Verbrennungen der Haut entstehen durch thermische, chemisch-physikalische oder elektrische
Einflüsse. Die meisten Verbrennungen sind Bagatellverletzungen. Sie sind im notfallmedizinischen
Krankengut daher mit einem Anteil von zirka 1 % aller Einsätze vergleichsweise selten
[38 ]. Verbrennungen entstehen sowohl in Haushalt und Freizeit als auch im beruflichen
Umfeld, wobei die Verteilung entsprechend dem Einzugsgebiet der versorgenden Klinik
unterschiedlich ist. Die konsequente Aufklärung über Verletzungsgefahren und die Umsetzung
protektiver Maßnahmen am Arbeitsplatz - hier ereignen sich etwa 25 % aller schweren
Verbrennungen - und zu Hause führte zu einem deutlichen Rückgang schwerer Verbrennungen
[2 ]
[12 ].
Da Brandverletzungen relativ selten sind, haben Notfallmediziner oft nicht die Chance,
Routine im Umgang mit derartigen Verletzungen und ihren erheblichen, häufig lebensbedrohlichen
systemischen Auswirkungen zu entwickeln. Deshalb folgt die Behandlung heute einem
klar gegliederten Konzept, das die präklinische und klinische Behandlung von Brandopfern
verbessern soll.
Die Prognose brandverletzter Patienten hat sich langfristig durch kontinuierliche
intensivmedizinische Fortschritte, wie zum Beispiel verlaufsadaptierte Infusionstherapien,
potente Antibiotika, moderne Beatmungsregime und die „frühe Nekrektomie”, deutlich
verbessert [2 ]
[12 ]. Jedoch konnte auch der rasche Wissenszuwachs der letzten zehn Jahre auf dem Gebiet
der Immunologie und Mikrobiologie bislang nicht entscheidend zur Erhöhung der immer
noch unbefriedigenden Überlebenswahrscheinlichkeit beitragen. Zum großen Teil beruht
diese auf einem Multiorganversagen (MOV) bei generalisierter Sepsis [2 ]
[19 ].
Unabhängig von der Verletzungsgenese wird im weiteren Verlauf allgemein vom „Brandverletzten”
gesprochen, da sich die notfallmedizinische Behandlung bei den unterschiedlichen Noxen
in den Grundzügen ähnelt. Für die Spezialfälle der chemischen (Verätzungen) oder dermatologischen
Notfälle (akute Epidermolysen) muss die Behandlung entsprechend angepasst werden.
Rettung und Lagerung
Rettung und Lagerung
Da die unterschiedlichsten Ursachen zur Schädigung der Haut führen können, ist es
gerade am Unfallort wichtig, möglichst viele Informationen über Unfallhergang, -zeitpunkt
sowie das Umfeld und die Vorerkrankungen des Patienten zu sammeln (Angehörige, Hausarzt,
Polizei). Dies liefert im Hinblick auf die spätere Behandlung entscheidende Detailinformationen.
Bei der Rettung eines brandverletzten Patienten muss in besonderem Maße auf den Selbstschutz
geachtet werden (Stromunfälle!), wobei technische Hilfsorganisationen wie Feuerwehr
und Technisches Hilfswerk Hilfe leisten können. Bei Großschadensereignissen oder in
Situationen, bei denen mehrere Personen Brandverletzungen erleiden, kann eine Akut-
und Transporttriage erforderlich sein [39 ].
Direkt nach Eintritt des Verbrennungstraumas wird eine kurzzeitige, lokale Therapie
mit Leitungswasser (10-20°C) oder feuchtkalten Tüchern ausgeführt. Dies dient ausschließlich
der schnellen Schmerzlinderung und bei festklebenden Materialien der Senkung der lokalen
Oberflächentemperatur unter die Grenze der Hitzeschädigung von etwa 50°C [3 ]
[12 ]. Sind bei Verbrennungen mehr als 20 % der Körperoberfläche betroffen, wird diese
Maßnahme wegen der Unterkühlungsgefahr nicht empfohlen - vielmehr ist dann der Wärmeerhalt
des Patienten mithilfe einer Wärmeschutzfolie erforderlich [24 ]. Die verbrannten Oberflächen werden vor Ort steril verbunden (z.B. Metalline®-Folien),
Salbenverbände (Flammazine®) finden präklinisch keinen Einsatz.
Die Lagerung richtet sich nach den Begleitverletzungen und gegebenenfalls den Vorerkrankungen.
