Hellmut Mehnert, Institut für Diabetesforschung, München
Ende der neunziger Jahre war die wegweisende United Kingdom Prospective Diabetes Study
(UKPDS) beendet worden, die unter anderem zeigte, dass die Optimierung der Behandlung
von Typ-2-Diabetikern Folgeschäden an den Gefäßen einzudämmen vermag. Der große Gewinner
dieser Studie war das Metformin, das gerade in Deutschland lange Zeit in unverantwortlicher
Weise verteufelt worden war, sodass über viele Jahre hinweg diese Substanz relativ
wenig eingesetzt wurde. Erst als in Amerika nach der UKPDS-Studie der große Durchbruch
erfolgte und Metformin zum meist verordneten Präparat geworden war, brachen die Dämme
auch in Deutschland, sodass Metformin jetzt das am meisten verabreichte orale Antidiabetikum
darstellt. In den Leitlinien der Deutschen Diabetes-Gesellschaft sowie in den Disease
Management Programmen (DMPs) ist Metformin zu Recht als "First-line-drug" beschrieben,
wie im Übrigen leider auch Glibenclamid, das ja kein ungefährliches Präparat darstellt.
Die Zukunft der oralen Antidiabetika hat begonnen
Die Zukunft der oralen Antidiabetika hat begonnen
Jetzt hat die Zukunft der oralen Antidiabetika begonnen: Neben Voruntersuchungen mit
Substanzen, die zum Beispiel die Glykogenolyse, die Glukagonsekretion oder die renale
Glukoserückresorption hemmen, wird das Geschehen sicherlich beherrscht durch die Einführung
von sogenannten DPP-4-Inhibitoren; dabei war Sitagliptin als erste Substanz im Handel.
Hierbei handelt es sich um orale Antidiabetika, die sich die günstigen Stoffwechseleffekte
von Glucagon-Like-Peptide-1 (GLP-1) zunutze machen, indem dessen Abbau im Organismus
gehemmt wird. Bekanntlich ist ein solcher Effekt deswegen so wünschenswert, weil es
auf diese Weise mit oraler Medikation gelingt, die sonst nur flüchtigen Wirkungen
des Inkretins GLP-1 länger dauernd nutzbar zu machen. Dieses Hormon, um dessen Erforschung
sich vor allem Werner Creutzfeldt und später seine Schüler Michael Nauck, Baptist
Gallwitz und Burkhard Göke et al. verdient gemacht haben, wirkt im Organismus ja nur
sehr kurz, da es rasch durch eine Dipeptidylpeptidase (DPP-4) abgebaut wird. Dabei
wären und sind die Wirkungen von GLP-1, das bei Typ-2-Diabetikern in geringerem Ausmaß
als bei Normalpersonen sezerniert wird, für den Stoffwechsel wichtig.
Durch die DPP-4-Inhibitoren werden nützliche Inkretinwirkungen erhalten. So hat sich
zum Beispiel unter Sitagliptin zeigen lassen, dass es zu einer glukoseabhängigen Insulinsekretion
kommt, d. h. dass dieser Stoff - ebenso wie Vildagliptin - nicht zu einer andauernden
sulfonylharnstoffähnlichen Stimulierung der Insulinsekretion, sondern lediglich zu
einer bedarfsgerechten Ausschüttung des Hormons führt. Das bedeutet natürlich, dass
eine Hypoglykämiegefahr praktisch nicht besteht und dass auch keine Gewichtszunahme
-etwa im Vergleich zu den Sulfonylharnstoffen - erfolgt. Darüber hinaus wirkt diese
Substanz aber nicht nur insulinotrop, sondern über die Bremsung der Glukagonsekretion
und der konsekutiven Glukoneogenese-Hemmung auch "nicht-insulinotrop".
Gebot der Stunde ist eine Zweifach- oder Dreifachtherapie
Gebot der Stunde ist eine Zweifach- oder Dreifachtherapie
Die Unterscheidung zwischen insulinotropen Substanzen (Sulfonylharnstoffe, Glinide)
und nicht insulinotropen Stoffen (Acarbose, Metformin, Glitazone) hat sich ja bisher
gut bewährt, wird aber jetzt gesprengt durch die DPP-4-Inhibitoren, die gleichsam
auf beiden Ebenen wirksam sind. Hinzu kommt, dass unter Sitagliptin im Tierversuch
betazellprotektive, die Apoptose verhindernde Effekte gezeigt wurden, die sich auch
- cum grano salis - über eine entsprechende Einwirkung auf den Proinsulin-Insulin-Quotienten
und den HOMA- BETA-Index auf den Menschen übertragen lassen. Dies wäre - wenn sich
dies weiter verifizieren lässt - ein Fortschritt in der Behandlung mit oralen Antidiabetika,
da Substanzen wie die DPP-4-Inhibtoren nicht nur für die Möglichkeit zur bedarfsgerechten
Stimulierung der Insulinsekretions, sondern auch für die Protektion der dafür verantwortlichen
Betazellen sorgen würden.
Die Kombinationstherapie mit oralen Antidiabetika als Zweifach- oder Triple-Therapie
ist im Übrigen das Gebot der Stunde, da es auf diese Weise gelingt, die Nebenwirkungen
der Einzelsubstanzen durch geringere Dosierungen zu minimieren und den Haupteffekt
durch die Addition verschiedener Mechanismen für die Blutzuckersenkung zu maximieren.