Salben in der antiken Pharmakologie
Salben in der antiken Pharmakologie
In der griechischen und römischen Heilkunde spielen Salben zur Behandlung von Verletzungen
und Krankheiten eine wichtige Rolle. Zahlreiche Rezepte für Medikamente (pharmaka)
und detaillierte Therapieanweisungen sind durch die Schriften von Ärzten und Enzyklopädisten
überliefert [1]
[2]. Als Beispiel seien hier die „Acht Bücher über die Heilkunst” genannt, die Aulus
Cornelius Celsus in der Zeit des Kaisers Tiberius (14 bis 37 n. Chr.) verfasste. Im
pharmazeutischen Teil (Bücher 5 und 6) wird u. a. über die Behandlung von Wunden und
Geschwüren sowie über Anwendungen zur Hautreinigung informiert [3].
Unter der Vielzahl empfohlener Heilmittel bilden Salben, Pasten und Zäpfchen, die
ihrer länglichen Form wegen als „Kollyria” („Brötchen”) bezeichnet werden, eine eigene
Gruppe [4]. Wie Markenartikel tragen sie oft einen Stempel, der den Pharmazeuten, das Medikament
und die Indikation nennt. Daraus geht hervor, dass die meisten dieser Präparate gegen
Augenleiden angewendet wurden. Die getrockneten Arzneien, die vor dem Gebrauch mit
Lösungsmitteln aufzubereiten waren, wurden von „unguentarii” (Salbenhändlern) feilgeboten.
Plinius der Ältere warnte, dass diese Präparate oft von minderer Qualität seien (Naturalis
Historia 34, 25, 108) . Ein guter Arzt vertraue deshalb nicht auf Fertigprodukte,
sondern stelle seine Medikamente selbst her.
Gräber als Quellen der Medizingeschichte
Gräber als Quellen der Medizingeschichte
Kollyrien und insbesondere die plättchenförmigen Stempel, mit denen sie gekennzeichnet
wurden, sind bemerkenswert häufig erhalten geblieben - und dies gilt nicht allein
für diese besondere Objektgattung, sondern generell für medizinische Instrumente [5]. Grund dafür ist der Umstand, dass diese Gegenstände gelegentlich als Beigaben in
Gräber gelangten. Nun waren die römischen Bräuche zwar äußerst zurückhaltend, was
die Ausstattung Verstorbener mit persönlichen Dingen oder mit Berufswerkzeug betrifft.
Zu den wenigen Ausnahmen gehörten medizinische Instrumente, die insbesondere in den
Provinzen die Arztgräber kennzeichnen [6]. Funde aus Gräbern bieten der Forschung meist günstige Voraussetzungen: Durch die
Lage in einer tiefen Grube sind die Gegenstände nicht nur besonders geschützt, sie
lassen sich im Kontext der Beigaben auch leichter interpretieren und datieren.
Die römische Nekropole von Heidelberg-Neuenheim
Die römische Nekropole von Heidelberg-Neuenheim
Dieses Phänomen lässt sich am Beispiel des Gräberfeldes von Heidelberg-Neuenheim gut
verdeutlichen. Der Bestattungsplatz an der Straße nach Lopodunum (Ladenburg a. N.)
wurde in der Zeit von ca. 80 bis 190 n. Chr. von den Soldaten des nahegelegenen Kastells
und den Bewohnern der zugehörigen Zivilsiedlung (Vicus) genutzt. Über 1400 Gräber
wurden in den Jahren von 1951 bis 1970 unter der Leitung des Archäologen Berndmark
Heukemes freigelegt [7]. Im Rahmen der wissenschaftlichen Bearbeitung, die derzeit durch die Förderung der
Deutschen Forschungsgemeinschaft ermöglicht wird, konnte unlängst das Grab einer etwa
dreißigjährigen Ärztin identifiziert werden: Die Frau war mit zwei bronzenen Schröpfköpfen
beigesetzt worden, die in der Antike als Emblem des Ärztestandes galten [8].
Eine „Taschenapotheke” als Grabbeigabe
Eine „Taschenapotheke” als Grabbeigabe
Eine andere, ebenso seltene Beigabe soll im folgenden vorgestellt werden. In einer
kastenförmig (80 × 40 × 57 cm) in den Lößlehm geschnittenen Grube war ein Topf abgestellt
worden, der als Urne für den aus dem Scheiterhaufen ausgelesenen Leichenbrand diente.
Das Beigabenensemble aus der Zeit um 100 n. Chr. umfasste zahlreiche verbrannte Objekte,
wie z. B. einen aus Südgallien importierten Tafelgeschirrsatz aus rotglänzendem Ton
(Terra Sigillata). Vor dem Verfüllen der Grabgrube hatten die Angehörigen unversehrte
Gegenstände dazugestellt. Hervorzuheben sind ein Handspiegel aus versilberter Bronze,
eine kunstvoll dekorierte Bronzeschüssel sowie Beschläge und Griffe einer Schatulle.
Unter den unverbrannten Beigaben befand sich auch ein stark beschädigtes Objekt aus
Bronzeblech. In der Archäologischen Abteilung des Kurpfälzischen Museums wurden die
Fragmente von Restaurator Folkwin Vogelsang gereinigt und zusammengesetzt.
