Der Klinikarzt 2005; 34(6): XV-XVI
DOI: 10.1055/s-2005-871809
Recht

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Neue Regeln für die Plausibilitätsprüfung - Ermächtigte Ärzte, Kliniken und Institute bleiben im Visier

Further Information

Publication History

Publication Date:
22 June 2005 (online)

 
Table of Contents

Von vielen Prüfungen im Vertragsarztrecht bleiben Klinikärzte bisher verschont. Dies gilt nicht für die so genannte Plausibilitätsprüfung. Der ein oder andere ermächtigte Arzt musste bereits große Regresssummen begleichen, weil er zum Beispiel die Leistungen, für die er eine persönliche Ermächtigung hat, nicht selbst erbracht hat. Da mittelbar über die üblichen Nutzungsverträge auch Krankenhausträger von möglichen Regressen betroffen sind, geht dieses Thema Arzt und Träger gleichermaßen an.

Plausibilitätsprüfungen dienen dazu, die Rechtmäßigkeit der Abrechnung festzustellen. Es handelt sich dabei um eine Prüfung mit dem (berechtigten) Ziel, Verdachtsmomente unrechtmäßiger Abrechnungen aufzudecken. Erscheint eine Abrechnung nicht mehr "plausibel", weil sie unschlüssig oder nicht nachvollziehbar ist, besteht der Verdacht, der betreffende Arzt habe die abgerechneten Leistungen entweder gar nicht oder zumindest nicht adäquat qualitativ erbracht.

Ihre Konsequenzen machen Plausibilitätsprüfungen besonders unangenehm. Denn nicht "nur" Honorarrückforderungen, sondern regelmäßig auch Disziplinarverfahren oder - seltener - sogar Strafverfahren wegen Betrugs können die Folge sein. Da auch ermächtigte Ärzte, Krankenhäuser und Institute in eine Plausibilitätskontrolle bezüglich ihres Abrechnungsverhaltens geraten können, sollten sie Veränderungen und Verschärfungen in diesem Bereich, wie sie zuletzt durch das GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) zum 01. Januar 2004 auf den Weg gebracht wurden, aufmerksam mitverfolgen.

#

Eckpunkte der Neuregelungen

Das GKV-Modernisierungsgesetz hat die Plausibilitätsprüfung umfassend auf eine neue gesetzliche Grundlage gestellt. Die entsprechenden Regelungen hierzu finden sich nun in § 106 a des Fünften Sozialgesetzbuches (SGB V). Demnach haben neben der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) auch die Krankenkassen umfassende Prüfrechte.

Die je Tag und pro Quartal abgerechneten Leistungen spielen im Hinblick auf den damit verbundenen Zeitaufwand des Arztes bei einer Plausibilitätsprüfung eine besondere Rolle. Dafür sind zukünftig die Zeiten, wie sie sich aus Anhang 3 des zum 01. April 2005 in Kraft getretenen EBM 2000plus ergeben, maßgeblich ([2]). Dort ist für die meisten EBM-Ziffern eine bundeseinheitliche Zeit (so genannte Prüfzeit) in Minuten fest vorgeschrieben, die für eine Leistungserbringung mindestens aufgebracht worden sein muss, damit sie als korrekt erbracht gilt und abgerechnet werden kann. Das Problem liegt auf der Hand: Braucht ein Arzt tatsächlich wesentlich weniger Zeit für die abgerechneten Leistungen als der EBM vorgibt, kommt er in Schwierigkeiten.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Spitzenverbände der Krankenkassen haben im gesetzlichen Auftrag Richtlinien erarbeitet, die für bundeseinheitliche Prüfungen sorgen sollen. Die Richtlinien sind ebenfalls - zeitgleich zum EBM 2000plus - zum 01. April 2005 in Kraft getreten und sind automatisch Bestandteil der Vereinbarungen der regionalen Kassenärztlichen Vereinigungen mit den Krankenkassen zum Inhalt und zur Durchführung von Plausibilitätsprüfungen ([1]).

#

Häufigster Fall: Prüfung nach Zeitprofilen

Die Kassenärztlichen Vereinigungen führen Plausibilitätsprüfungen grundsätzlich als so genannte regelhafte Prüfungen durch. Dabei analysieren sie den Umfang der abgerechneten Leistungen im Hinblick auf den damit verbundenen Zeitaufwand, um so Abrechnungsauffälligkeiten zu eruieren. Auffälligkeiten können sich dabei anhand von Zeitprofilen ergeben. Hierzu wird für die ärztliche Tätigkeit im Hinblick auf die angeforderten Leistungen gleichrangig ein Tageszeit- und ein Quartalszeitprofil ermittelt.

