Der Klinikarzt 2005; 34(7): XV
DOI: 10.1055/s-2005-872343
Im Gespräch

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Thromboseprophylaxe und -therapie bei Tumorpatienten - Haben niedermolekulare Heparine auch einen Antitumor-Effekt?

Further Information

Publication History

Publication Date:
28 July 2005 (online)

 
Table of Contents
Zoom Image

Prof. Dr. E. Hiller, München

Bei Malignomen ist das Risiko thromboembolischer Ereignisse erhöht, da Tumorzellen gerinnungsaktive Substanzen bilden können. Außerdem findet man bei Karzinom-Patienten nicht selten weitere Faktoren, die eine zusätzliche Gefährdung bedeuten - hierzu zählen zum Beispiel Immobilisation, venöse Verweilkatheter sowie unter Chemotherapie zerfallende große Tumormassen, die "tissue factor" freisetzen. Chirurgische Interventionen bei Tumorpatienten sind zudem mit einem doppelt so hohen Thromboserisiko verbunden wie vergleichbare Operationen bei Patienten, die kein Malignom aufweisen. Die Betroffenen müssen folglich als Hochrisikogruppe angesehen werden und entsprechend hohe Arzneimitteldosen zur Prophylaxe erhalten. Zudem haben Studien gezeigt, dass diese Patienten postoperativ von einer prolongierten Gabe niedermolekularer Heparine (z.B. Dalteparin 5000 IE über 28 Tage) profitieren. Neben ihrer antithrombotischen Wirkung besitzen niedermolekulare Heparine wie Dalteparin (Fragmin®) wahrscheinlich auch einen Antitumor-Effekt. Eine mögliche Erklärung hierfür ist die Hemmung der Angiogenese durch Heparin. Am Rande des diesjährigen Kongresses der DGIM (Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin) in Wiesbaden, fragten wir Prof. Erhard Hiller, München, nach seiner Einschätzung zum Einsatz von niedermolekularen Heparinen bei Tumorpatienten.

klinikarzt: Inwieweit findet die Thromboseprophylaxe bei Tumorpatienten bereits jetzt Einsatz in der Klinik. Haben die Ergebnisse der Studien CLOT[1] ([3]), FAMOUS[2] ([2]) oder die Studie von Altinbas ([1]) - die alle drei erst innerhalb der letzten beiden Jahre publiziert wurden - Einfluss darauf?

Prof. E. Hiller: Die Studienergebnisse sind noch widersprüchlich und nicht von einer so klaren Aussagekraft, dass der Einsatz von niedermolekularen Heparinen zum Zwecke einer Tumorkontrolle zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu rechtfertigen wäre. Unabhängig davon gilt aber bei uns - und sicher in allen onkologischen Abteilungen: Wenn ein Patient durch sein Tumorleiden immobilisiert ist, hat er ein erhöhtes Thromboserisiko und bekommt deshalb immer eine Thromboseprophylaxe. Eindeutige Indikationen zur Thromboseprophylaxe sind darüber hinaus operative Eingriffe, ein zentraler Venenkatheter (ZVK), die Chemo- und Strahlentherapie bei ausgedehnten Tumormassen und fortgeschrittener Erkrankung sowie teilweise auch Hickman-Katheter und Portsysteme.

klinikarzt: Somit kommt den Patienten der möglicherweise vorhandene Zusatznutzen von Dalteparin schon jetzt zugute?

