Der Klinikarzt 2005; 34(6): X
DOI: 10.1055/s-2005-871804
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Fast-track in der Anästhesie - Praktisch jeder Patient eignet sich für die "Überholspur-Anästhesie"

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Publication Date:
22 June 2005 (online)

 
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Moderne Anästhesie- und Operationsverfahren ermöglichen heute, dass sich Patienten auch nach größeren operativen Eingriffen innerhalb weniger Stunden weit gehend erholen und verlegt werden können. Ein derart optimiertes Behandlungsverfahren wird in letzter Zeit oft "fast-track" genannt. Diese "Fast-track-Anästhesie" umfasse ein gut abgestimmtes Narkosekonzept sowie eine Reihe weiterer Maßnahmen, um unter anderem kurze Aufwach-, Transit- und Überwachungszeiten zu ermöglichen, konstatierte PD W. Wilhelm, Lünen. Ziel sei dabei, dem Patienten die schnelle Wiederkehr zum normalen Leben zu erleichtern und auch die kompletten Prozesskosten zu senken. Der Patient müsse hierfür möglichst bald nach der Operation wach, schmerzfrei und normotherm sein und sollte weder neuromuskuläre Restblockaden noch ein so genanntes PONV ("postoperative nausea and vomiting") aufweisen.

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Schnelles Aufwachen, schnelles Erholen

Ermöglicht werde dies vor allem durch moderne Anästhetika, die sich durch einen raschen Wirkungseintritt, eine zügige Anpassung der Narkosetiefe, schnelles Aufwachen und eine dadurch sichere Extubation auszeichnen. Das Inhalationsanästhetikum Desfluran (Suprane®) flutet dabei am schnellsten an und wieder ab, so Wilhelm. Es ist schlecht fettlöslich und führt durch seine schlechte Fett-Blut-Verteilung zu kurzen Aufwachzeiten.

Die Kombination aus Desfluran und Remifentanil, das unabhängig von der Anwendungsdauer in nur drei bis vier Minuten abgebaut wird, hält der Anästhesist für ein ideales Anästhetikum. Wilhelm hält prinzipiell alle Patienten für "fast-track"-geeignet und will auch Ältere oder kardiale Risikopatienten nicht von der "Überholspur-Anästhesie" ausschließen.

Um die Normothermie zu erreichen, sind in seiner Klinik alle OP-Betten mit Warmluft ausgestattet. Eine um 1-2°C niedrigere Körpertemperatur sei zwar häufig, dennoch bräuchten hypotherme Patienten im Aufwachraum länger. Darüber hinaus treten unter Hypothermie auch mehr unerwünschte (z.B. letale kardiale) Ereignisse auf.

Zur postoperativen Schmerztherapie verwendet Wilhelm eine balancierte Analgesie aus Opioiden und Nichtopioiden, die er 30 Minuten vor Ende des Eingriffs gibt. Wenn nötig, setzt er zusätzlich eine nichtsedierende Regionalanästhesie ein. Zur verbreiteten Furcht, dass diese die Infektionsgefahr erhöhen könnte, entgegnete er, dass die entsprechenden Mittel bakterizid wirken.

PD L. Eberhart, Marburg, stellte Ergebnisse einer multizentrischen Studie vor, welche die postoperative Erholung unter Desfluran im Vergleich mit Sevofluran untersucht hatte. Desfluran schnitt dabei bei der Wiedererlangung der postoperativen Vigilanz signifikant besser ab. Die Extubation konnte im Mittel bereits nach 6,2 statt nach 8,2 Minuten erfolgen. Insgesamt 19 Minuten früher konnten die Patienten ihren Namen oder ihr Geburtsdatum nennen - zwei weitere Fast-track-Kriterien. Auch eine Metaanalyse bestätigte, dass man unter Desfluran schneller ausleiten könne.

"Die Ad-hoc-Einführung von Desfluran in Kliniken, die zuvor die Substanz noch nicht angewendet haben, führt unmittelbar nach Einführung zu einer Beschleunigung der postoperativen Erholung, gepaart mit eine geringeren interindividuellen Schwankungsbreite der Aufwachzeiten", stellte Eberhart fest. Sein Resümee: "Desfluran eignet sich hervorragend für das Fast-tracking, da die postoperativen Erholungszeiten kurz sind und eine hohe Berechenbarkeit vorliegt." Allerdings - auch das ist ein Ergebnis dieser Studie - waren die Fast-track-Patienten am ersten postoperativen Tag nicht zufriedener als Patienten nach konventioneller Anästhesie, trotz der schnelleren Erholung und der selteneren Nebenwirkungen.

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Vorteil auch für ambulantes Operieren und Adipöse

Das schnelle An- und Abfluten ist auch bei der ambulanten Operation von großem Vorteil, erklärte Prof. F. Wappler aus Köln. 90% der Desfluranpatienten erfüllen die Voraussetzungen für "fast-track", dagegen nur 75% der Sevofluran- und sogar nur 26% der Propofolpatienten. Insgesamt werde allerdings in Deutschland vergleichsweise noch relativ wenig ambulant operiert, in den Niederlanden und den USA sei das ganz anders. Auch würden in den neuen Bundesländern mehr Eingriffe ambulant durchgeführt als in den alten, betonte er.

Das Problem bei Desfluran seien wohl die postoperative Übelkeit und das Erbrechen, meinte Wappler, davor hätten die meisten Patienten die größte Angst. Bei 20-30% der Patienten treten diese Nebenwirkungen auf, nach ambulantem Operieren dagegen nur bei 10%. Bei Patienten mit erhöhtem Risikoprofil sollte daher an eine Prophylaxe mit 5-HT3-Antagonisten oder dem preiswerteren Dexamethason gedacht werden, erklärte er.

Eine andere Patientengruppe sieht er dagegen als nahezu problemlos an: die Übergewichtigen. So zeigte eine Umfrage unter Anästhesisten, dass 85% auch Patienten mit einem Body-Mass-Index von mehr als 30 kg/m2 ambulant anästhesieren - in der Literatur gehen die Werte zum Teil sogar über 35 kg/m2. Adipositas an sich scheint daher kein Risikofaktor für eine ambulante Operation zu sein. Da Desfluran den bereits erwähnt schlechten Fett-Blut-Verteilungskoeffizienten aufweist, "scheint es günstigste Bedingungen für die Anästhesie Übergewichtiger zu besitzen", schloss Wappler.

Sibylle Rettenmaier, Stuttgart

Quelle: Satellitensymposium "Fast track in der ambulanten und stationären Anästhesie" im Rahmen des deutschen Anästhesiekongresses 2005; Veranstalter: Baxter GmbH, Erlangen