Einleitung
Das Lymphogranuloma venereum als sexuell übertragbare Erkrankung erlebt aktuell
durch das Auftreten im Zusammenhang mit einer Proktitis bei homosexuellen Patienten
durch den Genotyp L2b (Amsterdam) eine vermehrte Aufmerksamkeit. Wir berichten
über den Fall eines unerwarteten Nachweises des LGV-Genotyps Amsterdam bei einem
heterosexuellen Patienten.
Kasuistik
Anamnese
Der 44-jährige Architekt bemerkte 10 Tage zuvor Lymphknotenschwellungen inguinal
rechts und später auch links, die zunahmen und druckschmerzhaft wurden. Der Patient
hatte weder Fieber noch andere systemische Krankheitszeichen. Er hatte keine Auslandsreisen
nach Afrika, Asien, Südamerika oder in die Karibik unternommen und hielt keine
Haustiere. Er lebte in einer langjährigen, stabilen, heterosexuellen Beziehung;
in den letzten 12 Monaten habe er keinen ungeschützten Geschlechtsverkehr mit
anderen Partnerinnen gehabt und Analverkehr oder homosexuelle Kontakte wurden
explizit verneint.
Aufnahmebefund
Afebriler Patient in gutem Allgemeinzustand; zwei 10 × 4 cm bzw. 6 × 3 cm große,
erhabene, derbe, gerötete und überwärmte Lymphknotenpakete inguinal beidseits.
Die übrigen Lymphknotenstationen waren ebenso wie der körperliche Untersuchungsbefund
(incl. Genitalinspektion und rektaler Untersuchung) unauffällig.
Befunde diagnostischer Untersuchungen
Routinelabor
CRP 9.3 mg/L (< 10), Leukozyten 7.4 × 109 /L (3.7 - 9.6), davon 31.5 % stabkernige sowie einige stark reaktive Lymphozyten
und Monozyten mit stark gelappten Kernen. Die Routineparameter inkl. Urin-Status
waren unauffällig.
Serologie
Serologien auf Toxoplasmose, HIV, Lues und Gonorrhö zeigten keine durchgemachte
oder frische Infektion; für EBV fand sich eine Seronarbe. [Tab. 1 ] zeigt die Ergebnisse der Chlamydien-Serologie.
Tab. 1 Chlamydien-Serologie und deren Laborinterpretation: genus-spezifische Komplementfixation
(KBR) und spezies-spezifische Immunfluoreszenz (IF); pathologische Titer sind
in Fettdruck hervorgehoben
Parameter
Ergebnis
Interpretation
Chlamydia spp. (KBR)
1 : 40
Infektion mit Chlamydien-Spezies
IgA
IgM
IgG
C. psittaci (IF)
< 1 : 10
1 : 10
1 : 80
durchgemachte Infektion
C. pneumoniae (IF)
1 : 40
1 : 10
1 : 320
durchgemachte Infektion
C. trachomatis (IF)
< 1 : 10
1 : 20
1 : 20
beginnende Infektion?
Histologie
Lymphadenitis mit herdförmigen, teils landkartenartigen Abszessen mit zentralen
granulozytären Infiltraten und randständigem Histiozytensaum, teils mit epitheloidzelligen
Histiozyten ([Abb. 1 ]).
Abb. 1 Detailaufnahme mit Anteilen der zentral abszedierenden Entzündung und des palisadierenden
Histiozytensaumes.
Molekulardiagnostik
Aus der Lymphknotenbiopsie PCR auf Bartonella Spezies negativ; Spezies-spezifische PCR auf Chlamydia trachomatis positiv, Genotypisierung (PCR-Amplifikation des omp1-Gens und Sequenzierung)
ergibt LGV Genotyp L2b.
Therapie und Verlauf
Zum Ausschluss eines rasch wachsenden Lymphoms sowie zur Gewebegewinnung für eine
molekulardiagnostische Methode ließen wir eine Lymphknotenexzision durchführen.
Anhand von Klinik, Serologie, Histologie und PCR stellten wir die Diagnose eines
Lymphogranuloma venereum L2b und begannen eine Therapie mit Doxycyclin 2 × 100
mg für drei Wochen. Nach fünf Tagen kam es darunter zu einer Einschmelzung
des Befundes in der rechten Leiste, weshalb eine operative Abszessabdeckelung
nötig wurde. Nach einmaliger Entleerung von 70 ml Pus war der weitere Verlauf
unkompliziert. Eine Bakteriologie blieb negativ.
