Der Klinikarzt 2005; 34(11): IV-V
DOI: 10.1055/s-2005-922812
Blickpunkt

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Aktuelle Aspekte in der Mykologie - Können neue Therapiestrategien bestehende Lücken füllen?

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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
01. Dezember 2005 (online)

 
Inhaltsübersicht

Mit der Kooperation der European Organisation for Research and Treatment of Cancer Infections Disease Group (EORTC-IDG) und der European Confederation for Medicinal Mycology (ECMM) rücken die mykologische Grundlagenforschung und klinische Weiterbildung näher zusammen - ein Ergebnis dieses Zusammenschlusses ist der Kongress "Trends in Medical Mycology" (TIMM), der in diesem Jahr bereits zum zweiten Mal stattfand. Warum es so wichtig ist, beide Aspekte nicht nur abzudecken, sondern auch zusammenzubringen, erklärten Prof. M. Ruhnke, Berlin, und Prof. Kullberg, Nijmegen (Niederlande): "Nur wenn Grundlagenforscher und Kliniker eng zusammenarbeiten, können wir bessere Therapiestrategien entwickeln, um unseren Patienten mit invasiven Pilzinfektionen zu helfen."

Und das ist dringend notwendig, wie Prof. D.W. Denning, Manchester (UK), anhand aktueller Daten belegte: Zwar sind systemische Mykosen deutlich seltener als bakterielle Infektionen, die Mortalitätsrate der Betroffenen betrage jedoch rund 40%, und dies wiederum sei viel höher als die Sterblichkeitsrate bei bakteriellen Infektionen. Erschwerend komme hinzu, dass praktisch alle zur Verfügung stehenden Antimykotika bei etwa 30% der Patienten versagen. Im Falle von Aspergillus-Infektionen sprechen sogar im Schnitt 40% der Betroffenen nicht auf die Therapie an - eine Lücke, die sicherlich geschlossen werden muss.

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Bedarf an neuen Wirkstoffen bleibt bestehen

Eines der größten Probleme, das in diesem Zusammenhang immer wieder auftaucht, ist die große Ähnlichkeit der Pilzzellen mit humanen Zellen. Denn dies macht es extrem schwierig, neue antimykotisch wirksame Substanzen zu entwickeln, die spezifisch das Wachstum der Pilzzellen inhibieren, die Wirtszellen aber nicht tangieren. "Bislang kennen wir nur wenige Mechanismen, die sich als Angriffspunkt eignen", meinte Prof. A. Brakhage, Jena. "Und da sich die meisten unserer Medikamente auf einige wenige Zielstrukturen fokussieren, haben wir zudem nur wenig Reserven, wenn Resistenzen gegen einen Wirkstoff auftreten."

So schädigen zum Beispiel Amphotericin oder alle Azole - also Fluconazol, Itraconazol oder Voriconazol - die Pilzmembran und hemmen damit das Wachstum der Pilze, da sie in die Ergosterolsynthese eingreifen. Die Echinocandine wirken ebenfalls auf die Zellmembran der Pilze. Sie inhibieren jedoch die Synthese von ß-([1], [3]-D-Glukan, sodass dieses für den Einbau in die Zellwand nicht zur Verfügung steht. Für Ruhnke wäre die Blockade der Effluxpumpen, mit denen die Antimykotika wieder aus der Pilzzelle "gepumpt" werden, ein interessanter antimykotischer Ansatz. Bislang waren jedoch die Anstrengungen, die in diese Richtung unternommen wurden, nicht von Erfolg gekrönt.

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Sind Kombinationstherapieschemata sinnvoll?

Einen Ausweg aus dieser Situation erhoffen sich viele Kliniker von einem Einsatz von antimykotischen Kombinationstherapien. Hier geht es jedoch nicht allein um eine höhere Aktivität der Therapie oder ein schnelleres Ansprechen der Patienten auf die Behandlung - mit dem zusätzlichen Bonus einer geringeren Resistenzentwicklung. Vorstellbar ist auch, dadurch ein breiteres Keimspektrum abdecken zu können oder auch eine bessere Gewebeverteilung zu erreichen.