Der Transport erfolgt idealerweise umgehend per Rettungswagen oder Rettungshubschrauber
in ein Verbrennungszentrum. Die Kriterien zur Einweisung des Patienten in ein Brandverletztenzentrum
orientieren sich an [Tabelle 1 ], wobei in Deutschland die zuständige Rettungsleitstelle die regionale Verteilung
der Patienten koordiniert. Auf überregionaler Ebene übernimmt die Bettenverteilungszentrale
der Feuerwehr Hamburg (Tel.: 040/42851-3998; Fax: 040/42851-4269), die auch die Sekundärtransporte
organisiert, diese Aufgabe [10 ].
Stabilisierung von Atmung und Kreislauf
Stabilisierung von Atmung und Kreislauf
Die Stabilisierung der Vitalparameter antizipiert den Flüssigkeitsbedarf [16 ]
[21 ] und das zu erwartende lokale und generalisierte Ödem. Beide Faktoren sind auch für
ein adäquates, so genanntes „airway management” wichtig. Die Entscheidung für oder
gegen eine Intubation wird anhand des klinischen Gesamtbildes, des zu erwartenden
Transportes (Dauer, Transportmittel) sowie der Weiterbehandlung sorgfältig abgewogen:
Schwere Begleit- oder Mehrfachverletzungen, ein schwerer Schock und eine Vigilanz
von unter acht Punkten in der Glasgow Coma Scale (GCS) zwingen meist zu frühzeitiger
Intubation. Auch bei Verbrennungen mit mehr als 40 % verbrannter Körperoberfläche
(VKOF), die mit einer Beteiligung des Gesichtes einhergehen, Dyspnoe oder Hinweisen
auf ein Inhalationstrauma (IHT) durch direkte thermische Einflüsse, Rauch, Reizgase
oder toxische Substanzen muss die Indikation zur Intubation rechtzeitig gestellt werden.
Ist erst eine laryngeale Schwellung eingetreten, ist die Intubation nicht mehr möglich,
und es muss schließlich eine Notfalltracheotomie durchgeführt werden [2 ].
Der Hinweis auf ein Inhalationstrauma allein ist keine Indikation für eine Beatmung.
Sowohl eine standardmäßige, „prophylaktische” Intubation als auch die Gabe von systemischen,
inhalativen oder lokalen Kortikoiden sollte vermieden werden. Eine Sauerstoffinsufflation
mithilfe einer Sauerstoffmaske ist bei Verbrennungen mit mehr als 10 % verbrannter
Körperoberfläche generell zu empfehlen. Tritt eine Bronchospastik auf, kann mit lokalen
oder systemischen Bronchodilatatoren therapiert werden (Theophyllin, Beta-2-Sympathomimetika).
Theophyllin unterstützt zusätzlich die mukoziliäre Clearance [2 ]
[10 ]
[20 ]
[28 ]
[30 ].
Ein Volumenmangelschock tritt bei Erwachsenen ab etwa 15, bei Kindern ab etwa 10 %
verbrannter Körperoberfläche ein, weswegen zwei großlumige, periphervenöse Zugänge
gelegt und umgehend mit einer protokollierten Flüssigkeitstherapie mit Elektrolytlösungen
begonnen werden sollte [16 ]
[21 ]. Arterielle und venöse Zugänge werden hierbei nach Möglichkeit nicht durch geschädigte
Oberflächen gelegt [2 ]
[12 ].
Die Flüssigkeitstherapie sollte mit Elektrolytlösungen (z.B. Ringer-Laktat) nach den
üblichen Formeln (z.B. 4 ml/kgKG pro % VKOF/24h) eingeleitet [16 ]
[21 ] und protokolliert werden. Dabei findet eine erste Einschätzung der verletzten Körperoberfläche
(VKOF) für Erwachsene und Jugendliche mit der jeweiligen „Neuner-Regel” nach Wallace
oder der „Handflächenregel” (Handfläche des Patienten entspricht etwa 1 % VKOF) statt,
während die Verbrennungstiefe am Unfallort nur orientierend eingeschätzt wird. Für
Kleinkinder und Säuglinge gilt aufgrund der unterschiedlichen Proportionen im Vergleich
zu Erwachsenen eine andere Einteilung [Abb. 1 ] [2 ]
[12 ]. Vor allem bei kleinen und mittleren Verbrennungen sowie bei Kindern sollte unbedingt
darauf geachtet werden, die Patienten nicht mit Flüssigkeit zu überladen.
Analgosedierung
Analgosedierung
Die medikamentöse Therapie beschränkt sich bei isolierten Brandverletzungen in der
präklinischen Phase auf eine adäquate Analgesie und mögliche Sedierung vor allem bei
den sehr schmerzhaften epidermalen und oberflächlich dermalen Läsionen. Gewichts-
und wirkungsadaptiert kommen sowohl in der Rettungssituation als auch auf der Intensivstation
Präparate wie Morphin, Piritramid oder Ketamin S sowie stärkere Opioide (z.B. Fentanyl)
zum Einsatz [2 ]
[12 ]
[17 ]
[27 ]. Intramuskuläre oder subkutane Injektionen (außer einer Tetanusschutzimpfung) sind
kontraindiziert, da deren Pharmakodynamik bei den massiven Änderungen der Volumen-
und Kreislaufsituation nicht vorherzusehen ist. Indikationen für Antibiotika bestehen
in der Akutphase nicht [3 ]
[11 ]
[25 ]
[32 ].