Grundsätzlich liegen den Profilen alle nach dem einheitlichen Bewertungsmaßstab ambulant erbrachten ärztlichen und psychotherapeutischen Leistungen zugrunde, die gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung abgerechnet werden und nach dem Anhang 3 des EBM 2000plus mit einem Mindestzeitwert versehen sind. Allerdings eignet sich nicht jede Ziffer zur Profilbildung im Tagesprofil.

Die Zeitwerte sind (angeblich) so angelegt, dass sie einer realistischen Zeit für einen geübten Arzt entsprechen. Das bereits in der Vergangenheit häufig von Ärzten vorgebrachte Argument, man könne persönlich die Leistung schneller erbringen, wird daher nicht erfolgreich sein. Ob die Zeiten tatsächlich realistisch sind, muss gegebenenfalls gerichtlich geklärt werden. Nach Auffassung der meisten Ärzte sind die Zeiten jedoch viel zu hoch angesetzt. Daher werden wohl viele Ärzte im Tagesprofil oder Quartalsprofil auffällig werden.

Ausgenommen von den Zeitprofilen sind Leistungen im organisierten Notfalldienst, soweit sie auf Notfallschein abgerechnet werden, Leistungen aus der unvorhergesehenen Inanspruchnahme des Vertragsarztes außerhalb der Sprechstundenzeiten und Leistungen bei Unterbrechung der Sprechstunde mit Verlassen der Praxis sowie bei Belegärzten die Visiten. Ferner bleiben privatärztliche Leistungen und solche, die im Rahmen der Kostenerstattung erbracht werden, im Zeitprofil unberücksichtigt.

#

Mehr als 156 Stunden pro Quartal gelten als auffällig

Wer als ermächtigter Arzt, ermächtigtes Institut oder ermächtigtes Krankenhaus

  • an mindestens drei Tagen mehr als zwölf Stunden im Tageszeitprofil oder

  • mehr als 156 Stunden im Quartalsprofil

vertragsärztliche Leistungen erbringt, gilt als auffällig und kann bezüglich seiner Abrechnung genauer unter die Lupe genommen werden. Zunächst besteht jedoch nur eine Vermutung für eine fehlerhafte Abrechnung. Eine weitere, ergänzende Prüfung kann dann zum endgültigen Ergebnis einer fehlerhaften Abrechnung führen.

Um Fehler zu vermeiden, sollte sich ein betroffener Arzt sicherheitshalber nur unter Inanspruchnahme spezialisierter anwaltlicher Hilfe gegenüber den Prüfgremien äußern. Zu groß ist das Risiko, dass sich der Arzt "gutgläubig" einlässt und damit Anhaltspunkte für weitere Prüfungen wie eine Wirtschaftlichkeitsprüfung liefert oder sich sogar zum Abschluss eines für ihn ungünstigen Vergleichs zur Beendigung des Verfahrens bewegen lässt.

Sollte am Ende der Plausibilitätsprüfung feststehen, dass die erbrachten Leistungen tatsächlich fehlerhaft abgerechnet worden sind, nimmt die zuständige Kassenärztliche Vereinigung die so genannte sachlich-rechnerische Richtigstellung vor, an deren Ende Honorarberichtigungen stehen können. Häufig bietet sie den Ärzten im Rahmen dieses Folgeverfahrens auch einen Vergleich über eine bestimmte Rückzahlungssumme an. Doch Vorsicht: Wird ein solcher Vertrag abgeschlossen, muss gezahlt werden. Rechtsmittel dagegen gibt es - im Gegensatz zum Bescheid der sachlich-rechnerischen Berichtigung - nicht.

Inwieweit noch weitere Maßnahmen wie Disziplinarverfahren oder eine Einleitung eines Strafverfahrens folgen, hängt vom Einzelfall ab.

#

Zusätzliche Prüfverfahren

Die Kassenärztlichen Vereinigungen können zusätzlich zur regelhaften Prüfung erweiterte regelhafte Prüfungen, Stichprobenprüfungen und anlassbezogene Plausibilitätsprüfungen durchführen:

  • Bei der erweiterten regelhaften Prüfung wird die regelhafte Plausibilitätsprüfung um andere Aufgreifkriterien als die Zeitprofile erweitert (z.B. Fallzahlentwicklung, Überweisungsverhalten).

