Der Klinikarzt 2005; 34(10): 271
DOI: 10.1055/s-2005-922087
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Schmerz - Ein Reiz (-volles) Thema

W. Hardinghaus
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Prof. Dr. W. Hardinghaus

Ostercappeln

Publication History

Publication Date:
04 November 2005 (online)

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    Das vorliegende Heft des klinikarzt, das Herr Prof. Dr. Dietrich Kettler, Göttingen, als Gasteditor betreut hat, vermittelt eine klinische Standortbestimmung der Anästhesie. Auch mich reizt das Thema und zwar aus verschiedenen Gründen. Einige Felder wie die Notfalltherapie und Schmerzbehandlung, die heute von Anästhesisten bestellt werden, bearbeiten wir Internisten schon lange. Vielleicht haben wir diese Arbeitsfelder in den letzten Jahren ungenügend gedüngt. Jedenfalls war der Internist immer Generalist. Jetzt wird der Anästhesist als Spezialist zum Generalist - oder sogar umgekehrt, wie ich auf der Website des Krankenhauses St. Joseph-Stift GmbH Bremen fand, wo der Anästhesist als „Generalist mit speziellen Kenntnissen” angesehen wird.

    Das Thema reizt mich zudem auch persönlich: Als Schüler eines humanistischen Gymnasiums und Sohn eines Griechisch- und Lateinlehrers zwang man mich schon früh, über den Tellerrand hinaus - dabei allerdings in die Antike - zu blicken: So kann man das Sardonische Kraut als eines der ersten Anästhetika betrachten. In Sardo, der alten Phönizierstadt auf Sardinien, soll eben diese Giftpflanze durch ihren Duft zum Genuss verleitet und dabei den Tod herbeigeführt haben. Durch die Stimulation der Gesichtsmuskulatur trotzte das Sardonische Kraut dem Vergifteten im Todeskampf ein letztes Lächeln ab - und auch heute noch bezeichnen wir den Gesichtsausdruck beim Wundstarrkrampf als „Risus sardonicus”. Angeblich war es euthan-ästhetischer Brauch, dass die Kinder von Sardo Sterbehilfe übten, indem sie ihre Alten auf diese Weise in den Tod schickten und ihnen dabei einen würdigen Anschein verleihen wollten, geradeso, als wenn Schmerzen und Tod ein Leichtes seien.

    Immerhin haben sich Generationen von Schriftgelehrten und Philosophen bemüht, Leid und Leiden in die Ordnung der Dinge einzufügen. Damit versuchten sie, dem Leiden wenigstens einen befriedigenden Sinn abzugewinnen, wenn sie es schon nicht beherrschen konnten. „Pathämata mathämata - durch Leiden lernen wir”, sagten die alten Griechen. Nach der christlich-katholischen Traditionslehre gilt es, das Leiden Jesu am Kreuz im Letzten nachzuahmen. Und Goethe rief auf: „Die Schmerzen sind es, die ich zu Hilfe rufe, denn es sind Freunde, Gutes raten sie”. „Vergiss es”, so hierzu ein französischer Bischof in einem eigenen Erfahrungsbericht über seinen schier unerträglichen Kampf gegen den Krebsschmerz im Endstadium seines Leidens. Vergiss es? „Qui doluit meminit - wer litt, vergisst nicht”, traf Cicero andersmeinend den Nagel unseres Gedächtnisses wohl auf den Kopf.

    Das Schmerzgedächtnis ist heute wieder ein Top-Thema der modernen Schmerztherapie. Das Max-Planck-Institut München um den Kollegen Zieglgänsberger hat uns hierzu Beispiele aus der Neuro-Biochemie vorgelegt. Wiederum ein Anästhesist, Antti Revonsuo aus Finnland, gibt zu bedenken: „Es ist nicht einmal klar, ob eine Anästhesie tatsächlich das Bewusstsein betäubt - oder ob die narkotisierten Patienten nicht einfach nur gelähmt sind und ihr Gedächtnis gelöscht wird.”

    Egal wie, der Schmerzreiz ist ein Reizthema. Und schließlich kann es mir ebenso egal sein, ob ich als Internist und Palliativmediziner oder ob der Kollege Anästhesist dem Schmerzpatienten kompetent helfen kann, solange nur der Patient nicht leiden muss. Daher möchte ich mich unserem „Urgeneralisten” Hippokrates anschließen: „Es ist mir ganz gleichgültig, nach welchem Wege es gelingt!”

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