Der Klinikarzt 2005; 34(5): IX
DOI: 10.1055/s-2005-870614
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Kolorektales Karzinom - Die Tumorangiogenese ausschalten, das Leben verlängern

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Publication Date:
30 May 2005 (online)

 
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Jahrzehntelang galt die Chemotherapie - zuerst mit 5-Fluorouracil (5-FU), dann mit neueren Substanzen wie Irinotecan, Oxaliplatin oder Capecitabin - als Behandlung der Wahl bei Patienten mit metastasiertem kolorektalen Karzinom. Mit der Zulassung des ersten Angiogenesehemmers Bevacizumab (Avastin®) zur Kombination mit einer intravenösen Chemotherapie als Erstlinienbehandlung von Patienten mit fortgeschrittenem kolorektalen Karzinom ist nun ein weiterer wesentlicher Fortschritt gelungen.

In der Kombination mit 5-FU, Leukovorin und Irinotecan verlängert der monoklonale Antikörper das Leben der Patienten hochsignifikant um fast fünf Monate (von 15,6 auf 20,3 Monate, p < 0,001) - immerhin eine Steigerung um 30%! Erhielten die Patienten im Anschluss an die 5-FU/Leukovorin/Irinotecan/Bevacizumab-Therapie noch eine oxaliplatinbasierte Zweitlinientherapie, profitierten sie sogar noch stärker. In dieser Subgruppe konnte sogar eine mediane Gesamtüberlebenszeit von 25,1 Monaten erreicht werden, berichtete Prof. H.J. Schmoll, Halle. "Dies ist eine enorme Steigerung, wenn man bedenkt, dass wir beim metastasierten Kolonkarzinom noch vor kurzem mit einer durchschnittlichen Überlebenszeit von rund zwölf Monaten zufrieden sein mussten."

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Lebensverlängerung bei guter Lebensqualität

Neben dem erfreulich großen Effekt auf das Gesamtüberleben der Patienten verbesserte sich unter der Therapie mit dem monoklonalen Antikörper in der Zulassungsstudie von Hurwitz et al. zudem das progressionsfreie Überleben der Patienten hochsignifikant. "Ohne Bevacizumab betrug das mediane progressionsfreie Überleben 6,2 Monate", so Schmoll. Das sei auch in etwa das, was man von dem einfachen Therapieschema mit Irinotecan (125 mg/m2), dem Fluorouracil-Bolus (500 mg/m2), Leucovorin (20 mg/m2) - dem damaligen US-Standard der Erstlinientherapie - erwarte. "Doch mit der Gabe des neuen Angiogenesehemmers stieg das progressionsfreie Überleben überraschend stark auf 10,6 Monate an", sagte Schmoll. Zudem erhöhte Bevacizumab die Ansprechrate von 35 auf 45% (p = 0,004) und die Dauer des Ansprechens von 7,1 auf 10,4 Monate (p = 0,001).

"Eine weitere gute Botschaft ist, dass durch die zusätzliche Gabe des monoklonalen Antikörpers die Nebenwirkungen der Therapie nur geringfügig ansteigen", so Schmoll. Bis auf eine mit oralen Antihypertensiva gut beherrschbare arterielle Hypertonie unterschied sich das Nebenwirkungsprofil der Dreifachkombination mit Bevacizumab praktisch nicht von der Kontrollgruppe der Zulassungsstudie. Der Angiogenesehemmer führt nicht zu einer Knochenmarkschädigung und verursacht auch keine Übelkeit, kein Erbrechen und keinen Haarausfall.

Tendenziell waren jedoch etwas mehr Grad-3/4-Diarrhöen zu verzeichnen. Zudem kam es unter der bevacizumabhaltigen Therapie bei 1,5% der Patienten zu gastrointestinalen Blutungen. "Im Einzelfall kann eine solche gastrointestinale Blutung natürlich gefährlich sein, reagiert man aber richtig, hat sie keine Konsequenzen", meinte Schmoll.

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Option auch bei Irinotecan-Kontraindikation

"Auch bei Patienten mit metastasiertem kolorektalen Karzinom, bei denen aufgrund ihres Alters oder eines schlechten Allgemeinzustands (ECOG-performance-Status 1 oder 2, Baseline Albumin < 3,5 g/dl, vorherige Bestrahlung des Beckens oder Abdomens) die Firstline-Therapie mit Irinotecan kontraindiziert ist, stehen wir mit einer Bevacizumab-Therapie gut da", berichtete Schmoll. In Kombination mit einer 5-FU/Leukovorin-Therapie verlängert Bevacizumab das progressionsfreie Überleben der Patienten signifikant von 5,5 auf 9,2 Monate (p = 0,0002), so das Ergebnis einer randomisierten plazebokontrollierten Phase-II-Studie mit 209 Patienten.

Unter der zusätzlichen Gabe von Bevacizumab lebten die Patienten im Schnitt 3,7 Monate länger als im Vergleichsarm (16,6 versus 12,9 Monate). "Leider war dieser Unterschied nicht signifikant", bemerkte Schmoll. "Bei 200 Patienten war dies jedoch auch nicht zu erwarten. Wären 400 Patienten involviert gewesen, wäre die Differenz sicherlich hochsignifikant."

Gezielter Angriff auf die Tumorangiogenese

Ein entscheidender Prozess beim Wachstum und Überleben eines Tumors ist die tumorinduzierte Angiogenese, erklärte Prof. W. Schmiegel, Bochum. Dabei wiederum hat der vaskuläre endotheliale Wachstumsfaktor VEGF ("vascular endothelial growth factor") - der beim kolorektalen Karzinom wie bei anderen Tumorentitäten verstärkt exprimiert wird und mit einer ungünstigen Prognose assoziiert ist - eine Schlüsselrolle inne.

Die Tumorzelle sezerniert VEGF in die Blutgefäße, wo der Wachstumsfaktor spezifisch an drei bekannte Rezeptoren auf Endothelzellen bindet. Dies ermöglicht die Phosphorylierung der Tyrosinkinasedomäne, und die angiogene Kaskade wird in Gang gesetzt. Bevacizumab jedoch erkennt freies VEGF und bildet mit diesem einen Komplex. Daher kann der Wachstumsfaktor nicht mehr an die Rezeptoren binden, die Aktivierung der angiogenen Kaskade und die Bildung neuer Gefäße unterbleiben. Da so die Versorgung des Tumors mit Sauerstoff und Nährstoffen nicht gewährleistet ist - das Diffusionslimit von Sauerstoff liegt bei 200 µm - wird der Tumor regelrecht "ausgehungert".

Gleichzeitig trägt Bevacizumab dazu bei, die Tumorgefäße wieder zu normalisieren, berichtete Schmiegel. Anders als normale Gefäße sind diese diffus organisiert, erweitert und durchlässiger (für Metastasenzellen und andere Substanzen). Der monoklonale Antikörper trägt zur Restrukturierung der Tumorgefäße bei, sodass die eingesetzte Chemotherapie aufgrund des niedrigeren Perfusionsdrucks den Tumor besser erreichen kann. "Bevacizumab wirkt also praktisch wie ein Katalysator", so Schmiegel.

sts

Quelle: Pressekonferenz "Avastin bringt Hoffnung bei der Volkskrankheit Darmkrebs: Der erste Angiogenesehemmer eröffnet eine neue Ära in der Krebstherapie", veranstaltet von der Hoffmann-la Roche AG, Grenzach-Wyhlen