Patientenaufnahme
Patientenaufnahme
Nicht nur aus logistischen Gründen, sondern auch wegen der besonderen Anforderungen
an die Behandlung Brandverletzter ist das moderne Verbrennungszentrum baulich isoliert
von den übrigen Krankenhausräumlichkeiten und verfügt über einen eigenen Operationstrakt.
Die Umsetzung strenger Hygienestandards ist eine der Grundvoraussetzungen zur Prophylaxe
septischer Krankheitsverläufe [2 ].
Da die Auskühlung eines Brandverletzten am Unfallort und beim Transport oft beträchtlich
ist, findet die Aufnahme in ein Verbrennungszentrum in einem geheizten Raum (35-40°C)
statt. Die frühzeitige Kommunikation zwischen Notarzt und aufnehmendem Arzt ermöglicht
die rechtzeitige Information begleitender Fachdisziplinen wie Anästhesie, Unfallchirurgie,
Neurochirurgie und Augenheilkunde sowie zum Beispiel bei Chemieunfällen die Veranlassung
spezieller Schutzmaßnahmen für das Personal [Tab. 2 ]. Die Aufnahme erfolgt - standardisiert nach einem Schockraumprotokoll - umfassend
und zügig durch ein Team von vier bis fünf Personen im Schockraum: Neben dem Aufnahmearzt
gehören hierzu Fachschwester/-pfleger, Anästhesist, Anästhesieschwester/-pfleger und
ein „Springer” [Tab. 3 ] [10 ].
Die gebräuchlichsten Scores zur Einschätzung der Prognose sind der „Abreviated Burn
Severity Index” (ABSI) und der Baux-Score (Alter + VKOF %), wobei in den großen Zentren
heute zusätzlich prognoseverschlechternde Faktoren wie etwa Alkohol- und Nikotinabusus
sowie vorbestehende internistische Erkrankungen in die Beurteilung mit einfließen
[Tab. 5 ] [4 ]
[9 ]
[14 ].
Flüssigkeitstherapie und hämodynamisches Monitoring
Flüssigkeitstherapie und hämodynamisches Monitoring
Die Indikation zum Einsatz von Katecholaminen wird heute in der Initialphase eher
eng gestellt. In den ersten 24 Stunden wird die Gabe von Alphamimetika wie Adrenalin
und Noradrenalin vermieden, da diese durch eine Vasokonstriktion in der Niere und
im Randgebiet der noch intakten kapillären Endstrombahnen eine Organdysfunktion, Minderdurchblutung
oder ein „Abtiefen” der Verbrennung hervorrufen können. Geeigneter erscheinen Katecholamine,
die selektiv (Dobutamin) oder unspezifisch (Dopexamin) auf Betarezeptoren wirken und
somit bei suffizienter intravasaler Volumensituation die Auswurfleistung erhöhen können,
ohne die Mikroperfusion negativ zu beeinflussen [3 ]
[18 ]
[27 ].
Eine adäquate Primärtherapie sowie eine ausreichende, an die individuellen Bedürfnisse
des Patienten angepasste Flüssigkeitstherapie in der Frühphase nach einer Verbrennung
sind wesentliche Voraussetzungen für die erfolgreiche chirurgische und intensivmedizinische
Therapie des Brandverletzten [5 ].
Die Flüssigkeitstherapie erfolgt auf der Basis der bekannten Formeln [Tab. 6 ], bevorzugt mit isotonen kristalloiden Lösungen, wobei die Substitutionsmengen oftmals
erheblich von den Formeln abweichen. Elektrolytlösungen werden, wenn möglich, während
der ersten 24 Stunden nach dem Trauma vermieden [12 ]
[13 ]
[16 ]. Nur wenn der Patient nicht oder nur unter dauerhafter massiver Infusion von Elektrolytlösungen
zu stabilisieren ist, werden in Ausnahmefällen frühestens nach acht Stunden Kolloide
eingesetzt. Dies ist häufig bei großflächigen Verbrennungen in Kombination mit einem
Inhalationstrauma erforderlich [5 ]
[16 ]
[23 ].
