Der Klinikarzt 2005; 34(10): VII-VIII
DOI: 10.1055/s-2005-919756
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Von der Grundlagenforschung bis zur klinischen Anwendung - Nur interdisziplinär lässt sich der Herausforderung "Pilzinfektion" begegnen

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04 November 2005 (online)

 
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Einen Bogen zu spannen von der Grundlagenforschung bis hin zur Anwendung - insbesondere bei der Versorgung der Patienten, dies war das ehrgeizige Ziel der 39. Jahrestagung der Deutschsprachigen Mykologischen Gesellschaft (DMykG e.V.), die in diesem Jahr in Leipzig stattfand. Da sich das Spektrum der Mykologie stetig verändert, ist der wissenschaftliche Austausch der verschiedenen Fachdisziplinen enorm wichtig, konstatierte Prof. H. Hof, Vorsitzender der Gesellschaft. "Lag früher der Schwerpunkt auf der Dermatologie und Mikrobiologie, haben heute immer mehr Internisten großes Interesse an dem Thema Mykosen." Dies ist nicht weiter verwunderlich, wenn man sich die stetig steigenden Inzidenzen systemischer Mykosen in den Intensivstationen vor Augen hält.

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Das Gefährdungspotenzial reicht von Allergien...

Angefangen von den Schimmelpilzen in unserer Umgebung bis hin zu systemischen Mykosen - die Gefahr, die von Schimmelpilzen ausgeht, wird oft falsch eingeschätzt. "Vieles, was berichtet wird, ist qualitativ wenig hochwertig", konstatierte Prof. G. Fischer, Aachen. Insbesondere die Publikumsmedien neigen dazu, die Gefahren - zum Beispiel von Schimmelpilzen - zu übertreiben. Dementsprechend fürchten sich die meisten Menschen erheblich mehr vor Infektionen als vor der Entwicklung einer Allergie durch Schimmelpilze. Tatsächlich ist es genau umgekehrt: Das Risiko, eine Schimmelpilzallergie zu entwickeln, ist deutlich größer als die Gefahr einer Intoxikation durch Mykotoxine oder sogar einer Infektion.

"Allerdings ist es oft schwer, das verantwortliche Allergen zu identifizieren", konstatierte Prof. H. Merck, Aachen, "auch wenn wir diesbezüglich in der letzten Zeit einige Fortschritte erzielen konnten." So scheint nach aktuellen Erkenntnissen die Gattung des Pilzes eine weit weniger wichtige Rolle zu spielen als man bislang vermutet hatte. Viel wichtiger ist wohl, woher der Pilz stammt, genauer gesagt, wo er gewachsen ist. Inzwischen lassen sich mithilfe von Mikroarray-Techniken unterschiedlichste Allergene sicher identifizieren. "Wir hoffen, dass dies in Zukunft dazu führen kann, bessere Extrakte zu entwickeln, um die Allergiker zu behandeln."

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... bis hin zur systemischen Mykose

Wenn auch Schimmelpilzallergien oder Dermatomykosen die Patienten belasten und sicherlich deutlich häufiger auftreten als systemische Mykosen sind es doch die schweren systemischen Pilzinfektionen, die klinisch immer stärker an Bedeutung gewinnen. Vor allem bei immunsupprimierten und hämatoonkologischen Patienten sind solche systemischen Mykosen in Lunge, Leber und anderen Organen bis hin zum Gehirn lebensbedrohliche Komplikationen. In dieser Situation kehrt sich die falsche Bewertung der Pilze ad absurdum - meist wird deren Gefahr nicht über-, sondern unterschätzt.

"Es sind zwei Dinge, die uns diesbezüglich besondere Sorgen bereiten", erklärte PD O. Cornely, Köln, "zum einen ist dies der Anstieg der Inzidenz, insbesondere bei abwehrgeschwächten Patienten, zum anderen die erhebliche Mortalität!" Bereits 1995 zählten laut den Angaben der EPIC[1]-Studie die Pilze mit 17,1% zu den wichtigsten Erregern nosokomialer Infektionen. Doch während die Rate bakterieller Infektionen in den letzten Jahren mehr oder weniger gleich blieb, stieg die Zahl der Pilzinfektionen stetig an. Die häufigsten Erreger sind dabei Hefen der Gattung Candida - und zwar nicht nur Candida albicans, sondern auch immer häufiger Candida glabrata - und Aspergillen.

