Epileptische Anfälle und Epilepsien gehören zu den häufigsten neurologischen Störungen
in den westlichen Industrieländern. Allerdings reagiert jeder dritte Patient mit Epilepsien
nur unzureichend auf die Behandlung. Etwa 35% der Patienten sind therapieresistent.
Insbesondere Patienten mit fokalen Epilepsien sind häufig betroffen. Nur rund 50%
dieser Patienten werden völlig anfallsfrei. Auf der 13. Arbeitstagung des DACH-Arbeitskreises
Epilepsie am 21. September 2007 in Morschach (Schweiz) präsentierte Prof. Bernhard
J. Steinhoff, Epilepsiezentrum Kork, seine Erfahrungen mit Zonisamid als Zusatztherapie
für die Behandlung erwachsener Patienten mit fokalen Anfällen. Außerdem gibt es auch
für Patienten mit dem schwer therapierbaren Lennox-Gastaut-Syndrom (LGS) dank des
neu verfügbaren Antiepileptikums Rufinamid neue Hoffnung, wie Dr. Edda Haberlandt,
Medizinische Universität Innsbruck, auf der Tagung vorstellte.
Epileptische Anfälle und Epilepsien zählen zu den häufigsten neurologischen Störungen
in den westlichen Industrieländern. In Deutschland sind etwa 600 000 bis 800 000 Menschen
betroffen. Etwa fünf Prozent aller Menschen erleiden in ihrem Leben wenigstens einen
epileptischen Anfall. Die Diagnose "Epilepsie" ergibt sich in der Regel erst nach
dem Auftreten mehrerer epileptischer Anfälle. Nur etwa ein Drittel aller Anfälle betrifft
von Anfang an beide Hirnhälften (primär generalisierte Anfälle). Etwa zwei Drittel
der Patienten leiden an fokalen Anfällen, die in einem eng umschriebenen Gebiet des
Gehirns auftreten. Diese können sich auch in ein generalisiertes Anfallsgeschehen
ausweiten (sekundär generalisiert). Patienten mit fokalen Anfällen sprechen allerdings
nur zum Teil auf eine medikamentöse Behandlung an.
Hauptpfeiler der Behandlung von Epilepsien ist die medikamentöse Therapie, welche
in einem gestuften System von niedergelassenen Haus- und Kinderärzten und Neurologen
bis hin zu stationären Schwerpunktabteilungen, Epilepsieambulanzen und Spezialzentren
erfolgt. Trotz der erweiterten medikamentösen Optionen werden nur rund 50% dieser
Patienten völlig anfallsfrei, weitere 20% werden etwas gebessert.
Seit 2005 steht in Europa für die Behandlung von erwachsenen Patienten mit fokalen
Anfällen mit oder ohne sekundäre Generalisierung Zonisamid (Zonegran®) zur Verfügung.
Mit inzwischen über 2,2 Millionen Patientenjahren Erfahrung wird Zonisamid weltweit
viel eingesetzt. Vier große randomisierte und placebokontrollierte Studien zeigen,
dass Erwachsene mit fokalen Anfällen sehr effektiv in einer Zusatztherapie mit Zonisamid
behandelt werden können. Die gepoolten Daten dieser Studie zeigen zudem ein ausgezeichnetes
Verträglichkeits- und Sicherheitsprofil [2]. Prof. Bernhard J. Steinhoff, Epilepsiezentrum Kork, stellte jetzt auf der 13. Arbeitstagung
des DACH-Arbeitskreises Epilepsie am 21. September 2007 in Morschach (Schweiz) seine
bereits mehrjährigen Erfahrungen und internationale neue Daten zur Langzeittherapie
mit Zonisamid vor.
Wirkmechanismus von Zonisamid
Wirkmechanismus von Zonisamid
Für Zonisamid werden mehrere Wirkmechanismen angenommen, die im Einzelnen noch nicht
vollständig geklärt sind. In vitro beeinflusst Zonisamid epileptische Entladungen,
indem es fokale Entladungen nach elektrischer Stimulation verringert, die Nachentladungsschwelle
anhebt und die kontralaterale Anfallsausbreitung und Spike-Aktivität blockiert. Zonisamid
blockiert spannungsabhängige Natrium- [8], [9] und Kalziumkanäle [10] und unterbricht so die synchronisierte neuronale Entladung, wodurch die Verbreitung
von Krampf-Entladungen reduziert wird und eine daraus folgende epileptische Aktivität
unterbunden wird. Zonisamid übt zusätzlich eine modulatorische Wirkung auf die GABA-vermittelte
neuronale Inhibition aus. Eine erhöhte GABA-Freisetzung vom Hippokampus wurde beobachtet
[5]. Auch eine Blockierung der Kalzium-evozierten Glutamat-Antwort und eine Reduktion
der Glutamat-vermittelten synaptischen Exzitation wurden beschrieben [6], [11]. Zusätzlich gibt es Hinweise darauf, dass Zonisamid sowohl die dopaminerge als
auch die serotoninerge Neurotransmission erleichtern könnte [7].
