Etwa 5% aller Mammakarzinome und etwa 5% aller Ovarialkarzinome sind Folge einer Mutation
im BRCA1- oder BRCA2-Gen. Das mit dem Gendefekt assoziierte Krankheitsbild wird als
"familiäres Mamma- und Ovarialkarzinom" bezeichnet. Da eine BRCA1/2-Mutation weder
zu körperlichen noch zu psychischen Symptomen führt und etwa die Hälfte der Tumoren
nach dem 50. Lebensjahr (LJ) auftreten, sollte bei jeder Brust- und bei jeder Eierstockkrebserkrankung
an dieses Krankheitsbild gedacht werden.
Zwei Screening-Strategien zur Identifizierung von BRCA1/2-Mutationsträgerinnen sind
denkbar:
-
über den Nachweis einer typischen BRCA1/2-Signatur des Tumors,
-
durch Stammbaumanalyse.
Da bisher keine für ein Screening geeignete BRCA1/2-Signatur beschrieben wurde, ist
es nahezu unmöglich, dieses Krankheitsbild ohne Erhebung der Familienanamnese zu erkennen.
Krankheitsbild
Krankheitsbild
Vorab: Das Krankheitsbild "familiäres Mammakarzinom" gibt es nicht. Diagnostizierbar
ist eine "familiäre Häufung von Mammakarzinomen". In einigen dieser Familien kann
eine Mutation im BRCA1- oder BRCA2-Gen nachgewiesen werden. BRCA1- oder BRCA2-Mutationsträgerinnen
haben ein "familiäres Mamma- und Ovarialkarzinom" und kein "familiäres Mammakarzinom"!
Als "familiäres Mamma- und Ovarialkarzinom" wird die angeborene Neigung für die namengebenden
Tumoren bezeichnet, und nicht erst deren Manifestation. Das Erkrankungsrisiko kann
auf Lebenszeit (kumulativ) oder pro Jahr (Inzidenz) angegeben werden.
Das kumulative Lebenszeitrisiko (LZR) ist die Wahrscheinlichkeit für eine Erkrankung
bis zu einem bestimmten Alter (LZR70 = LZR bis zum 70. LJ, LZR80 = LZR bis zum 80. LJ). Das LZR70 für Brustkrebs wird bei BRCA1-Mutationsträgerinnen auf 65% (44-78%) und für Eierstockkrebs
auf 39% (18-54%) geschätzt. Bei BRCA2-Muationsträgerinnen gilt für Brustkrebs ein
LZR70 von 45% (31-56%) und für Eierstockkrebs von 11% (2,4-19%) (1). Als LZR80 sind weiterhin Schätzungen von ca. 80% für Brustkrebs (BRCA1 und BRCA2) und Eierstockkrebsrisiken
von ca. 50% (BRCA1) und 10- 20% (BRCA2) in Gebrauch und vertretbar.
Die altersabhängige Inzidenz beziffert die jährliche Neuerkrankungsrate und ist, um
der Patientin die Erkrankungsrisiken zu verdeutlichen, besser geeignet als das Lebenszeitrisiko
(Abb. [1]).
Abb 1. Dargestellt sind die jährlichen Erkrankungswahrscheinlichkeiten (Inzidenzen)
für Brust- und Eierstockkrebs in der Allgemeinbevölkerung bei BRCA1- und BRCA2-Mutationsträgerinnen.
Die altersabhängigen Inzidenzen sind eine sinnvolle Grundlage zur Diskussion von Präventionsstrategien.
Vor dem 25. LJ sind Brustkrebserkrankungen beim "familiären Mamma- und Ovarialkarzinom"
selten. Ovarialkarzinome treten bei BRCA1-Mutationsträgerinnen fast ausnahmslos nach
dem 30. LJ auf, bei BRCA2-Mutationsträgerinnen nach dem 40. LJ. [1]
Vererbung
Vererbung
Das "familiäre Mamma- und Ovarialkarzinom" wird autosomal dominant vererbt. Dies bedeutet,
dass erstgradig Verwandte (Eltern, Geschwister, Kinder) von Mutationsträgerinnen mit
50%iger Wahrscheinlichkeit ebenfalls Anlageträger sind - Männer wie Frauen. Somit
hat die Hälfte der betroffenen Frauen die Mutation von Ihrem Vater geerbt. Die ehemals
gängige Meinung, die väterliche Verwandtschaft habe bezüglich des Brustkrebsrisikos
keine Bedeutung, ist definitiv falsch und birgt die Gefahr, BRCA1/2-assoziierte Tumorerkrankungen
zu übersehen.
