Aktuelle Dermatologie 2006; 32(11): 484-486
DOI: 10.1055/s-2006-944839
Kasuistik
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Anstrengungs-induzierte Urtikariavaskulitis (Wanderer-/Golfer-Vaskulitis)

Exercise-Induced Urticarial Vasculitis (Walking/Golfer's Vasculitis)L.  Kowalzick1 , H.  Ziegler1 , L.  Eickenscheidt1 , M.  Komar1
  • 1Klinik für Hautkrankheiten und Allergologie (Chefarzt: Prof. Dr. med. habil. L. Kowalzick), HELIOS Vogtland-Klinikum Plauen (Ärztlicher Direktor: Prof. Dr. med. habil. L. Kowalzick)
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Prof. Dr. med. habil. Lutz Kowalzick

Klinik für Hautkrankheiten und Allergologie

HELIOS Vogtland-Klinikum Plauen Postfach 100153 08505 Plauen

eMail: lutz.kowalzick@helios-kliniken.de

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
14. November 2006 (online)

Inhaltsübersicht #

Zusammenfassung

Berichtet wird über den Fall einer 41-jährigen Patientin mit einer selten diagnostizierten, möglicherweise aber oft übersehenen, durch Anstrengung bei Wanderungen ausgelösten Urtikariavaskulitis der Unterschenkel. Die Diagnose wurde mit dem histologischen Befund einer leukozytoklastischen Vaskulitis gesichert. Andere Ursachen einer Vaskulitis ließen sich nicht entdecken. Auf diese klinisch ungewöhnliche, im angelsächsischen Schrifttum aber öfter beschriebene Erkrankung wird in der vorliegenden Kasuistik hingewiesen.

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Abstract

We report the case of a 41-year-old female patient with a rarely diagnosed, but possibly underdiagnosed, urticarial vasculitis of her lower limbs induced by exercise while wandering in the countryside. Diagnosis was confirmed by histology showing leucocytoclastic vasculitis. No others causes of vasculitis could be detected. This case report points to a clinically uncommon disease, which occasionally has been reported in the English language literature.

„Wand'rer” heißt mich die Welt
weit wandert ich schon:
auf der Erde Rücken rühr't ich mich viel.
Richard Wagner: Siegfried, 1. Aufzug, 2. Szene

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Einleitung

Die Urtikariavaskulitis ist gekennzeichnet durch urtikarielle Hautveränderungen, die deutlich länger als 24 Stunden bestehen und mit Purpura einhergehen bzw. Hyperpigmentierungen hinterlassen können und die histologisch als leukozytoklastische Vaskulitis imponieren [9]. Eine Assoziation mit hämatologischen Erkrankungen, Malignomen, Autoimmunerkrankungen und Infektionen wurde ebenso beschrieben wie ein Zusammenhang mit körperlicher Anstrengung [3]. Letztere Variante der Erkrankung wird eher selten diagnostiziert, möglicherweise aber oft übersehen bzw. ignoriert [7]. Auf diese im englischsprachigen Schrifttum aber öfter beschriebene Erkrankung wird daher in der vorliegenden Kasuistik hingewiesen.

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Kasuistik

Eine 41-jährige Patientin wurde wegen eines Ulerythema ophryogenes vorgestellt. Daneben brachte sie Fotos von ihren Waden mit, die einen an eine Purpura pigmentosa et progressiva bzw. an eine Ekzematid-like Purpura erinnernden Befund mit einigen, wenige Zentimeter durchmessenden, plaquartigen rötlich-bräunlichen Hyperpigmentierungen zeigten ([Abb. 1]). Die Patientin gab an, dass diese Hautveränderungen seit drei bis vier Jahren etwa vier- bis fünfmal jährlich regelmäßig und ausschließlich während ausgedehnten, ca. sechs- bis siebenstündigen Wanderungen bzw. Skiwanderungen im Mittel- und Hochgebirge aufträten und dann ohne Therapie über sieben bis zehn Tage langsam abblassen würden. Die Hautveränderungen hätten im Knöchelbereich begonnen und traten später auch an den Unterschenkeln, zuletzt auch an den distalen Oberschenkeln auf. Zusätzliche UV-Belastung würde die Symptome verstärken. Vor zwei Jahren sei es zu einer symptomatischen EBV-Reaktivierung gekommen, sonstige Infektionen wurden negiert. Außer einer hormonellen Kontrazeption nahm die Patientin keine Medikamente ein. Zum Zeitpunkt der ersten Vorstellung hier fanden sich an den Unterschenkeln aber keinerlei Residuen mehr.

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Abb. 1 Unterschenkel einer 41-jährigen Patientin mit multiplen bräunlich pigmentierten, drei Tage alten Plaques bei Zustand nach Anstrengungs-induzierter Urtikriavaskulitis.

Bei der Patientin wurde eine Epikutantestung der Standardreihe sowie von Kosmetik- und Haushaltsstoffen durchgeführt, bei der sich kein Hinweis auf eine allergische Kontaktsensibilisierung vom Spättyp fand. Die Pricktestung auf inhalative Allergene (Atopene) fand sich gleichfalls negativ. In der phlebologischen Diagnostik mit dem Doppler-Ultraschall fand sich kein Anhalt für eine chronisch venöse Insuffizienz.

