Der Klinikarzt 2006; 35(6): XX-XXI
DOI: 10.1055/s-2006-948038
Medizin & Management

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Zwischen Krise und Megamanagement - Krankenhäuser werden vom Versorger zum Dienstleister

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Publication Date:
05 July 2006 (online)

 
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Tiefe Einschnitte aber auch ein gigantisches Wachstumspotenzial werden die nächsten Jahre dem Gesundheitsmarkt bringen. Dies scheint im ersten Moment ein Widerspruch an sich, doch in den nächsten Jahrzehnten werden immer mehr ältere und dann oft multimorbide Patienten Gesundheits- und Pflegeleistungen einfordern - und das bei schwindenden finanziellen Ressourcen.

Um in dem immer stärkeren Konkurrenzkampf überleben zu können, entdecken inzwischen immer mehr Kliniken das Marketing als Steuerungsinstrument und versuchen, sich optimal in der Gesundheitslandschaft Deutschland zu positionieren und Wettbewerbsvorteile zu generieren. Neben strategischen Maßnahmen zur Reduktion der Kosten und dem Erhöhen der erzielten Erlöse, zählt hierzu sicherlich die Präsentation der eigenen Kernkompetenzen im Umfeld einer optimalen Qualität.

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Gigantischer Wachstumsmarkt trotz großer Einschnitte

Die aktuellsten Prognosen für den Gesundheitsmarkt reichen also in alle Extreme. "Der Gesundheitsbereich wird künftig der Träger unserer Konjunktur sein", prognostizierte Prof. A. Runde, Riedlingen, anhand der Studie "Gesundheitsversorgung 2020", einer Untersuchung der Ernst & Young AG aus dem letzten Jahr. Bis Ende 2020 werden sich demnach die Ausgaben für die gesundheitliche Versorgung auf etwa 500 Milliarden jährlich verdoppeln. Dabei sind in dieser Summe die Ausgaben für Fitness, Wellness und Wohlbehagen noch gar nicht enthalten.

Gründe für dieses riesige Wachstumspotenzial sind die viel zitierte demografische Entwicklung und die noch immer steigende Lebenserwartung. Daneben wird die Zersplitterung der familiären Strukturen dazu beitragen, die Nachfrage nach ambulanten und stationären Pflegedienstleistungen weiter zu erhöhen. Erwartet wird zudem, dass technische Innovationen im Bereich der Diagnostik es möglich machen werden, Krankheiten früher zu erkennen und so für eine Therapie zugänglich zu machen oder sogar neue Krankheitsbilder zu entdecken und im Markt zu integrieren.

Die schwindenden finanziellen Ressourcen auf der anderen Seite, machen trotz dieses Wachstumspotenzials große Einschnitte notwendig. Jeder Patient, jeder niedergelassene Arzt, aber auch gerade die Kliniken werden umdenken müssen! Denn mit 27% sind die Kliniken der größte Kostenblock im deutschen Gesundheitssystem. Die Einführung der Fallpauschalen zwingt sie derzeit, ihre Ausgaben erheblich zu senken, um so einen wesentlichen Beitrag zur Gesundheitsreform zu leisten. Die flächendeckende Einführung dieser so genannten DRGs ("diagnosis related groups") wird in naher Zukunft noch weitere Kostenreduktionen von schätzungsweise fünf Milliarden Euro notwendig machen, schätzt die Agentur McKinsey & Company.

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Erste Maßnahmen greifen schon

Viele Kliniken haben bereits große Anstrengungen unternommen, ihre Kosten und ihre Strukturen den neuen Umständen anzupassen. So sind allein von 2000 bis 2004 in Deutschland rund 28000 Krankenhausbetten abgebaut worden. Dies entspricht 5% der noch im Jahr 2000 vorhandenen Bettenkapazität. Trotzdem halten deutsche Kliniken im Vergleich mit anderen Ländern aus der Europäischen Union mit einer Bettenzahl von 640 Krankenhausbetten pro 100000 Einwohnern vergleichsweise viele Betten vor: Im EU-Schnitt sind dies nur 430 Betten pro 100000 Einwohner. "Rechnet man diesen EU-Schnitt auf die deutsche Vorhaltung um, ergäbe sich eine Überkapazität von 33%", berechnete Runde.