Stammbaumanalyse
Stammbaumanalyse
Natürlich gilt: Je mehr Brust- und Eierstockkrebserkrankungen in einer Familie aufgetreten
sind und je jünger die Betroffenen waren, umso höher sind die Erkrankungsrisiken weiterer
Familienmitglieder - und umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, eine BRCA1/2-Mutation
nachzuweisen. Aufgrund uneinheitlicher Familienstruktur und -größe, unvollständiger
Penetranz der Mutation (nicht alle Anlageträgerinnen erkranken), nicht informativer
Männer im Stammbaum und der Zufälligkeit der Weitergabe ist die Stammbaumanalyse nicht
trivial. Intuitive Schätzungen sind häufig grob falsch. Kein momentan verfügbares
Risikomodell ist auf alle Familien anwendbar. Deshalb sollte im Zweifel und im Interesse
der Patientinnen eine Risikobeurteilung durch einen mit dem Krankheitsbild vertrauten
Humangenetiker großzügig angeboten werden (Abb. [2]).
Abb. 2. Denksport! Aufgrund nicht informativer Männer im Familienstammbaum, ist das
"familiäre Mamma- und Ovarialkarzinom" oft schwer erkennbar. In diesen Stammbaum haben
wir überzufällig viele Mutationsträger eingezeichnet. Würde bei der mit Pfeil gekennzeichneten
Frau nur die mütterliche Verwandtschaft erfragt werden, könnte kein Zusammenhang zu
einer familiären Tumorneigung hergestellt werden. Da nicht alle Anlageträgerinnen
erkranken (LZR80 für Brustkrebs etwa 80%), das 80. LJ bei der Mehrheit der Betroffenen (noch) nicht
erreicht wurde und in der Vergangenheit großzügig durchgeführte Totaloperationen die
Erkrankungsrisiken reduzieren, wäre zu erwarten, dass von den fünf schwarz gekennzeichneten
Frauen mindestens zwei bis drei (noch) keine Tumorerkrankung haben. Für diese Frauen
ist die Kenntnis der familiären Mutation von besonderer Wichtigkeit. Kreis = Frau,
Quadrat = Mann, schwarzer Kreis = Anlageträgerin, Quadrat mit Punkt = männlicher Anlageträger
(Überträger).
Die Kenntnis einer BRCA1/2-Mutation kann eine wertvolle Information für die Betroffene
und deren Familie liefern. Dann kann mittels Gentest Klarheit geschaffen werden, ob
einzelne Familienmitglieder ebenfalls Anlageträger sind oder nicht. Nicht-Anlageträger
und deren Nachkommen sind von den BRCA1/2-assoziierten Risiken nicht betroffen. Mutationsträgerinnen,
unabhängig davon, ob bereits erkrankt oder nicht, haben gegenüber der Allgemeinbevölkerung
vielfach erhöhte (Zweit-) Karzinomrisiken. Ihnen sollten die etablierten und effektiven
Strategien zu Prävention von Brust- und Eierstockkrebs angeboten werden. Einheitliche
Früherkennungsempfehlungen für Männer wurden aufgrund der vergleichsweise geringen
Risiken für Prostatakarzinome und Mammakarzinome bisher nicht ausgesprochen. Das oft
zitierte BRCA2-assoziierte Mammakarzinom des Mannes ist die Ausnahme, und nicht die
Regel im BRCA2-Familienstammbaum.
Diagnostik
Diagnostik
Die Kosten der genetischen Untersuchung machen im Interesse der Versichertengemeinschaft
eine strenge Indikationsstellung notwendig. International wird empfohlen, Krebserkrankten
dann eine genetische Untersuchung der Gene BRCA1/2 anzubieten, wenn mit einer "Trefferquote"
(Heterozygotenwahrscheinlichkeit) von ³ 10% zu rechnen ist. Als Faustregel kann gelten,
dass diese "Trefferquote" erzielt wird, wenn eine von zwei Tumorerkrankungen der Brust
und/oder Eierstöcke vor dem 50. LJ diagnostiziert wurde und im Familienstammbaum keine
nicht erkrankte Frau zwischen den Erkrankten steht. Mit anderen Worten: Sind zwei
BRCA1/2-assoziierte Tumorerkrankungen bei einer Frau, bei Schwestern, bei Mutter und
Tochter oder bei einer Frau und deren Großmutter väterlicherseits oder Tante väterlicherseits
aufgetreten, ist die Wahrscheinlichkeit einer BRCA1/2-Mutation ≥ 10%, falls eine Erkrankung
vor dem 50. Lebensjahr auftrat. Eine detailierte Zusammenstellung findet man unter:
http://www.myriadtests.com/provider/brca-mutation-prevalence.htm.
