Der Klinikarzt 2005; 34(6): XI
DOI: 10.1055/s-2005-871805
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Postoperative Schmerztherapie - Die Situation in den Kliniken ist schlechter als gedacht

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Publication Date:
22 June 2005 (online)

 
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Die Bedeutung der effizienten Therapie postoperativer Schmerzen rückt mehr und mehr in das klinische Bewusstsein: Denn eine wirksame Analgesie ermöglicht nicht nur eine schnellere Mobilisierung der Patienten, gleichzeitig senkt sie klinische Risiken - wie zum Beispiel myokardiale Ischämie, Pneumonie oder Thrombose - und verkürzt die Rekonvaleszenzphase. Zusammen mit der unmittelbar erlebten subjektiven Besserung für den betroffenen Patienten reduziert sich auch die Gefahr einer Schmerzchronifizierung. Da heute auch effiziente Therapiekonzepte zur Verfügung stehen, sollte man eigentlich davon ausgehen können, dass Patienten nach einem operativen Eingriff keine (starken) Schmerzen mehr leiden müssen.

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Noch immer viel Raum für Verbesserungen

Doch die Praxis sieht leider noch immer anders aus, wie die Ergebnisse von PATHOS[1] zeigen. 1540 Chirurgen und Anästhesisten aus insgesamt 734 Krankenhäusern aus Deutschland, Belgien, Frankreich, Österreich, Portugal, Spanien und der Schweiz haben an dieser Erhebung teilgenommen. Insgesamt konnten so jeweils 70% der chirurgischen Betten eines Landes erfasst werden.

"Besonders erschreckend war für mich, dass nur ein Drittel der Kliniken ihre Ärzte und Pflegenden regelmäßig schulen", sagte Prof. D. Benhamou, Paris (Frankreich). Defizite gibt es auch bei der Erfassung der Schmerzen: Immerhin 34% der Befragten gaben an, dass in ihrer Institution die Schmerzen nicht erfasst würden und nur in 44% der Fälle wurden die erfragten Schmerzscores in die Krankenakte eingetragen. Zudem werden nur etwa die Hälfte aller Patienten überhaupt vor dem Eingriff über das postoperative Schmerzmanagement informiert - wenn doch, dann meist nur mündlich und oft nur unvollständig.

"Diese Ergebnisse zeigen, dass beim postoperativen Schmerzmanagement noch erhebliche Optimierungsmöglichkeiten bestehen", meinte Benhamou. Noch immer wird den Empfehlungen und Richtlinien zur Verbesserung des postoperativen Schmerzmanagements in vielen klinischen Einrichtungen nicht der entsprechende Stellenwert eingeräumt.

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Klinische Leitfäden - ein Weg aus der Misere?

"Obwohl die Therapie postoperativer Schmerzen machbar ist, machen wir unseren Job also noch nicht gut genug", meinte auch Prof. N. Raval, Örebro (Schweden). "Schmerzen, die auf einer visuellen Analogskala mit einem Wert von über drei angegeben werden, dürfen wir nicht akzeptieren".

Allerdings wäre es vermessen zu glauben, dass man allein durch die Optimierung der Schmerztherapie, das so genannte Outcome der Patienten optimieren könne. Hierzu seien vielmehr multidisziplinäre Konzepte für spezifische Eingriffe gefragt, in die Operationsteams (geringes Gewebetrauma, Einsatz von Regionalanästhesie), Akutschmerzdienst (aggressive postoperative Schmerztherapie), Pflegekräfte und Physiotherapeuten (frühe Mobilisation) eingebunden sind und gemeinsam erarbeiteten, klinikinternen Standardprotokollen folgen. "Dass sich Zahnmodelle nicht eins zu eins auf die Thoraxchirurgie übertragen lassen, wird wohl jeder nachvollziehen können", meinte Raval.

Anders als noch vor einigen Jahren strebt man heute an, die Patienten frühzeitig zu mobilisieren. Um dies zu erreichen, ist es sinnvoll, quasi einen 'Vertrag' mit den Patienten abzuschließen ("Wir sind für eine effiziente Schmerztherapie verantwortlich, aber auch Sie müssen uns unterstützen!"). Wichtig ist dabei, dem Patienten zu erklären, was er selbst tun kann, um sich schnell von dem Eingriff zu erholen - angefangen von einem Verzicht auf Rauchen und Alkohol im Vorfeld der Operation (dies kann das kardiovaskuläre Risiko um etwa das Doppelte, das Infektionsrisiko sogar um das Dreifache reduzieren) bis hin zur frühen Mobilisation.

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Opioidinduzierte Hyperalgesie vermeiden

"Einer der wichtigsten Faktoren des postoperativen Schmerzes ist die Hyperalgesie", konstatierte PD W. Koppert, Erlangen. "Früher dachte man, dass man mithilfe von Opioiden solche Sensibilisierungsprozesse blockieren könne." Doch µ-Rezeptoragonisten scheinen die NMDA-Rezeptoren (NMDA = n-Methyl-D-Aspartat) zu aktivieren und so Schmerzen, eine Hyperalgesie und eine Toleranzentwicklung induzieren zu können ([1]). Mit einer balancierten Analgesie, die Opioidanalgetika mit NMDA-Rezeptorantagonisten, alpha-2-adrenergen Agonisten oder Nichtopioidanalgetika kombiniere, lasse sich solchen Prozessen jedoch entgegenwirken, erklärte Koppert.

Dass Paracetamol (Perfalgan®) eine antinozeptive Potenz besitzt und so die zentrale Sensibilisierung inhibieren kann, hat Koppert in einem experimentellen Modell zur Provokation von Schmerzen und einer Hyperalgesie nachgewiesen. Erhielten die Patienten Paracetamol (1000 mg) reduzierte sich im Vergleich zu Plazebo die zuvor elektrisch provozierte Hyperalgesie im Vergleich zu Plazebo signifikant ([2]).

sts

Quelle: Satellitensymposium und internationale Fachpressekonferenz "Is there still a need for the improvement of postoperative pain management in Europe?" im Rahmen des Euroanaesthesia-Kongresses (ESA); Veranstalter: Bristol-Myers-Squibb GmbH

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Literatur

  • 1 Guignard B. Bossard AE. Coste C. et al.. Anesthesiology. 2000;  93 (2) 409-417
  • 2 Koppert W. Wehrfritz A. Korber N. et al.. Pain. 2004;  108 (1-2) 148-153

1 postoperative analgesic therapy observational study

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Literatur

  • 1 Guignard B. Bossard AE. Coste C. et al.. Anesthesiology. 2000;  93 (2) 409-417
  • 2 Koppert W. Wehrfritz A. Korber N. et al.. Pain. 2004;  108 (1-2) 148-153

1 postoperative analgesic therapy observational study