorisreduktion von Seiten der Mediziner weit gehend Einigkeit besteht, diese innerhalb des ersten Lebensjahres durchzuführen, gehen bei der Vaginalplastik die Meinungen auseinander. Die eine Partei favorisiert eine einzeitige Operation zusammen mit der Klitorisreduktion, die andere Partei führt die Vaginalplastik erst mit Beginn der Pubertät durch. Die Mädchen können dann selbst in der Vaginaldilatation unterwiesen werden und verstehen deren Sinn, nämlich einer Stenose durch Narbenbildung vorzubeugen (Krege et al., 2000). Bei Patienten mit PAIS oder CAIS, die als Mädchen aufgezogen wurden, kommt es im jugendlichen Alter häufiger zu einer Konversion zum männlichen Geschlecht. Umgekehrt identifizieren sich Patienten mit Androgeninsensitivität, die in der männlichen Rolle aufgewachsen sind, trotz des zu kleinen Penis mit ihrem männlichen Geschlecht (Zucker, 1999).

Diese Beispiele verdeutlichen wie vielfältig die Problematik intersexueller Patienten ist. Bereits aus medizinischer Sicht zeigt sich, dass die getroffene Wahl für das eine oder andere Geschlecht problematisch sein kann. Ebenso gibt es für und wider für verschiedene Zeitpunkte bestimmter operativer Korrekturen. Gerade in den letzten Jahren melden sich zunehmend Betroffene zu Wort und kritisieren, dass operative Maßnahmen an ihnen zu einem Zeitpunkt eigener Unmündigkeit und Hilflosigkeit vorgenommen wurden. Sie fordern, jegliche Maßnahmen bis zu einem Zeitpunkt zu verzögern, an dem sie sich selbst für oder gegen operative Schritte entscheiden können. Damit verlangen sie aber auch, dass die Gesellschaft ein drittes Geschlecht zwischen den Polen männlich und weiblich akzeptiert, einmal während der Phase der eigenen Unmündigkeit, womit dann vornehmlich die Eltern konfrontiert sind, ggf. aber auch auf Dauer, wenn schließlich die eigene Entscheidung dahin geht, in diesem dritten Geschlecht weiterzuleben.

Wir haben es also mit einer Situation zu tun, in der die Mehrzahl der Mediziner noch immer meint, die richtigen Entscheidungen für die Patienten treffen zu können, sich aber mehr und mehr Betroffene zu Wort melden und eigenverantwortliche Entscheidungen fordern, was aufgrund der geschlechtlichen Zwischenstellung (Intersex) während der Kindheit neue Fragen (Probleme?) aufwirft.

Um sich der Problematik objektiver zu nähern, bedarf es daher der Auswertung größerer Patientenkollektive mit der Erfassung verschiedenster psychischer Parameter und der Beurteilung operativer Maßnahmen, ihrer Komplikationen und den kosmetischen wie funktionellen Ergebnissen. Meyer-Bahlburg hat dies in der vorliegenden Arbeit für 72 Patienten mit 46XY-Karyotyp und bei Geburt bestehendem intersexuellen Genitale, Mikropenis oder weiblichem äußeren Genitale retrospektiv durchgeführt. 32 Patienten lebten als Mann, 40 als Frau. Die Auswertung ergab, dass die Mehrzahl der Patienten (85%) mit ihrem gelebten Geschlecht zufrieden waren. 32% hatten jedoch diesbezüglich Lebensphasen von Unsicherheit hinter sich. Ein drittes Geschlecht lehnten 85% ab. Hinsichtlich der Sexualität bestanden durchaus Probleme: 42% fanden, dass ihr äußeres Genitale auffällig sei. Von denen als Mann lebenden Patienten fanden 76% ihren Penis zu klein. Nur 45% waren mit ihrer Sexualität vollkommen zufrieden. Hinsichtlich des Zeitpunktes für notwendige Operationen fand die Mehrheit das Kindesalter als geeignet.

Die Ergebnisse tragen sicher dazu bei, einen besseren Einblick in das Erleben betroffener Personen zu bekommen. Dennoch sollten auch aus größeren Patientenauswertungen keine allgemeingültigen Schlüsse gezogen werden. Auch wenn die Mehrheit der Patienten einige Fragen gleichgesinnt beantwortet hat, bleibt ein gewisser Prozentsatz an Patienten, der eine andere Einstellung vertritt. Der Umgang mit Intersexualität bleibt individuell.

Neben retrospektiven Auswertungen sollte zudem die prospektive Auseinandersetzung mit Betroffenen erfolgen. In diesem Zusammenhang sei abschließend das seit 2003 in Deutschland vom BMBF geförderte Projekt Netzwerk Intersexualität erwähnt. Mediziner verschiedener Fachrichtungen und Psychologen wollen ihre Aktivitäten in verschiedenen Studien koordinieren. Die Studien beschäftigen sich mit vielfältigen Aspekten der Intersexualität. Neben Grundlagenforschung erfolgen klinische Evaluationen. Auch soziokulturelle Aspekte werden beleuchtet. Betroffene und verschiedene Selbsthilfegruppen arbeiten aktiv in dem Projekt mit. All dies zeigt, dass Intersexualität kein Tabu-Thema mehr ist und ein Dialog mit Betroffenen zustande gekommen ist. Auf diesem Wege besteht eine begründete Hoffnung, die Probleme intersexueller Patienten besser zu verstehen und helfen zu können.

Literatur bei der Autorin

PD Dr. Susanne Krege, Essen

 
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M. Sohn

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S. Krege