Aktuelle Dermatologie 2007; 33(3): 98-99
DOI: 10.1055/s-2007-966282
Von den Wurzeln unseres Fachs

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Der Tripper in der literarischen Moderne

Gonorrhoea in Modern LiteratureE.  G.  Jung
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Ernst G. Jung

Maulbeerweg 20

69120 Heidelberg

Publication History

Publication Date:
26 March 2007 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Der deutsche Dichter und Dermatologe Gottfried Benn publizierte 1922 sein Gedicht „Tripper”, worin er in drastischen Worten die medizinische Bedeutung dieser Geschlechtskrankheit fasste; eben im naturalistischen und expressionistischen Stil. Und im Jahre 1976 findet sich beim Dermatologen Theodor Nasemann wieder ein Tripper-Gedicht, jetzt nur noch mit der kurzfristigen und eher persönlichen Beeinträchtigung durch diese geschlechtlich übertragene Erkrankung. Diese beiden Tripper-Gedichte illustrieren in charakteristischer Weise den dramatischen Bedeutungswandel der Gonorrhoe vor und nach der therapeutischen Revolution durch Penicillin.

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Abstract

The German poet and dermatologist Gottfried Benn published 1922 a poem on gonorrhoea (Tripper) with drastic words in the naturalistic and expressionistic style. He intended to focus on the dramatic implications of this venereal disease, because there was no effective treatment available. Later on in 1976 we find another poem on gonorrhea written by the dermatologist Theodor Nasemann. He gives an impression of the short term and personal distress by the infection with Neisseria gonorrhoeae.

These two poems give a perfect illustration of the dramatic change of the socio-medical importance of gonorrhoea before and after the penicillin revolution.

Gottfried Benn, Schriftsteller und Dermatologe, wurde 1886 in Berlin geboren, studierte ebendort Medizin und arbeitete daraufhin in der Pathologie am Westend-Krankenhaus, wo er 297 Sektionen vornahm. Aus dem Leichenschauhaus entstand der Gedichtband „Morgue”, der mit krassem Naturalismus Abscheulichkeiten und Verfall ansprach und in avantgardistischen Kreisen großes Aufsehen erregte. Nach kurzer Zeit als Militärarzt im besetzten Bruxelles 1914 wurde er 1915 - 1917 in Berlin bei Prof. Edmund Lesser zum Dermatologen ausgebildet. 1917 eröffnete er in Berlin-Schöneberg eine Hautarztpraxis, die er bis zu seinem Tod 1956 führte.

Im Band „Ausgewählte Gedichte” [1] steht das 1922 entstandene Gedicht:

Tripper

Blut, myrtengrüner Eiter,
das ist kein Bräutigamsurin,
die Luft ist klar und heiter
von Staatsbenzin.

Familienglück: der Rammelalte,
der Schweißfuß und das Spülklosett -
hier tröpfelt die geschwollne Falte
das Flirt-Minette.

Die Götter wehn, die Kosmen knacken,
der Dotter fault, es hebt sich ab
der Lust-Lenin in Eisschabracken -
Polar-Satrap.

Ein vierhebiger, dreistrophiger Knittelvers mit gekreuzten Endreimen, kurz, sattelfest und deftigster Naturalismus mit expressionistischen Anklängen.

Zunächst wird der Tripper, die Gonorrhoe, beim Mann ungeschönt und anschaulich geschildert. Er unterscheidet sich klar von der Erregung eines Bräutigams und wird erworben trotz Lüftung und der Desinfektion mit Benzin. Es folgen die vulgären Accessoires der Zerstörung des Familienglücks durch den Tripper, erworben bei den „Flirtkätzchen” im Bordell und anderswo.

Die dritte Strophe greift weiter aus. Die Kriegsgötter verwehn, Physik und Kosmologie dringen weit in den Mikro- und den Makrokosmos vor und dennoch führt der Tripper in 30 % der Befallenen, Männer wie Frauen, zur Infertilität (der Dotter fault). Und dies betrifft auch Lenin, der in der Schweiz mehrfach und wochenlang mit Tripper behandelt werden musste. Lenin, der 1917 im plombierten Eisenbahnwagen von Satteldecken gewärmt nach Russland geht, gleichsam als Statthalter des abgesetzten Zaren zur Etablierung des Sowjet-Kommunismus.

Vom Bräutigam bis zur Polit-Prominenz wütet der Tripper und macht unfruchtbar. Und der Hautarzt hat keine wirksame Therapie!

