Lepra in der Geschichte
Lepra in der Geschichte
Die Lepra dürfte so alt sein wie die Menschheit selbst und die wechselvolle Geschichte
dieser Krankheit kann Bücher füllen. In alten ägyptischen Papyren aus der Zeit des
Ramses II, immerhin im 13. Jahrhundert v. Chr., wird die Erkrankung erwähnt, und zwar
bezogen auf die frühe 5. Dynastie des Pharao Sapti V, also im 5. vorchristlichen Jahrtausend!
Zum Beginn der historischen Zeit war die Erkrankung im Mittleren Osten nicht allzu
selten, beim Exodus sollen in Ägypten bereits mehrere Tausend Juden an der Erkrankung
gelitten haben und die Bezeichnung „Lepra ” war für das Leiden, das sichtbar an der Haut war und zu Mutilationen führte, im
Griechischen gebräuchlich.
Im klassischen Griechenland selbst kam die Lepra kaum oder nicht vor, sie muss in
der Zeit des römischen Imperiums über das alte Phönizien, Syrien und Palästina nach
Rom und damit nach Europa gelangt sein. Im neuen Testament (Lukas Evangelium, Kap.
5, 12 - 15) ist zu lesen, dass ein Mann vor den Füßen Jesu kniete, dessen Haut „voll
von Exanthemen einer Lepra” war, und ihn um „Reinigung” bat. Jesus vollbrachte das
Wunder und heilte ihn, anschließend forderte er den Patienten auf, für seine „Reinigung”
von dem Leiden die vorgeschriebenen Opfer zu bringen und sich danach den Priestern
zu „zeigen”. Letztere hatten damals offenbar auch die Aufgaben des Arztes und überwachten
derartige Krankheitsfälle. Die Einhaltung der Gesetze von Seiten der Kranken war unumgängliche
Pflicht.
Im europäischen Raum breitete sich die Infektion während des Mittelalters bis nach
Skandinavien und zum Baltikum gewaltig aus. In seinem ausführlichen Handbuch-Beitrag
aus dem Jahre 1930 führt V. Klingmüller in seiner geschichtlichen Ausarbeitung an,
dass zur Zeit der Kreuzzüge um das 13. Jahrhundert in Europa bis zu 19 000 Leprosarien
existiert haben müssen. Oft wurde die Lepra allerdings mit Skabies oder Psoriasis
verwechselt, bis 1874 Hansen das Mycobacterium mit der Erkrankung in Verbindung brachte.
Noch beim 4. Internationalen Kongress für Dermatologie in Berlin, Anfang des 20. Jahrhunderts,
war die Lepra als wichtiges Thema auf dem Kongressprogramm.
Die Lepra heute
Die Lepra heute
Heute ist die Lepra aus Europa völlig verschwunden. Sie ist allenfalls bei Reisenden,
Einwanderen und Asylsuchenden gelegentlich anzutreffen, doch sie bleibt ein hoch aktuelles
Problem in anderen Kontinenten, in Asien, Afrika und Südamerika. Auffällig ist, dass
die Endemie-Länder fast ausschließlich solche in heißen Klimazonen sind. Dies suggeriert,
dass Lepra eine „tropische” Erkrankung sei, was aber keinesfalls zutrifft. Das Vorkommen
der Krankheit hängt vielmehr mit den schlechten hygienischen und sozialen Verhältnissen,
und mit der ungenügenden Ernährung in diesen Ländern zusammen. Die Ärmsten der Armen
sind in der Regel betroffen.
Die weltweite Situation im Hinblick auf das Vorkommen dieser alten Infektionskrankheit
ist alles andere als befriedigend, zumal das von der WHO vor 15 Jahren in Aussicht
gestellte Ziel, sie bis zum Jahr 2000 bzw. zum Beginn des neuen Jahrhunderts zu eliminieren,
deutlich verfehlt wurde. Auch die Verlängerung der vorgesehenen Frist bis 2005 half
nicht. Nachträglich muss man feststellen, dass der Versuch der WHO, die Lepra lediglich
als Problem der öffentlichen Gesundheit zu betrachten [1 ]
[2 ] und als solches nur über die Gesundheitsbehörden lösen zu wollen („elimination of leprosy as a public health problem”), ein Fehlschlag war. Viele erfahrene Kollegen sind heute enttäuscht darüber, dass
bei der Implementierung des Programms über die staatlichen Institutionen, die Amts-
und Allgemeinärzte, viele unnötige Fehler gemacht worden sind. Wie war es möglich,
neben der kostenlosen Behandlung auch die Diagnose und Überwachung allein den Behörden
zu überlassen?
