Psychiatr Prax 2006; 33(5): 205-206
DOI: 10.1055/s-2005-915353
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die Polizei - Dein Freund und Helfer

The Police - There to Serve and ProtectWerner  Kissling1 , Kerstin  Wundsam1
  • 1Centrum für Disease Management, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Technischen Universität München
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Dr. med. Kerstin Wundsam

Klinikum für Psychiatrie und Psychotherapie der Technischen Universität München

Möhlstraße 26

81675 München

Email: kerstin.wundsam@lrz.tum.de

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Publication Date:
27 June 2006 (online)

Table of Contents

Kürzlich verbarrikadierte sich einer unserer ehemaligen Patienten in seiner Wohnung und warf Gegenstände aus dem Fenster. Ein anderer wurde im Rahmen einer akuten Psychose gegen seine Mutter tätlich. In beiden Fällen riefen die Nachbarn schließlich die Polizei. Was war geschehen? Beide Patienten waren schon lange vor dieser Eskalation aus dem psychiatrischen Versorgungssystem „herausgefallen” und hatten gegen ärztlichen Rat ihre Medikamente abgesetzt. Die behandelnden niedergelassenen Nervenärzte hatten ein oder zwei Mal versucht telefonisch Kontakt aufzunehmen, der sozialpsychiatrische Dienst, der gerade eine massive Kürzung seiner Personalstellen zu verkraften hat, hatte auch nichts bewirken können und die Angehörigen waren überfordert. In beiden Fällen eskalierte die Situation und es kam zu Polizeieinsätzen, mit erheblicher Gewaltanwendung, die für alle Beteiligten sehr belastend waren. Unnötig zu sagen, dass Patienten bei solchen Polizeieinsätzen massiv traumatisiert und stigmatisiert werden [1] [2]. In den genannten Fällen kam es auch noch zu Vorwürfen gegenüber den Polizeibeamten wegen „unnötiger und übertriebener Gewaltanwendung”. Waren das unvermeidbare Notfälle oder wurde im Vorfeld etwas versäumt, für das die Polizisten den Kopf hinhalten mussten?

Betrachtet man die Literatur zu Gewalt in Verbindung mit psychisch Erkrankten, so kommt es überzufällig häufig zu Gewaltanwendung im Kontext mit einem Herausfallen aus dem psychiatrischen Versorgungssystem, mit medikamentöser Noncompliance und mit Alkohol- und Drogenmissbrauch [3] [4]. Also, jeweils in Verbindung mit Faktoren, die wir Psychiater beeinflussen könnten und die eigentlich in unseren Verantwortungsbereich fallen. Das „Herausfallen” der Patienten aus dem Versorgungssystem wird jedoch häufig gar nicht registriert und löst viel zu selten wirksame Gegenmaßnahmen aus. Unser überwiegend auf „Komm”-Strukturen aufgebautes ambulantes Versorgungssystem belohnt nachgehende Maßnahmen so unzureichend, dass sie kaum angeboten werden. Eskaliert die Situation, wird die Polizei alarmiert und dieser bleibt dann meist nichts anderes übrig, als die Patienten in eine Klinik einzuweisen. Die Polizeibeamten werden letztlich gerufen, weil unser psychiatrisches Versorgungssystem im Vorfeld versagt hat.

Wie häufig Polizisten zu psychisch erkrankten Menschen gerufen werden, zeigen aktuelle Zahlen aus den Einsatzstatistiken. Allein im Raum München kam es 2004 zu über 3500 Polizeieinsätzen im Zusammenhang mit psychisch Kranken, 1167 davon führten zu stationären Einweisungen gegen den Willen der Patienten. Alle Beteiligten wünschen sich natürlich, dass die Polizisten solche Einsätze kompetent und einfühlsam durchführen. Die Beamten selbst fühlen sich aber hierauf oft nicht optimal vorbereitet oder häufig „fehl am Platz” und wünschen sich mehr Unterstützung von psychiatrischer Seite [5] [6] [7] [8].

