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DOI: 10.1055/s-2006-956260
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Gibt es eine ausreichende Risikostratifizierung?
Werden Patienten mit geringerem Risiko besser behandelt als Patienten mit hohem?Is risk classification ever satisfactory?Are lower-risk patients better treated than high-risk ones?Publication History
eingereicht: 14.6.2006
akzeptiert: 20.7.2006
Publication Date:
15 November 2006 (online)

Die Kombination von Diabetes und akutem Koronarsyndrom ist als Hochrisikosituation anzusehen und verlangt laut den evidenzbasierten Leitlinien gezielte therapeutische Maßnahmen. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Patient einen vermeintlich „kleinen Infarkt” ohne ST-Streckenhebung (Non-ST-Elevation Myocardial Infarction = NSTEMI) oder einen größeren Infarkt mit ST-Streckenhebung (ST-Elevation Myocardial Infarction = STEMI) erleidet. Die Überlebenswahrscheinlichkeit nach einem Jahr ist gleich schlecht.
Große deutsche und internationale Register belegen aber, dass diese Risikogruppe weniger intensiv behandelt wird als Patienten mit geringerem Risiko. Dieses Paradox betrifft sowohl die frühinvasive Diagnostik innerhalb von 48 Stunden mit anschließender Revaskularisierung als auch die gerade in der Hochrisikogruppe nachweislich hocheffektiven adjuvanten antithrombozytären Therapie mit Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptorantagonisten. Betroffen von dieser zurückhaltenden, nicht optimalen Therapie sind vor allem Patienten mit bekanntem Diabetes mellitus (in der Regel Typ-2-Diabetiker), aber auch Patienten mit gestörtem Glukosestoffwechsel (gestörte Glukosetoleranz), die etwa zwei Drittel aller Patienten mit akutem Koronarsyndrom ausmachen.
Zur Umsetzung der Empfehlungen in den Leitlinien, die nachweislich Leben retten, ist zuerst eine aufmerksame und aktive Diagnostik geboten. Die Aussage des Patienten, er habe keinen Diabetes, reicht bei unsicherem Diabetes-Status, etwa bei Zeichen des metabolischen Syndroms oder einer Stresshyperglykämie, nicht aus. Nur durch die gezielte Untersuchung des Glukosestoffwechsels während des stationären Aufenthalts lässt sich eine klare Vorstellung vom Risikostatus des Patienten gewinnen. Hier empfiehlt sich die enge Zusammenarbeit der Kardiologen mit den Diabetologen von der Aufnahme bis zur Entlassung. Die häufig begleitende Nephropathie erfordert gezielte Aufmerksamkeit, darf aber einer invasiven Behandlung nicht im Wege stehen.
Die Beiträge dieses Supplements stellen die Behandlungsrealität von Patienten mit akutem Koronarsyndrom vor, begründen die Risikostratifizierung, erklären pathophysiologische Mechanismen und belegen den Effekt der differenziellen, evidenzbasierten Therapie in Hochrisikogruppen. Ziel dieser Beiträge von ausgewiesenen Experten ist es, mehr Aufmerksamkeit auf diese ungünstige Kombination zu lenken, um das Paradoxon zwischen hohem Risiko und schlechterer Versorgung zu beseitigen.
Prof. Dr. Christian Hamm
Kerckhoff-Klinik, Herzzentrum
Benekestraße 2-8
61231 Bad Nauheim
Email: c.hamm@kerckhoff-klinik.de