Manche erfahrene Kollegen bezeichnen es schlicht als „desaster”, dass damit die Dermatologie
in entscheidenden Regionen von der Lepra-Erkennung und -Kontrolle abgekoppelt wurde
[3 ], wie beispielsweise in Brasilien oder auch in Indien. Die exakte dermatologische
Diagnose, Früherkennung und fachärztliche Überwachung blieben dabei auf der Strecke,
so dass viele Rückfälle unerkannt geblieben und viele neue Fälle inzwischen aufgetreten
sind. Insbesondere in Brasilien ist die Lepra heute immer noch mit über 4,6 Fälle
pro 10 000 Einwohner endemisch, und im Hinblick auf die absolute Fallzahl steht das
Land an zweiter Stelle der weltweiten WHO-Statistik [4 ].
Bei der Ausarbeitung des Eliminations-Maßnahmen wurde offenbar übersehen, dass man
mit medizinischen Sozialprogrammen zwar in vielen Fällen kurzfristig Abhilfe schaffen
kann, wenn man aber langfristig und definitiv Dinge beheben will, so sind solide Fachkenntnis
und wissenschaftliche Forschung notwendig. Die wenigen Dermatologen, die seinerzeit
bei den Entscheidungen der WHO-Gremien mitgewirkt haben, oder zumindest dabei waren,
wurden von der rasanten Entwicklung des Public-Health-Enthusiasmus überrollt. Eine
enge Kooperation mehrerer Fachdisziplinen wäre vielmehr angezeigt.
Neben Indien und Brasilien, wo heute zahlenmäßig die meisten Lepra-Kranken leben,
sind auch die Länder Ostafrikas von der altbekannten Infektion weiterhin betroffen.
Hier sind ohnehin Dermatologen rar, insbesondere in Tansania, Mozambique, Madagaskar
und Malawi. In insgesamt 15 afrikanischen Ländern ist die Krankheit eine der großen
Sorgen der Öffentlichkeit und der dortigen, vielfach überforderten Gesundheitsbehörden.
Tansania ist von der Zahl der Lepra-Kranken her, die zur Zeit in Behandlung sind,
an 7. Stelle der weltweiten WHO-Skala, eine nicht gerade erfreuliche Bilanz für das
Land (Tab. [1 ]). Hinzufügen muss man hier, dass in Tansania das Meldesystem funktioniert, was nicht
überall zutreffen mag (z. B. Sudan).
Tab. 1 Vorkommen der Lepra weltweit
1985
Registriert: 5 351 408 Lepra-Patienten Geschätzt: 11 - 12 Millionen Infizierte
2003
Registriert: 524 311 Lepra-Patienten Geschätzt 1,26 Millionen Infizierte
WHO Länder-Skala (nach Höhe der Fallzahl): Indien, Brasilien, Demokr. Republik Kongo, Mozambique,
Nepal, Madagaskar, Tansania, Angola, Zentralafrikanische Republik, u. a.
Die Differenzen zwischen registrierter und geschätzter Fallzahl (Tab. [1 ]) sind darauf zurückzuführen, dass die WHO die Definition der Lepra-Patienten auf
Fälle beschränkt, die einer Behandlung bedürfen bzw. unter Behandlung bereits stehen.
Die hier angegebene, geschätzte Fallzahl beinhaltet die Dunkelziffer. Zahlenangaben
nach Talhari S. et al., 2006 [4 ].
Neuere Zahlen, die von offizieller Seite veröffentlicht wurden, besagen, dass im Jahre
2003 weltweit über 500 000 Menschen an Lepra erkrankt waren, doch diese etwas beschönigte
Zahl bezieht sich auf diejenigen, die zu diesem Zeitpunkt unter Behandlung standen.
