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DOI: 10.1055/s-2006-939746
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Mykosen in der Intensivmedizin - Beste Chancen bei frühzeitiger Therapie
Publication History
Publication Date:
19 April 2006 (online)

R. Höhl
Die Fakten sind eindeutig: Die Zunahme an Mykosen in den letzten Jahren betrifft auch immer mehr Intensivpatienten. In diesen Fällen hat eine frühzeitige Therapie die besten Erfolgschancen. Dementsprechend waren Mykosen auf dem 16. Symposium für Intensivmedizin und Intensivpflege ein viel diskutiertes Thema. In Bremen fragten wir Dr. Rainer Höhl vom Klinikum Nürnberg als erfahrenen Intensivmediziner und Mykologen, wie er bei intensivpflichtigen Patienten eine erfolgreiche antimykotische Therapie initiiert.
klinikarzt: Auf Intensivstationen verursachen Mykosen bedrohliche Komplikationen. Worauf ist die in den letzten Jahren zu verzeichnende Zunahme der Mykosen zurückzuführen?
Dr. R. Höhl: Tatsächlich ist eine deutliche Zunahme an Mykosen zu verzeichnen, wie zwei kürzlich abgeschlossene Studien belegen. In der Arbeit von Wisplinghoff waren unter den positiven Blutkulturen Candida-Spezies mit 10,1% die dritthäufigsten Keime auf amerikanischen Intensivstationen. Laut den noch unveröffentlichten Zahlen des deutschen Kompetenznetzes Sepsis (SepNet) waren in 17% der Fälle Pilze die Ursache einer schweren Sepsis.
Worauf ist dies zurückzuführen? Mykosen betreffen überwiegend schwer kranke Patienten. Es gibt immer mehr immunkompromittierte Patienten, ebenso wie Patienten mit Sepsis und septischem Schock - und vor allem ältere Patienten mit großen Abdominaloperationen oder multimorbide Patienten, die sich großen Operationen unterziehen. Auch postoperativ haben wir Patienten, die immunsupprimiert sind, was anhand des HLA-DR auf den Monozyten gut erkennbar ist. Nicht zuletzt haben wir insgesamt mehr hospitalisierte und ältere Patienten. Darüber hinaus hat die Verfügbarkeit besserer Antimykotika mit günstigem Nutzen-/Risikoprofil zweifellos in den letzten Jahren dazu geführt, dass wir uns das Problem 'Mykosen' weitaus stärker bewusst machen.
Aufgrund des Einsatzes von Hydrokortison beim septischen Schock sind meiner Meinung nach Aspergillosen ein hausgemachtes Problem. Laut Meersseman fand man unter 850 Obduktionen knapp 7% invasiver Aspergillosen bei Patienten ohne maligne Grunderkrankung. Gleiches sehe ich auf der eigenen Station mit 21 Betten einer abdominalchirurgischen Intensivstation. Wir haben jährlich sechs bis acht invasive Aspergillosen, was in den 1990er Jahren nicht der Fall war.
klinikarzt: Nach der aktuellen Datenlage bietet eine frühzeitige Therapie einer invasiven Mykose die größten Überlebenschancen. Wann ist ein Verdacht auf Mykosen berechtigt und welche initialen Maßnahmen sind dann die wichtigsten?
Höhl: Aufgrund der unspezifischen Klinik und der wenig hilfreichen serologischen Diagnostik (mit Ausnahme des Aspergillen-Antigens) bleibt die eindeutige Diagnose nach wie vor schwierig. Ich empfehle eine Vier-"I"-Strategie:
-
identifiziere den Risikopatienten
-
integriere die Klinik
-
intensiviere die Diagnostik
-
initialisiere eine adäquate Therapie.
klinikarzt: Unterschiedliche Pilzspezies erfordern auch unterschiedliche therapeutische Maßnahmen. Welche empirische Therapie ist angezeigt, wenn es sich um eine (noch) unklare Erregersituation handelt?
Höhl: Auf der operativen Intensivstation ist vorherrschend mit Candida-Spezies zu rechnen - laut Studien sind dies ≥ 78%, unsere Untersuchungen ergaben über 92%. Dennoch kommen auch Aspergillen vor, und an sehr seltene Pilze wie Coccidioides immitis oder Mucormycosen ist unbedingt zu denken. Beim unklaren Erreger ist die Klinik des Patienten entscheidend.
