Der Klinikarzt 2005; 34(8/09): XXIII
DOI: 10.1055/s-2005-917949
Im Gespräch

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Steigende Resistenzentwicklung - Ein neues Breitspektrum-Antibiotikum geht an den Start

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Publication Date:
05 October 2005 (online)

 
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    Hanns-Peter Knaebel

    Der unsachgemäße Gebrauch von Antibiotika ist die vorrangige Ursache, warum der Anteil an resistenten Bakterienstämmen exponentiell ansteigt. Konträr hierzu ist die Entwicklung auf dem Antibiotikamarkt: Immer weniger antimikrobielle Therapeutika werden zur Marktreife gebracht. Eine neue Substanz, die in absehbarer Zeit zur Verfügung stehen wird, ist Tigecyclin, ein Breitspektrum-Antibiotikum aus der neuen Substanzklasse der Glycylcycline. Wir fragten Herrn Dr. H.-P. Knaebel, Chirurgische Universitätsklinik Heidelberg, welche Erwartungen er an dieses neue Antibiotikum stellt.

    klinikarzt: Tigecyclin steht kurz vor der Einführung auf den Markt. Warum brauchen wir zum Beispiel in der Chirurgie ein neues Antibiotikum?

    Dr. H.-P. Knaebel: Auf den ersten Blick betrachtet, scheint bereits ein ansehnliches Arsenal an Antibiotika vorhanden zu sein. Die klinische Situation - unter anderem auch in der Chirurgie - sieht leider anders aus: Ein inadäquater Einsatz der Antiinfektiva ist partielle Ursache steigender Resistenzraten, insbesondere auch bei den multiresistenten Erregern. Diese Konstellation erfordert die Entwicklung potenter Antibiotika, die auch bei solch problematischen Keimspektren zuverlässig wirken.

    Zudem wirft die weltweite Entwicklung des Resistenzspektrums immer wieder die Fragen nach dem richtigen Einsatz von Antibiotika auf. Sicher sollte die Therapie adäquat dosiert, ausreichend lang und auf den Erreger fokussiert sein. Allerdings zwingt die klinische Situation den Chirurgen häufig zum antibiotischen Handeln, auch wenn ein Erreger mit entsprechendem Antibiogramm (noch) nicht bekannt ist. Dann muss eine empirische Therapie erfolgen - auch wenn Infektiologen dies nicht befürworten -, was am effektivsten mit Antibiotika mit breitem Spektrum gelingt.

    klinikarzt: Aus chirurgischer Sicht - welche Anforderungen stellen Sie an ein neues Antibiotikum?

    Knaebel: Ein Antibiotikum sollte in erster Linie die chirurgische Therapie wirkungsvoll unterstützen. Gleichzeitig ist aber das erwähnte breite Spektrum wichtig, denn bei bestimmten Erkrankungen - wie zum Beispiel der Hohlorganperforation mit sekundärer Peritonitis - ist das Keimspektrum sehr variabel.

    In den letzten Jahren hat sich zudem auch der chirurgische Therapiestandard bei der sekundären Peritonitis verändert: Wo früher über Etappenlavagen eine schrittweise Herdsanierung angestrebt wurde, erfolgt heute ein singulärer operativer Eingriff mit gegebenenfalls geschlossener Lavage und Antibiose als Sanierungsmaßnahme. Antibiotika haben somit eine Schlüsselrolle in der Behandlung der residualen mikroskopischen bakteriellen Kontamination. Berücksichtigen sollte man auch, dass Monotherapien sicherlich die wenigsten Fehlermöglichkeiten implizieren. Daher ist ein potentes Antibiotikum, welches keine Kombination erfordert, aus chirurgischer Sicht sicher attraktiv.

    klinikarzt: Herr Dr. Knaebel, Sie waren als Prüfarzt an den Studien zu Tigecyclin beteiligt. In welchen Indikationen wurde die Substanz hier eingesetzt und in welchen anderen Indikationen wird sie sich ihrer Erwartung nach in Zukunft etablieren?

    Knaebel: An den großen multizentrischen, randomisierten Studien mit Tigecyclin haben Patienten mit komplizierten intraabdominellen und komplizierten Haut- und Weichteilinfektionen teilgenommen. Die Vergleichssubstanzen waren Imipenem-Cilastatin und Vancomycin/Atzreonam. Die ersten Ergebnisse zeigen, dass Tigecyclin ebenso effektiv wie der aktuelle therapeutische Goldstandard war.

    Der initiale Fokus des klinischen Einsatzes wird auf den schweren Infektionen in den beiden genannten Indikationen liegen. Aufgrund der biliären Exkretion von Tigecyclin sehe ich für die Zukunft auch die Infektion der ableitenden Gallenwege und der Gallenblase als weiteres potenzielles Einsatzgebiet.

    klinikarzt: Welche Patienten profitieren besonders von einer Therapie mit Tigecyclin?

    Knaebel: Die Substanz ist wohl insbesondere bei Patienten mit einer sehr schweren Infektion zur Therapie in den bereits genannten Indikationsbereichen effektiv. Zudem ist die sehr gute Potenz von Tigecyclin gegen multiresistente Erreger eine wichtige Ergänzung des Indikationsspektrums.

    klinikarzt: Die erwähnten klinischen Studien waren natürlich verblindet. Konnten Sie trotzdem schon persönliche Erfahrungen mit Tigecyclin sammeln?

    Knaebel: Aus unserer Sicht hat Tigecyclin seine hohe Potenz in den Studien bewiesen. Jetzt wird man weitere klinische Erfahrungen hinsichtlich des Nebenwirkungsprofils sammeln müssen. Wir haben bisher Übelkeit und Brechreiz beobachtet, was allerdings bei keinem unserer Patienten zum Therapieabbruch geführt hat. Man sollte sich jedoch auch stets vor Augen führen, dass es kein potentes Arzneimittel ohne eine Nebenwirkung gibt. Aktuell bin ich davon überzeugt, dass Tigecyclin als potentes Antibiotikum seinen berechtigten Platz in der Therapie von schweren Infektionen finden wird.

    Herr Dr. Knaebel, wir danken Ihnen für dieses Gespräch!

     
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    Hanns-Peter Knaebel