Die Androgendeprivations-Therapie wird seit über 15 Jahren in steigendem Maße bei
Patienten mit Prostatakarzinom angewandt. Nicht immer bedingt sie einen Überlebensvorteil.
Die Androgendeprivations-Therapie ist mit einem Verlust der Knochenmineraldichte assoziiert.
Ob unter der Therapie auch das Frakturrisiko ansteigt, ist unklar.
Shahinian et al. prüften nun, ob Prostatakarzinom-Patienten, die sich innerhalb von
12 Monaten nach Diagnosestellung einer Orchidektomie bzw. einer Therapie mit einem
"Gonadotropin-Releasing- Hormon-(GnRH-)Agonisten" unterzogen, ein höheres Frakturrisiko
haben als die ohne Androgendeprivationstherapie (NEJM 2005; 352: 154-164).
Sie werteten die Daten von > 50 000 Patienten aus, bei denen zwischen 1992-1997 ein
Prostatakarzinom diagnostiziert worden war. Alle Patienten waren ≥ 66 Jahre alt und
überlebten mindestens 5 Jahre. Quellen waren die Datenbanken "National Cancer Institute`s
Surveillance, Epidemiology, and End Results" und "Medicare".
Die Studie zeigt, dass unter Androgenentzugstherapie wesentlich mehr Patienten eine
Fraktur erlitten (19,4 %) bzw. aufgrund einer Fraktur hospitalisiert wurden (5,2 %)
als in der Kontrollgruppe (12,6 bzw. 2,4 %). Mit der Anzahl der verabreichten GnRH-Agonist-Dosen
stieg das relative Frakturrisiko an und war bei orchidektomierten Patienten am höchsten:
so betrug es bei Å 9 GnRH-Agonist-Dosen 1,45 und nach Orchidektomie 1,54. Das relative
Risiko für eine Fraktur-bedingte Hospitalisierung lag in diesen Patientengruppen bei
1,66 bzw. 1,7.
Dreidimensionale Spongiosastruktur: Das Frakturrisiko ist erhöht (Bild: Osteoporose, Thieme, 1992).
Fazit
Die Autoren betonen, dass eine Androgendeprivation bei Patienten mit Prostatakarzinom
das Frakturrisiko erhöht. Sie fordern eine prominente Rolle des Frakturrisikos und
anderer toxischer Effekte im Arzt-Patienten-Gespräch, insbesondere wenn die Effektivität
dieser Therapie unsicher ist. Darüber hinaus fordern sie große prospektive Studien
zu Interventionen, die das Frakturrisiko senken können, wie etwa eine Bisphosphonat-Therapie.
Ines Schulz-Hanke, Untermeitingen
Erster Kommentar
Studien zur Prophylaxe von Frakturen durch Bisphosphonat-Therapie müssen her!
Die Autoren prüfen in der vorliegenden Studie, ob Patienten mit einem Prostatakarzinom,
die einen Androgenentzug erhielten, einem erhöhten Frakturrisiko ausgesetzt sind.
Es handelt sich um eine außerordentlich umfangreiche Untersuchung, die sich auf Daten
von mehr als 50 000 aus den Datenbanken des Surveillance-, Epidemiologie-and-End-Results-
(SEER)-Programms und der Medicare stützt. Es wurden Patienten untersucht, deren Prostatakarzinom
in den Jahren 1992 bis 1997 diagnostiziert wurde. Die Autoren fanden ein signifikant
erhöhtes Frakturrisiko bei Patienten, die sich wegen eines Prostatakarzinoms einer
Hormonentzugstherapie (bilaterale Orchiektomie oder LHRH-Analoga-Therapie) unterzogen.