Die Untersuchung weiterer Familienmitglieder ist relativ kostengünstig, sobald eine
familiäre Mutation identifiziert werden konnte, und unsinnig, wenn bei der Untersuchung
betroffener Familienmitglieder kein Mutationsnachweis gelang. Selbst in Familien mit
vielen jungen Brust- und Eierstockkrebserkrankungen wird nur bei etwa der Hälfte die
familiären Disposition mit der BRCA1/2-Diagnostik erfasst. Die primäre Untersuchung
nicht betroffener Frauen ist somit nicht geeignet, ein hohes Erkrankungsrisiko auszuschließen,
und wird nur in Ausnahmefällen durchgeführt: Sollte keine Betroffene in der Familie
für die genetische Testung zur Verfügung stehen, kann gesunden Familienmitgliedern
das Testangebot eröffnet werden, wenn deren LZR80 für Brustkrebs > 30% oder das Heterozygotenrisiko > 20% beträgt (nach Cyrillic 2.13).
Prävention
Prävention
Die Kenntnis der alters- und organspezifischen Risiken eröffnet die Möglichkeit der
zielgerichteten Prävention. Als Primärprävention (Vorbeugung) kommen prophylaktische
Organentfernungen, als Sekundärprävention des Mammakarzinoms intensivierte Früherkennungsuntersuchungen
infrage. Ein Nutzen der Früherkennung des Ovarialkarzinoms konnte nicht belegt werden.
Der Unterschied zwischen Vorbeugung und Früherkennung sollte den Betroffenen klar
sein. Die meisten Frauen entscheiden sich für die intensivierte Früherkennung zur
Brustkrebsprävention und zur Adnexektomie bei abgeschlossenem Kinderwunsch. Es ist
heute eine kleine Gruppe, die sich - dann meist klar - für die prophylaktische Mastektomie
ausspricht.
Intensivierte Früherkennung für Brustkrebs
Die 10-Jahres-Überlebensraten nach Diagnosestellung Brustkrebs erscheinen bei Frauen
mit und ohne BRCA1/2-Mutation gleich [3]. Ziel des Screenings ist die Erkennung früher, nodalnegativer Tumorstadien. Alle
Frauen sollten in die regelrecht durchgeführte Selbstuntersuchung der Brust eingewiesen
werden. Intensivierte appara-tive Früherkennungsuntersuchungen im Niedrigrisikokollektiv
sind weniger effektiv, da sie zu einer deutlichen Zunahme falsch positiver Befunde
bei geringer absoluter Zunahme an Frühdiagnosen führen. Im Hochrisikokollektiv konnte
gezeigt werden, dass Brustkrebs mittels jährlicher Magnetresonanztomografie (MRT)-Untersuchungen
signifikant früher diagnostiziert wird, bei vertretbarer Zunahme falsch positiver
Befunde.
Das Konsortium "hereditäres Mamma- und Ovarialkarzinom" der Deutschen Krebshilfe hat
Empfehlungen für das Brustkrebsscreening in Abhängigkeit vom empirischen Erkrankungsrisiko
erarbeitet (Tab. [1] und Abb. [3]). International wird der Beginn der Früherkennungsuntersuchungen im Hochrisikokollektiv
häufig erst ab dem 30. LJ empfohlen.
Tab. 1 Die Frequenzen der apparativen Früherkennungsuntersuchungen für Brustkrebs
sollten sich an den empirischen Erkrankungsrisiken orientieren. Dargestellt sind die
Empfehlungen des Konsortium "hereditäres Mamma- und Ovarialkarzinom" der Deutschen
Krebshilfe.
Abb 3. Detaillierte Darstellung der Brustkrebs-Früherkennungs-Empfehlungen bei Frauen
des Hochrisikokollektivs. Im Hochrisikokollektiv werden Anlageträgerinnen einer BRCA1-
oder BRCA2-Mutation und Frauen mit einem LRZ80 ≥ 30% oder einer errechneten Mutationsfinderate
von . 20% in den Genen BRCA1/2 (nach Cyrillic 2.13) zusammengefasst. Die Kernspintomografie
soll mit dem 55. Lebensjahr bzw. bei Involution des Drüsenparenchyms enden. Ultraschalluntersuchung
sollten mit einem hoch auflösenden Ultraschallgerät erfolgen (mind. 7,5 MHz).