Ein großes Einsparpotenzial liegt nach Meinung des Gesundheitsökonomen und Krankenhausmanagers in der Chirurgie: "Was das ambulante Operieren betrifft, gehört Deutschland zu den Entwicklungsländern!" Nur 4,9 von insgesamt rund 12,7 Millionen Operationen - also nur 40% - wurden im Jahr 2003 in Deutschland ambulant durchgeführt.

Nicht nur in den USA, auch in einigen europäischen Ländern wie Großbritannien oder Norwegen betrug der Anteil der ambulanten Operationen im Jahr 2004 jedoch 80%. "Würden in Deutschland mittelfristig 70% der Operationen ambulant durchgeführt, so würden nur noch 3,8 Millionen Operationen unter stationären Bedingungen erfolgen. Das wären nur noch 47% des bisherigen stationären OP-Volumens", meinte Runde. Seiner Meinung nach ist eine strategische Optimierung mit dem Aufbau auch eines ambulanten OP-Zentrums durchaus ein Wettbewerbsvorteil für Kliniken.

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Patienten- und marktorientiert denken!

Manchen Krankenhäusern fällt es jedoch schwer, sich an die neue Situation auf dem Gesundheitsmarkt anzupassen. Dies hat sicher unter anderem "historische" Gründe. Es gebe noch immer Häuser, "die sich im Versorgungsauftrag wähnen", so Runde. Der Status der "versorgenden Einrichtung" könne einem Krankenhaus jedoch heute keine Existenz mehr sichern. Im Gegenteil: Die über Jahrzehnte gepflegte Kultur des Versorgens steht einer Markt- und damit einer Kundenorientierung häufig im Wege. "Kunden" der Klinik sind natürlich einmal die Patienten, aber auch die Krankenkassen, denen es über Verträge möglich ist, Leistungspakete für ihre Versicherten zu vereinbaren.

Da sich der Gesundheitsmarkt jedoch nicht grenzenlos ausdehnen lässt, gilt es, Nachfrage zu generieren und Präferenzen für das eigene Angebot zu schaffen, meinte Runde. Marketing sei also ein zentrales Thema, das als "strategisches Management" in die tägliche Arbeit einfließen muss. Ein zentrales Marketinginstrument neben der Umweltanalyse oder der Analyse von Chancen und Risiken sei dabei die Zufriedenheit der Patienten und der zuweisenden niedergelassenen Ärzte, meinte Runde. Denn es reiche nicht aus, neue Patienten zu gewinnen, man müsse sie auch binden.

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Man hat nur eine Chance, die muss man nutzen!

Dabei ist ein einfacher Grundsatz zu beachten: Müssen die Patienten zusätzliche Leistungen selbst abdecken - und das wird in naher Zukunft etwa bei einem Drittel der anfallenden Gesundheitskosten der Fall sein, so die Studie "Gesundheitsversorgung 2020" -, wollen sie auch einen "Gegenwert" haben. "Das Problem im Krankenhaus ist, dass man nur eine Chance hat, die Erwartungen des Patienten zu erfüllen", erinnerte Runde. Nutzt man diese Chance, erhält man einen Vertrauensbonus, falls nicht, generiert man eine "Negativreklame" für das Haus oder zumindest die Abteilung. Denn fast 80% der Patienten lassen sich bei der Suche nach einem neuen Arzt an erster Stelle von der Zufriedenheit anderer Patienten leiten.