Hiller: Im Vordergrund steht derzeit eindeutig die Thromboseprophylaxe, aus diesem Grund wird das Medikament verabreicht. Die Ergebnisse aus den Studien CLOT und FAMOUS sind noch weithin unbekannt. Dass niedermolekulare Heparine aber bei Tumorpatienten möglicherweise auch einen Vorteil in Bezug auf die Überlebensrate bedingen könnten, wissen bisher nur wenige Hämatoonkologen. Auch ich halte mich mit derartigen Prognosen bislang noch sehr zurück. Nach der derzeitigen Datenlage scheint es am ehesten beim kleinzelligen Bronchialkarzinom unter Dalteparin zu einer Verlängerung der Überlebenszeit zu kommen. Studien mit Patienten, die unterschiedliche andere Tumorerkrankungen hatten, zeigten bisher weniger überzeugende Ergebnisse.

klinikarzt: Viele onkologische Patienten werden ambulant versorgt und bekommen, anders als die hospitalisierten Patienten, keine routinemäßige Thromboseprophylaxe. Wäre es nicht auch in diesen Fällen wichtig, auf die Chancen einer Behandlung mit niedermolekularen Heparinen hinzuweisen - unabhängig davon wie groß oder wie bewiesen sie sind?

Hiller: Ja, durchaus. Rund 80% der Patienten werden ambulant versorgt, und gerade diese Patienten, die eine relativ gute Prognose haben, profitieren nach den bisherigen Daten möglicherweise von der zusätzlichen Gabe niedermolekularer Heparine. Für einen breiten Einsatz ist es meines Erachtens aber noch zu früh, außer eventuell für Patienten mit kleinzelligem Bronchialkarzinom. Eine zusätzliche Überlebenszeit von fünf Monaten unter der Dalteparinbehandlung, wie sie Altinbas und seine Kollegen in ihrer Untersuchung dokumentierten ([1]), ist meines Erachtens ein Argument, bei dieser Tumorentität schon heute ein niedermolekulares Heparin einzusetzen.

Allerdings sind weitere Studien erforderlich, um die Zukunftsperspektiven solcher Therapiestrategien im Hinblick auf eine Lebenszeitverlängerung für andere solide Tumoren deutlich zu machen. Für Dalteparin hoffen wir zunächst auf die Zulassungserweiterung für die Thrombosetherapie und Rezidivprophylaxe bei Tumorpatienten.

Herr Professor Hiller, wir bedanken uns für dieses Gespräch!

#

Literatur

  • 1 Altinbas M. Coskun HS. Er O. et al.. A randomized clinical trial of combination chemotherapy with and without low-molecular-weight heparin in small cell lung cancer.  J Thromb Haemost. 2004;  2 1266-1271
  • 2 Kakkar AK. Levine MN. Kadziola Z. et al.. Low molecular weight heparin, therapy with dalteparin, and survival in advanced cancer: the fragmin advanced malignancy outcome study (FAMOUS).  J Clin Oncol. 2004;  22 1944-1948
  • 3 Lee AYY. Levine MN. Baker RI. et al.. Low-molecular-weight heparin versus a coumarin for the prevention of recurrent venous thromboembolism in patients with cancer.  N Engl J Med. 2003;  349 146-153

1 fragmin advanced malignancy outcome study

2 randomised comparison of low molecular weight heparin vs. oral anticoagulant therapy for long term co-agulation in cancer patients with venous thromboembolism

#

Literatur

  • 1 Altinbas M. Coskun HS. Er O. et al.. A randomized clinical trial of combination chemotherapy with and without low-molecular-weight heparin in small cell lung cancer.  J Thromb Haemost. 2004;  2 1266-1271
  • 2 Kakkar AK. Levine MN. Kadziola Z. et al.. Low molecular weight heparin, therapy with dalteparin, and survival in advanced cancer: the fragmin advanced malignancy outcome study (FAMOUS).  J Clin Oncol. 2004;  22 1944-1948
  • 3 Lee AYY. Levine MN. Baker RI. et al.. Low-molecular-weight heparin versus a coumarin for the prevention of recurrent venous thromboembolism in patients with cancer.  N Engl J Med. 2003;  349 146-153

1 fragmin advanced malignancy outcome study

2 randomised comparison of low molecular weight heparin vs. oral anticoagulant therapy for long term co-agulation in cancer patients with venous thromboembolism

 
Zoom Image

Prof. Dr. E. Hiller, München