Zuverlässige Daten zur Inzidenz der ambulant erworbenen Pneumonie (engl. community
acquired pneumonia, CAP) liegen für Deutschland nicht vor, da keine Zahlen über ambulant
behandelte Patienten mit dieser Erkrankung verfügbar sind. Im stationären Bereich
wurden nach Angaben des statistischen Bundesamtes etwa 250 000 Patienten mit dieser
Diagnose betreut, wobei über die Jahre ein Anstieg der Pneumonieinzidenz um 3 - 5
% pro Jahr zu beobachten ist [1]. Hauptgrund hierfür dürfte die veränderte Demografie der Gesellschaft mit einer
Zunahme älterer, multimorbider Patienten sein. Die Inzidenz in Deutschland dürfte
aber in etwa der in den USA entsprechen. Hier erkranken vier Millionen Erwachsene
jährlich an ambulant erworbener Pneumonie, ca. 20 % davon müssen stationär behandelt
werden. Die CAP verursacht in den USA jährlich Kosten von ca. 9,7 Milliarden Dollar.
Die Inzidenz beträgt etwa 8 - 15 pro 1000 Personen pro Jahr, während der Wintermonate
ist sie deutlich erhöht. Aufgrund der medizinischen und ökonomischen Bedeutung von
CAP fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) seit 2001 im Rahmen
der Kompetenznetzwerke in der Medizin ein Netzwerk zur ambulant erworbenen Pneumonie
(CAPNETZ) [2].
Die meisten der bisher vom BMBF geförderten Netzwerke beschäftigen sich mit Krankheiten,
für die es nur eine sehr begrenzte Anzahl von Experten gibt, für die es spezialisierte
Abteilungen an Kliniken der Maximalversorgung gibt, oder bei denen die Patienten in
der Regel stationär behandelt werden (www.kompetenznetze.de). Solche Voraussetzungen in der Infrastruktur erleichtern dementsprechend den Aufbau
von Netzwerken. CAP ist im Gegensatz dazu eine Infektionskrankheit, die in erster
Linie vom Hausarzt gesehen und behandelt wird. Wahrscheinlich wird nur eine Minderzahl
der Patienten letztendlich in der Klinik stationär betreut. CAPNETZ verbindet klinische,
mikrobiologische und Grundlagenforschungsaspekte miteinander, um einerseits neue Erkenntnisse
über die Pathogenese und insbesondere die Interaktion von Erregern und Wirt zu erhalten
und andererseits einen besseren Einblick in die spezifische deutsche Epidemiologie,
Ätiologie und Versorgungsrealität in diesem Feld zu erhalten. Eine weitere Aufgabe
von CAPNETZ ist es, Fachwissen zur ambulant erworbenen Pneumonie aus den verschiedensten
medizinischen Bereichen zusammenzutragen, die unterschiedlichen Gruppen zu vernetzen
und Synergien zu fördern. Hier arbeiten niedergelassene Ärzte, Krankenhausärzte, Mikrobiologen,
Virologen, Epidemiologen, Computerexperten und IT-Spezialisten in enger Kooperation
zusammen. Alle klinischen und mikrobiologischen Daten werden zusammengeführt und in
einer zentralen Material- sowie Informationsdatenbank in Ulm verwaltet. Die Ziele,
die CAPNETZ langfristig verfolgt, werden die Versorgungsqualität von Patienten mit
CAP erhöhen.