Prophylaktische Organentfernungen
Prophylaktische Organentfernungen sollten Frauen der Hochrisikogruppe angeboten werden.
Voraussetzungen sind neben der umfassenden gynäkologischen Aufklärung eine psychologische
und genetische Beratung, um insbesondere vor der prophylaktischen Mastektomie eine
lebenslang tragfähige Entscheidung zu festigen. Das empfohlene Mindestalter für die
Mastektomie ist 25 Jahre, für die Adnexektomie 35 Jahre. Die Familienplanung sollte
für letztere Operation sicher abgeschlossen sein.
Bilaterale Mastektomie
Die Operation senkt das Mammakarzinomrisiko um ca. 95%, wenn radikal unter Mitnahme
der Pektoralisfaszie und des Nippel-Areola-Komplexes operiert wird. Die Patientin
sollte im Vorfeld immer auch über eine simultane plastische Rekonstruktion aufgeklärt
werden.
Adnexektomie
Eine Adnexektomie ist leicht laparoskopisch durchführbar und senkt das relative Risiko
für Ovarialkarzinome um etwa 80%. Das verbleibende absolute (kumulative) Risiko für
Peritonealkarzinome wird nach 20 Jahren auf ca. 4% geschätzt [2]. Wird der Eingriff prämenopausal durchgeführt, senkt er zudem das jährliche Brustkrebsrisiko
um durchschnittlich etwa 50%, wobei der Effekt umso größer ist, je früher der Eingriff
erfolgt. Aufgrund der geringen Komplikationsrate und fehlender Alternativen wird die
Adnexektomie in Deutschland zunehmend häufig zur Prävention des Ovarialkarzinoms,
aber auch des Mammakarzinoms eingesetzt. Neben der Entnahme der Ovarien und Tuben
sollte bei der Adnexektomie auf Tumorfrühstadien mittels Peritoneal-PEs und Spülzytologie
geachtet werden.
Chemoprävention
Eine Chemoprävention sollte derzeit nur in klinischen Studien angeboten werden. Zurzeit
bietet sich in Deutschland hierfür nur die IBIS-II-Studie an, bei der postmenopausale
Frauen mit erhöhtem Risiko über 5 Jahre Anastrozol vs. Tamoxifen erhalten. Für prämenopausale
Frauen gibt es in Deutschland zurzeit keine Studien.
Psychologische Betreuung
Psychologische Betreuung
Der Wunsch nach psychologischer Unterstützung ist vor einem Gentest eher die Ausnahme.
Einige Ratsuchende sind aber erst danach in der Lage, eine klare Entscheidung für
oder gegen die Untersuchung zu treffen. Konsequenterweise sollte allen, und nicht
nur den offensichtlich zweifelnden Ratsuchenden eine psychologische Unterstützung
angeboten werden. Auch mit der Übermittlung eines erhöhten Erkrankungsrisikos sollte
eine psychologische Unterstützung angeboten werden, um eine adäquate Krisenbewältigung
sicher zu stellen.
Zusammenfassung
Zusammenfassung
Das "familiäre Mamma- und Ovarialkarzinom" ist unter Brust- und Ovarialkarzinompatientinnen
nicht selten. Da effektive Präventionsstrategien existieren, sollte bei allen Brustkrebs-
und Eierstockkrebs-erkrankungen die Familienanamnese inklusive der väterlichen Verwandtschaft
erfragt werden (z.B.: Ist in Ihrer Familie schon einmal Brust- oder Eierstockkrebs
aufgetreten? Und in der Ihres Vaters?). Die Kenntnis einer familiären Disposition
eröffnet die Möglichkeit der gezielten Prävention bei Anlageträgerinnen aber auch
die Chance der Entlastung nicht betroffener Familienmitglieder.
Dieser Beitrag ist bereits in Heft 3/2007 erschienen, wurde aufgrund technischer Probleme jedoch nur unvollständig abgedruckt.
Korrespondierender Autor:
Dr. med. Robert Hering,
Abteilung für Medizinische Genetik Universität Tübingen,
eMail: robert.hering@med.uni-tuebingen.de