Man vermutet, dass die Gesamtzahl aller Lepra-Kranken deutlich nach oben korrigiert
werden muss (Tab. [1 ]). Nach verschiedenen Berechnungen wird die Zahl derjenigen, die weltweit noch an
unterschiedlichen klinischen Varianten der Lepra leiden mit 1,2 - 1,5 Millionen Menschen
angegeben. Ein durchaus nennenswerter Anteil davon, über 10 % aller Kranken, sollen
Kinder sein. Das neue WHO-Programm hat nun für die kommenden 5 Jahre zum Ziel, die
„Lepra-Belastung” zu minimieren, und gleichzeitig die notwendigen Überwachungs- und
Kontrolleinrichtungen beizubehalten [5 ].
Trotz aller Kritik zur Implementierung des Eliminationsprogramms ist heute unumstritten,
ob die Zahl der Lepra-Infizierten durch die Aktivitäten und Maßnahmen der WHO insgesamt
stark abgenommen hat. Insbesondere die Empfehlung des MDT-Schemas (s. u.) für alle
klinischen Varianten erwies sich als richtig. Seit 1982 konnten schätzungsweise über
10 - 12 Millionen Menschen vom Lepra-Erreger befreit werden, ein beeindruckendes Ergebnis,
auch wenn die verbleibenden Restzustände ganz erheblich sein und die Lebensqualität
der Betroffenen dauerhaft beeinträchtigen können.
Während der letzten 15 Jahre wurden in mehreren Ländern Fälle von Lepra bei Patienten
mit gleichzeitiger HIV-Infektion beobachtet und beschrieben, nicht zuletzt auch in
Tansania, die neue Probleme mit sich bringen [6 ]
[7 ]
[8 ]
[9 ]
[10 ]. Die Frage wurde aufgeworfen und lebhaft diskutiert, inwieweit die HIV-Infektion
ein Risikofaktor für die Lepra sein könnte, wie verschiedentlich behauptet wurde,
doch die bisher beobachteten Fälle lassen dazu keine sicheren Schlüsse ziehen [11 ]
[12 ]. Unabhängig davon liegt die Kompliziertheit der Behandlung und Betreuung solcher
Fälle mit Doppelinfektion auf der Hand, die meisten davon sind multibazillär, d. h.
sie entsprechen dem schweren lepromatösen Typ. Bemerkenswerterweise trat in einem
Fall eine tuberkuloide Lepra während der HIV-Behandlung mit hochaktiven Retrovirustatika
(HAART) im Rahmen eines sog. „immune restoration syndrome ” (IRS) auf [13 ], eine Beobachtung, die auch bei anderen Infektionskrankheiten, die opportunistisch
verlaufen, gemacht wurde.
Lepra in Tansania
Lepra in Tansania
In Tansania dürften heute etwa 20 000 Menschen leben, die eine Lepra hatten, und unter
einer konsequenten medikamentösen Behandlung abheilten. Der Erreger ist bei diesen
Menschen zwar nicht mehr nachweisbar, doch zurück blieben Narben und auch Verstümmelungen,
von der bleibenden Stigmatisierung und sozialen Abgrenzung dieser Kranken gar nicht
zu reden. Ihre Resozialisierung ist für das Land nach vielen Erkrankungsjahren kostspielig
und auch schwierig, zumal bei manchen einfachen Menschen auf dem Lande immer noch
der Aberglaube herrscht, die Lepra sei ein „Fluch” oder „Strafe” der Götter, vielleicht
auch „Hexerei”, „Stillstand der Nerven” und Ähnliches (Abb. [1 a - d ]).