In vielen tierexperimentellen Studien ist das Konzept der Kombinationstherapie erfolgreich getestet, berichtete Maschmeyer. "Besonders interessant dabei ist eine Studie an Meerschweinchen, in der eine Kombinationstherapie mit Caspofungin und Voriconazol insbesondere im Lungengewebe und im Gehirn außerordentlich gut abschnitt." Aber auch beim Menschen übersetzt sich diese Kombination in einen therapeutischen Erfolg ([2]). Elf von 14 Patienten sprachen auf eine sekundäre Therapie mit Voriconazol und Caspofungin an. "Das lässt schon hoffen, dass diese Kombination etwas bringt", meinte Maschmeyer.

"Leider lassen solche Studien keine endgültigen Aussagen zu und kontrollierte Daten fehlen. Und dies wird voraussichtlich auch erst einmal so bleiben", konstatierte der Mediziner. Um eine Überlegenheit der Kombination bezüglich des Überlebens von 10% zeigen zu können, müsste man mindestens 800 Patienten in eine Studie einschließen - ein Aufwand, für den derzeit die Mittel fehlen. Deshalb ist noch große Vorsicht geboten, wenn man sich tatsächlich für eine Kombinationstherapie entscheidet.

Bislang bestehen zudem keine oder nur wenige Kenntnisse über möglicherweise steigende Toxizitäten oder potenzielle Medikamenteninteraktionen im Rahmen von Kombinationsstrategien. "Es könnte zum Beispiel sein, dass eine Substanz den Abbau des zweiten eingesetzten Wirkstoffs fördert", erklärte Prof. G. Maschmeyer, Potsdam. So gebe es Beobachtungen, dass man Amphotericin und seine Abkömmlinge lieber nicht mit einem Azol kombinieren sollte ([4]). Denn laut diesen Studiendaten verringerte sich der Effekt von Amphotericin, wenn es nach einer Therapie mit Azolen eingesetzt wurde.

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Was können wir in naher Zukunft erwarten?

Demnach bleibt derzeit tatsächlich vor allem die Hoffnung auf die Einführung neuer Präparate. So werden demnächst mit Posaconazol oder den Echinocandinen Anidulafungin bzw. Micafungin zumindest drei neue Produkte auf den Markt kommen - allerdings greifen diese auch auf die bekannten Zielstrukturen zurück. Dennoch können die Wirkstoffe eine wertvolle Ergänzung der aktuellen Therapieoptionen sein. So ist Posaconazol ein Antimykotikum, das sich auch für den Einsatz bei Infektionen mit seltenen Pilzen, wie zum Beispiel Mucor spp., eignet. Zugelassen wird das neue Azol zunächst nur zur Salvage-Therapie. "Wenn alle anderen Azole nicht helfen, haben wir damit noch eine Therapieoption", sagte Ruhnke.

Anidulafungin wiederum - eine Substanz, die zwar vor zehn Jahren von Lilly entwickelt wurde, inzwischen aber zum Produktportfolio von Pfizer gehört - habe ein besonderes Potenzial, denn mit dieser Substanz könne man zum ersten Mal eine überlegene Wirkung im Vergleich zu den "älteren" Substanzen erwarten, so Ruhnke. In einer Dosisfindungsstudie hatten am Ende der Behandlung über 90% der Patienten mit invasiven Candidämien auf die Anidulafungintherapie angesprochen ([3]) - ein enormer Fortschritt im Vergleich zu den bisher maximal erreichbaren Ansprechraten von 70% unter Fluconazol, Voriconazol oder Caspofungin!

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Auch alternative Strategien werden diskutiert

Von ganz anderen Strategien, die ebenfalls dazu beitragen könnten, die Ansprechraten zu erhöhen, berichtete Prof. D. Denning, Manchester (UK). Er setzt unter anderem auf eine zugegebenermaßen nicht ganz neue Idee, die George Bernhard Shaw bereits 1906 zum ersten Mal formulierte, nämlich die Stimulation des Immunsystems zum Beispiel mit Interferon gamma (IFNg) oder G-CSF ("granulocyte colony stimulating factor") - natürlich zusätzlich zur antimykotischen Behandlung. "Meiner Meinung nach ist dies ein sehr logischer Ansatz", meinte der Mykologe.

