Varikozelen finden sich bei bis zu 25% der infertilen Männer. Inwieweit eine Behandlung
die Schwangerschaftsraten unfruchtbarer Paare erhöht, wird derzeit kontrovers diskutiert.
So zeigte ein systematischer Review randomisierter und kontrollierter, nichtrandomisierter
Studien einen signifikanten Anstieg der Schwangerschaftsrate nach Varikozelen-Behandlung.
Eine Cochrane-Metaanalyse randomisierter klinischer Studien konnte hingegen keinen
positiven Effekt belegen. In einer erneuten kritische Analyse klinischer Studien wird
dieser Widerspruch erneut diskutiert (Eur Urol 2006; 49: 258-263).
Dazu analysierten V. Ficarra et al. 8 verfügbare randomisierte Studien zu dem Thema
"Operation oder Sklerosierung von Varikozelen bei subfertilen Männern". Da laut Empfehlungen
der "Amerikanischen urologischen Gesellschaft (AUA)" sowie der "Amerikanischen Gesellschaft
für reproduktive Medizin (ASRM)" eine Varikozelen-Behandlung bei Patienten mit normalem
Spermiogramm oder subklinischer Varikozele nicht indiziert ist, wurden diese Patienten
in der vorliegenden Studie ausgeschlossen. Analysiert wurden die Daten bezüglich der
Aufnahmekriterien, klinischer Merkmale der randomerisierten Patienten und Schwangerschaftsraten
in Abhängigkeit der Randomisierung.
Heterogener Studienaufbau und mangelhafte Methodik
Die Auswertung der Literaturdaten ergab, dass nur 3 der 8 der Patientenpopulation
eine tastbare Varikozele und eine pathologisches Spermiogramm hatten. Insgesamt wurden
von 237 Patienten 120 Patienten randomisiert in die "Behandlungsgruppe" und 117 Patienten
in die Kontrollgruppe eingeteilt. Der Studienaufbau erwies sich hinsichtlich der Aufnahmekriterien
und der klinischen Patientenmerkmale als sehr heterogen. Die methodische Qualität
und die statistische Aussagekraft müssen als unzureichend beurteilt werden. Allerdings
zeigte die Analyse der behandelten Patienten einen signifikanten Anstieg der Schwangerschaftsraten
nach Varikozelen-Behandlung (36,4%) im Vergleich zur Kontrollgruppe (20%).
Bidirektionales Dopplerbild bei Varikozele vom Druck- (oben) und vom Shunttyp (unten).
Ob eine Varikozelenbehandlung die Schwangerschaftsrate erhöht, ist noch umstritten (D. Jocham et al. Praxis in der Urologie, Thieme, 2003).
Fazit
Die Cochrane-Metaanalyse zur Effizienz einer Varikozelen-Behandlung bei subfertilen
Paaren eignet sich nicht, um Empfehlungen oder gar Richtlinien zu entwerfen, so die
italienische Arbeitsgruppe. Dazu sei die Patientenpopulation zu heterogen gewesen
und die statistische Aussagekraft zu gering. Neuere Daten aus laufenden Studien liefern
unter Umständen fundiertere Informationen bez. der Indikation zur Therapie einer Varikozele.
Dr. Sabine Adler, Mülsen St. Niclas
Kommentar
U. Humke
Cochrane oder der schwierige Weg zur Evidenz
Ficarra und Mitarbeiter sind mit ihrem Review (Eur Urol 2006; 49:258-263) zu beglückwünschen. Als Urologen und Mitglieder der Varikozelen-Studiengruppe der
italienischen Gesellschaft für Andrologie haben sie ihre Kompetenz und Expertise gebündelt,
um dem Team der Cochrane-Collaboration, bestehend aus 2 holländischen Gynäkologen,
zu widersprechen. Letztere publizierten zwischen 2002 und 2004 eine Serie von 3 Reviews
zur Frage der Effektivität einer chirurgischen Therapie der Varikozele bei Paaren
mit unerfülltem Kinderwunsch, wobei randomisierte kontrollierte Studien der Literatur
ausgewertet wurden. 2002 lagen 5 Studien vor, welche zu der Schlussfolgerung führten,
dass keine ausreichende Evidenz für die Effektivität der Varikozelen-Therapie gegeben
ist. 2003 wurde eine weitere Studie hinzugefügt und eine insgesamt fehlende Effektivität
der Varikozelen-Therapie abgeleitet. 2004 erfolgte unter Hinzufügung zweier weiterer
Studien die Behauptung, dass eine Variko-zelen-Therapie für die Behandlung der männlichen
Subfertilität nicht empfohlen werden kann. Die EAU-Leitlinien-Gruppe hat in ihrem
letzten Update 2004 diese Feststellung übernommen, nicht so die AUA (American Urological
Association) und die ASRM (American Society for Reproductive Medicine).