Durch die finanzielle Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung
werden die Zentren der Forschung und Krankenversorgung miteinander vernetzt („vertikale
Vernetzung”) und Verbindungen zu niedergelassenen Ärzten und lokalen Projektgruppen
sowie den Patienten geschaffen („horizontale Vernetzung”). Die in den Schwerpunktzentren
vorhandenen Forschungsmöglichkeiten, die Informationstechnologien des Netzwerkes sowie
die Datenbanken können so von allen Netzteilnehmern genutzt werden. In seiner aktuellen
Form umfasst das Netzwerk acht klinischen Zentren mit einer repräsentativen Zahl aller
Versorgungsstufen, in denen Untersuchungen und Therapien im Rahmen der klinischen
Pneumologie angeboten und durchgeführt werden können. Mit diesen lokalen Zentren kooperieren
insgesamt etwa 670 niedergelassene Allgemeinärzte, Internisten und Pneumologen und
mehr als 30 Krankenhäuser. Konsiliarlaboratorien für CAP-relevante Erreger an den
Universitäten sowie die Nationalen Referenzzentren für Influenza (Robert Koch-Institut
Berlin) bzw. Streptokokken (RWTH Aachen). Koordiniert wird die Arbeit von einem dreiköpfigen
wissenschaftlichen Gremium: Prof. Dr. Norbert Suttorp von der Charité als Sprecher,
Prof. Dr. Tobias Welte von der Medizinischen Hochschule Hannover und von Prof. Dr.
Reinhard Marre von der Universität Ulm. In Ulm befindet sich auch die Geschäftsstelle
von CAPNETZ, die von Dr. Klaus Richter geleitet wird (info@capnetz.de) und die als
Zentrale Serviceeinheit die Bereiche Verwaltung, Qualitätssicherung, Aus- und Weiterbildung
sowie Kommunikation bündelt.
Die ambulant erworbene Pneumonie ist die wichtigste Infektionskrankheit in Deutschland.
Das Kompetenznetzwerk CAPNETZ legt nach drei Jahren Laufzeit auf der Basis von mehr
als 3500 prospektiv verfolgten Patienten zuverlässige Zahlen zu Epidemiologie, Ätiologie
und Verlauf dieser Erkrankung vor. Die eingeschlossenen Patienten sind zum überwiegenden
Teil stationär behandelt worden (72 %) und die Letalität bei den stationär behandelten
Patienten war mit < 10 % vergleichbar dem Durchschnitt anderer nationalen und internationalen
Studien [3]
[4]
[5]
[6]. Außerhalb des Krankenhauses des Krankenhauses war die Letalität mit 0,5 % erfreulich
niedrig. Strukturiert erhobenen Daten gab es außerhalb des Krankenhaus nur sehr wenige
und es mag den Anschein haben als ob sich die Letalität allein durch die Krankenhauseinweisung
erhöht. Dies ist sicher eine beliebte Sichtweise unter Patienten, die im Allgemeinen
nicht gerne in das Krankenhaus eingewiesen werden. Die genaue Analyse der Daten zeigte
aber, dass die Tatsache der Einweisung auch immer mit einem höheren Schweregrad dieser
akuten Erkrankung verbunden war (z. B. nach CRB-65 Kriterien) [7]. Dies sollte dazu führen, dass die Patienten unseren verbundenen Haus- und Fachärzte
noch mehr vertrauen können, als sie dies bereits im Vorfeld getan haben, da wir davon
ausgehen, dass die Kollegen einen potenziell gefährlichen Verlauf der Erkrankung erkennen
und die Patienten rechtzeitig einweisen. So empfehlen die neuen Leitlinien der Europäischen
Fachgesellschaft eine stationäre Einweisung der Patienten erst ab dem Vorliegen von
zwei oder mehr Schweregradkriterien nach dem CRB-65 System [8]. Nach den CAPNETZ-Daten wissen wir heute, das dies zu einem deutlichen Anstieg der
Letalität bei ambulanten Patienten führen würde, die aber nicht notwendigerweise kausal
sein wird. Bei knapper werdenden Kassen im Gesundheitssystem bittet die Datenbank
von CAPNETZ die Möglichkeit, solche Szenarien zumindest theoretisch durchzuspielen.