Polizeibeamte stellen deshalb eine wichtige Zielgruppe für Aufklärungs- und Anti-Stigma-Aktivitäten dar. Sie haben häufig Kontakt mit psychisch erkrankten Menschen [1] [4] [8] [9] [10] [11] [12], zu denen sie meist dann gerufen werden, wenn die Situation bereits eskaliert ist. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass Polizeibeamte eine negative Einstellung gegenüber psychisch Erkrankten [13] haben, die sie als „unberechenbar” einschätzen [13] und von denen sie häufig gewalttätiges und abnormes Verhalten erwarten [2] [10]. Manche Autoren beschrieben das Verhalten von jungen Beamten gegenüber psychisch Erkrankten sogar als „grob” [6]. Trotz dieser häufigen und problematischen Kontakte mit psychisch Kranken, werden Polizeibeamte im Rahmen ihrer Ausbildung auf solche Begegnungen kaum vorbereitet [1] [4] [12] [14]. Derzeit finden im deutschsprachigen Raum zwar sporadisch Vortragsveranstaltungen für Polizisten zum Thema „Psychische Krankheiten” statt, jedoch gab es bislang noch keine systematischen Ausbildungsprogramme, in denen Polizisten auf den Umgang mit psychisch Kranken vorbereitet werden.

Um diese Situation zu verbessern wurde in den Jahren 2001 und 2002 von der Anti-Stigma-Organisation „BASTA - dem Bündnis für psychisch erkrankte Menschen”, ein trialogisches Seminar zur Ergänzung der Polizeiausbildung entwickelt. In Zusammenarbeit mit Betroffenen und Angehörigen, die in der Vergangenheit persönliche Erfahrungen mit der Polizei gemacht hatten, wurden Unterrichtseinheiten zum Thema „Umgang mit sozial diskriminierten Minderheiten” an der Beamtenfachhochschule Fürstenfeldbruck bei München eingerichtet. Durch das Seminar und den persönlichen Kontakt mit der trialogischen Arbeitsgruppe sollen Berührungsängste der Polizeibeamten gegenüber Betroffenen und Angehörigen abgebaut werden. Das Seminar gliedert sich in drei Unterrichtseinheiten. In der ersten Seminareinheit stehen persönliche Erlebnisberichte der Betroffenen und Angehörigen über ihre Erfahrungen mit Polizeibeamten im Zentrum. Im zweiten Unterrichtsabschnitt wird die Klasse in Kleingruppen eingeteilt und die Beamten beschäftigen sich mit dem persönlichen (subjektiven) Erfahrungsbericht eines Betroffenen, der seinen Polizeikontakt beschreibt. Die Aufgabe der Polizisten besteht darin, Verbesserungsvorschläge zu sammeln, mit denen die beschriebene Situation einen positiveren Verlauf nehmen hätte können. Zum Schluss werden Schwierigkeiten, die im Kontakt zwischen Betroffenen, Angehörigen und Polizisten auftreten, ausführlich diskutiert, wobei ausgewählte Themen zur Sprache kommen (verschiedene Krankheitsbilder, Vulnerabilitäts-Stress-Bewältigungs-Modell, Dopaminhypothese, Frühwarnzeichen/Krisenplan, medikamentöse Therapieoptionen, Rückfallprophylaxe, Psycho- und Soziotherapie).

Im Rahmen dieses Projekts wurde allen Beteiligten deutlich, dass die Defizite unseres psychiatrischen Versorgungssystems für viele Polizeieinsätze mitverantwortlich sind. Es wurde klar, dass für „unnötige” Gewaltanwendungen niemand einseitig verantwortlich ist. Die im Rahmen dieses Polizeiprojektes erfolgende persönliche Begegnung zwischen Polizeibeamten, Betroffenen, Angehörigen und Psychiatrieprofis war für alle Beteiligten sehr hilfreich. So erwies sich beispielsweise die große Kompetenz der Polizisten beim Thema „Deeskalationsstrategien” als informativ und lehrreich für die beteiligten Referenten. Offensichtlich wurde auch, dass ein gut funktionierendes sozialpsychiatrisches Versorgungssystem, in dem präventive Maßnahmen niederschwellig und nachgehend angeboten werden, viele Polizeieinsätze verhindern könnte. Wie so etwas trotz aller Sparmaßnahmen finanziert werden kann, zeigen u. a. neuere Modelle zur integrierten Versorgung psychiatrischer Patienten [15].

Vielleicht schaffen wir es ja eines Tages, unser Versorgungssystem so gut auf eine wirksame Prävention auszurichten, dass Polizeieinsätze bei psychisch Erkrankten zur Seltenheit werden. Nicht nur aus Anti-Stigma-Sicht wäre dies wünschenswert. Bis es aber soweit ist, sollten Projekte für Polizeibeamte [1] [8] [ 13] [16] [17] [18] [19] unterstützt werden, die dazu beitragen, dass Begegnungen zwischen Polizisten und Betroffenen so einfühlsam und situationsgerecht wie möglich verlaufen. Für interessierte Anti-Stigma-Gruppen, die Polizeiprojekte in einem anderen Bundesland anbieten wollen, sind Materialien und Erfahrungsberichte über die angegebene Kontaktadresse erhältlich.

