Der Klinikarzt 2006; 35(3): X
DOI: 10.1055/s-2006-939742
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Reaktion auf Beobachtungsstudie zu Aprotinin - Klinischer Nutzen überwiegt potenzielles Risiko

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Publication Date:
19 April 2006 (online)

 
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Eine kürzlich im New England Journal of Medicine veröffentlichte Beobachtungsstudie von Mangano et al. ([2]) weist auf einen Zusammenhang zwischen dem Einsatz von Aprotinin (Trasylol®) und schweren Nierenfunktionsstörungen sowie kardio- und zerebrovaskuläre Komplikationen hin. Die Resultate stimmen jedoch nicht mit den in über 15 Jahren gesammelten klinischen Daten und Erfahrungen mit dem Medikament überein.

"Die Studienlage deutet auf einen klaren Vorteil für die Verwendung von Aprotinin in der Herzchirurgie hin", stellte Prof. R.-E. Silber, Halle, klar. Dabei bezieht er sich auf über 60 randomisierte Studien mit über 6000 Patienten, in denen Aprotinin eingesetzt wurde, und die erst unlängst zwei umfassenden Metaanalysen unterzogen worden waren ([1], [3]).

Alle Studien weisen laut Silber auf einen deutlichen Benefit und eine effektive Senkung des Blutungsrisikos durch Aprotinin hin. Das relative Mortalitäts- und Myokardinfarktrisiko wurde durch Aprotinin nicht gesteigert, in beiden Metaanalysen lagen die Werte zwischen 0,85 und 0,97.

Auch Hinweise für dauerhafte Organkomplikationen lassen sich aus diesen Studien nicht entnehmen. Wie schon seit längerer Zeit bekannt sei, können die Kreatinin-Werte unter Aprotinin leicht ansteigen, nach einiger Zeit zeigen jedoch alle Studien einen deutlichen Abfall, so Silber.

Nierenfunktionsstörungen seien ein multifaktorielles Geschehen, das u.a. erheblich vom hohen Alter, Bluthochdruck und der Dauer der Bypassoperation beeinflusst würde. Diese Risikofaktoren wurden allerdings, soweit ersichtlich, in der Studie von Mangano ([2]) beim Risikoassessment nicht berücksichtigt.

Kritik an Mangano-Studie

Deutliche Kritik an der nun veröffentlichten Studie von Mangano übte auch Prof. W. Lehmacher, Medizinstatistiker aus Köln. Wie er bemängelte, handele es sich um eine nichtrandomisierte Beobachtungsstudie, die aufgrund ihres Studiendesigns methodische Einschränkungen aufweist. Beispielsweise sei auffällig, dass in der Aprotinin-Gruppe wesentlich mehr Patienten mit einem hohen Risiko aufgenommen wurden. Während in der Aprotinin-Gruppe für 19% der Patienten Hinweise auf Nierenprobleme in der Vergangenheit vorlagen, war dies in der Kontrollgruppe nur bei 13% der Patienten der Fall.

Lehmacher fand deutliche Worte dafür: "Die Gruppen sind wie Kraut und Rüben zusammengestellt". Zum Effektivitätsnachweis wäre diese Studie absolut nicht geeignet. Auch bezüglich der Sicherheitsdaten liegt ein Verdacht auf einen Selektionsbias vor, da die Auswahl der Patienten so unterschiedlich ist und spezielle Länderproblematiken wie die Nichtverfügbarkeit einiger Mittel nicht berücksichtigt wurden.

Die Studie von Mangano und seinen Kollegen kann daher laut Lehmacher nur dazu dienen, auch zukünftig den Kreatininwerten der Patienten die entsprechende Aufmerksamkeit zu widmen. Silber schlug daraufhin vor, die Aufklärung vor einer Operation entsprechend abzuändern. Der Herzchirurg hält es aber nicht für notwendig, aufgrund dieser Studie die Therapie zu ändern: "Wir werden Aprotinin auch weiterhin benutzen, wie wir es bisher einsetzen und verringern dadurch das Blutungsrisiko für unsere Patienten erheblich."

Bettina Reich, Hamburg

Quelle: Symposium "Beiträge zur Nutzen/ Risiko-Bewertung von Trasylol® (Aprotinin) bei CABG", veranstaltet von der Bayer HealthCare AG, Leverkusen

Literatur

  • 01 Henry. et al . Estimating the impact of hepatitis C virus therapy on future liver-related morbidity, mortality and costs related to chronic hepatitis.  Cochrane Library. 2006;  Issue 1
  • 02 Mangano DT . Tudor IC . Dietzel C . et al . The risk associated with Aprotinin in cardiac surgery.  N Engl J Med. 2006;  354 (4) 353-365
  • 03 Sedrakyan  . Treasure T . Elefteriades JA . Effect of Aprotinin on clinical outcomes in coronary artery bypass graft surgery: a systematic review and meta-analysis of randomized clinical trials.  J Thorac Cardiovasc Surg. 2004;  128 442-448

Literatur

  • 01 Henry. et al . Estimating the impact of hepatitis C virus therapy on future liver-related morbidity, mortality and costs related to chronic hepatitis.  Cochrane Library. 2006;  Issue 1
  • 02 Mangano DT . Tudor IC . Dietzel C . et al . The risk associated with Aprotinin in cardiac surgery.  N Engl J Med. 2006;  354 (4) 353-365
  • 03 Sedrakyan  . Treasure T . Elefteriades JA . Effect of Aprotinin on clinical outcomes in coronary artery bypass graft surgery: a systematic review and meta-analysis of randomized clinical trials.  J Thorac Cardiovasc Surg. 2004;  128 442-448