Der Fund entpuppte sich als ein komplexes Gerät, das nur wenige Parallelen von anderen
Fundorten besitzt [9]. Das sogen. „kombinierte Salbenreibkästchen” besteht aus einer rechteckigen Platte
(11,5 × 7,5 cm), an deren einem Ende ein halbkugelförmiger Napf eingelassen ist (Abb.
[1] u. 2). Dahinter ist ein quadratisches Kästchen aufgelötet, das durch einen Steg in zwei
Fächer unterteilt und durch einen Schiebedeckel verschlossen wird. Seitlich ist eine
zylindrische Hülse an die Platte angelötet. Die Kanten der Längsseiten sind nach unten
umgebogen und bilden so Falze, in die ein steinernes Täfelchen mit abgeschrägten Kanten
eingehängt ist. Von dieser sogen. Reibpalette, die sich entlang der Schiene verschieben
lässt, sind zwei Fragmente erhalten geblieben. Auf dem Schiebedeckel ist mit Klebstoff
ein rechteckiges Plättchen fixiert worden: In das dünne Blech (0,02 cm) wurde mit
feinen Punzen ein Bild eingedrückt.
Abb. 1 Restauriertes Salbenreibkästchen mit halb herausgezogener Reibpalette aus Schiefer.
Foto: Kurpfälzisches Museum (VE.DO/R. Ajtai).
Abb. 2 Rückseite des Salbenreibkästchens mit napfförmiger Vertiefung. Foto: Kurpfälzisches
Museum (VE.DO/R. Ajtai).
Das „multifunktionale” Gerät diente sowohl zur Herstellung von Salben als auch zur
Aufbewahrung der dafür nötigen trockenen Substanzen [10]. Diese wurden auf der Palette mit Wasser, Öl oder Fett verrührt. Dafür verwendete
man langstielige Spatel, die in der Hülse aufbewahrt werden konnten. Die Funktion
des Napfes ist bislang ungeklärt. Vielleicht mischte und erwärmte man darin die Salben.
Denkbar ist auch, dass die Vertiefung der Aufbewahrung von Wachs, Fett oder Textilstücken
für die Wundabdeckung diente. Die praktische „Taschenapotheke” wurde von Ärzten -
die immer auch Pharmazeuten waren - auf Krankenvisite mitgeführt.
Mars mit Gans
Mars mit Gans
Bemerkenswert ist das Motiv auf dem Zierblech (Abb. [3]): Es zeigt einen stilisierten Tempel, dessen Fries beiderseits von Reiterfiguren
flankiert wird. Zweifellos handelt es sich um Castor und Pollux, das göttliche Zwillingspaar.
Im Tempel steht das Kultbild des gerüsteten und bewaffneten Kriegsgottes Mars. Neben
ihm ist ein Fabelwesen - vielleicht ein „Seeleopard” - dargestellt, und vor dem Sockel
des Götterbildes ist eine Gans mit emporgerecktem Hals zu erkennen. Nahe dem linken
Rand des Blechs hat sich der Hersteller „Strabo” namentlich verewigt.
Abb. 3 Das Miniaturblech des Strabo vom Schiebedeckel bildet einen Tempel des Mars ab. Foto:
Kurpfälzisches Museum (VE.DO/R. Ajtai).
Nur selten wird die Gans als Begleittier des Mars abgebildet. Außer dem Heidelberger
Beispiel sind bislang 27 weitere Darstellungen bekannt [11]. Die Funde stammen aus den nördlichen Provinzen und verteilen sich auf ein Gebiet,
das vom Hadrianswall in Britannien bis zur Provinz Dacia (heute Rumänien) reicht.
Offensichtlich wird in diesen Fällen der Kriegsgott in der sogen. „Interpretatio Romana”
mit einer keltischen oder germanischen Gottheit gleichgesetzt, deren Attribut die
Gans war. Immerhin stammen allein zehn Bilder ebenfalls von Deckeln medizinischer
Kästchen! Andere Arzneimittelbehälter werden vom Bild des Heilgottes Asklepios geziert
[12]. Deshalb liegt die Vermutung nahe, dass die unbekannte, mit Mars verbundene Gottheit
mit den Inhalten der Kästchen und der Anwendung der Medikamente in Zusammenhang steht.
Medizinisches Gerät oder kosmetisches Utensil?
Medizinisches Gerät oder kosmetisches Utensil?
Die praktischen Kästchen wurden allerdings nicht nur zu pharmazeutischen Zwecken verwendet.
Aus verschiedenen Fundzusammenhängen geht hervor, dass die Behälter auch zur Aufbewahrung
und Aufbereitung von Schminksubstanzen genutzt wurden [13]
[14]. Wahrscheinlich ist auch das Heidelberger Exemplar zuletzt für kosmetische Zwecke
genutzt worden. Diese Deutung legt die Beigabe des Handspiegels nahe. Eine anthropologische
Geschlechtsbestimmung war aufgrund der geringen Menge des erhaltenen Leichenbrandes
nicht möglich. Allerdings lässt das Vorkommen eines Spinnwirtels, der als geschlechtsspezifische
Beigabe gilt, auf eine Dame schließen, die auch in der Provinz nicht auf gehobene
Kosmetikstandards verzichten mochte.
Anmerkung
Anmerkung
Für die Durchsicht des Manuskripts danke ich Frau Dr. Kristina Hoge, Heidelberg.