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Literatur

  • 1 Pinfold V, Huxley P, Thornicroft G, Farmer P, Toulmin H, Graham T. Reducing psychiatric stigma and discrimination - evaluating an educational intervention with the police force in England.  Soc Psychiatry Psychiatr Epidemiol. 2003;  38 337-344
  • 2 Watson A C, Corrigan P W, Ottati V. Police officers' attitudes toward and decisions about persons with mental illness.  Psychiatr Serv. 2004;  55 (1) 49-53
  • 3 Haller R, Kemmler G, Kocsis E, Maetzler W, Prunlechner R, Hinterhuber H. Schizophrenie und Gewalttätigkeit.  Nervenarzt. 2001;  72 859-866
  • 4 Cotton D. The attitudes of Canadian police officers toward the mentally ill.  Int J Law Psychiatry. 2004;  27 135-146
  • 5 Fry A J, O'Riordan D P, Geanellos R. Social Control agents or front-line carers for people with mental health problems: police and mental health services in Sydney, Australia.  Health Soc Care Community. 2002;  10 (4) 277-286
  • 6 Gillig P M, Dumaine M, Stammer J W, Hillard J R, Grubb P. What do police officers really want from the mental health system?.  Hosp Community Psychiatry. 1990;  41 663-665
  • 7 Dew K, Badger S. Police perceptions of the mental health services and the mentally ill.  N Z Med J. 1999;  112 36-38
  • 8 Lamb H R, Weinberger L E, DeCuir W J. The police and Mental Health.  Psychiatr Serv. 2002;  53 (10) 1266-1271
  • 9 Whittington H G. The Police: Ally or Enemy of the Comprehensive Community Mental Health Center?.  Ment Hyg. 1971;  55 (1) 55-59
  • 10 Kimhi R, Barak Y, Gutman J, Melamed Y, Zohar M, Barak I. Police attitudes toward mental illness and psychiatric patients in Israel.  J Am Acad Psychiatry Law. 1998;  26 (4) 625-630
  • 11 Carey S. Police officers' knowledge of, and attitudes towards, mental illness in Southern Scotland.  Scott Med J. 2001;  46 041-042
  • 12 Patch P C, Arrigo B A. Police officer attitudes and use of discretion in situations involving the mentally ill. The need to narrow the focus.  Int J Law Psychiatry. 1999;  22 23-35
  • 13 Godschalx S M. Effect of a mental health educational program upon police officers.  Res Nurs Health. 1984;  7 111-117
  • 14 Deane M W, Steadman H J, Borum R, Veysey B M, Morrissey J P. Emerging partnerships between mental health and law enforcement.  Psychiatr Serv. 1999;  50 99-101
  • 15 Kissling W, Seemann U, Fritze J. Integrierte Versorgung.  Neurotransmitter. 2004;  10 31-35
  • 16 Teese C F, Vanwormer J. Mental-Health Training and Consultation with Suburban Police.  Community Mental Health Journal. 1975;  11 115-121
  • 17 Janus S S, Bess B E, Cadden J J, Greenwald H. Training police officers to distinguish mental illness.  Am J Psychiatry. 1980;  137 228-229
  • 18 Cochran S. Improving police response to mentally ill people.  Psychiatr Serv. 2000;  10 1315
  • 19 Borum R, Deane M W, Steadman H J, Morrissey J. Police Perspectives on responding to mentally ill people in crisis: Perceptions of program effectiveness.  Behav Sci Law. 1998;  16 393-405

Dr. med. Kerstin Wundsam

Klinikum für Psychiatrie und Psychotherapie der Technischen Universität München

Möhlstraße 26

81675 München

Email: kerstin.wundsam@lrz.tum.de

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Literatur

  • 1 Pinfold V, Huxley P, Thornicroft G, Farmer P, Toulmin H, Graham T. Reducing psychiatric stigma and discrimination - evaluating an educational intervention with the police force in England.  Soc Psychiatry Psychiatr Epidemiol. 2003;  38 337-344
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Dr. med. Kerstin Wundsam

Klinikum für Psychiatrie und Psychotherapie der Technischen Universität München

Möhlstraße 26

81675 München

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