Die Therapie wird heute anhand des mittleren arteriellen Drucks (MAD) und einer bilanzierten
Flüssigkeitssubstitution gesteuert. Die Ausscheidung wird dabei auf Werte zwischen
0,5 und 1,0 ml/kg/h und der MAD > 70 mmHG eingestellt [1 ]
[12 ]
[34 ]. Erzielt die Flüssigkeitstherapie, gesteuert anhand dieser Vitalzeichen, nicht den
gewünschten Effekt, liefert ein erweitertes hämodynamisches Monitoring wertvolle zusätzliche
Informationen. Dies ist spätestens ab einem ABSI-Score von sieben, einer verbrannten
Körperoberfläche von über 30 %, der Unterstützung durch Katecholamine, initial hypothermen
oder pulmonal und kardiovaskulär vorbelasteten Patienten empfehlenswert [2 ]
[15 ]
[16 ]
[21 ]. Bei Inhalationstraumata, kardiopulmonalen Erkrankungen sowie einer verbrannten
Körperoberfläche von mindestens 50 % sollte dieses Vorgehen zum Standard der Intensivtherapie
eines Schwerverbrannten zählen.
Hierfür können in seltenen Indikationen der Swan-Ganz-Katheter oder in zunehmendem
Maße weniger invasive transkardiopulmonale Indikatordilutions-Methoden (PiCCO®-System)
eingesetzt werden. Angestrebt wird eine hyperdyname, supranormale Kreislaufsituation
mit hohem Herzindex (4,5-5,5 l/min x m2 ), hohem Sauerstoffangebot (DO2 l > 600 ml/min/m2 ) und niedrigem Gefäßwiderstand (900-1100 dyn x sec x m2 /cm2 ), die innerhalb der ersten Stunden nach dem Trauma erreicht werden soll [5 ]
[15 ]
[16 ]
[21 ]
[22 ].
Operative Therapie Escharotomie
Operative Therapie Escharotomie
Sind bei Extremitäten, Fingern und Zehen mindestens zwei Drittel der Zirkumferenz
betroffen (Verbrennungsgrad 2a und mehr) sollte die Indikation zur Escharotomie überprüft
werden [Tab. 6 ] [29 ]
[31 ]. Dies gilt auch für Thorax und Abdomen, wenn durch straffe Verbrennungsnekrosen
die Thoraxexkursionen und damit die pulmonale Compliance signifikant eingeschränkt
sind. Im Falle großflächiger Verbrennungen am Abdomen muss durch die Escharotomie
einem abdominellen Kompartmentsyndrom vorgebeugt werden. Die Escharotomie wird mit
der monopolaren Rochester-Nadel im Schockraum durchgeführt. Die Schnittführung hat
sich an funktionellen Gesichtspunkten zu orientieren [Abb. 2 ] und wird durch Dermis oder Eschar geführt [Abb. 3 ]. Das Durchtrennen des gesamten subkutanen Fettgewebes bis auf die Muskelfaszie ist
nicht notwendig.
An den Fingern ist besonders auf die latero-palmar verlaufenden Gefäß-Nervenbündel
zu achten, die nicht verletzt werden dürfen. Den Eingriff sollte ein handchirurgisch
erfahrener Chirurg vornehmen [31 ]. Die escharotomierten Extremitäten müssen im Anschluss regelmäßig auf ihre Durchblutung
hin kontrolliert werden. Besonderes Augenmerk ist auf sorgfältigste Blutstillung zu
legen, was durch exaktes Kauterisieren und die Einlage von Hämostyptika (z.B. Tabotamp®)
ermöglicht wird.
Sofern zusätzlich der Verdacht auf ein muskuläres Kompartmentsyndrom (z.B. aufgrund
vorhandener Begleittraumata, Stromdurchfluss oder Verbrennungen vierten Grades) besteht,
werden anschließend im vorgeheizten OP die Faszienspaltung sowie sonstige operative
Versorgungen, wie beispielsweise Repositionen oder Amputationen durchgeführt. Notwendige
Osteosynthesen sollten so früh wie möglich in definitiver Verfahrensweise angelegt
werden, da im Initialstadium die Verbrennungswunden noch steril sind, was das pflegerische
Handling im Anschluss sehr erleichtert [6 ]
[33 ].
Nekrektomie und Hauttransplantation
Die plastisch-chirurgische Versorgung wie Nekrektomie (tangential, epifaszial) und
Deckung findet im Allgemeinen nicht vor dem zweiten posttraumatischen Tag statt. Im
Einzelfall hängt sie aber von der klinischen Situation und dem Patientenprofil ab
und kann auch am Aufnahmetag erfolgen. In den letzten Jahren haben sich hier die Grundsätze
der verbrennungschirurgischen Therapie im Wesentlichen nicht verändert.
