Dass ein Präparat in Deutschland als erstem Land ausgeboten wird, ist selten geworden.
Eine Ausnahme war das Antiinfektivum Moxifloxacin (Avalox®, Bayer Vital GmbH, Leverkusen),
das seit September 1999 für die Behandlung von Atemwegsinfektionen auf dem deutschen
Markt zur Verfügung steht. Inzwischen ist das Fluorchinolon der PEG-Gruppe 4 - als
Tablette und seit April 2002 die parenterale Form - in über 100 Ländern zugelassen
und wurde bei mehr als 40 Millionen Patienten eingesetzt.
Nach Meinung der Experten ist die Substanz aufgrund ihrer hohen klinischen Wirksamkeit
bei Mischinfektionen sowie ihrer hohen Penetration in die verschiedenen Kompartimente
eine wertvolle Bereicherung der bestehenden Antibiotikaregime. Dabei fällt Moxifloxacin
- anders als zum Beispiel Enoxacin und Norfloxacin, die vorwiegend bei Harnwegsinfektionen
eingesetzt werden, sowie Ciprofloxacin, Levofloxacin und Ofloxacin - nicht unter die
seit kurzem bestehende Festbetragsregelung für Chinolone. „Moxifloxacin wurde keiner
dieser beiden Gruppen zugeordnet, da es aufgrund eines nochmals erweiterten Keimspektrums
bei grampositiven Bakterien, bei Anaerobiern und bei atypischen Keimen wie Mycoplasmen
und Chlamydien wirksam ist”, erläuterte W. Kaesbach, Essen, die Entscheidung.
Der Wert der Substanz zeigt sich auch in der aktuellen Indikationserweiterung für
Moxifloxacin: Seit Mitte des Jahres ist die Infusionslösung in Deutschland und 16
anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) auch zur Behandlung komplizierter
Haut- und Weichgewebeinfektionen zugelassen. Diese Indikationserweiterung wird jedoch
voraussichtlich nicht die Letzte sein: So belegen aktuelle Studienergebnisse die Äquivalenz
von Moxifloxacin gegenüber Standardtherapieregimen bei weiteren Indikationen - z.B.
bei schweren intra-abdominellen oder auch gynäkologischen Infektionen.
Einfaches Regime auch bei komplizierten Infektionen
„Komplizierte Haut- und Weichgewebeinfektionen sind schwerste Erkrankungen. Deshalb
bedeutet diese Indikationserweiterung für die Patienten einen erheblichen Forschritt”,
sagte Dr. M. Springsklee, Leiter der klinischen Antiinfektiva-Entwicklung der Division
Pharma von Bayer Health Care. Zu den so genannten komplizierten Haut- und Weichgewebeinfektionen
zählen
-
tiefe Weichgewebeinfektionen
-
Infektionen, die erhebliche operative Eingriffe erfordern
-
oberflächliche Infektionen in anatomischen Bereichen, bei denen das Risiko einer Beteiligung
von anaeroben oder gramnegativen Krankheitserregern höher ist
-
Infektionen bei Patienten mit Gefäßstörungen (z.B. Neuropathie, Diabetes) oder anderen
Grunderkrankungen (z.B. Immunsuppression, Leberzirrhose, Mangelernährung).
Solche Infektionen, die oft von Staphylococcus aureus, aber auch von den unterschiedlichsten
anderen Erregern hervorgerufen werden, sind schwere und schmerzhafte Erkrankungen.
Häufig erfordern sie neben einer differenzierten Antibiotikatherapie mit zum Teil
langen Behandlungszeiten eine chirurgische Intervention.
Insbesondere nekrotisierende Weichgewebeinfektionen sind mit hohen Mortalitätsraten
verbunden. Damit zählen komplizierte Haut- und Weichgewebeinfektionen zu den Erkrankungen,
die das Gesundheitswesen stark belasten - meist laufen neben diesen hohen direkten
Aufwendungen für die Therapie auch hohe indirekte Kosten, bedingt durch lange Fehlzeiten
am Arbeitsplatz auf. Allein in Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Großbritannien
erkranken rund zwei Millionen Menschen an komplizierten Haut- und Weichgewebeinfektionen.
US-amerikanischen Zahlen zufolge bedarf etwa jeder achte dieser Patienten einer stationären
Behandlung.
In der Regel erfordern solche Infektionen eine Antibiotikatherapie mit einem breiten
aeroben bzw. anaeroben Wirkspektrum. Oft ist eine Kombinationstherapie vonnöten, deren
Komponenten mehrmals täglich gegeben werden müssen, so Springsklee. Daher brauche
man - insbesondere wegen der Schwere der Krankheitsbilder - neue und effektive Therapieoptionen,
forderte Dr. P. Giordano, Orlando (Florida, USA). „Die Moxifloxacin-Infusionslösung
ermöglicht eine einmal tägliche Monotherapie. Damit steht nicht nur eine wirksame,
sondern für Patienten und Personal auch angenehme Therapieoption zur Verfügung.”