Im Jahre 2005 gab es in Tansania nach offiziellen Angaben immer noch 6200 den Behörden
bekannte, teilweise aber auch unregistrierte Lepra-Patienten. In den Angaben der WHO
wird die Lepra-Prävalenz in Tansania mit 1,6 pro 10 000 Einwohner angegeben, womit
das Land zu den Endemiegebieten zählt (nach WHO-Definition über 1/10 000). Die Lepra-Kranken
werden oft diskriminiert, in der Dorfgemeinde ausgegrenzt, ihre Kinder dürfen nicht
in die Schulklasse oder mit anderen Kindern im Dorf spielen, etc. etc. Vielfach wird
daher die langjährige Lepra-Behandlung in gesonderten Gemeinde-Einrichtungen durchgeführt,
wo die Patienten und ihre Familien gemeinsam leben oder leben müssen. Auch in der
Kilimanjaro-Provinz sind solche zu finden, eine davon haben wir besucht. Für einen
Arzt, der aus Europa kommt, sind solche Einrichtungen zumindest befremdend, das Ganze
erscheint aber nachvollziehbar, wenn man die Gesamtsituation und die Verhältnisse
vor Ort kennen gelernt hat. Von manchen Verantwortlichen wird unter anderem berichtet,
dass manche Kranke nach ihrer Abheilung sogar sehr zögerlich sind die Lepra-Einrichtung
zu verlassen, um zu ihrem eigentlichen Dorf zurückzukehren, da sie die gemeinschaftliche
Lepra-Einrichtung in Anbetracht der Diskriminierung, die sie befürchten, bevorzugen.
Bei meiner ärztlichen Tätigkeit im RDTC am Kilimanjaro Christian Medical Center habe
ich jedenfalls einige eindrucksvolle Fälle von Lepra gesehen, und zwar nicht nur bei
Patienten aus weit entfernten ländlichen Gegenden, sondern auch aus der Umgebung von
Moshi, aus der Provinz um den Kilimanjaro, eine Region die durch Landwirtschaft und
Tourismus vergleichsweise privilegiert ist, und einen deutlich höheren Lebensstandard
hat als andere im Lande.
Manche dieser Patienten waren längere Zeit, gar über Jahre, bei so genannten „traditional healers” gewesen, natürlich ohne Erfolg, die sie dann schließlich aufgaben, weil der Erfolg
ausblieb und gegen den Fluch „nichts zu machen” sei. Erst danach fassen viele Kranke
den Entschluss, eine medizinische Sprechstunde in einem Regierungskrankenhaus oder
auch im Kilimanjaro Christian Medical College aufzusuchen, was natürlich teurer zu
stehen kommt. Obwohl die medikamentöse Behandlung für alle frei ist, führt das enge
Netzwerk der „traditional healers” dazu, dass nicht weniger als 30 % aller neuen Patienten erst in fortgeschrittenen
Stadien erscheinen (H. Grossmann, pers. Mitteilung). Vor allem die neurologische Symptomatik
wird falsch eingeschätzt. Wie wird es in Gegenden aussehen, wo eine medizinische Versorgung
gar nicht vorhanden oder, wenn überhaupt, nur schwer erreichbar ist? Hier sind medizinisch-soziale
Programme unabdingbar.
Aus eigenen Erfahrungen und den Gesprächen mit Kollegen gewann ich den Eindruck, dass
neue Lepra-Fälle in Ostafrika nicht selten diagnostiziert werden, gerade bei den armen
Bevölkerungsgruppen auf dem Lande. Zumindest mahnen erfahrene Ärzte ausdrücklich,
in der täglichen Praxis außerhalb der größeren Städte immer wieder an eine Lepra und
ihre klinischen Merkmale zu denken. Typische Fälle sind dem Erfahrenen geläufig, doch
auch bei unscheinbaren Läsionen sollte man nicht vergessen mit einfachen Mitteln die
Sensibilität zu prüfen, und tastbare strangartige Verdickungen von Hautnerven sollten
nicht übersehen werden.
In den Statistiken des Gesundheitsministeriums in Dar es Salaam wird die Zahl der
jährlichen Neuinfektionen im Lande für 2004 mit über 5000 angegeben (National Tuberculosis and Leprosy Programme, NTLP ). Das ist für die ärztliche Tätigkeit in den ländlichen Gebieten, wo sich die Fälle
akkumulieren, eine ziemlich hohe Zahl. Neben den ostafrikanischen Ländern wird im
übrigen auch aus dem Tschad und der Elfenbeinküste berichtet, dass in letzter Zeit
neue Lepra-Fälle aufgetaucht sind. Nicht zuletzt sollen mehrere Kranke unter den über
200 000 Flüchtlingen sein, die aus dem Darfur, dem westlichen Sudan, in die Nachbarländer
kommen und von dort weiterziehen.