Der zügigen Entfernung der toxischen Nekrosen muss der baldmöglichste Verschluss der
„offenen” Wunden folgen [2 ]
[12 ]. Nach wie vor ist die autologe Spalthaut als flächenförmiges Transplantat („sheet
graft”), als Gitternetz mit unterschiedlichen Expansionsraten („mesh grafts”) und
als Modifikation in Form der Meek-Technik [2 ] die gängigste Form der Defektdeckung. So lassen sich abhängig von der Lokalisation
der verbrannten Flächen und der Spenderareale bei sinnvoller Operationsstrategie schrittweise
bis zu 60 % verbrannte Körperoberfläche mit Eigenhaut decken. Zu beachten ist dabei
der häufig notwendige perioperative Ersatz von Erythrozyten und plasmatischen Blutbestandteilen
zur rechtzeitigen und ausreichenden Optimierung des Hämoglobinwertes und der Gerinnungssituation
[2 ]
[3 ]. Ein Abheilen der Spender erlaubt eine mehrfache Gewinnung von Spalthaut.
Lässt die klinische Situation keine sofortige Deckung zu, kann auf eine Vielzahl temporärer
Deckungsverfahren zurückgegriffen werden, wie beispielsweise synthetische Materialien,
allo- oder xenogene Haut. Vollhauttransplantate und Lappenplastiken sind in der Primärtherapie
selten indiziert und eignen sich nur bei der Exposition vitaler funktioneller Strukturen
oder dem Versuch, Extremitäten zu erhalten.
Inhalationstrauma
Inhalationstrauma
Bei allen Unfällen in geschlossenen Räumen oder Explosionen mit möglicher Exposition
gegenüber heißen oder toxischen Stoffen in Form von Gas, Rauch oder Aerosol ist bis
zum Beweis des Gegenteils von einem Inhalationstrauma (IHT) auszugehen. Typische Symptome
sind faziale Verbrennungen, Hustenreiz, Stridor, heisere und belegte Stimme, Chemosis,
angesengte Vibrissae, Wimpern und Barthaare. Die Spannweite der klinischen Manifestationen
reicht dabei von leichter Dyspnoe bis hin zu akut beatmungspflichtiger respiratorischer
Globalinsuffizienz und toxischem pulmonalem Ödem.
Die Art des Inhalationstraumas ist abhängig von Temperatur, physikalischem Zustand,
Konzentration und Löslichkeit der Substanz. Meist sind mehrere Noxen beteiligt, und
es liegt eine Mischform des Inhalationstraumas vor. Eventuelle bronchoskopische Befunde
sind stets mit dem klinischen Bild und regelmäßigen Blutgasuntersuchungen zu korrelieren
und erst nach frühestens 24 Stunden von verlässlicher Aussagekraft [36 ]. Ein Inhalationstrauma geht mit einem deutlich erhöhten Flüssigkeitsbedarf einher
[15 ]
[16 ]
[23 ].
Eine isolierte Hitzeschädigung des Oropharynx oder gar tiefer gelegener Abschnitte
der Luftwege ist aufgrund der hohen Thermoregulationsfähigkeit der feuchten Schleimhäute
selten. Ausnahmen hiervon sind direkter Flammenkontakt und die Inhalation heißer Partikel
(z.B. Aerosole, Staub). In diesen Fällen zeigen sich in der klinischen und bronchoskopischen
Untersuchung ähnliche Befunde wie bei epidermalen Läsionen [30 ]
[36 ].
Viele toxische Stoffe können jedoch auch ohne Brandgeschehen eine Schleimhautreizung
hervorrufen, deren Folgen von einem interstitiellen Ödem bis hin zur Komplettverlegung
der Atemwege reichen können [8 ]. Auch direkte und indirekte Surfaktantzerstörung durch lokale Gewebetoxizität sowie
Bronchospastik und systemische Effekte sind möglich [26 ]. Lipophile Stoffe verursachen eher Symptome der unteren Atemwegsreizung, während
hydrophile Stoffe meist pharyngo-laryngeale Symptome nach sich ziehen. Die notfallmedizinische
Behandlung besteht in der Sicherung der Atemwege und der Applikation von Sauerstoff
[30 ]. Eine auftretende Bronchospastik kann mit lokalen oder systemischen Bronchodilatatoren
therapiert werden (Theophyllin, Beta-2-Sympathomimetika). Wie oben angeführt, ist
von der Gabe von Kortikoiden abzusehen [20 ].