Trotz dieser interessanten Ergebnisse und der gelungenen Vernetzung, bleibt die vertikale
Vernetzung von Klinik und Praxis etwas hinter den Erwartungen zurück. Die Gründe hierfür
sind so einfach wie nachvollziehbar. Die lokalen und überregionalen Arbeitsgruppen
haben gewachsene Kommunikationsstrukturen und verfolgen gemeinsame Interessen im Sinne
der Forschung, die Teil ihrer Aufgaben ist. Wesentlich schwieriger gestaltet sich
die Synchronisierung der Interessen zwischen Klinikärzten und niedergelassenen Kollegen.
Durch den hohen finanziellen und damit auch zeitlichen Druck in den Praxen erfordert
die Teilnahme an CAPNETZ trotz einer gewissen finanziellen Kompensation große Bereitschaft,
den eingespielten Arbeitsablauf durch externe Anspruche stören zu lassen. Zwar gibt
es verschiedene Modelle, in denen der niedergelassene Arzt keine bis sämtliche Arbeiten
an das CAPNETZ-Team delegieren kann, es bleibt aber ein zusätzlicher Aufwand. So sind
die Vorteile dieser engen Zusammenarbeit zwischen Klinik und niedergelassenen Kollegen
zumeist nicht materieller Natur. Entscheidend sind vielmehr der persönliche Kontakt
und der „kurze Draht” in die Klinik, der dann auch in anderen Fällen genutzt werden
kann. Es muss somit an dieser Stelle allen CAPNETZ-Beteiligten in Klinik und Praxis
gedankt werden, die es durch Ihren persönlichen Einsatz geschafft haben, Daten von
fast 1000 Patienten mit CAP zu sammeln, die nie in einer Klinik betreut wurden. Von
all diesen Patienten liegt ein Röntgenbild zur Dokumentation der Infiltrate vor, existieren
Labor- und Klinische Daten, eine einmalige Studie, die es in dieser Größenordnung
bisher nicht gegeben hat.
Für die Kollegen, die dem Netzwerk bisher nicht oder nicht so intensiv verbunden waren,
sind diese Ergebnisse in die aktuellen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie,
der Paul-Ehrlich Gesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie eingeflossen.
Die Förderung und Fertigstellung dieser Leitlinien waren ein wesentlicher Schwerpunkt
des Netzwerkes im Jahr 2005. Die Leitliniengenerierung stand unter Aufsicht der Arbeitsgemeinschaft
medizinischer wissenschaftlicher Fachgesellschaften (AWMF) und wurde im Volltext bereits
in mehreren Fachjournalen publiziert [9]
[10], eine Kurzversion ist als Kitteltaschenbuch (ISBN 3-13-133 711-7) erhältlich [11].
Nach zahlreichen und überregionalen wissenschaftlichen und organisatorischen Treffen
fand am 20. und 21. Januar 2006 erstmals das internationale CAPNETZ-Symposium in Berlin
statt, um die Ergebnisse und Probleme mit internationalen Kollegen besprechen und
lösen zu können (http://www.capnetz.de/symposium-2006). Die in diesem Heft der Pneumologie
abgedruckten Abstrakts zeigen das weite Spektrum der Forschung im Bereich der ambulant
erworbenen Pneumonie und dokumentieren gleichzeitig die zukünftige Richtung der Forschung.
Das Kompetenznetzwerk zur ambulant erworbenen Pneumonie hat unter Beweis gestellt,
dass die Kooperation im Bereich der pneumologischen Infektiologie in Deutschland funktioniert,
aber das größte Stück des Weges liegt noch in der Zukunft. Mit mehr als 3500 auswertbaren
Fällen und mehr als 300 Variablen pro Fall ist die konzertierte Auswertung der Daten
die Herausforderung für die Zukunft. CAPNETZ bleibt somit auch in 2006 und wahrscheinlich
auch noch lange darüber hinaus ein Schwerpunkt der Sektion Infektiologie und Tuberkulose
in der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und ihrer Mitglieder.