Der Klinikarzt 2006; 35(7): VII
DOI: 10.1055/s-2006-948075
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Ziel ist die Elimination freier Radikale - Neuroprotektion beim ischämischen Insult erstmals erfolgreich

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Publication Date:
24 July 2006 (online)

 
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Etwa 1,9 Millionen Neuronen gehen bei einem unbehandelten Schlaganfall pro Minute verloren, erklärte Prof. G. Ford, Newcastle upon Tyne (UK). Vor diesem Hintergrund ist es leicht nachzuvollziehen, warum es so wichtig ist, die Durchblutung des geschädigten Gewebes so schnell wie möglich wiederherzustellen. Glück haben Patienten, die in eine Stroke-Unit eingeliefert werden. Hier erhalten immerhin 15% eine Thrombolyse mit dem rekombinanten Gewebeplasminogenaktivator rtPA innerhalb des geforderten Zeitfensters von drei Stunden. Europaweit werden - aus den verschiedensten Gründen - jedoch nur 1-2% der Schlaganfallpatienten einer Thrombolyse zugeführt.

Hält man sich die Folgen eines Schlaganfalls vor Augen, bekommt die Forderung Fords nach neuen, schnellen Therapiestrategien des ischämischen Insults ein besonderes Gewicht: Etwa zwei Drittel der Schlaganfallpatienten versterben oder benötigen nach dem Insult fremde Hilfe, berichtete Ford. Außerdem erfordern die Therapie und die eventuell notwendige Pflege von Schlaganfallpatienten etwa 5-10% der Mittel des Gesundheitssystems. "Das ist mehr als die meisten realisieren", meinte Ford.

Chance: Neuroprotektion durch Radikalenfänger

Viel versprechen sich die Experten schon lange von neuroprotektiven Therapieansätzen. Doch selbst wenn die getesteten Substanzen im Tierversuch die Infarktgröße reduzierten, beim Menschen waren sie nicht effektiv. Mit der Substanz NXY-059, einem freien Radikalenfänger, zeichnet sich jetzt jedoch erstmals ein möglicher Erfolg einer neuroprotektiven Therapiestrategie ab.

Die schädlichen freien Radikale entstehen über zwei Reaktionswege der ischämischen Kaskade, erklärte Prof. S. Davis, Melbourne (Australien). Zum einen verursacht ein akuter ischämischer Insult die Ausschüttung von Glutamat, das wiederum die NMDA- bzw. AMPA-Rezeptoren aktiviert, die dann über eine Depolarisation der Zellmembran einen Kalziumeinstrom und damit die Bildung von Stickoxiden und freien Radikalen induzieren. Aber auch die Reoxygenierung und die Inflammation in der Reperfusionskaskade, erhöhen die Konzentration an freien Radikalen.

Zum ersten Mal ein Erfolgserlebnis

Tatsächlich kann eine frühe Behandlung mit dem Radikalenfänger NXY-059 innerhalb von sechs Stunden nach dem Einsetzen der Schlaganfallsymptome das Outcome der Patienten verbessern, wie Prof. K. Lees, Glasgow (UK), anhand der erst vor kurzem veröffentlichten plazebokontrollierten SAINT[1]-I-Studie belegte. Insgesamt wurde 1699 Patienten mit nachgewiesenem ischämischen Insult im Mittel nach 3,75 Stunden entweder der Radikalenfänger (Zielkonzentration im Plasma: 260 µM) oder ein Plazebopräparat über 72 Stunden infundiert. Eine Thrombolyse mit rtPA war erlaubt. Primärer Endpunkt der Studie war die Behinderung der Patienten nach 90 Tagen, gemessen an der modifizierten sechsstufigen Rankin-Skala (0 = keine Symptome; 5 = schwere Behinderung, kontinuierliche Pflege).

Die neuroprotektive Therapiestrategie verbesserte die Gesamtverteilung der Scores (p = 0,038) signifikant: Insgesamt konnten 13% der Patienten einer besseren Score-Stufe zugeordnet werden - ein Unterschied, der für den einzelnen Patienten durchaus relevant ist. Die Mortalität (17,0 versus 16,6%; p = 0,89) und die Raten für unerwünschte Ereignisse waren in beiden Gruppen vergleichbar. Auf eine Thrombolysebehandlung mit Alteplase scheint die Therapie mit dem Radikalenfänger jedoch durchaus einen Effekt zu haben, meinte Lees. Denn hatten die Patienten die Substanz NXY-059 erhalten, erlitten deutlich weniger eine intrazerebrale Blutung (15,4 versus 27,3%; p = 0,005).

Ist eine schnelle Therapie ohne bildgebende Diagnostik möglich?

Wie sich die Gabe des Radikalenfängers auf intrazerebrale Hämorrhagien auswirkt, testete die randomisierte, plazebokontrollierte Multizenterstudie CHANT[2] (n = 600). Der größte Unterschied zum SAINT-Studienprogramm ist dabei, dass vor der Gabe des Radikalenfängers keine bildgebende Diagnostik erfolgte - kein unwichtiger Punkt, wenn man sich die Notwendigkeit einer raschen Therapie vor Augen hält.

Inzwischen stehen die ersten Ergebnisse zur Verfügung: Demnach sind nicht mehr oder größere Hämorrhagien zu erwarten, berichtete Prof. P. Lyden, San Diego (Kalifornien, USA). "Einen zusätzlichen Größenzuwachs der Blutungen haben wir nicht sehen können", so Lyden. Im Verumarm war der Größenzuwachs vielmehr eher geringer als in der Vergleichsgruppe (-2,2 cm3). Unterschiede zwischen den beiden Studiengruppen bezüglich der Mortalität waren nicht zu verzeichnen. Und auch funktionelles und neurologisches Outcome der Patienten waren ähnlich, erklärte Lyden.

Mehr unterwünschte Wirkungen waren dabei insgesamt für den Radikalenfänger ebenfalls nicht zu verzeichnen. Auch die Laborparameter veränderten sich im Therapieverlauf nicht - mit einer Ausnahme: In der NXY-059-Gruppe waren etwas mehr Hypokaliämien zu sehen.

sts

Quelle: Satellitensymposium "Neuroprotection in stroke - progress towards a clinical reality" auf der "european stroke conference" 2006, veranstaltet von AstraZeneca

01 Stroke Acute Ischaemic NXY-059 Treatment

02 Cerebral Hemorrhage And NXY-059 Treatment

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