|
Erfahrungen mit Zonisamid in Deutschland
Erfahrungen mit Zonisamid in Deutschland
Bereits 2004, d.h. noch vor der Zulassung, wurden 23 Patienten (mittleres Alter 35,3
Jahre, mittlere Epilepsiedauer 25,2 Jahre) am Epilepsiezentrum Kork auf Zonisamid
eingestellt [1]. Die Patienten waren als therapieresistent eingestuft und hatten zuvor bereits alle
Antiepileptika der ersten und zweiten Wahl ohne Erfolg erhalten. Initial erhielten
sie gemäß der Vorgehensweise in den USA 100 mg/Tag, die dann wöchentlich um 100 mg
bis auf 400 mg gesteigert wurden. Heute werden basierend auf den internationalen Erfahrungen
initial 50mg/Tag, aufgeteilt in zwei Einzeldosen empfohlen. Die Dosis kann dann schrittweise
auf 300 bis 500 mg/Tag gesteigert werden. Die Patienten wurden in Kork im Durchschnitt
5,7 Monate beobachtet. Dabei sahen Steinhoff und seine Mitarbeiter bei insgesamt 30%
der Patienten einen positiven Effekt. "Das muss bei diesen schwer zu behandelnden
Patienten als sehr gutes Ergebnis gewertet werden", erklärte Steinhoff. Bei 17% der
Patienten verringerte sich die Anzahl der Anfälle sogar um mehr als 50%, bemerkenswerte
4% der Patienten erreichten eine vollständige Anfallsfreiheit.
Steinhoff betonte neben der hohen Wirksamkeit auch die gute Verträglichkeit: Mehr
als die Hälfte der Patienten berichteten keine Nebenwirkungen. Fünf Patienten gaben
eine leichte Stimmungsbeeinträchtigung an, bei zwei Patienten traten Schwindel und
Gangunsicherheit auf. Die positiven Erfahrungen decken sich auch mit Daten aus dem
Epilepsiezentrum Erlangen, die Steinhoff ebenfalls präsentierte. Dort konnten zum
damaligen Zeitpunkt 51 Patienten über sechs Monate beobachtet werden. Auch bei diesen
Patienten zeigte sich eine sehr gute Verträglichkeit, obwohl fast 60% der Patienten
Zonisamid zusätzlich zu zwei weiteren Antiepileptika erhielten, bei einem Drittel
sogar zusätzlich zu drei Antiepileptika. Bei diesen Patienten konnte bei 36,4% eine
Verbesserung verzeichnet werden.
Langzeiterfahrungen
Langzeiterfahrungen
Nach der Zulassung von Zonisamid konnten 58 Patienten (mittleres Alter 40 Jahre, mittlere
Epilepsiedauer 27 Jahre) in eine Langzeitstudie im Epilepsiezentrum Kork aufgenommen
werden. Eingeschlossen wurden therapieresistente Patienten mit fokaler Epilepsie,
die zuvor bereits durchschnittlich über neun verschiedene Antiepileptika erhalten
hatten, auf die sie aber nur ungenügend angesprochen hatten. "Also alles Patienten
mit der wohl am schwierigsten zu behandelnden Epilepsieform, die wir kennen", machte
Steinhoff deutlich.
Unter Zonisamid war bei 38,2% dieser schwierigen Patienten nach einem Jahr eine Anfallsreduktion
erzielt worden. Auch die Schwere der Anfälle verbesserte sich nach Einschätzung der
Patienten. Selbst nach zwei Jahren profitierten noch 25% der Patienten von einer Anfallsreduktion.
Obwohl viele therapierefraktäre Patienten einen progredienten Verlauf aufweisen, nahm
nur bei wenigen die Anzahl der Anfälle zu. "Wir haben auch nicht den Eindruck, als
würde Zonisamid zu einer Verschlechterung der Anfälle führen", so Steinhoff. Zusammenfassend
bestätigt sich die international an Zonisamid geschätzte hohe Wirksamkeit somit auch
in der deutschen Praxis. Es überrascht daher nicht, dass sich Zonisamid inzwischen
bundesweit etabliert hat.