Ist der Patient stabil, ist die Eskalation sinnvoll. Man beginnt also mit hoch dosiertem Fluconazol und setzt die Therapie fort, wenn der Keim (C. albicans oder parapsilosis) sensibel ist. Bei C. glabrata, krusei oder tropicalis ist ein Wechsel auf Voriconazol oder Caspofungin angezeigt. Dies gilt auch für Nichtansprechen der initialen Therapie, bei Resistenz oder einer Vorbehandlung mit Fluconazol.
Beim instabilen Patienten bietet die Deeskalationsstrategie eine erfolgversprechende und sichere Therapie, die möglichst innerhalb der ersten 24 Stunden mit Voriconazol, Caspofungin oder mit liposomalem Amphotericin B als Reservemedikament beginnen sollte. Bei einem Nachweis von C. albicans oder parapsilosis sollte man die Therapie umstellen und zum Beispiel auf hoch dosiertes Fluconazol (≥ 12 mg/kgKG) deeskalieren. Für diese Vorgehensweise bieten die neuen Antimykotika größtmögliche Wirksamkeit und Sicherheit.
klinikarzt: Immer häufiger werden seltene Pilze wie Zygomyzeten diskutiert. In welchem Verhältnis stehen sie beispielsweise zu Infektionen mit Candida albicans?
Höhl: Im vergangenen Jahr wurde ein Fall einer Zygomyzeteninfektion im Klinikum Nürnberg bekannt. Demgegenüber steht eine Vielzahl an Candidainfektionen und allein auf der operativen Intensivstation acht Aspergillosen. Schwere und seltene Mykosen wie Mucor waren lange Zeit ein therapeutisches Problem. Heute bietet eine Kombination aus liposomalem AmB und Posaconazol bei Mucor gute Chancen.
klinikarzt: Empirische Therapie und diagnostische Maßnahmen verlaufen parallel. Welche Schritte empfehlen Sie, und wie muss man die Therapie anpassen, wenn der mikrobiologische Befund vorliegt?
Höhl: Im Consensus-Papier von Prof. Th. Büchner (2002) heißt es: Den nichtneutropenischen, instabilen Risikopatienten mit Fieber über 38,5°C ohne Ansprechen auf adäquate antibiotische Therapie und ohne sonstige mikrobiologisch, histologisch fassbare Ursache empirisch antimykotisch mit Fluconazol behandeln. Der nächste Schritt ist die weitere Diagnostik, also Abstriche, Stuhluntersuchung, Katheter, Trachealsekret und Urin zu untersuchen, um den so genannten Colonisationsindex (CI) zu ermitteln (Anzahl der positiven Befunde/Anzahl der untersuchten Stellen). Bei einem CI > 0,5 besteht die Gefahr einer Mykose.
Bei einem schwer kranken Patienten würde ich Voriconazol oder Caspofungin einsetzen und bei C. glabrata oder krusei z.B. Voriconazol nach einer Loading-Dosis von 6 mg/kgKG/12 h auf 4 mg/kgKG/12 h reduzieren und fortsetzen. Voraussetzung für die kalkulierte Wahl des Antimykotikums ist aber auch die Kenntnis des Keimspektrums in der eigenen Klinik, die so genannte Kleinraumepidemiologie.
klinikarzt: Die Liste der Medikamente ist bei Intensivpatienten oft umfangreich. Mit welchen möglichen Interaktionen ist beim Einsatz von Antimykotika zu rechnen?
Höhl: Es ist tatsächlich bemerkenswert, dass im Zusammenhang mit den Azolen immer über Wechselwirkungen gesprochen wird und über die vielen anderen Interaktionen, die wir in der Intensivmedizin berücksichtigen müssen, so gut wie gar nicht. Zugegebenermaßen zählen die Azole aber zu den drei Medikamenten mit dem höchsten Interaktionspotenzial über das Cytochrom-P-450. Auf der operativen Intensivstation spielt dies aber kaum eine Rolle.
Zu beachten sind die Protonenpumpenhemmer (bei > 40 mg Omeprazol), hier muss die Dosis halbiert werden, ebenso wie bei Ciprofloxacin (QT-Zeit). Benzodiazepine in der Langzeitsedierung (Midazolam) erfordern ein einfaches Monitoring: Kress rät in seiner Arbeit aus dem Jahr 1997 zu einer täglichen Therapiepause. Ebenso wird eine niedrigdosierte i.v.-Bolusgabe bei Bedarf anstelle einer kontinuierlichen Gabe praktiziert. Angesichts dieser einfachen Handhabung ist die Diskussion um ein Interaktionspotenzial - zumindest was die operative Intensivstation betrifft - eindeutig überzogen.