Die genauere Diagnostik des Übertragungsmodus durch Untersuchung der asymptomatischen
Partnerin war leider nicht möglich, da diese bereits eine ambulant veranlasste
Antibiose erhalten hatte. Wir empfahlen diese auf Doxycyclin 2 × 100 mg für 7
Tage zu ändern. Der Patient verneinte auch nach ausführlicher Besprechung der
Diagnose homosexuelle Kontakte oder ungeschützten Geschlechtsverkehr außerhalb
seiner Beziehung.
Diskussion
Ein Lymphogranuloma venereum, verursacht durch das gram-negative, sich obligat
intrazellulär vermehrende Bakterium C. trachomatis mit einem der drei Serovare
L1, L2 und L3, war bis vor kurzem eine in den Industrieländern nur sporadisch
beschriebene Geschlechtserkrankung. Das LGV galt als in Afrika, Asien, Südamerika
oder der Karibik endemisch ([Abb. 2 ]).
Abb. 2 Übersicht der humanpathogenen Chlamydien-Spezies, der dazugehörigen Serovare,
des typischen Übertragungsweges und der Erkrankung.
Im Primärstadium entsteht nach einer Inkubationszeit von 3 - 30 Tagen am Ort der Inokulation ein
nur wenige Tage bestehendes, unbehandelt abheilendes Ulkus. Eine Primärläsion
in Harnröhre, Vagina oder Rektum bleibt oft unbemerkt [1 ].
Nach zwei bis sechs Wochen kommt es zu einem Sekundärstadium mit schmerzhafter Lymphadenopathie: je nach Infektionsort und lymphatischem Abfluss
können diese Lymphknoten inguinal (typisches „groove sign” durch Vergrößerung
der durch das Poupart’sche Ligament getrennten femoralen und inguinalen Lymphknoten)
([Abb. 3 ]), retroperitoneal (bei Frauen oder bei anorezeptivem Geschlechtsverkehr), zervikal
(bei Oralverkehr) oder auch mediastinal/supraklavikulär (z. B. bei akzidenteller
Inhalation der Erreger durch Laborpersonal) liegen. Beim anorektalen Syndrom
nach anorezeptivem Geschlechtsverkehr kommt es zu einer hämorrhagischen Proktitis
und Hyperplasie des intestinalen und perirektalen Lymphgewebes. Neben einer akuten
Verlaufsform mit massenhafter Bildung von Elementarkörperchen, Zellwandlyse und
rascher Erregerausbreitung kann es auch zu einer persistierenden Infektion mit
Ausschleusung von infektiösen Elementarkörperchen durch die intakt bleibende Zellwand
mittels Exozytose und chronisch rezidivierenden Krankheitsschüben kommen. Die
mantelartige Umlagerung des Zellkerns durch Einschlusskörperchen hat den Erregern
ihren Namen gegeben („chlamys”, griech. der Mantel).
Abb. 3 Sekundärstadium mit inguinaler Lymphadenopathie (Abdruck mit Genehmigung des Elsevier-Verlages
(www.netterimages.com).
Das seltener vorkommende Tertiärstadium ist gekennzeichnet durch eine Fibrose mit lymphatischer Abflussstörung, genitaler
Elephantiasis oder Esthiomene (Infektion der lymphatischen Gefäße von Skrotum
und Penis oder Vulva) [2 ].
Seit 2002 werden Ausbrüche einer LGV-Proktitis unter homosexuellen, meist HIV-positiven
Patienten, verursacht durch den Serotyp L2b (Amsterdam ) in verschiedenen westlichen Ländern wie Belgien, den Niederlanden, Großbritannien,
Frankreich, Deutschland, USA und der Schweiz beschrieben [3 ]
[11 ]. LGV L2b konnte retrospektiv erstmalig in Proben aus den 80er-Jahren in San
Francisco nachgewiesen werden. Ob die Inzidenz aktuell wirklich zunimmt oder nur
Aufmerksamkeit und Diagnostik verbessert sind, wird diskutiert [10 ].
Die Differenzialdiagnose des LGV umfasst im Stadium des genitalen Ulkus den weichen Schanker, Herpes, Syphilis und die Donovaniose. Im Stadium der Lymphadenopathie kommen HIV, EBV, CMV, Bartonellose und maligne Lymphome hinzu. Je nach endemischer
Situation ist an eine Lymphknotentuberkulose oder auch an die Pest zu denken.