Es ist ein deutlicher Dosis-Wirkungs-Zusammenhang zu verzeichnen, das höchste Risiko
hatten Patienten nach bilateraler Orchiektomie, während eine kurzzeitige LHRH-Analoga-Therapie
nur einen vernachlässigbaren Einfluss zu haben schien. Die Ergebnisse der Untersuchung
verdeutlichen die Notwendigkeit einer kritischen Indikationsstellung für eine langdauernde
Androgenentzugsbehandlung. Stets sollte geprüft werden, ob Alternativen wie eine verzögerte
Therapie, eine intermittierende Therapie oder eine orale antiandrogene Therapie infrage
kommen. Die Autoren betonen, dass Studien zur Prophylaxe von Frakturen durch den Einsatz
von Bisphosphonaten bei Patienten mit klarer Indikation zu einer Hormonentzugstherapie
erforderlich sind. Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen. Keinesfalls sollte eine unkritische
Indikationsstellung zur Hormontherapie durch eine ebenso unkritische Gabe von Bisphosphonaten
kompensiert werden, da bei unzureichender Studienlage durch ein solches Vorgehen zunächst
nur Kosten und Nebenwirkungen sicher zu erwarten sind.
Prof. Manfred Wirth, Dr. Michael Fröhner, Dresden
Zweiter Kommentar
M. Bögemann
Deutlicher auf die Risiken der bisweilen als "harmlos" geltenden Therapie hinweisen!
Zurzeit stellt das Prostatakarzinom das häufigste Karzinom des Mannes dar. In den
USA liegt die Inzidenz derzeit bei 220 000 Männern pro Jahr, mit steigender Tendenz.
Neben der radikalen Prostatektomie und der Radiatio als Therapien mit kurativem Ansatz
kommt die Androgenentzugstherapie nicht nur bei metastasierten Stadien, sondern zunehmend
auch bei lokal begrenztem Tumorwachstum und PSA-Wiederanstieg nach radikaler Prostatektomie
zum Einsatz. Zu diesem Zeitpunkt sind die Patienten - wenn überhaupt - nur minimal
symptomatisch und eine Überlebenszeitverlängerung konnte für diese Therapie bislang
nicht gezeigt werden.
Als Nebenwirkung einer Hormondeprivation ist der Verlust der Mineralsalzdichte des
Knochens und die entsprechende Ausbildung einer Osteopenie oder Osteoporose bekannt.
Nicht oder nur in kleinen, wenig repräsentativen Studien wurde bislang der Einfluss
des Hormonentzugs auf die Häufigkeit des Auftretens von Frakturen untersucht.
Zur Verbesserung der Einschätzung der Nebenwirkungen einer hormonablativen Therapie
bei anfänglich symptomarmen Patienten führten Shahinian et al. eine retrospektive
Studie mit den Daten von über 50 000 Männern, die zwischen 1992 und 1997 neu an einem
Prostatakarzinom erkrankten, durch. Einschlusskriterien waren ein Alter > 66 Jahre,
ein histologisch nachgewiesenes Prostatakarzinom, mindestens eine einmalige Gabe von
GnRH-Agonisten oder eine Orchiektomie innerhalb von 6 Monaten nach Diagnosestellung.
Diese Patienten wurden mit solchen verglichen, die keine Hormonablation-Therapie erhalten
hatten. Die primären Endpunkte waren das Auftreten einer Fraktur und einer Fraktur,
die zu einer Hospitalisierung führte.
Im Wesentlichen konnte die Studie zeigen, dass es beim Einsatz einer Hormonentzugstherapie
bei 19,4% der Patienten zu einer Fraktur kommt, verglichen mit nur 12,6% der Patienten
ohne hormonablative Therapie (p < 0,001). Zur Hospitalisierung führende Frakturen
ereignen sich den Autoren zufolge bei 5,2 bzw. 2,4% dieser Patienten.
Entgegen der Vermutung, dass sich die Fälle mit Frakturen vor allen Dingen bei denjenigen
Patienten mit fortgeschrittener Metastasierung ereignen, konnten die Autoren in einer
Subanalyse zeigen, dass das Frakturrisiko auch nach Herausrechnen der metastasierten
Fälle bestehen bleibt. So zeigte sich bei diesen nicht metastasierten Patienten weiterhin
ein zur Hospitalisierung führendes Frakturrisiko bei 4,9% der hormonablativ behandelten
Patienten, verglichen mit 2,2% der Patienten ohne Hormonentzug (p < 0,001).