Behandlung
Behandlung
Alle Monotherapien haben bisher bei der Lepra versagt. Ihre Behandlung wurde aber
seit Beginn der 90er Jahre mit Hilfe einer konsequenten, standardisierten Polychemotherapie
stark verbessert: Die Kombination drei wirksamer Medikamente (sog. multidrug therapy -MDT , bestehend aus Rifampicin , Clofazimin und Dapson ) hat große Erfolge gegen den Erreger gezeigt (Tab. [2 ]). Chinolone, z. B. Ofloxacin, werden als Ersatz von Clofazimin manchmal herangezogen, auch Minozyklin und manches andere kommt bei besonderen Fällen,
Unverträglichkeiten etc., in Frage. Monotherapien sind unbedingt zu unterlassen. Keines
der genannten Medikamente darf allein gegeben werden, um Resistenzentwicklungen zu
vermeiden.
Die hohe Wirksamkeit des MDT-Schemas trifft auch für die schweren Fällen zu, die sog.
„multibacillary cases” , die altbekannte Lepra lepromatosa, bei der man eine hohe Zahl von Erregern im Gewebe findet. Durch eine konsequente
Behandlung über mindestens 6 Monate kann man in leichteren Fälle („paucibacillary cases” ) Erregerfreiheit erreichen, die schweren mit Lepra lepromatosa und alle anderen Varianten
mit über 5 Hautläsionen müssen mindestens über 1 Jahr, oder auch länger, behandelt
werden. Sollte eine genauere Abschätzung der Erreger-Zahl technisch nicht möglich
sein, so ist die längerfristige Behandlung anzusetzen. Bei Nichteinnahme der vollen
Dosis oder Unterbrechung der kombinierten Medikamenten-Einnahme können Rifampicin-Resistenzen
auftreten. Die ursprüngliche Empfehlung für die längere MDT-Therapie war 2 Jahre,
wurde aber in neuerer Zeit von der WHO auf 1 Jahr reduziert, womit die Zahl der Fälle,
die in Behandlung standen, eindrucksvoll abnahm, und die weltweite Prävalenzkurve
nach unten gedrückt wurde. Damit ließ sich unschwer ein Erfolg des Eliminationsprogramms
unterstreichen. Die Halbierung der MDT-Behandlungsdauer ist jedenfalls unter vielen
erfahrenen Ärzten heute umstritten, und dürfte für schwere Fälle oft ungenügend bleiben.
Das standardisierte MDT-Schema hat sich inzwischen in Afrika in allen Endemie-Ländern
bewährt und etabliert, selbst in der Schwangerschaft ist die Behandlung fortzusetzen.
Die Medikamentenvergabe ist, soweit ich es übersehe, in allen betroffenen Ländern
kostenfrei, so dass man weiterhin hoffen kann, dass in absehbarer Zeit auch in den
ärmsten Regionen dieser Welt das Lepra-Problem einer Lösung näher gebracht wird (Tab.
[2 ]).
Tab. 2 MDT-Behandlungs-Schema der WHO (je nach klinischem Typ)
a) Tuberkuloid, Undeterminiert, Dimorph/tuberkuloid (< 5 Läsionen ) Erregernachweis:
Negativ, paucibazillär - DADPS (Dapson) 100 mg/tgl. als Selbstmedikation über 6 Monate, und - Rifampicin 600 mg 1 × monatlich, 6 × unter Aufsicht.
Danach Kontrolle und Überprüfung, evtl. Fortsetzung der Behandlung bis zu einem Jahr.
b) Lepromatös, Dimorph/lepromatös, Dimorph/dimorph, Dimorph/ tuberkuloid (> 5 Läsionen) Erregernachweis: Positiv, multibazillär - DADPS (Dapson) 100 mg/tgl. als über 6 Monate, und - Clofazimin 50 mg/tgl. über 12 Monate, als Selbstmedikation und - Rifampicin 600 mg 1 × monatlich, 12 × unter Aufsicht, sowie - Clofazimin 300 mg 1 × monatlich, 12 × unter Aufsicht.