Die Diagnosestellung kann serologisch unterstützt werden, sollte aber heute molekulardiagnostisch
aus Läsionen erfolgen. Der kulturelle Nachweis von Erregern aus klinischen Läsionen
ist kostspielig und die Sensitivität dieser Methode gering. Die Komplementfixation
ist lediglich genus-spezifisch und nicht in der Lage, zwischen C. trachomatis , C. psittaci oder C. pneumoniae zu differenzieren. Das invasivere LGV mit den Serovaren L1, L2 und L3 soll dabei
zu höheren Antikörpertitern als unkomplizierte genitale Infektionen mit C. trachomatis der Serovare D-K führen. Ein Titer von > 1 : 256 gilt als suggestiv für, ein
Titer von < 1 : 32 als nahezu ausschließend für eine LGV-Infektion [6 ]. Die Immunfluoreszenzmikroskopie wäre in der Lage, Infektionen der einzelnen
Chlamydienspezies zu differenzieren, ist in der Praxis aber selten verfügbar.
Die Verlässlichkeit von Enzymimmunoassays ist unklar [4 ]. Die sensitivste und hochspezifische Methode zum LGV-Erregernachweis ist eine
DNA-Amplifikation aus Bubomaterial (Aspirat oder Exzidat). Für rektale und pharyngeale
Proben ist diese Methode aktuell noch nicht lizensiert. Bei einem positiven Test-Ergebnis
sollte eine Kontrolle durch einen PCR-Test eines anderen Herstellers erfolgen
und bei Bestätigung eine Genotypisierung durchgeführt werden [1 ], die gegenwärtig nur in wenigen Speziallaboratorien zur Verfügung steht. Die
Histologie zeigt eine lymphoproliferative Reaktion und Nekrosezonen in den Lymphknoten.
Zur Therapie der bubonic form und der anogenitalen Form des LGV wird Doxycyclin 2 × 100 mg/d für 21 Tage empfohlen, 7 Tage länger
also, als für Chlamydieninfektionen der Serovare B-K [3 ]. Eine Einmaltherapie mit Azithromycin 1 g [9 ] ist nicht verlässlich [5 ]. Kleinere Abszedierungen können evt. über eine laterale Aspiration durch gesunde
Haut drainiert [8 ], größere müssen operativ saniert werden. In der Schwangerschaft wird Erythromycin
als Alternative empfohlen. Wie bei anderen STD ist die Beratung und Behandlung
der Kontaktpersonen nötig; asymptomatische Partner sollten entweder nachkontrolliert
oder mit Doxycyclin 2 × 100 mg für 7 Tage behandelt werden.
Bemerkenswert am vorliegenden Fall ist, bei aller Einschränkung von anamnestischen
Angaben zum Sexualverhalten, die vermutliche Übertragung eines LGV L2b durch einen
heterosexuellen Kontakt ohne das Vorliegen der bislang beschriebenen üblichen
Risikofaktoren wie HIV-Positivität, Promiskuität, Analverkehr, geringes Bildungsniveau,
Anamnese für STD oder Akquisition in einem Endemiegebiet [7 ]. LGV L2b scheint dabei eine klassische Verlaufsform der LGV zu verursachen.
Die Ergebnisse der extern veranlassten Chlamydien-Serologien (Laborinterpretation
als „Kontakt mit C. psittaci, chronische Infektion mit C. pneumoniae sowie evt. akute Infektion mit C. trachomatis ”) illustrieren, dass eine Serologie nur mit Einschränkung für die Frage nach
einem akuten LGV zu interpretieren ist.
Im November 2005 rief das Schweizerische Bundesamt für Gesundheit Ärzte bereits
dazu auf, vermehrt an die Differentialdiagnose des LGV bei MSM mit den beschriebenen
Symptomen der Proktitis zu denken und diese entsprechend abzuklären. Der hier
beschriebene Fall verdeutlicht, dass dieses differentialdiagnostische Denken auch
auf Patienten ohne übliche Risikofaktoren sowie auf eine zumindest in den Industrienationen
bisher seltene klinische Manifestation erweitert werden muss.
Interessenkonflikt
Keiner der Autoren hat Verbindungen mit einer Firma, deren Produkt in dem Artikel
genannt ist oder einer Firma, die ein Konkurrenzprodukt vertreibt.
Danksagung
Wir möchten Herrn Dr. sc. nat. D. Goldenberger, Institut für medizinische und
molekulare Diagnostik AG, Zürich, für die Genotypisierung danken.