Studienlage belegt Äquivalenz zu Standardregimen
Grundlage der Indikationserweiterung für Moxifloxacin ist unter anderem eine US-amerikanische,
randomisierte, prospektive, doppelblinde Multizenterstudie, die Giordano bereits vor
einem Jahr auf der 44th Interscience Conference on Antimicrobial Agents and Chemotherapy
in Washington (USA) präsentierte (1). Dabei behandelte er insgesamt 367 Patienten
(Per-Protokol-Population) mit komplizierten Haut- und Weichgewebeinfektionen, darunter
zum Beispiel infizierte ischämische Ulzera, diabetische Fußinfektionen, größere Abszesse
oder andere komplizierte Haut- oder Weichgewebeinfektionen, die einen größeren chirurgischen
Eingriff und eine antimikrobielle Therapie erforderten.
Die Patienten erhielten entweder eine Moxifloxacin-Monotherapie (400 mg einmal täglich)
- zuerst intravenös, dann oral verabreicht - oder Piperacillin-Tazobactam (3000/375
mg i.v., alle sechs Stunden) und anschließend Amoxicillin/Clavulansäure (800/114 mg
Suspension alle zwölf Stunden oral). Die Gesamttherapiedauer betrug in beiden Studienarmen
sieben bis 14 Tage, im Mittel wurden die Patienten acht Tage behandelt. Studienendpunkte
waren der klinische und bakteriologische Erfolg der Therapie - getestet zehn bis 42
Tage nach Therapieende - und die Verträglichkeit der Moxifloxacintherapie.
Wie die Studie belegt, ist die Moxifloxacinmonotherapie ebenso wirksam wie die eingesetzte
Standardbehandlung - aufgrund der nur einmal täglichen Gabe allerdings bei einem deutlich
einfacher zu handhabenden Therapieregime (i.v. und oral verfügbar), das dann auch
die Möglichkeit zur ambulanten Weiterbehandlung bietet.
So betrug die bakteriologische Ansprechrate unter Moxifloxacin 77,9 %, während unter
der Standardtherapie in 77,4 % der Fälle eine erfolgreiche bakteriologische Eradikation
gelang. Vergleichbar waren auch die klinischen Gesamtheilungsraten in beiden Studienarmen.
Unter der Behandlung mit Moxifloxacin lag der klinische Erfolg bei 79,4 %, während
im Standardtherapiearm eine Rate von 81,8 % zu verzeichnen war (95 %-Konfidenzintervall:
-12,0-3,3 %).
Keinen Unterschied gab es bezüglich der Anzahl der unerwünschten Ereignisse in beiden
Therapiearmen (31 versus 30 %). Die Art der aufgetretenen Nebenwirkungen differierte
jedoch durchaus zwischen den beiden Studienarmen. Demnach waren mehr Patienten, die
mit Moxifloxacin behandelt worden waren, von Übelkeit, Obstipation und Anämie betroffen,
während die Standardtherapie eine höhere Rate an Diarrhö und Kopfschmerzen bedingte.
„Diese einmal tägliche Gabe eines potenten Antibiotikums wie Moxifloxacin, das mit
der oralen Applikationsform auch eine einfache sequenzielle Therapie möglich macht,
könnte dazu beitragen, die Behandlung von Patienten mit komplizierten Haut- und Weichgewebeinfektionen
zu optimieren”, bewertete Giordano die Studiendaten, „und bietet eine viel versprechende
Therapieoption - insbesondere bei Infektionen mit Staphylococcus aureus.”
Weitere Indikationen werden derzeit geprüft
Dass sich das Fluorchinolon der PEG-Gruppe 4 über die Therapie von schweren Atemwegs-
sowie Haut- und Weichgewebeinfektionen hinaus auch für weitere Indikationsbereiche
eignen könnte, dafür sprechen aktuelle klinische Untersuchungen. So war Moxifloxacin
auch bei der Behandlung schwerer intra-abdomineller Infektionen ebenso effektiv wie
Standardantibiotika. „In dieser Phase-III-Studie war die einmal tägliche Monotherapie
mit Moxifloxacin mit der viermal täglich applizierten Standardtherapie mit Piperacillin-Tazobactam
i.v., gefolgt von Amoxicillin/Clavulansäure oral, in der Wirksamkeit vergleichbar”,
kommentierte Dr. J. Solomkin, Ohio (USA) die Studienergebnisse.
In einigen Subgruppen zeigte das Fluorchinolon allerdings durchaus Unterschiede zum
getesteten Vergleichsregime: Zum Beispiel waren die Eradikationsraten bei Patienten
mit Bacteroides-fragilis-Infektionen höher, wenn sie mit Moxifloxacin behandelt wurden,
als wenn sie die Standardtherapie erhielten (85,4 versus 72 % [2]). Bei nosokomialen Infektionen lag der klinische Erfolg unter Moxifloxacin bei 81,5
%, in der Vergleichsgruppe konnten 54,8 % [2] erfolgreich behandelt werden. sts
Quellen: Pressemitteilung „Antiinfektivum Avalox® in Europa für weitere Indikation
zugelassen”, herausgegeben von der Bayer Healthcare AG, Leverkusen, und diverse Veröffentlichungen
in Fachmedien