Die Gefahr dabei ist: Kommt zu einer Grunderkrankung, wie zum Beispiel einer Leukämie, noch eine invasive Aspergillose hinzu, erhöht sich die Mortalität der Patienten nochmals erheblich. "Und im Laufe ihrer Erkrankung entwickelt die Mehrzahl der Leukämiepatienten eine invasive Aspergillose", betonte Cornely.

Doch nicht nur immunsupprimierte und hämatoonkologische Patienten zählen zur Hochrisikogruppe, erinnerte PD D. Schmitt, Leipzig. "Dass wir immer ältere Patienten auch mit interventionellen Verfahren behandeln, ist einer der wesentlichen Gründe dafür, dass wir immer mehr systemische Mykosen sehen. Lag zum Beispiel das Durchschnittsalter in der Herzchirurgie vor rund zehn Jahren noch bei 62 Jahren, sind die Patienten heute im Schnitt 72 Jahre alt." Mit einem etwas geringeren, aber durchaus beachtenswerten Risiko schlagen Faktoren wie eine Intensivtherapie von mehr als drei Tagen, die Beatmung, eine Katecholamintherapie, zentrale Venenkatheter, eine parenterale Ernährung oder Grunderkrankungen wie ein bestehender Diabetes mellitus zu Buche.

Doch obwohl sich inzwischen immer mehr Ärzte mit systemischen Mykosen, die unter Umständen auch eine Sepsis auslösen können, beschäftigen, liegt noch vieles im Argen. So erhielten nach Daten von Kollef 34,3% der Patienten mit nosokomialen Infektionen keine adäquate antimikrobielle Therapie - obwohl sich die Letalität der Patienten dadurch nachgewiesenermaßen signifikant senken lässt (von 42 auf 17,7%, p < 0,001). "Warum wir falsch behandeln? Weil wir die Pilzinfektionen noch immer nicht ernst genug nehmen!", meinte Schmitt dazu. "Dabei könnten wir durch einen frühzeitigen Einsatz von Antimykotika das Mortalitätsrisiko der Patienten um bis zu 50% reduzieren!"

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Labordiagnostik ist kein Sparschwein!

Ein frühzeitiger Behandlungsbeginn ist also von entscheidender Bedeutung. Somit ist auch die rechtzeitige Diagnose einer Systemmykose (überlebens)notwendig. "Doch gerade in kleineren Krankenhäusern wird an der Labordiagnostik gespart, obwohl die labormedizinischen Kosten nur 3% der Behandlungskosten betragen", konstatierte Prof. G. Haase, Aachen. "Bei einer Herztransplantation zum Beispiel, die rund 200000 Euro kostet, ist es kontraproduktiv, an 50-100 Euro Laborkosten für die Pilzdiagnostik zu sparen".

Nach Ansicht von Haase sollten gefährdete Patienten generell einem sinnvollen Monitoring unterzogen werden. So könne zum Beispiel mithilfe von Überwachungskulturen eine voranschreitende Kolonisierung der Patienten und damit die steigende Gefahr einer Systemmykose erkannt werden. Außerdem forderte Haas ein Antigenscreening auf Zellwandbestandteile von Aspergillus fumigatus im Blut. Eine Stufendiagnostik, die eine schnelle Identifizierung der häufigsten Pathogene erlaubt, erleichtere dem behandelnden Arzt dann die Auswahl eines geeigneten Antimykotikums.

Neben den in der Regel relativ lang dauernden etablierten Methoden der Identifizierung der Mykoseerreger - zum Beispiel die Fluoreszenzfärbung oder andere enzymatische Reaktionen - ermöglichen der Einsatz von chromogenen Kulturmedien und Gensonden eine rasche, sichere und auch preiswerte Identifizierung von Pilzen. In der Regel lassen sich die meisten Pilze binnen 36 Stunden über eine Gensondenhybridisierung identifizieren.

Die Zukunft der Pilzdiagnostik sieht Haase jedoch mit dem Einsatz der Massenspektroskopie, die mithilfe von Musteranalysen auf statistischer Basis mit Datenbankvergleichen eine schnellere Identifizierung der Pathogene erlaubt als dies bislang möglich war. Noch befindet sich diese Methode jedoch im experimentellen Stadium. Schon etwas weiter entwickelt ist die Genchiptechnologie: Inzwischen ist ein erster Genchip auf dem Markt, mit dem sich Hefen mittels speziesspezifischer Hybridisierungsreaktionen an ihrem Genprofil erkennen lassen. Geplant ist, das Analysespektrum weiter zu ergänzen, bis voraussichtlich Anfang 2006 eine Vollversion auf dem Markt erscheint, die über 40 Pilzerreger identifizieren kann.