Danach Kontrolle und Überprüfung, evtl. Fortsetzung der Behandlung bis zu 18 Monaten,
in besonderen Fällen auch länger.
Komplikationen während der Lepra-Behandlung (Typ I: Entzündliche Aufflamm-Reaktionen, Typ II: Schwere
systemische Symptomatik mit Vaskulitis unter dem Oberbegriff des Erythema nodosum
leprosum, ENL ) sind inzwischen allgemein bekannt, und können von erfahrenen Ärzten
abgefangen werden, wobei hier in der Regel Antiphlogistika, Thalidomid und Corticosteroide
in höherer Dosierung eingesetzt werden. Gelegentlich treten durch die unkontrollierte
Langzeit-Applikation von Corticosteroiden anderweitige Komplikationen auf (peptische
Ulzera u. a.). Nebenwirkungen durch das MDT-Schema (z. B. Methämoglobinämie und Dapson-induzierte
Neuropathie, Hepatotoxizität und pseudogrippales Syndrom durch Rifampicin, Pigmentierungen
und Photosensibilität durch Clofazimin, etc.) kommen vor. Rückfälle nach Beendigung
der vorgeschriebenen Behandlungsdauer sind nicht ausgeschlossen, so dass Kontrollen
sinnvoll und empfehlenswert sind, was leider nicht selten ausbleibt [14 ]. Gerade in der Überwachungsphase fehlt es mancherorts an erfahrenen Ärzten.
Auch Resistenzen gegen die standardisierte MDT-Kombination wurden in letzter Zeit beschrieben [15 ]
[16 ]
[17 ], deren Häufigkeit offiziell mit < 1 % angegeben wird, eine Angabe, die allerdings
erst in großen Serien überprüft werden müsste. Die Zweifel scheinen berechtigt, da
eine genaue post-MDT-Überwachung fehlt. Insgesamt blieb die Skepsis bisher im Rahmen
der Toleranzgrenzen, wenn man bei der ärztlichen Abwägung die hohe Erfolgsrate des
konsequent durchgeführten, standardisierten MDT-Schemas in die Waagschale wirft.
Die Nebenwirkungen der diversen Pharmaka, die vorhandenen Alternativen und die Behandlung der Typ I-
und Typ II-Lepra-Reaktionen wurden an anderer Stelle ausführlich dargestellt und sind
bis heute aktuell [18 ].
Für eine Jahresbehandlung mit der klassischen MDT- Kombination müssen in Ostafrika
zur Zeit nur ca. 25 Euro, d. h. etwa 30 US-Dollar, aufgebracht werden, eine Summe,
die in Tansania durch das Nationale Anti-Lepra-Programm gedeckt wird. Dieser Preis
muss zugrunde gelegt werden, wenn die Medikamente über die offiziellen Hersteller
zu beziehen sind, es soll auch billigere Anbieter geben. Obwohl die weiteren Maßnahmen
zur Überwachung und Resozialisierung der Kranken bei weitem mehr kosten, dürfte der
finanzielle Aufwand übersehbar sein.
Es ist schon bemerkenswert und hat für die zuständigen offiziellen Organisationen,
die sich seit langem mit der Bekämpfung der Lepra befassen, fast den Anschein eines
Versagens, dass man diese aus der Antike altbekannte Infektionskrankheit, trotz ihrer
geringen Ansteckungsgefahr und der alles in allem niedrigen Behandlungskosten noch
nicht in den Griff bekommen hat. Die Lepra treibt noch heute in den ärmsten Ländern
dieser Welt ihr Unwesen weiter, und hinterlässt Menschen auf Lebenszeit verstümmelt
und diskriminiert, obwohl wir heute durchaus wirksame Medikamente zur Verfügung haben,
um sie definitiv zu bezwingen.
Bemerkungen des Verfassers
Die Lepra habe ich erstmalig durch Zufall in der Mitte der 60er Jahre als junger Assistent
in der Kölner Universitäts-Hautklinik kennen gelernt, unter meinem damaligen Chef
Professor G. K. Steigleder. Zwei Patienten aus einem afrikanischen Land kamen seinerzeit
in unsere Poliklinik, wo sie über längere Zeit mit allen Mitteln, die uns damals zur
Verfügung standen, durchuntersucht und auch behandelt wurden. Es handelte sich in
beiden Fällen um eine voll ausgeprägte „Lepra lepromatosa”, damals für uns in Deutschland
eine medizinische Sensation!