Die Patientin wurde gebeten, sich beim Wiederauftreten dieser Hautveränderungen kurzfristig wieder vorzustellen.

Dies tat sie dann 4 Monate später an einem Montag. Am Wochenende war die Patientin zuvor wieder ausgiebig Wandern. Es fanden sich jetzt symmetrisch an beiden Unterschenkeln, beugeseitig betont, zwei verschiedene Morphen: zum einen z. T. multipel konfluierende, anulär betonte, gering erythematöse, urtikariell elevierte Plaques von meist 3 bis 4 cm Durchmesser mit deutlich betonten Petechien im Randbereich und zentraler Abblassung ([Abb. 2]) und zum anderen typische Urticae besonders im Bereich von Druckeinwirkung (Knöchel, Spann) wie bei Druckurtikaria, von denen einige aber gleichfalls eine petechiale Note in ihrer gesamten Fläche aufwiesen. Eine epidermale Beteiligung war nicht vorhanden. Diese Hautveränderungen persistierten über mehrere Tage.

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Abb. 2 Detail vom Unterschenkel der selben Patientin einen Tag nach ausgedehnter Wanderung im Mittelgebirge: konfluierende urtikarielle blassrosa Herde mit anulär randbetonten Petechien: frische Urtikariavaskulitis.

In der Labordiagnostik fanden sich das Differenzialblutbild, die Serum-Eiweißelektrophoprese, die Blutgerinnung einschließlich Fibrinogen, Faktor XIII und Thrombozytenfunktionsanalyse, Komplement C3c und C4, die zirkulierenden Immunkomplexe (IgA, IgG, IgM, C3c und C1q), sowie die Antinukleären Faktoren, Rheumafaktor, SS-A und SS-B- Antikörper, Kryoglobuline, TPHA-, Antistreptolysin-, und Hepatitis-Anntikörper im Normbereich bzw. negativ.

Wir führten zwei 4-mm-Punchbiopsieentnahmen aus einem petechialen urtikariellen Herd vom linken Unterschenkel durch. Histologisch fand sich bei orthokeratotischer Epidermis im Papillarkörper Extravasate von Erythrozyten sowie Kernstaub und noch intakte segmentkernige Granulozyten, darunter vereinzelt Eosinophile. Die Kapillaren zeigten eine deutliche Endothelschwellung und Marginalisation von Leukozyten ohne voll ausgebildete fibrinoide Gefäßnekrosen ([Abb. 3]). Histologisch wurde die Diagnose einer leukozytoklastischen Vaskulitis gestellt. In der direkten Immunfluoreszenz-Histologie fanden sich vereinzelt subepidermal perivaskuläre Komplement (C3)- und Fibrinogen-Ablagerungen. Immunglobulinablagerungen fanden sich nicht.

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Abb. 3 HE-Präparat von einem frischen petechialen urtikariellen Herd vom Unterschenkel: orthokeratotische Epidermis, im Papillarkörper Extravasate von Erythrozyten (a) sowie Kernstaub und noch intakte segmentkernige Granulozyten, darunter vereinzelt Eosinophile. Die Kapillaren zeigten eine deutliche Endothelschwellung und Marginalisation von Leukozyten ohne voll ausgebildete fibrinoide Gefäßnekrosen (b).

Aufgrund des klinischen Befundes und der histologischen und immunhistologischen Diagnostik diagnostizierten wir eine Urtikariavaskulitis, aufgrund des anamnestisch engen zeitlichen Zusammenhangs mit Belastung durch ausgedehnte Wanderungen und dem fehlenden Hinweis auf andere Auslöser die Anstrengungs-induzierte Variante der Erkrankung. Wir verordneten eine orale Therapie mit Vitamin C 300 mg/die, Kompressionsstrümpfe der Kompressionsklasse II und empfahlen, ausgedehnte Wanderungen zunächst einzuschränken.

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Diskussion

Die Urtikariavaskulitis ist gekennzeichnet durch urtikarielle Hautveränderungen, die deutlich länger als 24 Stunden bestehen und mit Purpura einhergehen bzw. Hyperpigmentierungen hinterlassen können und die histologisch als leukozytoklastische Vaskulitis imponieren [9]. Eine Assoziation mit hämatologischen Erkrankungen, Malignomen, Autoimmun-Erkrankungen und Infektionen wurde ebenso beschrieben wie ein Zusammenhang mit körperlicher Anstrengung. Letztere Form der Erkrankung wurde erstmals 1996 beschrieben [3]. Einige Autoren subsummieren diese Erkrankung neben unspezifischen erythematösen Plaques oder Vasculitis allergica superficialis-artigen Hautveränderungen auch als Sonderform einer Anstrengungs-induzierten Purpura, die histologisch jedoch stets das Bild einer leukozytoklastischen Vaskulitis bietet [6]. Im angelsächsischen Schrifttum ist hierfür neben dem Ausdruck Anstrengungs-induzierte (exercise-induced) Vaskulitis [7], auch der Ausdruck Wanderer- („walking”) oder Golfer- [4] Vaskulitis geprägt worden.