Brückenschlag von Naturwissenschaft zur Medizin - Was macht einen Pilz zum Pathogen?

Wie ein normalerweise harmloser Pilz wie Candida albicans für den Menschen lebensgefährlich werden kann, erforscht der Chemiker PD S. Rupp mit seiner Arbeitsgruppe am Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB. Für seine Forschungsarbeiten um den weit verbreiteten, potenziell pathogenen Pilz Candida albicans erhielt er den Forschungsförderpreis 2005 der Deutschsprachigen Mykologischen Gesellschaft. Denn weit mehr Menschen tragen einen Pilz wie Candida albicans mit sich (Kolonisation), als tatsächlich an einer Candidose erkranken. Lebensbedrohlich wird eine solche Kolonisation insbesondere für immunsupprimierte Patienten.

Signalwege in Infektions- und Gewebemodellen untersucht

Candida albicans kann an Rezeptoren der menschlichen Schleimhäute binden, diese durch spezielle Enzyme lysieren und so in die Blutbahn gelangen. Einer der kritischen Faktoren dabei ist die Zellwand. "Wir haben genetische und molekulare Analysemethoden entwickelt, um diese Proteine und die Abläufe in der Zelle untersuchen zu können. Außerdem haben wir eine Infektion im Reagenzglas simuliert, um so die Infektionsmechanismen von Candida albicans im Detail zu studieren", erklärte Rupp.

Wie erwartet, ist es eine Vielzahl von Proteinen, die wiederum in komplexen Signalwegen gekoppelt sind, die an der Kolonisation und später auch an der Infektion beteiligt sind. "Gegenwärtig versuchen wir, diese Mechanismen zu entschlüsseln und haben dabei bereits einige neue Proteine entdeckt, die für eine Infektion durch Candida albicans notwendig sind."

Diese Ergebnisse wiederum sind die Voraussetzung für de Entwicklung neuer, wirkungsvoller Medikamente gegen Candida-albicans-Mykosen, die an den erforschten Signaltransduktionswegen ansetzen - ein förderungswürdiges Forschungsprojekt also, das nicht nur die Deutschsprachige Mykologische Gesellschaft mit der Verleihung ihres Forschungsförderpreises 2005 auszeichnet. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt zum Beispiel ein Verbundprojekt, in dem die Fraunhofer-Forscher zusammen mit einem interdisziplinären Team nach neuen antimykotischen Wirkstoffen suchen.

Die Virulenz der unterschiedlichen Candida-Stämme wird an Gewebemodellen untersucht Bild: Fraunhofer-Institut, Stuttgart

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Interdisziplinäre Zusammenarbeit ist gefragt

Diagnose und Therapie schwerer Pilzinfektionen sind eine interdisziplinäre Aufgabe, konstatierte Prof. M. Ruhnke, Berlin. In den meisten Kliniken fehlt jedoch ein Experte für Mykosen, der dazu beitragen könnte, die Probleme, die am Krankenbett auftauchen - und vor allem deren Lösungsansätze - zusammenzuführen. Diesem interdisziplinären Abstimmungsproblem entgegenzuwirken, sieht Ruhnke als designierter Vorsitzender der DMykG für die nächsten drei Jahre als deren große Aufgabe. Wichtigstes Ziel dabei ist nach Ansicht des Internisten, neben der Vermittlung von Wissen, Standards für Diagnose und Therapie zu definieren.

Klar ist, dass auf die DMykG viel Arbeit wartet. "Inzwischen sind Pilzinfektionen ein alltägliches Szenario in unseren Kliniken", schloss Ruhnke. "Insbesondere in der Hämato-Onkologie und in der Transplantationsmedizin brennt es inzwischen lichterloh und in der Intensivmedizin fängt es gerade an!" Und so schließt sich der Kreis: Nur interdisziplinär lässt sich der Herausforderung "Pilzinfektion" begegnen

sts

Quelle: Presserunde "MYK 2005 - 39. Wissenschaftliche Tagung der Deutschsprachigen Mykologischen Gesellschaft"

1 european prevalence of infection in intensive care

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