Interessant ist die Tatsache, dass es einen Dosis-Wirkung-Zusammenhang zwischen Dauer
des Hormonentzugs und der Frakturrate zu geben scheint. Bei 1-4 Dosen eines GnRH-Analogons
innerhalb eines Jahres nach Diagnose entspricht die Frakturrate derjenigen von Patienten
ohne Hormonentzug. Bei größer als 9 Dosen und insbesondere auch nach Orchiektomie
ist das Frakturrisiko jedoch um den Faktor 1,7 erhöht. Die Autoren geben zwar an,
dass sich dieses Verhältnis auch für einen 24 monatigen Zeitraum bestätige, Zahlen
hierzu werden aber nicht präsentiert. Mit zunehmendem Ausgangsalter nimmt das relative
Risiko für eine erhöhte Frakturwahrscheinlichkeit zwar ab, bleibt aber auch für über
80-jährige Männer signifikant erhöht. Besorgniserregend ist die Frakturrate von 19,4%
vor allem vor dem Hintergrund, dass ihr nur ein Jahr Androgenentzug zugrunde liegt.
Eine längere Therapiezeit könnte die Frakturrate noch steigern, hierzu fehlen allerdings
die Zahlen.
Auch aus volkswirtschaftlicher Sicht scheint die erhöhte Frakturrate unter hormonablativer
Therapie bedeutsam zu sein. So wird berechnet, dass es in den USA bei 220 000 Neuerkrankungen
pro Jahr, bei einem Anteil von 40% hormontherapierter Patienten, zu jährlich 3000
zusätzlichen Frakturen kommt, die dieser Therapie zuzuschreiben sind.
Die Stärke der vorliegenden Studie ist sicherlich, dass sich die signifikante Beziehung
zwischen Hormonentzug und erhöhter Frakturwahrscheinlichkeit auch bestätigte, wenn
die Statistik für bekannte Störfaktoren, wie z.B. die häufigere GnRH-Gabe mit zunehmendem
Alter (das per se eine erhöhte Frakturgefahr mit sich bringt) oder auch bei fortgeschritteneren
Tumoren mit höherem Grading, korrigiert wurde. Das gleiche Ergebnis zeigte sich bei
Vorbestehen von anderen Knochenerkrankungen.
Ein wesentlicher Kritikpunkt der Studie ist allerdings, daß auch pathologische Frakturen
in die Frakturzählung mit aufgenommen wurden. Gerade bei ossären Metastasen werden
gehäuft antiandrogene Substanzen eingesetzt. Die Autoren entgegnen, dass nur 7-16
% der Frakturen metastasenbedingt waren. Für die These der Autoren spricht diesbezüglich
die Tatsache, dass auch bei T1-T3-Tumoren mit niedrigem Grading Frakturen signifikant
gehäuft unter Hormonentzug auftreten.
Die Schlussfolgerung der Autoren, dass die Indikation für eine Therapie mit GnRH-Analoga
und besonders auch mit Orchiektomie vor dem Hintergrund dieser Studienergebnisse enger
gestellt werden sollte, ist angebracht und insbesondere für jüngere Männer, die den
genannten Risiken länger ausgesetzt sind, zutreffend. Zukünftig sollte in den Aufklärungen
vor Beginn einer Therapie eindeutiger auf die Risiken dieser bisweilen als "harmlos"
geltenden Therapie hingewiesen werden. Auch die Möglichkeit zur Substitution von Kalzium
und Vitamin D sollte für diese Patienten therapeutisch genutzt werden.
Die Forderung nach Studien zur Überprüfung der Wirksamkeit und Kosteneffektivität
von Bisphosphonaten, mit denen parallel zum Hormonentzug zur Reduktion des Frakturrisikos
therapiert werden kann, ist vor dem Hintergrund dieser Studie besonders gerechtfertigt.
Dr. Martin Bögemann, Münster