Der Klinikarzt 2006; 35(11): 439
DOI: 10.1055/s-2006-958642
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Wenn im Krankenhaus die Luft ausgeht

W. Hardinghaus
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Publication Date:
29 November 2006 (online)

Wussten Sie, dass rund 15 % aller Klinikpatienten an stärkerer Luftnot leiden? Tatsächlich ist dies - ohne Herrn Kollegen Leschke als dem Themenmoderator dieses Heftes zuvorzukommen - ein Teilergebnis unseres Projektes „Schmerzfreies Krankenhaus” (www.schmerzfreies-krankenhaus.de), das mit bundesweiten Daten von bisher rund 4000 Patienten derzeit die größte Erhebung dieser Art in der Welt ist. Wenn ich von „unserer” Untersuchung spreche, meine ich damit die Deutsche Gesellschaft für interdisziplinäre klinische Medizin (DGIKM), mit dem klinikarzt als Hauszeitschrift, die Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes (DGSS), die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) sowie den Deutschen Berufsverband für Krankenpflege (DBFK). Gemeinsam haben diese vier Trägergesellschaften jüngst das Zertifikat „Qualifizierte Schmerztherapie” und die Gesellschaft für „Qualifizierte Schmerztherapie Certkom e.V.” ins Leben gerufen.

Die Qualität der Schmerztherapie in den deutschen Kliniken war demnach auch die Hauptfragestellung der Studie. Unser Ergebnis: Nach wie vor leiden in Deutschland mehr als 60 % der Patienten nach Operationen an zu starken Schmerzen, selbst nach sogenannten kleineren Eingriffen, wie beispielsweise einer Strumektomie. Hierbei gab es innerhalb der teilnehmenden Kliniken allerdings deutliche Unterschiede. Ebenso verbesserungswürdig ist die Schmerztherapie im konservativen Bereich: Auch hier berichtet ein großer Teil der Patienten über starke Schmerzen und von unwirksamen, zu schwach oder zu kurz wirksamen Medikamenten - insbesondere nachts. Leider meldet sich nicht jeder Patient zu Wort. Etwa jeder dritte Schmerzkranke erträgt die Schmerzen stillschweigend, vielleicht deshalb, weil er die Erfahrung gemacht hat, dass er in diesen Situationen überwiegend unwirksame Medikamente erhält.

Dies muss sicherlich besser werden! Daher beschreitet das Projekt „Schmerzfreies Krankenhaus” auch wissenschaftlich neue Wege, um den beteiligten Kliniken die Qualität ihrer schmerztherapeutischen Versorgung besser zu verdeutlichen. Hierfür wurden Algorithmen entwickelt, die einen individuellen Vergleich zwischen den Kliniken vor und nach der Optimierung ihrer Schmerztherapie ermöglichen. Das trifft auch das eigentliche Ziel des Projektes, nämlich die Realisierung eines kompetenten interdisziplinären Schmerzmanagements.

Um wieder auf den Aspekt der Luftnot zurückzukommen und damit auf das Schwerpunktthema des klinikarzt in diesem Monat überzuleiten: Wie gesagt, rund 15 % aller Klinikpatienten leiden unter stärkerer Luftnot, entsprechend den Werten 2 oder 3 auf der visuellen Skala (0-3). Sogar 30 % sind es, wenn man allein die konservativen Fächer betrachtet. Nimmt man davon die Patienten mit kardiopulmonalen Erkrankungen, so findet man unter ihnen rund 60 % mit stärkerer Luftnot. Dies ist sicher keine Überraschung. Aber ebenso viele Patienten mit Dyspnoe gibt es unter den onkologisch Erkrankten, wobei hier eine große Zurückhaltung bei der Gabe von Opiaten festzustellen - und zu bedauern! - ist, wenn als Grunderkrankung kein (!) Malignom besteht. Prof. Chr. Meier, Bochum, rutschte es einmal heraus: „Man muss in Deutschland schon ein Bronchialkarzinom haben, um bei Luftnot Morphine zu bekommen.”

Ich frage Sie, lieber Herr Kollege Leschke, wie würden Sie das sehen?

Prof. Dr. W. Hardinghaus

Ostercappeln