Inzwischen gibt es zwei Projekte, die den potenziellen Erfolg einer solchen Stimulation des Immunsystems unterstreichen. So sprachen beispielsweise HIV-positive Patienten mit einer akuten Kryptokokken-Meningitis nach einer Behandlung mit Interferon besser auf die antimykotische Therapie an ([1]). Erhielten die Patienten nur Antimykotika, war nach zwei Wochen ein mykologischer und klinischer Respons von 8% zu verzeichnen, unter der zusätzlichen Interferontherapie dagegen betrug die Ansprechrate immerhin 26% (p = 0,078).

Noch unpubliziert ist eine Studie von Kullberg et al., in der nichtneutropenischen Patienten mit Candidämie oder disseminierter Candidiasis zusätzlich zu einer Fluconazol-Therapie G-CSF verabreicht wurde. "Ziel der Behandlung mit G-CSF war es nicht, die Leukozytenzahl zu erhöhen, sondern deren Aktivität zu verbessern", erklärte Kullberg. "Und dies ist gelungen: Unter der G-CSF-Therapie bildeten sich die Infektionen schneller zurück."

Ein besseres Outcome verspricht auch eine additive Antikörpertherapie, so eine aktuelle, noch unveröffentlichte Untersuchung von Matthews et al. Das Problem bei der Behandlung der Candidämie-Patienten mit liposomalem Amphotericin B mit Mycograb®, einem Anti-Candida-Antikörper, war jedoch, dass die Patienten eine Hypertonie entwickelten. Zwar gibt es mit der Studie einen Hinweis auf den potenziellen Erfolg eines Einsatzes von Antikörpern, "an der Sicherheit jedoch müssen wir noch arbeiten", meinte Denning.

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Risikogruppen könnten von einer Vakzinierung profitieren

Ebenfalls ein Projekt für die Zukunft ist die Entwicklung von Vakzinen gegen Mykosen. Natürlich könne man nicht jeden gegen eine potenzielle Pilzinfektion impfen, meinte Brakhage. Er könne sich einen solchen Ansatz jedoch gut als Präventionsstrategie für Hochrisikopatienten vorstellen, zum Beispiel vor der Einweisung auf die Intensivstation oder vor einer Organtransplantation. Doch bevor spezifische Vakzine entwickelt werden können, sei es zunächst nötig, aufzuklären, welche Rezeptoren der Wirtszelle die Pilze erkennen - vielleicht gibt es ja in zwei Jahren, beim nächsten TIMM schon erste Erfolge zu berichten.

sts

Quelle: Presse-Lunch "2nd Trends in Medical Mycology 2005" - Scientific Highlights of the International Congress TIMM 2005 organized by the European Organization for Research and Treatment of Cancer Infections Disease Group (EORTC-IDG) and the European Confederation for Medicinal Mycology (ECMM)

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Literatur

  • 1 Pappas PG . Bustamante B . Ticona E . et al . Recombinant interferon-gamma 1b as adjunctive therapy for AIDS-related acute cryptococcal meningitis.  J Infect Dis. 2004;  189(12) 2185-2191
  • 2 Maertens J . Glasmacher A . Herbrecht R . ICAAC 2004, Abstract 3718. 
  • 3 Schranz JA . Krause D . Goldstein BP . et al . Efficacy of anidulafungin (ANID) for the treatment of candidemia. 43rd Annual ICAAC 2003; abstract M-971. 
  • 4 Steinbach WJ . Stevens D . Denning DW . Combination and sequential antifungal therapy for invasive aspergillosis: review of published in vitro and in vivo interactions and 6281 clinical cases from 1966 to 2001.  Clin Infect Dis. 2003;  37(suppl3) S188-S244
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Literatur

  • 1 Pappas PG . Bustamante B . Ticona E . et al . Recombinant interferon-gamma 1b as adjunctive therapy for AIDS-related acute cryptococcal meningitis.  J Infect Dis. 2004;  189(12) 2185-2191
  • 2 Maertens J . Glasmacher A . Herbrecht R . ICAAC 2004, Abstract 3718. 
  • 3 Schranz JA . Krause D . Goldstein BP . et al . Efficacy of anidulafungin (ANID) for the treatment of candidemia. 43rd Annual ICAAC 2003; abstract M-971. 
  • 4 Steinbach WJ . Stevens D . Denning DW . Combination and sequential antifungal therapy for invasive aspergillosis: review of published in vitro and in vivo interactions and 6281 clinical cases from 1966 to 2001.  Clin Infect Dis. 2003;  37(suppl3) S188-S244