  • Stichprobenprüfungen umfassen nach einem Zufallsprinzip mindestens 2% der abrechnenden Ärzte im Quartal. Vor ihrer Durchführung werden deren Zielrichtung und Zielgruppen sowie die Aufgreifkriterien (z.B. Prüfung nach Zeitprofilen) festgelegt.

  • Anlassbezogene Plausibilitätsprüfungen erfolgen dann, wenn ausreichende und konkrete Hinweise auf Abrechnungsauffälligkeiten bestehen.

Außerdem informieren die Landesverbände der Krankenkassen und Ersatzkassen sowie deren Mitgliedskassen die Kassenärztlichen Vereinigungen in geeigneter Weise über konkrete Hinweise, die sie im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung aufgrund eigener Recherchen und Ermittlungen herausgefunden haben.

#

Prüfrecht auch durch die Krankenkassen

Krankenkassen können ebenfalls Plausibilitätsprüfungen durchführen. Sie analysieren dann insbesondere die Abrechnungen hinsichtlich des Bestehens und des Umfangs ihrer Leistungspflicht und der Plausibilität der abgerechneten Leistungen in Bezug auf die Diagnose. Ärzte sollten ihre erbrachten Leistungen daher immer gut dokumentieren, um Nachweisproblemen bei Verfahren aus dem Weg zu gehen. Ferner prüfen die Krankenkassen die über sie abgerechneten Sachkosten.

Kosten für Materialien (vgl. Ziffer 7.3 der Allgemeinen Bestimmungen des EBM 2000plus), die bei der Kassenärztlichen Vereinigung angefordert werden, aber nicht in den berechnungsfähigen Leistungen enthalten sind und auch nicht über Sprechstundenbedarf bezogen werden können, können ebenfalls Gegenstand einer Plausibilitätsprüfung sein. Diese bezieht sich dann insbesondere auf den Zusammenhang zwischen den verwendeten Sachmitteln und deren Indikationsbereich sowie auf die Menge der abgerechneten Sachkosten. Die (stichprobenartige) Prüfung erfolgt durch eine vergleichende Betrachtung der Arztpraxis mit dem Durchschnitt der Arztgruppe.

#

Gefahr der Wirtschaftlichkeitsprüfung?

Auch wenn es bei der Plausibilitätsprüfung nicht darum geht, die Angemessenheit und Notwendigkeit der erbrachten Leistungen zu prüfen, können Anhaltspunkte dafür, dass der Arzt die Leistungen auch in einem unwirtschaftlichen Umfang erbracht hat, zur Einleitung einer so genannten Wirtschaftlichkeitsprüfung führen. Dann wird das Verhalten des Arztes im doppelten Sinne durchleuchtet: zunächst im Rahmen der Plausibilitätsprüfung, ob tatsächlich alle Leistungen erbracht wurden, dann im Zuge einer Wirtschaftlichkeitsprüfung, ob die erbrachten Leistungen notwendig und angemessen waren.

#

Fazit: Informieren und die Situation ernst nehmen!

Auch ermächtigte Klinikärzte sollten sich mit den Mindestzeiten aus dem EBM für die von ihnen gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung abgerechneten Leistungen vertraut machen. Darüber hinaus sollte man die regionalen Plausibilitätsvereinbarungen kennen. Solange die neuen Verträge noch nicht geschlossen sind, gelten die alten Vereinbarungen weiter. Ratsam ist, zukünftig verstärkt die Arbeitszeiten im Blick zu behalten und die Leistungen notfalls zu reduzieren. Andernfalls ist mit Honorarkürzungen und weiteren Konsequenzen zu rechnen.

Dr. iur. Isabel Häser, Ehlers, Ehlers und Partner, München

#

Literatur

  • 1 Bekanntmachungen: Richtlinien der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Spitzenverbände der Krankenkassen zum Inhalt und zur Durchführung der Abrechnungsprüfungen der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Krankenkassen. Deutsches Ärzteblatt PP 2004 9: 426-430
  • 2 www.ebm2000plus.de
#

Literatur

  • 1 Bekanntmachungen: Richtlinien der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Spitzenverbände der Krankenkassen zum Inhalt und zur Durchführung der Abrechnungsprüfungen der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Krankenkassen. Deutsches Ärzteblatt PP 2004 9: 426-430
  • 2 www.ebm2000plus.de