Nahrungsmittelallergien und Nahrungsmittelunverträglichkeiten gehören zu den am häufigsten
von Patienten beklagten Beschwerden und es wird geschätzt, dass bis zur Hälfte der
europäischen Bevölkerung hiervon betroffen sind. Zur In-vitro-Diagnostik solcher Allergien
bzw. Unverträglichkeiten werden seit einigen Jahren zum Teil sehr komplexe Untersuchungssysteme
angeboten, bei denen Reaktionen auf bis zu 300 verschiedene Nahrungsmittel erfasst
werden. Der Stellenwert dieser Teste wird zum Teil sehr kontrovers diskutiert.
Die Wertigkeit der IgG-Diagnostik ist umstritten - kontrollierte Studien sind rar
Am Anfang jeder Diagnostik einer Nahrungsmittelunverträglichkeit muss eine vollständige
und gründliche Anamnese stehen. Im Rahmen dann anzuschließender Teste zum Nachweis
einer spezifischen Sensibilisierung sind In-vivo-Untersuchungen zu trennen von der
In-vitro-Diagnostik. Die In-vivo-Untersuchungen schließen Hautteste wie den Epikutan-
oder Prick-Test ein sowie auch Provokationsteste, bei denen Allergene z.B. oral oder
nasal verabreicht werden. Im Rahmen der In-vitro-Diagnostik wird vor allem der Nachweis
von spezifischen Immunglobulinen gegen Nahrungsmittel in breitem Umfang durchgeführt.
Dabei ist der Nachweis von spezifischem IgE hinsichtlich seiner klinischen Relevanz
kaum strittig. Hier handelt es sich um Typ-I-Allergien vom Soforttyp. Dabei liegen
spezifische IgE-Antikörper gegen Proteine der Nahrungsmittel vor, die an basophile
Granulozyten oder Mastzellen binden und bei erneutem Allergenkontakt zu einer Freisetzung
von Mediatorsubstanzen mit nachfolgender Entzündungsreaktion führen. Nach einer entsprechenden
Sensibilisierung kann es bei einem späteren Kontakt mit dem Nahrungsmittel innerhalb
von Minuten bis wenigen Stunden zu einer Vielzahl von Symptomen kommen. Besonders
häufig sind Schwellungen im Bereich des gesamten Verdauungstraktes. Gerade Lippen,
Zunge, Gaumen und Rachen können betroffen sein. Ebenso kann es zu Erbrechen, Schmerzen
im Abdomen, Meteorismus und Durchfällen kommen. Auch eine dermatologische Symptomatik
z.B. im Sinne einer Urtikaria ist bekannt. Nicht in jedem Fall muss jedoch ein positiver
Nachweis eines spezifischen IgE zwingend eine klinische Symptomatik zur Folge haben.
Für einige klassische Allergene wie Hühnerei, Kuhmilch, Erdnuss oder Fisch ist jedoch
ab bestimmten allergenspezifischen IgE-Konzentrationen eine klinische Reaktion mit
einer Wahrscheinlichkeit von ca. 95 % voraussagbar.
Anders ist die Situation bei der Bestimmung von spezifischen IgG-Antikörpern einschließlich
der Subklasse IgG4. Der Stellenwert dieser Diagnostik auf der Basis von IgG-Bestimmungen wird sehr kontrovers
diskutiert. So wird z.B. bei einer Insektengift-Allergie als klassischem Beispiel
für eine allergische Typ-I-Reaktion unter einer spezifischen Immuntherapie im Sinne
einer Hyposensibilisierung ein Anstieg des spezifischen IgG4 als Therapieerfolg gewertet, da er meist mit einem Abfall des spezifischen IgE korreliert
ist. Die Umschaltung der Produktion von IgE- auf IgG-Antikörper wird hier als Toleranzinduktion
gewertet und hohe IgG4-Titer können im Sinne »blockierender Antikörper« interpretiert werden.
Es ist bisher nicht ausreichend geklärt, warum der Nachweis von spezifischem IgG oder
spezifischem IgG4 gegen Nahrungsmittel eine klinische Bedeutung haben soll. Meist wird hier von Nahrungsmittelunverträglichkeiten
gesprochen sowie von einer verzögerten, durch IgG-Antikörper vermittelten Reaktion,
die innerhalb von mehreren Stunden bis zu drei Tagen nach Nahrungsaufnahme auftreten
kann. IgG4 soll die Fähigkeit besitzen, selektiv an Immunzellen zu binden und bei Antigenkontakt
eine Histaminfreisetzung herbeizuführen. In der komplementärmedizinischen Literatur
finden sich immer wieder Arbeiten, in denen unterschiedlichste Grunderkrankungen wie
entzündliche Darmerkrankungen, Neurodermitis, Migräne, psychische Leiden, chronische
Müdigkeit, Adipositas, Hypertonie etc. mit IgG-vermittelten Reaktionen in Zusammenhang
gebracht werden. In so genannten Anwendungsbeobachtungen fanden sich bei den vorliegenden
Grunderkrankungen nach Ernährungsumstellung auf der Basis eines IgG-Nahrungsmitteltests
Besserungsraten zwischen 40 und 80 %. In anderen Arbeiten wird die Wertigkeit der
IgG-Diagnostik zur Erkennung von Nahrungsmittelallergien hingegen bestritten und es
ist bekannt, dass auch bei gesunden Personen spezifische IgG-Titer zum Teil gegen
eine Vielzahl von Nahrungsmitteln nachweisbar sind. Kürzlich wurde nun erstmals eine
randomisierte kontrollierte Studie publiziert (Atkinson et al.: Gut 2004; 53: 1459-1464),
in der gezeigt werden konnte, dass bei Patienten mit Reizdarmsyndrom eine auf der
Basis eines IgG-Nahrungsmitteltests zusammengestellte Diät zu einer signifikanten
Verbesserung des Beschwerdebildes im Vergleich zu einer Kontrollgruppe führte. Dies
weist auf die Bedeutung IgG-vermittelter Reaktionen auf Nahrungsmittel hin.
Weiterer Forschungsbedarf ist hier in jedem Fall gegeben. Gleichzeitig muss die Vergleichbarkeit
der großen Zahl angebotener Testsysteme überprüft werden. Dies betrifft sowohl die
Qualität und Reinheit der Allergenpräparationen wie auch Angaben zur Reproduzierbarkeit,
Sensitivität und Spezifität. Auf der Basis qualitativ hochwertiger Testsysteme müssten
dann die Möglichkeiten und Grenzen der IgG-Diagnostik von Nahrungsmittelunverträglichkeiten
weiter evaluiert werden.
Wolfgang Bayer