Im vorliegenden Fall konnte die Diagnose einer Urtikariavaskulitis klinisch und histologisch gestellt werden. Der enge und ausschließliche zeitliche Zusammenhang mit körperlicher Anstrengung durch längere Gebirgswanderungen führte zur Einordnung als Anstrengungs-induzierte Variante der Erkrankung.

Nach Anstrengungsbelastung zeigte sich bei einem Patient mit dieser Form der Urtikariavaskultis bereits nach 3 Stunden histologisch eine endotheliale Schwellung und ein eosinophiles Infiltrat. In einer Verlaufsbiopsie fand sich dann nach 24 Stunden eine typische leukozytoklastische Vaskulitis mit Erythrozyten-Extravasaten [3]. Bei allen 10 untersuchten Patienten mit purpurischen Läsionen nach 80 km-Wanderungen fanden sich histologisch Zeichen einer leukozytoklastischen Vaskulitis mit Erythrozyten-Extravasaten und perivaskulärem neutrophil-mononukleärem Infiltrat. Immunhistologisch fanden sich - wie auch im vorliegenden Fall - meist Komplement C3c-, seltener auch IgM-Ablagerungen [5]; Eosinophilen-Peroxidase war maximal nach 10 Stunden, Neutrophilen-Elastase nach 24 Stunden nachweisbar [3].

In einer Fallstudie von 17 australischen, meist über 50 Jahre alten Patienten entwickelte sich eine Vaskulitis-Symptomatik bei 15 nach Spielen einer 18-Loch-Golfrunde, bei 3 nach ausgedehnten Wanderungen. Heißes Wetter begünstigte das Auftreten [4]. Bei 23 europäischen Patienten, fast ausschließlich weiblichen Geschlechts, entwickelten sich die Symptome nach langen Wanderungen oder Läufen ebenfalls vor allem bei heißem Wetter [7]. Während alle diese Patienten ansonsten gesund waren, wurde ein Fall berichtet, in dem eine Anstrengungs-induzierte Urtikriavasculitis paraneoplastisch auftrat und nach Exzision eines zystischen Teratoms nicht mehr auslösbar war [2]. In einem Fall von Anstrengungs-induzierter leukozytoklastischer Vasculitis, allerdings ohne urtikarielle Komponente, bestand eine biklonale IgG-Paraproteinämie [8]. Die pathogenetische Bedeutung einer chronisch-venösen Insuffizienz wird kontrovers diskutiert [6] [7]. Epikutan-Testungen waren stets negativ [4]. In unserem Fall fand sich gleichfalls kein Hinweis auf eine unterliegende Erkrankung, wenn man die reaktivierte EBV-Infektion nicht berücksichtigt, die ja erst ein bis zwei Jahre nach Beginn der Hautsymptomatik klinisch auftrat.

Prophylaktisch halfen gelegentlich Kompressionstherapie, Lymphdrainage, Diuretika [7], Colchizin oder Vitamin C [8], dem eine gefäßabdichtende Wirkung zugeschrieben wird [1], sowie symptomatisch topische oder systemische Glukokortikosteroide [7]

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Danksagung

Wir danken Frau Dr. med. Renate Ott, Hautarztpraxis Rehau, für die Vorstellung der Patientin und Herrn Chefarzt Dr. med. Christoph Seidel, Institut für Pathologie und Tumordiagnostik am HELIOS Vogtland-Klinikum Plauen, für die Befundung der histologischen Schnittpräparate.

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Literatur

Prof. Dr. med. habil. Lutz Kowalzick

Klinik für Hautkrankheiten und Allergologie

HELIOS Vogtland-Klinikum Plauen Postfach 100153 08505 Plauen

eMail: lutz.kowalzick@helios-kliniken.de

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Literatur

Prof. Dr. med. habil. Lutz Kowalzick

Klinik für Hautkrankheiten und Allergologie

HELIOS Vogtland-Klinikum Plauen Postfach 100153 08505 Plauen

eMail: lutz.kowalzick@helios-kliniken.de

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Abb. 1 Unterschenkel einer 41-jährigen Patientin mit multiplen bräunlich pigmentierten, drei Tage alten Plaques bei Zustand nach Anstrengungs-induzierter Urtikriavaskulitis.

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Abb. 2 Detail vom Unterschenkel der selben Patientin einen Tag nach ausgedehnter Wanderung im Mittelgebirge: konfluierende urtikarielle blassrosa Herde mit anulär randbetonten Petechien: frische Urtikariavaskulitis.

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Abb. 3 HE-Präparat von einem frischen petechialen urtikariellen Herd vom Unterschenkel: orthokeratotische Epidermis, im Papillarkörper Extravasate von Erythrozyten (a) sowie Kernstaub und noch intakte segmentkernige Granulozyten, darunter vereinzelt Eosinophile. Die Kapillaren zeigten eine deutliche Endothelschwellung und Marginalisation von Leukozyten ohne voll ausgebildete fibrinoide Gefäßnekrosen (b).