Die Verträglichkeit war in Kork, ebenfalls in Übereinstimmung mit den Daten aus den
klinischen Studien, gut. Obwohl es sich in allen Fällen um eine Kombinationstherapie
handelte, berichteten rund die Hälfte der Patienten (49%) keinerlei Nebenwirkungen.
Die Patienten, die Nebenwirkungen hatten, beschrieben vorwiegend Gewichtsabnahme und
Müdigkeit. Positiv fiel zudem auf, dass Konzentrationsstörungen nur bei 3,6% der Patienten
beobachtet wurden. "Dies entspricht etwa Placeboniveau", erläuterte Steinhoff. Auch
nach zwei Jahren Behandlungszeit war das Nebenwirkungsspektrum sehr ähnlich. Neue
Nebenwirkungen traten nicht auf. "Auch bei längerer Behandlung kann man davon ausgehen,
dass keine neuen Nebenwirkungen auftreten, die die Therapie durcheinander bringen
können", kommentierte Steinhoff.
Hohe Retentionsraten nach einem und zwei Jahren
Hohe Retentionsraten nach einem und zwei Jahren
Insgesamt wurde die Therapie gut vertragen und die Patienten profitierten langfristig
von Zonisamid. Die gute Balance zwischen hoher Wirksamkeit und guter Verträglichkeit
zeigen auch die sogenannten Retentionsraten, die ein Maß für die Wirksamkeit und Verträglichkeit
der Medikation sind. Die Retentionsrate ist dabei der Anteil der Patienten, die nach
einem bzw. zwei Jahren noch in der Studie verbleiben. In der Langzeituntersuchung
mit Zonisamid in Kork betrug die Retentionsrate nach einem Jahr 75%, und auch nach
zwei Jahren nahmen noch 65% der Patienten an der Studie teil (Abb. [1]). "Dies ist keine schlechte Zahl bei diesen schwer zu behandelnden Patienten", erklärte
Steinhoff "und deckt sich auch mit Erfahrungen aus nationalen und internationalen
Studien". Die Gründe, warum die therapieresistenten Patienten ihr Medikament nicht
mehr weiter einnahmen, waren vielfältig, darunter auch von Zonisamid unabhängige Verschlechterungen
des Krankheitsverlaufs.
Abb.1 Retentionsrate in der Langzeituntersuchung mit Zonisamid
Die Retentionsraten bei therapieresistenten Patienten, die neu auf Zonisamid eingestellt
und dann über mehrere Jahre beobachtet wurden, konnten vor kurzem auch auf dem 27th International Epilepsy Congress in Singapur vorgestellt werden [12]. Die Daten basieren auf einer kontrollierten europäischen Studie, in der die Patienten
doppelblind und randomisiert für 18 Wochen Zonisamid oder Placebo erhielten. Dabei
wurden 317 Patienten mit fokalen Anfällen eingeschlossen. Anschließend hatten die
Patienten die Möglichkeit, die Studie für bis zu zwei Jahre offen fortzusetzen. Ziel
der Studie waren Langzeitdaten zur Sicherheit und Verträglichkeit von Zonisamid. Primärer
Messparameter war die Retentionsrate. Die Wirksamkeit wurde anhand der Anzahl der
Anfälle und der Responderrate (Patienten, deren Anfallfrequenz um mindestens die Hälfte
abnahm) beurteilt.
Die Patienten erhielten je nach Bedarf zwischen 100 und 500 mg Zonisamid pro Tag,
aufgeteilt in eine oder zwei Dosen. Bei rund der Hälfte der Patienten (43-46%) nahm
die Anfallsfrequenz um mehr als 50% ab. Nach einem Jahr lag die Retentionsrate bei
65,3%, und selbst nach einer Beobachtungszeit von zwei Jahren nahmen noch beachtliche
44,5% der Patienten weiterhin Zonisamid ein (Abb. [2]). Auch diese Ergebnisse deckten sich gut mit seinen eigenen Daten, wie Steinhoff
diskutierte. Neben den Retentionsraten waren auch die Verträglichkeitsprofile ähnlich.
Abb.2 Europäische Studien: überzeugende Retentionsraten
Die gute Übereinstimmung zwischen den europäischen Studiendaten und den Ergebnissen
an einem der bedeutendsten Epilepsiezentren Deutschlands belegt, dass sich Zonisamid
auch in der Praxis durch starke Wirksamkeit und gute Verträglichkeit auszeichnet.
