Aktuelle Urol 2006; 37(5): 316-320
DOI: 10.1055/s-2006-951426
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Interstitielle Zystitis - Pentosanpolysulfat und Heparin verbessern Allgemeinbefinden und Symptomatik

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Publikationsdatum:
26. September 2006 (online)

 
Inhaltsübersicht

Die Permeabilitätsstörung der Blasenoberfläche ist das pathophysiologische Korrelat der interstitiellen Zystitis, die mit Pentosanpolysulfatsalz behandelt wird. Eine Arbeitsgruppe der Universität Münster prüfte in einer prospektiven Studie die Effizienz einer ergänzenden Heparinmedikation. Urology 2006; 66: 707-711

Bei der interstitiellen Zystitis liegt histologisch eine kleinzellige Infiltration von Schleimhaut und Blasenwandmuskulatur vor, die zu Bindegewebswucherungen mit Schrumpfblasenbildung führen kann. Der an Glykaminoglykanen reiche Mukus der Blasenoberfläche ist verändert, woraus eine Störung der Epithelpermeabilität resultiert mit konsekutiver Anfälligkeit für zahlreiche Noxen. Pentosanpolysulfatsalz (PPS) gilt als Standardtherapie und soll bei interstitieller Zystitis die Dysfunktion der Blasenoberfläche kompensieren. Es wird angenommen, dass Heparin den Heilungsprozess über eine Hemmung von Mastzellen oder Beeinflussung der sensorischen Blasenfunktion unterstützt.

In einer prospektiven Studie behandelten van Ophoven et al. 55 Frauen und drei Männer (Durchschnittsalter 47 Jahre) wegen interstitieller Zystitis mit einer Standardmedikation von 300 mg PPS täglich 41 Patienten wurden gemäß dem Ansprechen auf die Medikation in drei Gruppen eingeteilt (gutes, mäßiges und schlechtes Ansprechen), 17 Patienten mit alleiniger PPS-Medikation dienten als Kontrollgruppe. Zum Zeitpunkt des Untersuchungsbeginns waren die Patienten durchschnittlich seit 11 Monaten in Behandlung. Primärer Endpunkt der Studie war eine Änderung des allgemeinen Wohlbefindens, sekundärer Endpunkt Änderungen von Schmerz, Drang, Miktionsfrequenz, funktionellem Blasenvolumen und der P’Leary-Sant index.

Insgesamt 41 Patienten erhielten zusätzlich Heparin, das nach folgendem Schema appliziert wurde: Zwei Tage 5 000 IU s.c. alle acht Stunden, 5 000 IU s.c. alle 12 Stunden für weitere 12 Tage. Danach wurde die Heparintherapie gestoppt. Bei Wiederauftreten von Beschwerden wurde das Schema wiederholt, trat ein dritter Rückfall auf, erfolgte eine Dauermedikation mit 5 000 IU Heparin täglich subkutan.

Kombinationstherapie ist wirksam und sicher

24 Patienten (58,5%) und 18 Patienten (43,9%) gaben nach drei respektive sechs Monaten eine Verbesserung ihres Allgemeinbefindens an. Eine positive Auswirkung auf die Beschwerden zeigte sich bei zehn Patienten (24,4%) nach drei und bei neun Patienten (21,9%) nach sechs Monaten. Eine Wiederholung des Heparinschemas war bei 40 Patienten erforderlich, 12 Patienten erhielten eine Dauertherapie. 15 Patienten brachen die Kombinationstherapie nach drei bis sechs Monaten ab, weil sie nicht auf die Medikamente angesprochen hatten oder ein Rückfall aufgetreten war. Nebenwirkungen waren selten und bestanden hauptsächlich aus einer verstärkten Menstruationsblutung. Bei den 18 Patienten ohne Heparin (Kontrollgruppe) trat keine Besserung ein.

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Blasenwandfibrose nach interstitieller Zystitis mit strahliger Narbe am Blasendach (Ulcus simplex) (Bild: HJ Reuter, MA Reuter. Atlas der urologischen Endoskopie, Thieme, 1984).

Insbesondere schienen diejenigen Patienten von der Kombinationstherapie zu profitierten, die auf eine PPS-Monotherapie schlecht angesprochen hatten. 31,8% der Patienten mit schlechtem Ansprechen auf PPS allein profitierten von der PPS-Heparin-Kombinationstherapie, im Gegensatz zu 12,5 und 18,2% der Patienten mit mäßigem oder gutem Ansprechen auf PPS-Monotherapie.

Fazit

Die Kombinationstherapie von Heparin und oral verabreichtem PPS scheint eine effektive Behandlungsoption für Patienten mit interstitieller Zystitis zu sein. Die zusätzliche Gabe von Heparin verbessert vor allem bei den Patienten das Allgemeinbefinden, die initial nur schlecht auf die PPS-Monotherapie ansprechen.