Dies ist im zeitlichen Zusammenhang zu betrachten.

Nach dem deutsch-französischen Krieg feierten die deutschen Armeen 1871 den Sieg in Frankreich, resp. Paris, und sie brachten den Tripper als Epidemie umgehend und direkt nach Hause in die Betten des Bürgertums, wo sich dieser weiter ausbreitete. Das war neu! Gleichzeitig flossen auch Reparationsgelder, mit denen vordringlich Kirchen gebaut, Burgen und Schlösser renoviert und Krankenhäuser modernisiert wurden. Dabei wurden im ganzen Reich Abteilungen zur Bekämpfung der Haut- und Geschlechtskrankheiten eingerichtet, so auch 1901 in Mannheim [2], 1908 in Heidelberg und in Ludwigshafen 1910.

Gleichsam parallel zum Flottenverein zur Unterstützung der Tirpitz’schen Kriegsflotte wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch die „Deutsche Gesellschaft zu Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten” im Jahre 1902 gegründet [3], eine Einrichtung des Bürgertums zur Information und Prophylaxe von Tripper und Syphilis, da die Vorbeugung eindeutig machbar, die Therapie jedoch noch äußerst unzureichend war. Das war die Zeit von Studium und Facharztausbildung von Gottfried Benn.

Auch aus dem Ersten Weltkrieg kamen Besiegte und Besatzer reichlich infiziert zurück. Wiederum kam es zur Tripperepidemie, welche die Kliniken für Haut- und Geschlechtskranke überfüllte. Die Therapie war nach wie vor unzulänglich und bestand in lokalen Instillationen von desinfizierenden und ätzenden Lösungen zweimal täglich über Wochen. Die im Volksmund verankerte, legendäre Tripperspritze des Sanitätsgefreiten Neumann zeugt noch davon. Die Behandlung der Syphilis allerdings verbesserte sich durch den Einsatz von Salvarsan seit 1910 deutlich [2].

In dieser Nachkriegszeit entstand 1922 das Benn’sche Tripper-Gedicht im naturalistischen Stil, provozierend grässlich und aggressiv als Mahnung [4]. Es drückt einerseits ernüchternd die therapeutische Hoffnungslosigkeit aus und stellt sich andererseits ganz in den Dienst der drastischen Aufklärung, welche damals mit gesteigerter Eindrücklichkeit vor den Folgen der Ansteckung warnte.

Auch dem Zweiten Weltkrieg folgte 1945 eine Welle von Geschlechtskrankheiten, welche aber durch das von den Amerikanern mitgebrachte Penicillin weitgehend beherrscht wurde [2]. Der Tripper verlor seine große soziale Bedeutung und wurde reduziert auf ein individuelles, therapeutisch lösbares und deshalb kurzfristiges Problem, welchem allenfalls noch psychologisches Gewicht zukommt.

Solches wird im Gedicht „Die erste Gonorrhoe” [5] ausgedrückt, welches Theodor Nasemann (geb. 1923) im Jahre1976 verfasste.

Die erste Gonorrhoe

Ganz strähnig das Haar, vollfett und lang,
Noch Milchbartflaum, unsichrer Gang.
Auf der Haut ’nen Pulli und sonst nuscht,
Konformistisch nie, doch wird gekuscht.
Voll Stolz trägt er die Knitterröhren:
Blue Jeans hat man, um zu betören.
Doch, ei verflucht, schon gleich ne Panne,
Er fing sich etwas bei der Anne.
Nun hält er fasziniert den Schwengel
Und wär’ gern weiter nichts als Bengel.
Voll Angst blickt er zur Platinöse,
Hofft, dass der Ausstrich ihn erlöse.
Blass steht er da, der kleine Scheisser,
Die Diagnose; „Morbus Neisser”!

Nasemann war Ordinarius für Dermatologie und Venerologie an den Universitäten Frankfurt am Main (1969 - 1978) und Hamburg (1978 - 1988). Er lebt seither auf seinem Altersitz in Bernried am Starnberger See. Er ist Mitglied des Verbandes der Schriftstellerärzte Deutschlands.

Die Situation der Venerologie hat sich mit dem Aufkommen der virusbedingten, sexuell übertragbaren Krankheiten, insbesondere AIDS, wiederum grundlegend geändert [2] und die Bezeichnung STD (Sexually Transmitted Diseases) wurde eingeführt.

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Literatur

Ernst G. Jung

Maulbeerweg 20

69120 Heidelberg

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