Der Klinikarzt 2005; 34(10): XIII-XIV
DOI: 10.1055/s-2005-919761
Recht

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Gute Aussichten bei klinischen Arzneimittelprüfungen - Kassen müssen allgemeine Krankenhausleistungen weiter übernehmen

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Publication Date:
04 November 2005 (online)

 
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Eine Entscheidung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 22.7. 2004; Az: B 3 KR 21/03 R) sorgte im vergangenen Jahr für große Aufregung im Kliniksektor. Sie betraf grundsätzliche Fragen der Finanzierung klinischer Arzneimittelstudien im stationären Bereich. Das Bundessozialgericht (BSG) schien damit der Durchführung vieler Arzneimittelprüfungen in der Klinik damit bis auf weiteres die Grundlage entzogen zu haben. Der Gesetzgeber nahm die im Anschluss an die Entscheidung an ihn gerichteten Appelle ernst. Im Zuge der 14. AMG-Novelle wurden Regelungen verabschiedet, die zukünftig für Rechtssicherheit bei der Durchführung klinischer Arzneimittelstudien sorgen werden.

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Veränderte Rechtsgrundlage nach BSG-Urteil

Das Bundessozialgericht musste in dem betreffenden Verfahren entscheiden, ob die gesetzliche Krankenversicherung die Kosten der stationären Krankenversorgung von gesetzlich Versicherten übernehmen muss, die an einer klinischen Arzneimittelstudie des klagenden Krankenhauses teilgenommen hatten. Die arzneimittelrechtlichen Voraussetzungen für die klinische Arzneimittelprüfung lagen vor.

Da die Krankenkasse zunächst nicht über die Teilnahme der Versicherten an der Arzneimittelstudie informiert war, zahlte sie für deren stationäre Krankenhausaufenthalte die entsprechenden Pflegesätze. Nachdem sie über die durchgeführten Arzneimittelstudien Kenntnis erlangte, verrechnete sie jedoch die geleisteten Beträge der Pflegesätze mit noch offenen Krankenhausrechnungen. Dagegen versuchte sich der Krankenhausträger zu wehren.

Bis zu der Entscheidung des Bundessozialgerichts war es gängige Praxis, dass die Kassen auch für gesetzlich Versicherte, die im Rahmen einer klinischen Studie stationär behandelt wurden, mit Ausnahme der studienbedingten Mehrkosten die Entgelte für allgemeine Krankenhausleistungen erstatteten. Als Rechtsgrundlage für diese Vorgehensweise diente § 8 Abs. 1 Satz 2 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntG), wonach die Krankenhäuser bei klinischen Studien Entgelte für allgemeine Krankenhausleistungen berechnen dürfen.

Das Bundessozialgericht nahm sodann den ihm zur Entscheidung vorgelegten Fall zum Anlass, diese Auslegung des Krankenhausentgeltgesetzes für fehlerhaft zu erklären und kam zu dem Ergebnis, dass klinische Studien zur Erprobung von noch nicht zugelassenen Arzneimitteln als Krankenhausbehandlung von der Krankenkasse grundsätzlich nicht zu erstatten sind. Dies ergebe sich aus einer Gesamtschau der gesetzlichen Regelungen des Fünften Sozialgesetzbuches und des Arzneimittelgesetzes.

Eine Leistungspflicht bestehe insoweit nur für klinische Studien, die neue Behandlungs- und Untersuchungsmethoden betreffen. Die Rückforderung der Pflegesätze seitens der Krankenkassen erfolgte nach Auffassung der Richter daher zu Recht. Damit hat das Bundessozialgericht die bisherigen Grundsätze der Finanzierung klinischer Arzneimittelprüfungen quasi über Nacht außer Kraft gesetzt.

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Kritik: Medizinischer Fortschritt gefährdet

Dass dieses Urteil von allen Seiten als Fehlentscheidung kritisiert würde, war zu erwarten. Vor allem Klinikärzte und medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaften sahen damit die Durchführung klinischer Studien und damit vor allem die wissenschaftliche Absicherung des medizinischen Fortschritts massiv gefährdet. Über Studienmittel (Drittmittel der öffentlichen Hand oder von pharmazeutischen Unternehmen) sind die Gesamtkosten der stationären Behandlung bekanntermaßen kaum zu decken. Zudem befürchtete man einen Schaden für die Attraktivität der klinischen Forschungslandschaft in Deutschland. Krankenhausträger rechneten damit, dass die Krankenkassen zwecks Aufbesserung der eigenen Kassen im Nachhinein prüfen werden, ob auch sie aufgrund des Urteils Rückforderungsansprüche für schon geleistete Pflegesätze geltend machen können, und es dadurch zu unerwarteten finanziellen Belastungen der Krankenhäuser kommen werde.

Auch aus juristischer Sicht ist die Entscheidung fragwürdig. Denn das Bundessozialgericht konstruierte so eine Sonderstellung für klinische Arzneimittelstudien, die es damit begründete, dass Forschungsergebnisse dieser Studien für Pharma- und Medizinproduktehersteller von Nutzen sein können. Die Erlangung eines solchen Erkenntnisgewinns sei aber nicht von der Aufgabenstellung der gesetzlichen Krankenkassen gedeckt. Folglich seien die mit einer solchen Studie verbundenen Kosten der stationären Krankenhausbehandlung auch nicht Leistungsgegenstand der gesetzlichen Krankenversicherung.