Dr. Susanne Krome, 's-Hertogenbosch

Kommentar

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A. Haferkamp

"Nur eine Second Line-Therapieoption"

Die Arbeitsgruppe um Arndt van Ophofen aus Münster untersuchte in diesem 2005 in Urology erschienenen Manuskript in einer offenen, nicht plazebo-kontrollierten Studie den zusätzlichen Effekt einer subkutan verabreichten Heparindosis bei Patienten mit interstitieller Zystitis, die unter einer oral verabreichten Pentosanpolysulfat-Medikation bestanden. Sie konnten zeigen, dass die Heparin-Applikationen, insbesondere bei Patienten, welche nur gering auf die Pentosan-polysulfat-Medikation angesprochen hatten, zu einer Besserung des allgemeinen Wohlbefindens und zu einem signifikanten Rückgang der Schmerzintensität drei und sechs Monate nach Studienbeginn führten.

Die Basis für diese Untersuchung stellt die Tatsache dar, dass eines der vorrangigen Therapieziele bei der Behandlung der interstitiellen Zystitis die Sanierung der Glycosaminoglycan-Schutzschicht des Blasenurothels ist. Diese schützende Schleimschicht des Urothels besteht überwiegend aus Chondroitin-Sulfat, Heparan-Sulfat, Heparin, Hyaloronsäure und anderen Glycosaminoglycanen. Zur Sanierung dieser GAG-Schicht stehen heute sowohl intravesicale als auch orale Therapieoptionen zur Verfügung.

Alle 41 Patienten, die in der Gruppe von van Ophofen untersucht wurden, standen unter einer oralen Pentosanpolysulfat-Therapie, einem Heparin-ähnlichen aus Buchenholz semisynthetisch hergestellten Polysaccharidester, der eine antiinflammatorische fibrinolytische Wirkung besitzt und zur Restutition der zerstörten Glycosamineglycan-Schicht in der Blase beitragen kann. Nachteil dieser oralen Therapie ist vor allem, dass nur sehr geringe Wirkstoffkonzentrationen in der Blase und am Urothel erzielt werden können.

Subkutane Heparin-Applikation

Heparin stellt eine weitere medikamentöse Option zur Behandlung der interstitiellen Zystitis dar. Es wurde bei diesem Krankheitsbild bisher hauptsächlich dies üblicherweise in einer Dosierung von 10 000 IE dreimal/Woche über mindestens drei Monate, in die Blase instilliert, mit dem Ziel, die Glycosaminoglycan-Barriere aufzubauen und damit die Blasenmuskulatur vor Noxen zu schützen. In der von van Ophofen durchgeführten Studie wird jetzt erstmals gezeigt, dass auch die subkutane Applikation von Heparin zu einer Verbesserung der Symptomatik bei Patienten mit interstitieller Zystitis führt, wahrscheinlich ausgelöst durch die Ausscheidung des Heparins über den Urin. Dabei basiert die Wirkung des Heparins wahrscheinlich nicht nur auf der Verbesserung der Glycosaminoglycan-Schicht der Harnblase, sondern auch auf der Inhibierung der Mastzellaktivierung. Bei Patienten mit interstitieller Zystitis, die intravesikale Instillationstherapien ablehnen, erscheinen die Therapieoptionen, wie sie von van Ophofen angewendet werden, mit oraler Pentosanpolysulfat-Applikation sowie subkutaner Heparin-Applikation als sinnvoll.

Fehlende Plazebokontrolle

Aufgrund des sehr schwierigen Patientenkollektivs weist die Arbeit von van Ophofen allerdings methodische Einschränkungen auf. Hier ist vor allen Dingen die fehlende Plazebokontrolle zu nennen. Die Kontrollpatienten in der Studie blieben weiterhin unter der Pentosanpolysulfat-Medikation und erhielten keine zusätzlichen subkutanen Plazeboapplikationen. Zwar ist es schwierig, eine solche Studie bei Patienten mit interstitieller Zystitis durchzuführen, dennoch hätte eine Plazebokontrollgruppe die Qualität der Studie insgesamt deutlich verbessert.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Studie von van Ophofen zeigen konnte, dass die additive Therapie von Heparin zur oralen Pentosanpolysulfat-Medikation zu einer Verbesserung des allgemeinen Wohlbefindens und zu einer Reduktion der Schmerzintensität bei Patienten mit interstitieller Zystitis führt. Aufgrund der bisherigen Daten stellt dieser Therapieansatz allerdings nur eine Second Line-Therapieoption dar, da insbesondere für die Restitutio der Glycosaminoglycan-Schicht die beste Therapieerfolge durch eine intravesikale Instillationstherapie erzielt werden können.

Dr. Axel Haferkamp, Heidelberg

 
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Blasenwandfibrose nach interstitieller Zystitis mit strahliger Narbe am Blasendach (Ulcus simplex) (Bild: HJ Reuter, MA Reuter. Atlas der urologischen Endoskopie, Thieme, 1984).

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A. Haferkamp