Krankenhäuser sind also gut beraten, im Rahmen des strategischen Managements dem Status des künftigen Patienten und dessen Eigenschaft als "Kunden" mehr Bedeutung einzuräumen. Denn "die Patienten stimmen mit den Füßen ab", meinte Dr. T. Pilgrim, Geschäftsführer der AnyCare GmbH, Stuttgart. Die in vielen Kliniken üblichen Befragungen bei der Entlassung, sind jedoch häufig nicht umfassend genug, um eine ausreichende Informationsgrundlage für die strategische Unternehmensplanung abzubilden.

Auch die strukturierten Qualitätsberichte nach § 137 SGB V, von denen sich der Gesetzgeber eine höhere Transparenz und einen stärkeren Wettbewerbsdruck auf die einzelnen Krankenhäuser erhofft, haben sich als Kommunikationsmittel bislang nicht bewähren können. Im Februar dieses Jahres berichtete das Deutsche Ärzteblatt, dass nur 3% der Patienten und deren Angehörige überhaupt wussten, dass solche Qualitätsberichte im Internet einzusehen sind. Gebrauch gemacht hatte jedoch keiner davon! Dies sei umso schmerzhafter, wenn man den Arbeitsaufwand für die Fertigstellung dieser Berichte bedenkt, schreibt das Ärzteblatt: Denn die Hauptlast dabei tragen die für das Qualitätsmanagement zuständigen ärztlichen (!) Mitarbeiter - zulasten der Patientenversorgung!

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Orientierung im "Gesundheitsdschungel"

Die AnyCare GmbH, Stuttgart, stellt jetzt mit dem Qualitätskompass Klinik ein neues Instrument zur kontinuierlichen Messung der Patientenzufriedenheit zur Verfügung. Dazu wird eine repräsentative Zahl der Patienten einer Klinik kontinuierlich über ihre Erfahrungen im Krankenhausalltag befragt und zwar in der Regel drei Wochen nach ihrer Entlassung.

Die Befragungskategorien erstrecken sich dabei über die Struktur-, die Prozess- und die Ergebnisqualität, angefangen von der Aufnahme in die Klinik über die ärztliche Behandlung und die pflegerische Betreuung bis hin zur Entlassung und der Organisation der Weiterbehandlung und vielem mehr (Bewertung in der Regel im Schulnotensystem). Daneben sind in die Befragung aber auch offene Fragen integriert, die zusätzlich Meinungen und Wertungen der Patienten erfassen und ein Feedback an die Kliniken ermöglichen.

Aus dieser kontinuierlichen, anonymisierten Befragung stehen den teilnehmenden Kliniken ständig aktuelle Werte über ihre Behandlungsqualität in verschiedenen Dienstleistungsmodulen zur Verfügung, die in einen fortlaufenden Verbesserungsprozess einfließen können. Dies ist wichtig, denn wer die Qualität kontinuierlich misst, kann auch erkennen, ob die eingesetzten Maßnahmen greifen. Viel schlimmer als eine schlechte Qualität dokumentiert zu bekommen, ist es nach Pilgrims Meinung, gar nicht zu wissen, wie es um die Qualität steht. Denn nur was man weiß, kann man ändern!

Doch nicht nur ein stetes Qualitätsmanagement wird mit dem Qualitätskompass möglich. Über den anonymisierten externen Vergleich mit anderen teilnehmenden Kliniken, das so genannte Benchmarking, lassen sich auch Marketinginstrumente für die Akquisition neuer Patienten generieren. Ein interner Qualitätsvergleich zwischen den verschiedenen Abteilungen eines Hauses ist ebenfalls möglich, und einzelne Abteilungen können von den guten Erfahrungen und Standards anderer lernen.

Gute Qualitätsdaten können zudem die Verhandlungsposition bei Gesprächen und Budgetverhaltungen mit den Krankenkassen stärken. "Natürlich achten die Kassen dabei auf die aktuellen Qualitätswerte, wichtiger ist ihnen unserer Erfahrung nach jedoch die Qualität im Zeitverlauf."

sts

Quelle: "AnyDay Qualitätskompass - Klinik", veranstaltet von der AnyCare GmbH, Stuttgart