Auch in anderen Intensivbereichen halte ich die Interaktionen jedoch für beherrschbar, weil sie ebenso wie die Kontraindikationen bekannt sind und eine Beachtung der Hinweise und entsprechende Spiegelbestimmung größtmögliche Sicherheit gewährleistet.
klinikarzt: Vermutlich aus Angst vor Nebenwirkungen und Kosten wird nicht selten vor einer "zu langen" Therapiedauer mit Antimykotika zurückgeschreckt. Nach den neuesten Studien ist aber eine Behandlung, beispielsweise mit Voriconazol, im Bedarfsfall bis zu acht Wochen und länger und damit bis zur sicheren Erregereradikation durchzuführen. Deckt sich dies mit der klinischen Wirklichkeit?
Höhl: Ja, eindeutig. Die Zeiten, in denen wir nach acht Wochen vor einer medikamentösen Nephrektomie standen, sind Vergangenheit. Die Therapiesicherheit der neuen Antimykotika ist signifikant besser. 60% der Blutkulturen sind bereits nach 48-stündiger Therapie negativ. Empfohlen wird zum Beispiel bei einer Candidämie über 14 Tage nach der letzten positiven Blutkultur weiterzubehandeln - das entspricht also einer Therapiedauer von 16-20 Tagen - und im Bedarfsfall auch länger. Dies ist mit Voriconazol problemlos möglich. Ein Monitoring der Leber- und Nierenwerte ist beim Intensivpatienten ohnehin Routine.
klinikarzt: Bei längerer Therapiedauer ist ein flexibles Antimykotikum, das intravenös und oral appliziert werden kann, sicher sinnvoll. Ist die so genannte Sequenztherapie zuverlässig belegt?
Höhl: Zumindest indirekt belegen Studien, dass eine Sequenztherapie gut funktioniert. So hat zum Beispiel Pelz eine Prophylaxestudie mit Fluconazol bei beatmeten Operativpatienten durchgeführt. Kullberg konnte ebenfalls zeigen, dass ein Wechsel von i.v. auf p.o. mit Voriconazol problemlos möglich war. Auch die Kombination Amphotericin B gefolgt von Fluconazol p.o. funktioniert gut. Befürchtungen einer nicht ausreichenden Resorption von Voriconazol bestätigten sich klinisch nicht. Die Sequenztherapie verschiedener Wirkstoffgruppen ist zwar wissenschaftlich nicht belegt, aber klinisch wirksam.
klinikarzt: Nachgewiesen ist auch, dass die Kosten für eine effiziente Therapie mit einem verträglichen Medikament sowohl für den Patienten wie auch für das Krankenhausbudget bzw. das Gesundheitswesen günstiger sind. Können Sie hierfür ein Beispiel nennen?
Höhl: Tatsächlich belaufen sich die Gesamtkosten der antimykotischen Behandlung mit Voriconazol pro Patient bei positivem Outcome laut Studienergebnissen von Herbrecht (2002), Lewis (2005) und Garbino (2005) auf rund 10000 US-Dollar - im Vergleich zu 20000 US-Dollar mit konventionellem Amphotericin B. Grund dafür sind die enormen Folgekosten, verursacht durch den Therapieaufwand, den schwere Nebenwirkungen einer zunächst preisgünstigeren Therapie nach sich ziehen können. Die ebenso wirksame aber verträglichere Alternative Voriconazol erwies sich letztlich als wesentlich kostengünstiger. Meines Erachtens erübrigt sich angesichts dieser Fakten die Frage nach der Therapieentscheidung.
klinikarzt: Im Falle von Mykosen stehen Patient wie behandelnder Arzt nicht selten mit dem Rücken an der Wand. Kann es, wenn in dieser Lage ein ebenso wirksames wie auch verträgliches Medikament zur Verfügung steht, überhaupt noch Argumente geben, die gegen seinen Einsatz sprechen?
Höhl: Nein, wenn man Wirksamkeit, Sicherheit und Ökonomie betrachtet und gleichzeitig die Kontraindikationen bzw. möglichen Wechselwirkungen beachtet, gibt es keinen Grund, einem schwer kranken Patienten die modernen Möglichkeiten der antimykotischen Therapie - wie zum Beispiel mit Voriconazol - vorzuenthalten.
Herr Dr. Höhl, vielen Dank für das Gespräch!

R. Höhl