Unvollständige Verbrennungen kohlenstoffhaltiger Substanzen setzen Kohlenmonoxid (CO)
frei. Da dieses eine über 200fach höhere Affinität zum Hämoglobin (Hb) als Sauerstoff
besitzt, verschiebt sich die Sauerstoffbindungskurve des Hämoglobins nach links und
führt zu einer schlechteren Gewebeoxygenierung. Bei den typischerweise „rosigen” Patienten
äußert sich dies ab einem CO-Hb-Gehalt von etwa 10-15 % in Kopfschmerzen, Schwindel,
Unruhe und Orientierungsverlust. Dies erschwert den Patienten manchmal die Selbstrettung
aus Gebäuden oder unübersichtlichen Situationen. Steigt der CO-Hb-Gehalt noch stärker
an, entwickeln sich Sehstörungen, Übelkeit, Tachykardie und Tachypnoe über Konvulsionen
bis hin zum Koma. Die Therapie besteht wiederum in der Applikation von Sauerstoff,
in schweren Fällen gegebenenfalls auch mittels hyperbarer Oxygenierung in der Druckkammer
[35 ]
[36 ]
[37 ] und der Korrektur einer eventuell vorliegenden metabolischen Azidose.
Bei Bränden mit Beteiligung von stickstoffhaltigen Polymeren entsteht Blausäure. Der
klassische Bittermandelgeruch ist in der Praxis aber eher selten anzutreffen. Die
Symptome ähneln der Kohlenmonoxidvergiftung, allerdings fehlt das rosige Kolorit.
Neben der Applikation von reinem Sauerstoff kann mit 4-Dimethylaminophenol (4-DMAP;
3 mg/kgKG i.v.) therapiert werden. Letzteres kann jedoch bei kombinierten Inhalationstraumen
trotz modernster Beatmungsmethoden kritisch sein. Zusätzlich kann die Ausscheidung
der Zyanidionen durch Komplexbildung mit Natriumthiosulfat (bis 50 g i.v.) erhöht
werden [7 ].
Konsiliaruntersuchungen
Konsiliaruntersuchungen
Die Behandlung Brandverletzter erfordert häufig ein interdisziplinäres Vorgehen [2 ]
[6 ]
[12 ]
[33 ]
[38 ]. Verletzungen mit chemischen Substanzen oder Strahlung ereignen sich meist im industriellen
Umfeld und erfordern eine enge Zusammenarbeit mit den entsprechenden Fachabteilungen
der Betriebe. Bei Ingestion toxischer oder ätzender Substanzen muss eine entsprechende
endoskopische Untersuchung die interdisziplinäre Zusammenarbeit ergänzen, bei Explosionsverletzungen
sollte ein Hals-Nasen-Ohrenärztliches Konsil stattfinden. Die epidermolytischen Erkrankungen
aus dem allergischen Formenkreis können eine Zusammenarbeit mit einem Dermatologen
sinnvoll machen. Auch aus forensischen Gründen sind bei Läsionen in Gesicht und Genitalbereich
ophtalmologische und urologische Konsiliaruntersuchungen durchzuführen. Nicht selten
sind suizidale Situationen in der Vorgeschichte zu erfragen (in Großstädten > 10 %).
Oft muss daher abhängig vom Bewusstseinszustand ein internistisches, neurologisches
oder auch psychiatrisches Konsil veranlasst werden. Ein eventuell notwendiges richterliches
Betreuungsverfahren ist rechtzeitig in die Wege zu leiten.
Fazit für die Praxis
Fazit für die Praxis
Die Akutversorgung von Brandverletzten stellt höchste Anforderungen an den Arzt, die
Pflegekräfte und die Logistik zwischen Erstversorgung und weiterführender klinischer
Behandlung. Aufgrund der relativen Seltenheit derartiger Notfälle kann ein strukturiertes
Vorgehen die sichere und schnelle Patientenversorgung sicherstellen, wenn dabei die
besonderen Umstände des Einzelfalls nicht außer Acht gelassen werden. Denn gerade
von der qualifizierten Erstversorgung eines brandverletzten Patienten hängt der Erfolg
einer weiteren Therapie ab. Trotz der unbefriedigenden Gesamtprognose von Schwerbrandverletzten
kann die Berücksichtigung der pathophysiologischen Grundsätze und vorausschauendes,
interdisziplinäres Arbeiten die Überlebenswahrscheinlichkeit im Einzelfall sowie den
Heilungsverlauf unmittelbar verbessern.
Moderne Brandverletztenzentren gewährleisten heute nicht nur Kontinuität in der Behandlung
der Patienten und stellen das gesamte Spektrum der Plastischen Chirurgie einschließlich
aller mikrochirurgischen Operationstechniken zur Verfügung, sie bieten auch die dauerhafte
Betreuung und die Einhaltung des Behandlungsplanes schwer brandverletzter Patienten
in dafür eingerichteten Spezialsprechstunden an, um für diese Gruppe schwer traumatisierter
Patienten eine dauerhafte Anlaufstelle zu bieten.