Die bei dieser Patientengruppe außerordentlich hohen Retentionsraten untermauern zudem
die langfristige Therapietreue bei einer Behandlung mit Zonegran®.
Auch im Vergleich zu anderen Antiepileptika bewertete Steinhoff die Retentionsraten
unter Zonisamid als gut: "Die Retentionsraten von Zonisamid sind höher als die einiger
anderer moderner Antiepileptika. Bei der Bewertung von Zonisamid kann man daher aus
meiner Sicht optimistisch sein", schätzt Steinhoff die weitere Entwicklung von Zonisamid
ein.
Rufinamid bei Lennox-Gastaut-Syndrom
Rufinamid bei Lennox-Gastaut-Syndrom
Das Lennox-Gastaut-Syndrom (Abb. [3]) ist eines der schwersten Syndrome der kindlichen epileptischen Enzephalopathien
und durch multiple Anfallstypen charakterisiert, insbesondere mit tonischen Anfällen,
Sturzanfällen und atypischen Absencen. Die Therapie des LGS ist schwierig, es werden
meist mehrere Medikamente additiv eingesetzt - am häufigsten Valproinsäure und Lamotrigin
- ohne dass sich damit eine Anfallsfreiheit erreichen lässt. "Die Prognose der Betroffenen
ist leider trotz aller heute zur Verfügung stehenden Therapieoptionen schlecht. Nur
ein geringer Teil der Patienten erlebt eine vollständige Remission, eine Heilung ist
extrem selten (< 2-3%)", erklärte Dr. Edda Haberlandt von der Medizinischen Universität
Innsbruck.
Abb.3 EEG bei Lennox-Gastaut-Syndrom
Die Europäische Arzneimittelbehörde EMEA ließ im Januar 2007 Rufinamid (Inovelon®)
als erstes Antiepileptikum spezifisch für die Zusatztherapie von Anfällen bei dem
Lennox-Gastaut-Syndrom zu. Rufinamid unterscheidet sich von seiner Struktur her von
anderen Antiepileptika und ist chemisch ein Triazol-Derivat. Es limitiert spannungsabhängig
das "Feuern" natriumabhängiger Aktionspotenziale, verlängert den inaktiven Zustand
spannungsabhängiger Natriumkanäle und blockiert vermutlich die Ausbreitung der Anfallsaktivität
vom epileptogenen Fokus.
"In der Zulassungsstudie mit 138 Patienten zeigte sich eine hohe Wirksamkeit bei allen
mit LGS assoziierten Anfällen, insbesondere Sturzanfällen", wie Haberlandt ausführte
[3]. Insgesamt nahm die Anzahl der Anfälle um 32,7% ab (unter Placebo nur um 11,7%).
Die gefürchteten Sturzanfälle, bei denen sich die Betroffenen schwer verletzen können,
verringerten sich sogar um 42,5% (p < 0,0001 vs. Placebo). Die Responderrate (d.h.
>50% Reduktion der Anfälle) lag bei 42,5%. Die Schwere der Anfälle nahm unter Rufinamid
bei 53,4% der Patienten ab. Die häufigsten Nebenwirkungen waren Müdigkeit und Erbrechen.
Als initiale Dosis werden 200 bzw. 400 mg/Tag empfohlen, die bereits alle zwei Tage
gesteigert werden können. Als maximal empfohlene Dosis gelten für den Gewichtsbereich
bei unter 30,0 kg 1 000mg/Tag, zwischen 30,1 und 50,0 kg 1 800 mg/Tag und zwischen
50,1 und 70,0 kg 2400 mg/Tag und ab 70,1 kg 3200 mg/Tag. Bei Komedikation mit Valproinsäure
reichen bei Kindern mit weniger als 30 kg meist Dosierungen bis 400 mg/Tag aus.
Zusammenfassend ist Rufinamid neu als Zusatztherapeutikum bei Lennox-Gastaut-Syndrom
für Patienten ab vier Jahren zugelassen. Es konnte gezeigt werden, dass damit eine
signifikante Reduktion der Frequenz tonisch-atonischer Anfälle bewirkt werden kann,
zusätzlich wurde die Anfallshäufigkeit und der Schweregrad aller Anfallstypen deutlich
reduziert. Damit kann laut Haberlandt Rufinamid entscheidend zur Verbesserung der
Lebensqualität von Lennox-Gastaut-Syndrom Patienten beitragen.
Quelle: Satellitensymposium auf der 13. Arbeitstagung des DACH-Arbeitskreises Epilepsie
am 21. September 2007 in Morschach (Schweiz), unterstützt von Eisai GmbH