Nach Auffassung vieler Juristen führt diese Sichtweise im Ergebnis - entgegen der gesetzlichen Verpflichtung im Krankenhausentgeltgesetz - zu einer unzulässigen Befreiung der gesetzlichen Krankenversicherung von ihrer Kostenpflicht bezüglich forschungsneutraler, ohnehin anfallender Kosten.

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Reaktion des Gesetzgebers die 14. AMG-Novelle

Auch der Gesetzgeber distanzierte sich von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Bemerkenswert ist zunächst, dass der Deutsche Bundestag allgemein hervorhob (vgl. die Beschlussempfehlung des Deutschen Bundestages, Bundestag-Drucksache 15/5728), dass der klinischen Forschung im Gesundheitsbereich eine besondere Bedeutung zukomme. Sie sei Grundlage für eine evidenzbasierte und qualitätsgesicherte medizinische Versorgung und Garant für medizinischen Fortschritt. Von besonders großer Bedeutung sei insoweit die Forschung wissenschaftlich tätiger Ärzte, die nicht kommerzielle klinische Studien an Universitätskliniken oder sonstigen Krankenhäusern und Versorgungseinrichtungen durchführen.

In diesem Sinne wurden im Zuge der 14. AMG-Novelle klarstellende Regelungen zur Finanzierung von klinischen Arzneimittelprüfungen im stationären Bereich getroffen (Kasten).

Klare Regelung der Kostenübernahme durch die 14. AMG-Novelle

§ 8 Abs. 1 Satz 2 Krankenhausentgeltgesetz wurde durch einen Halbsatz ergänzt:

"Bei Patienten, die im Rahmen einer klinischen Studie behandelt werden, sind die Entgelte für allgemeine Krankenhausleistungen nach § 7 zu berechnen; dies gilt auch bei klinischen Studien mit Arzneimitteln."

Außerdem wurde § 10 Bundespflegesatzverordnung ein neuer Absatz 3 angefügt:

"(1) Die allgemeinen Krankenhausleistungen werden vergütet durch

  1. einen Gesamtbetrag nach § 12 (Budget) sowie tagesgleiche Pflegesätze nach § 13, durch die das Budget den Patienten oder ihren Kostenträgern anteilig berechnet wird,

  2. einen Zuschlag nach § 17 a Abs. 6 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes für die Finanzierung der Ausbildungsstätten und der Ausbildungsvergütung nach § 17 a des Krankenhausfinanzierungsgesetzes für jeden Behandlungsfall.

(2) Mit den Pflegesätzen werden alle für die Versorgung des Patienten erforderlichen allgemeinen Krankenhausleistungen vergütet.

(3) Bei Patienten, die im Rahmen einer klinischen Studie behandelt werden, sind die Entgelte für allgemeine Krankenhausleistungen nach den Absätzen 1 und 2 zu berechnen; dies gilt auch für klinische Studien mit Arzneimitteln."

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Leistungspflicht der Kassen besteht weiterhin

Die geänderten Vorschriften des Krankenhausentgeltgesetzes und der Bundespflegesatzordnung lassen jetzt keinen Auslegungsspielraum mehr zu. Die gesetzliche Krankenversicherung muss eindeutig auch bei klinischen Studien mit Arzneimitteln den Versorgungsteil übernehmen. Aufgrund der Änderung der Bundespflegesatzverordnung gilt dies auch für stationäre und teilstationäre Einrichtungen der Erwachsenen- sowie der Kinder- und Jugendpsychiatrie (psychiatrische Krankenhäuser und Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern) sowie Einrichtungen für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin.

Die veränderten Regelungen begründete der Gesetzgeber damit, dass diese erforderlich gewesen seien, um die weitere Finanzierung des Versorgungsanteils durch die Krankenkassen auch bei klinischen Studien mit Arzneimitteln im Rahmen akutstationärer Behandlung sicherzustellen. Nach wie vor seien nur Mehrkosten infolge der Studie über Finanzmittel für Forschung und Lehre oder Drittmittel zu finanzieren.

Eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung hinsichtlich des Versorgungsanteils bestehe aber selbstverständlich nur dann, wenn und solange der Patient ohnehin stationär versorgt werden muss. Dies wäre beispielsweise dann nicht der Fall, wenn die medizinische Betreuung des Patienten ohne die Beteiligung an der Arzneimittelstudie ambulant erfolgen könnte.

Des Weiteren verdeutlichte der Gesetzgeber in seiner Begründung, dass er die Erstattungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung im Zusammenhang mit klinischen Arzneimittelprüfungen bereits nach den bisherigen Regelungen in diesem Sinne verstanden haben wollte. Aufgrund des Urteils des Bundessozialgerichts vom 22.7.2004 sei aber eine Klarstellung erforderlich gewesen. Die Richter hätten bei ihrer Entscheidung die Intention und den Willen des Gesetzgebers im Krankenhausentgeltgesetz bezüglich der Finanzierung klinischer Studien im stationären Bereich missverstanden.

Rechtsanwältin Dr. iur. Isabel Häser, Ehlers, Ehlers und Partner, München