Abb. 1
Abb. 2
Abb. 3
Tab. 1 Zuweisungskriterien in ein Behandlungszentrum für Brandverletzte
Verbrennungen zweiten Grades > 20 %
Verbrennungen dritten Grades >10 %
Verbrennungen zweiten bis dritten Grades > 10 % verbrannte Körperoberfläche bei Kindern
< 10 Jahre oder Erwachsenen > 50 Jahre
Verbrennungen zweiten bis dritten Grades von Gesicht, Genitalien, Händen, Füßen, Perineum
oder größeren Gelenken mit zu erwartenden funktionellen oder kosmetischen Problemen
Inhalationstrauma
elektrische bzw. chemische Noxen
Vorhandensein von Begleitverletzungen, wenn die Verbrennung das größte Trauma darstellt
signifikante Vorerkrankungen
unzureichende personelle bzw. materielle Infrastruktur der stationären Versorgung
Tab. 2 Aufnahmecheckliste
Patientendaten
Unfallzeitpunkt
Unfallhergang
Inhalationstrauma
initiale Einschätzung (verbrannte Körperoberfläche, VKOF)
Vigilanzstatus (Glasgow-Coma-Scale, GCS)
Beatmungsparameter
Größe bzw. Gewicht
Aufnahmetemperatur
Urinmenge bis zur Aufnahme
Angehörige / primärversorgendes Krankenhaus
Transportdauer
Begleitverletzungen
Vorerkrankungen
medikamentöse Therapie
Vitalparameter
Zugänge und Katheter
Kaltwassertherapie
Flüssigkeitsmenge bzw. -art bis zur Aufnahme
Impfstatus (Tetanus)
Tab. 3 Schockraumprotokoll
1.
falls Beatmung erforderlich ist: Intubation, bei Verdacht auf ein Inhalationstrauma
unmittelbar anschließend Bronchoskopie mit Bakteriologie und Fotodokumentation
2.
Monitoring (mittlerer arterieller Blutdruck, Pulsoxymetrie, Temperatur)
3.
vollständige Entkleidung des Patienten und Überprüfen der Zugänge
4.
umfassende (erneute!) körperliche Untersuchung: gerade Strommarken können leicht übersehen
werden [Abb. 2 ]
5.
bei Kreislaufinstabilität oder der Unmöglichkeit einer nichtinvasiven Blutdruckmessung:
Legen eines arteriellen Druckaufnahmekatheters durch ein unverletztes Areal, gegebenenfalls
mittels Spezialkatheter für invasives Kreislaufmonitoring (Swan-Ganz-Rechtsherzkatheter,
PiCCO®- oder COLD-System® [9 ])
6.
Legen eines mehrlumigen zentralvenösen Katheters durch ein unverletztes Areal unter
streng sterilen Kautelen, Messung des zentralen Venendrucks
7.
Bestimmung des Ausgangsgewichts (Wiegen)
8.
Blutentnahme (Blutgase mit Kohlenmonoxid-Hämoglobin, großes Blutbild, Gerinnungsprofil
(Quick, aktivierte partielle Thromboplastin-Zeit (APTT), Fibrinogen, Antithrombin
III, etc.), Elektrolyte, Leberprofil (Glutamat-Oxalat-Transaminase (GOT), Glutamat-Pyruvat-Transaminase
(GPT), gamma-Glutamyl-Transpeptidase (gamma-GT), alkalische Phosphatase, Cholinesterase,
Bilirubin etc.), Kreatinin, Harnstoff, Gesamtprotein, Albumin, Schilddrüsenprofil,
Hepatitisserologie, gegebenenfalls Alkohol- und Drogenscreening, Blutgruppe, Kreuzblut.
Bei Stromverletzungen zusätzlich: Troponin, Creatinkinase, Creatinkinase-Isoenzym
MB
9.
Abstrichentnahme von allen Wundarealen, Mund, Nase, Leiste, insbesondere wenn das
Trauma länger als 24 Stunden zurückliegt oder der Patient sekundär zuverlegt wird
10.
Rasur im Bereich der verbrannten Areale, bei Verbrennungen im Gesicht auch des Haupthaars
11.
vollständiges Abwaschen des Patienten mit warmer desinfizierender Lösung (Saflon®,
Hibicet® 3,5 % o.ä.); festhaftende Partikel (z.B. Fett, Teer) vorsichtig entfernen,
nicht mit Lösungsmitteln ablösen; bei Verätzungen ausreichende Spülung mit warmem
Wasser (außer Kontraindikation) eventuell vorziehen, um Fortschreiten der Reaktion
zu verhindern
12.
exakte Bestimmung des Verbrennungsausmaßes, der Lokalisation und -tiefe [Tab. 5 ], Dokumentation sowohl in Zeichnung als auch photografisch
13.