Wir hatten zu dieser Zeit über die fremdartige Erkrankung wenig Ahnung, vor allem
darüber, wie man damit umgeht. Wir konnten manches in den Büchern nachlesen, keiner
von uns Assistenten aber hatte eigene Erfahrungen und auch die Oberärzte waren überfordert.
Lange Reisen in den Tropen waren damals noch sehr selten, die Urlaubsmode und der
langsam aufkommende Tourismus beschränkten sich allenfalls auf das nahe Mittelmeer.
Beim ersten Fall, der sich schnell in den Fachkreisen herumsprach, rief mich interessiert
Professor Dr. Georg Klingmüller, damals Oberarzt in Bonn, an, und bat um eine Gelegenheit
den Fall zu sehen. Sein Vater, Dr. Victor Klingmüller, war in der Zeit vor dem zweiten
Weltkriege ein bekannter Leprologe, und die Familientradition machte auch der Sohn
mit der Krankheit gut vertraut. Klingmüller kam schnell nach Köln und bestätigte unsere
Diagnose. Beim zweiten Fall, der kurz danach auftauchte, fühlte ich mich bereits als
Experte! Gemeinsam mit Klingmüller untersuchte ich die leprösen Hautläsionen genauer,
stellte die Veränderungen der Zellen in der betroffenen Haut mit dem Elektronenmikroskop
dar, und machte den vagen Versuch, sie zu interpretieren.
Unsere Aufmerksamkeit galt nicht zuletzt dem Erreger der für uns seltenen Krankheit,
dem Mycobacterium leprae , der bis zu diesem Zeitpunkt in seinem Aufbau wenig erforscht war. Wir stellten gemeinsam
seine Feinstruktur elektronenmikroskopisch dar, und beschrieben seinen Aufbau. Darüber
sind wissenschaftliche Veröffentlichungen entstanden, die in unserem altehrwürdigen
„Archiv für Klinische und Experimentelle Dermatologie” sowie im „Hautarzt” aufgenommen
wurden [19 ]
[20 ]
[21 ]. Sie sind heute dort nachzulesen. Mein Interesse wurde geweckt, einige weitere Veröffentlichungen
über den Aufbau chronischer Granulome der Haut folgten, und kurze Zeit später erhielt
ich den ehrenvollen Auftrag meines Chefs, Prof. Steigleder, einen ausführlichen Beitrag
über die „Tuberkulose der Haut” für ein Handbuch zu schreiben, woraus auch ein Übersichtsartikel
in der damals renommierten DMW entstand [22 ]. Das alles half mir, mein Wissen auf dem Gebiet der Mykobakteriosen zu vertiefen
und zu erweitern.
In den folgenden 40 Jahren meiner klinischen Tätigkeit habe ich mit Interesse Lepra-Patienten
sehen und gelegentlich selbst behandeln können, doch sie blieben bei uns in Deutschland
eine Rarität. Durch die wirksame medikamentöse Therapie, die inzwischen zur Verfügung
steht, haben sie viel von ihrem sensationellen Charakter verloren. Auch auf großen
Tagungen und Kongressen im europäischen Raum ist heute eine Lepra recht selten zu
sehen. Mir selbst blieben meine ersten Kölner Erfahrungen stets in lebhafter Erinnerung,
ein überaus lehrreiches frühes Erlebnis.
Abb. 1 a - d Lepra lepromatosa, generalisiert. Erstvorstellung im RDTC, nach längerer Behandlung
bei einem „traditional healer”. Die multiplen Läsionen sind zum Teil plaqueartig,
zum Teil knotig, einige davon erodiert bzw. ulzeriert.
Danksagung
Danksagung
Dem Direktor des RDTC, Herrn Prof. Dr. Henning Grossmann, sei für seinen wertvollen
fachlichen Rat und seine kollegiale Unterstützung sehr herzlich gedankt.