Ökonomisches Denken prägt heute die Medizin. Dass die Zeit passé ist, in der Chefärzte
ganz oben thronten und ihnen keine Menschenseele - weder Assistent noch Verwalter
- dreinreden konnte (und auch die Patienten kaum eine Frage zu stellen wagten), das
ist sicher gut. Dass heute jedoch die Administration im klinischen Geschäft das Sagen
hat, ist das andere Extrem. Ursache sind die wirtschaftlichen Zwänge, an allen Ecken
und Enden im Gesundheitssystem fehlt Geld. Diese Situation hat den Kaufleuten die
neue Rolle zugewiesen, die finanziellen Ressourcen zu verteilen.
Diese Zwänge machen uns jedoch nicht nur das Leben schwer, sie bedrohen auch den eigentlichen
Auftrag des Arztes. Eines der charakteristischsten Merkmale des Arztseins war immer
schon das Vertrauen zwischen ihm und dem Patienten. Merkantile Interessen spielten
da nur eine marginale Rolle. Der Arzt bemüht sich, den leidenden Menschen, der sich
ihm anvertraut und Heilung ersehnt, zu verstehen sowie die physischen Wurzeln seines
Leidens und seiner Ängste zu orten, um mit seiner Zuwendung, mit Medikamenten oder
dem Eingriff des chirurgischen Kollegen seine Gesundheit wiederherzustellen.
Doch mittlerweile hat sich so manches drastisch verändert. Der Arzt wird inzwischen
von seinem Management und den Krankenkassen nach dem Umsatz beurteilt, den er seiner
Klinik beschert, oder den Kosten, die er sparen hilft. Trotzdem muss natürlich die
Qualität der medizinischen Versorgung stimmen. Was aus der Qualität wird, wenn an
allen Ecken und Enden gespart wird, hat uns die Automobilindustrie gerade vorgemacht.
In der Medizin können wir uns Rückrufaktionen aber nicht leisten!
Und wie soll der Arzt seinen Patienten noch als Patienten begreifen können? Die Prämissen
zwingen ihm den leidenden Patienten als Konsumenten medizinischer Leistung, als Kunden
auf. De jure trifft das zu: Der Patient, der zu seinem Arzt geht, schließt einen Dienstleistungsvertrag,
ist also Kunde. Geht es aber an Diagnose und Behandlung, reduziert sich dieser Kunde
rasch wieder zum altmodischen Patienten, der seinem Doktor Vertrauen schenken will.
Eine medizinische Behandlung ist immer noch etwas anderes als die Reinigung eines
Teppichs oder als die Reparatur des Autos.
Das Klinikmanagement kann für diese unglückselige Situation wenig. Es erfüllt nur
die Vorgaben von außen. Es ist die Politik, die sich auf der Suche nach einem Ausweg
immer Neues einfallen lässt, das meist nur neue bürokratische Hürden gebiert. An das
Wohl des Kranken denken Ausschüsse und Ministerialen selten. Dass der so genannte
Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), bestehend aus Juristen, medizinischen Funktionären
und Kassenvertretern, dem Patienten zwar ein Rederecht eingeräumt hat, jedoch keinerlei
Mitbestimmung, ist bezeichnend. Dieser Ausschuss befindet jedoch darüber, welche Therapien
dem gesetzlich Versicherten zustehen, und hat gerade eine neue Behörde zur Qualitätsbewertung
medizinischer Arbeit etabliert. Diese Behörde wird künftig entscheiden - natürlich
motiviert vom politischen Auftrag, kräftig einzusparen -, welche Therapien für welchen
Patienten infrage kommen.
Die ärztliche Ethik wird dabei auf der Strecke bleiben. Kein Mensch wird jemals auch
nur anzudeuten wagen, dass die Medizin heute schon dabei ist, ihre Hilfe zu rationieren.
Man findet gute Gründe, um den Menschen diese Rationierung als Qualitätssicherung
zu verkaufen. Dass sich mit rigiden Sparmaßnahmen automatisch auch die Qualität heben
lasse, ist das bekannte Trostpflaster der Ökonomen, die ihre Einschnitte der Öffentlichkeit
gegenüber rechtfertigen. Die Patienten müssen es glauben. Wenn wir Ärzte jedoch den
Ethos unseres Berufs an den Nagel hängen und uns vordringlich an Maximen der Industrie
orientieren, wird sich die Medizin in unserem Lande radikal verändern.
Hoffen wir, dass die Politik irgendwann eine Kehrtwende schafft und eine problemorientierte,
präventive Gesundheitspolitik realisiert. Wenn die Solidargemeinschaft der gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV) nicht mehr bezahlen kann, was medizinisch für alle unverzichtbar
ist, muss sich der Staat überlegen, wie durchaus vorhandene wirtschaftliche Ressourcen
aus anderen, weniger relevanten Bereichen der Gesellschaft umgeschichtet werden. Denn:
Die Gesundheit ist unser höchstes Gut, und der „gute” Arzt ist verpflichtet, alles
dafür zu tun, was die Medizin in ihrem Arsenal bereithält.