Adaptation der Flüssigkeitstherapie nach Klinik, Verbrennungsausmaß und Aufnahmegewicht
mit Ringerlaktat
14.
bei einer verbrannten Körperoberfläche > 15 %, Bewusstlosigkeit oder zu erwartender
Langzeit-Intensivtherapie: Anlage eines suprapubischen Blasenkatheters, ansonsten
gegebenenfalls transurethraler Katheter (maximal eine Woche) zur exakten Bilanzierung
15.
Urinstatus
16.
gegebenenfalls Tetanussimultan/-auffrischimpfung
17.
gegebenenfalls Legen einer Magensonde zur frühen intragastrischen Ernährung
18.
Elektrokardiografie (EKG)
19.
Escharotomie (s.u.)
20.
Röntgenthorax: Zeichen für Inhalationstrauma, Lagekontrolle von Trachealtubus, zentralvenösem
Katheter und Magensonde
21.
Durchführung von spezifischen Röntgenaufnahmen bei Verdacht auf knöcherne Begleitverletzungen
22.
Verband aller Areale mit Flammazine®, vierlagig Fettgaze, synthetische Watte, halbelastische
Binden (nicht zirkulär!), gegebenenfalls Thoraxverband. Ausnahme: akute Epidermolysen:
Verband ausschließlich mit hochgereinigter Vaseline und Vaseline-Gaze ohne Zusatzstoffe
23.
Lagerung im Verbrennungsbett (mehrlagige Schaumstoffmatratze) und externe Aufwärmung
zum Beispiel durch Warmluftdecken
Tab. 4 Abbreviated Burn Severity Index (ABSI)
Geschlecht
männlich
1 Punkt
weiblich
0 Punkte
Inhalationstrauma
1 Punkt
drittgradige Verbrennungen
1 Punkt
verbrannte Körperoberfläche
1-10 %
1 Punkt
11-20 %
2 Punkte
21-30 %
3 Punkte
31-40 %
4 Punkte
41-50 %
5 Punkte
51-60 %
6 Punkte
61-70 %
7 Punkte
71-80 %
8 Punkte
81-90 %
9 Punkte
91-100 %
10 Punkte
allgemeine schwere Erkrankungen
je 1 Punkt
Gesamtpunktzahl
Lebensbedrohung
Überlebenswahrscheinlichkeit
2-3
sehr gering
99 %
4-5
wenig
95 %
6-7
wenig bedrohlich
80-90 %
8-9
ernst
50-70 %
10-11
bedrohlich
20-40 %
11-13
maximal hoch
0-10 %
Tab. 5 Formeln zur Flüssigkeitstherapie nach Verbrennungstrauma
Substanz
Menge
Intervalle
Formeln zur Elektrolytzufuhr
Parkland (Baxter)
Ringerlaktat
4 ml/kg/ % VKOF in 24 h
8/8/16 h
Ludwigshafen
Ringerlaktat
1 ml/kg/ % VKOF/Intervall
4/4/8/8 h
modifizierte Brooke
Ringerlaktat
2 ml/kg/ % VKOF
24 h
Formeln zur Kolloidzufuhr
Evans
NaCl + Kolloid
1 ml + 1ml/kg/ % VKOF + 2000 ml Glukose 5 %
24 h
Brooke
Ringerlaktat + Kolliod
1,5 ml + 0,5ml/kg/ % VKOF + 2000 ml Glukose 5 %
24 h
Slater
Ringerlaktat + FFP
2000 ml + 75 ml/kg/24h
24 h
hypertone Natriumlösung
Monafo
NaCl (250 mEq Na/l)
nach Urinausscheidung
Warden
Ringerlaktat + NaHCO3 (180 mEq Na/l)
nach Urinausscheidung
8 h
Dextran-Formel
Demling
Dextran 40 + Ringerlaktat + FFP
2 ml/kg/h x 8 h + nach Urinausscheidung + 0,5 ml/kg/h x 18 h
18 h
VKOF = verbrannte Körperoberfläche; FFP = fresh frozen plasma
Tab. 6 Einteilung der Verbrennungstiefen
Verbrennungsgrad
Verbrennungstiefe
Symptome
Grad 1
epidermal
Rötung, Schwellung, starker Schmerz, trockene Wunde
Grad 2a
oberflächlich dermal
Rötung, Blasenbildung, starker Schmerz, feuchter, hyperämischer Wundgrund (Glasspatelprobe
positiv)
Grad 2b
tief dermal
Blasenbildung, fetzenförmige Epidermolyse, feuchter, blasser Wundgrund (Glasspatelprobe
negativ)
Grad 3
komplett dermal
lederartig, keine Schmerzen (Nadelstichprobe), weiße/bräunliche Wunde (Glasspatelprobe
negativ)
Grad 4
subdermal
Verkohlung, Beteiligung von Knochen, Sehnen, Muskeln