Diese Uneinigkeit war Grund genug, die Cochrane-Meatanalyse und die 8 darin beurteilten
Studien erneut unter die Lupe zu nehmen. Fünf Studien wurden nach intensiver Neubetrachtung
ausgeschlossen, da in diesen Männer mit normalen Spemiogrammen, sowie Paare mit weiblichen
Fertilitätsrisiken eingeschlossen waren, sowie die Nachbeobachtungszeit nicht ausreichend
war. In den verbleibenden 3 Studien konnte nach statistisch aufwändiger Überarbeitung
in der "As-treated"-Analyse ein signifikanter Vorteil für die behandelten Paare im
Hinblick auf die Schwangerschaftsraten gefunden werden, während die "Intention-to-treat"-Analyse
dies nicht nachweisen konnte.
Die Evidenz unterliegt in Wahrheit der subjektiven Beurteilung der Experten, die die
Studien nicht ausreichend geprüft haben.
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Die Schlussfolgerung von Ficarra und Mitarbeiter macht deutlich, dass randomisierte
kontrollierte Studien die Frage der Wirkung einer Varikozelen-Therapie bislang nicht
beantworten können. Dies kann natürlich für künftige, besser konzipierte und durchgeführte
Studien nicht ausgeschlossen werden. Gleichwohl wird aber angemerkt, dass nicht kontrollierte
Studien trotz letztendlich geringerem Evidenz-Level die praktisch-klinischen Verhältnisse
viel besser wiedergeben, da die Effekte einer Randomisierung, die zur Therapie-Ablehnung
durch die Patienten führen kann, hier nicht vorkommen. Die Autoren sehen sich ermutigt,
bis auf weiteres die Varikozelen-Therapie nicht zu unterlassen und somit den Leitlinien
der AUA und ASRM zu folgen.
Zwei Reviews, die Chochrane-Publikation und die Arbeit von Ficarra und Mitarbeitern,
beurteilen die Aussagekraft und das Ergebnis der gleichen Studien unterschiedlich.
Diese Situation ist ein exemplarisches Beispiel für die Problematik der evidenzbasierten
Medizin. Die Evidenz wird in Metaanalysen aus Studien herausgelesen. In Wahrheit unterliegt
sie aber der subjektiven Beurteilung der Analysten, der ernannten Experten, die ihrerseits
auf das Thema und die Fragestellung bezogen die zur Auswertung herangezogenen Studien
hinsichtlich ihrer Qualität nicht ausreichend geprüft haben.
Das sind handwerkliche Fehler, die die Frage nahe legen, wer die Analysten und Experten
wiederum auf ihre Qualität und fachliche Kompetenz überprüft. Ob, wie in diesem Fall,
Gynäkologen eine urologische Therapie beurteilen sollten, nur weil der Zielpunkt der
Studien das Entstehen einer Schwangerschaft darstellte, darf bezweifelt werden. Sicher
wäre auch ein rein urologisches Expertenteam nicht frei von Voreingenommenheit, aber
ein interdisziplinärer Ansatz hätte in diesem Dilemma doch wohl am ehesten die Chance,
Kompetenz und Objektivität zu bündeln, um eine valide Evidenz zu erarbeiten. Diese
Frage ist umso bedeutsamer, als die Cochrane-Reviews immer häufiger zur Erstellung
von Leitlinien herangezogen werden und somit eine ausgeprägte Funktion der Meinungsbildung
in der Fachwelt, aber auch unter Laien bzw. Patienten haben.
Darüber hinaus richtet sich der Zeigefinger aber auch auf die klinische Forschung
und die ihr zugrunde liegenden Studien. Alleine die Zuordnung einer Studie zur Kategorie
"randomisiert kontrolliert" sichert im Ergebnis nicht die Eignung für hohe Evidenz.
Die Studienprotokolle wiesen in diesem Falle in 62,5% methodische Unzulänglichkeiten
auf, die die Beantwortung der Fragestellung torpedierten. Also müssen sich auch die
klinischen Forscher und Autoren an der Nase packen lassen und handwerkliche Schwächen
vorwerfen lassen.
Folgerichtig endet auch der Review von Ficarra und Mitarbeitern mit dem oft gelesenen
Hinweis, dass weitere Studien (und dann hoffentlich bessere) in der Zukunft zeigen
müssen, nach welchen Kriterien Männer auszusuchen sind, deren Fertilität durch eine
wie auch immer geartete Therapie der Varikozele potentiell profitiert. Zurzeit ist
dies nicht eindeutig, aber bis wir es besser wissen, sollte die Varikozelen-Therapie
den Patienten nicht vorenthalten werden.
Prof. Ulrich Humke, Stuttgart