Zusammenfassung
Das Therapiekonzept Hahnemanns in den Jahren 1831-35 stellt sich in der Analyse von
vier Krankengeschichten umfassender dar als dies in anderen Veröffentlichungen der
Fall ist. Neben der arzneilichen homöopathischen Therapie nutzte Hahnemann in seinem
Behandlungskonzept Aspekte der zeitgenössischen Diätetik. Hahnemann empfahl zeitgenössische
Therapien und tolerierte die Selbstmedikation mit Hausmitteln in Krisensituationen.
Die Bindung an den Arzt wurde durch ein Patientennetzwerk gefördert und durch die
inner- und interfamiliären unterstützenden Therapiemaßnahmen aufrechterhalten. Im
Therapiefortschritt zeigten sich in einigen Fällen deutliche Differenzen in Bezug
auf die Bewertung zwischen Arzt- und Patientenaufzeichnungen.
Summary
Hahnemann's therapeutical concept is presented extensively through four case histories.
Besides his homoeopathic therapy, Hahnemann made use of certain aspects of contemporary
dietetics. He not only suggested therapies of his time, but also tolerated self-medication
with household remedies in critical situations. The commitment to the physician was
supported by a network of patients and maintained by supporting therapy regimes.
Throughout the course of therapy, there are noteworthy differences of evaluation in
the notes of both physician and patient.
Schlüsselwörter
Diätetik - Patientennetzwerk - Laientherapie - Hausmittel - Riecharznei - Therapiefortschritt
- Heterosuggestion
Keywords
Dietetics - network of patients - layman-therapy - household remedies - olfactory
administration - heterosuggestion
Anmerkungen
01 Salutogenese (d.h. Gesundheitsentstehung): „Dem Begriff der Pathogenese als Krankheitsentstehung
und Krankheitsentwicklung muss der Prozess einer Salutogenese … gegenübergestellt
werden … Das Modell von Gesundheit und Krankheit erweitert sich zu einem dynamischen
System, das einen endlichen, durch Geburt und Tod begrenzten und zwischen Salutogenese
und Pathogenese oszillierenden Lebensprozess beschreibt.” [17]
02 Die verschiedenen Ebenen sind: 1. Die mechanische Ebene mit Prozessen auf Bildungsreize
im Skelett, Bildungsreize im Knorpel, Aktivierung der Muskelpumpe, Muskelaufbau und
Verbesserung der Hämodynamik. 2. Metabolische Ebene mit Senkung der Insulinresistenz,
prozentuale Zunahme der Fettverbrennung und Steigerung des Grundumsatzes. 3. Vegetative
Ebene mit bedarfsadaptierter Bremsung des Sympathikus 4. Steuerungsebene mit Ökonomisierung
der Herz- und Atemfunktion; die Schmerzschwelle steigt durch Endorphinausschüttung
an, und es tritt eine Immunmodulation auf. 5. Psychische Ebene mit ausgleichender
Wirkung, Steigerung der Endorphinausschüttung, Entspannung und Verbesserung des Schlafs
[14].
03 I. Licht/Luft (aer), II. Essen und Trinken (cibus et potus), III. Bewegung und Ruhe
(motus et quies), IV. Schlafen und Wachen (somnus et vigilia), V. Ausscheidungen (excreta
et secreta), VI. Gemütsbewegung (affectus animi).
04 „Unter Suggestion verstehen wir die Beeinflussung des Denken, Fühlens, Wollens oder
Handelns eines anderen Menschen unter Umgehung seiner rationalen Persönlichkeitsanteile
auf der Grundlage eines zwischenmenschlichen Grundvollzugs, der zur affektiven Resonanz
führt … Bei der Heterosuggestion handelt es sich um zwei Personen, die in einem gegenseitigen
affektiven Beinflussungsverhältnis zueinander stehen …” [16].
05 Zu den „unspezifischen Faktoren” gehören: Intensive emotionale Beziehung, Vermittlung
von Support, Suggestion, Mobilisierung von Zuversicht, Vermittlung von Erfolgserlebnissen.
Siehe auch [18: 535].
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Anschrift des Verfassers:
Dr. med Jen Busche
Roggenstr. 82
D-70794 Filderstadt
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