Der Nuklearmediziner 2007; 30(3): 179
DOI: 10.1055/s-2007-981221
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Neuronuklearmedizin - vom Elfenbeinturm zur klinischen Routinediagnostik

Neuronuclear Medicine - From the Ivory Tower to the Clinical Routine DiagnosticsM. Schreckenberger1
  • 1Klinik für Nuklearmedizin, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz
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Publication Date:
31 August 2007 (online)

Trotz ihrer großen wissenschaftlichen Leistungen hat die Neuronuklearmedizin von allen Teilbereichen der Nuklearmedizin am längsten gebraucht, als klinische Routinemethode wahrgenommen zu werden. Die Gründe hierfür sind zweifelsohne vielfältig, lagen aber wohl auch im Fach der Nuklearmedizin selbst, die sich in ihrem klinischen Selbstverständnis lange Zeit primär über die Onkologie, Kardiologie und Thyreologie definiert hatte, während die Neuronuklearmedizin doch eher als elitärer Elfenbeinturm angesehen wurde. Umso bemerkenswerter ist daher, dass die Neuronuklearmedizin nun in der letzten Dekade den ganz entscheidenden Schritt von einer primär wissenschaftlich orientierten Anwendung zu einer etablierten Methode der klinischen Diagnostik vollzogen hat. Voraussetzung hierfür war, neben der steten Weiterentwicklung von Radiochemie und Gerätetechnologie, auch ein gewisser Paradigmenwechsel in den klinischen Neurofächern, die zunehmend die Bedeutung funktioneller Bildgebungskategorien in der Beschreibung von Krankheitsprozessen erkannt haben.

Für die non-invasive In-vivo-Erfassung und -Quantifizierung verschiedener (patho)physiologischer ZNS-Prozesse steht uns mittlerweile eine relativ große Anzahl verschiedener Radiopharmaka über die Messung von zerebralem Glukosemetabolismus und Blutfluss hinaus bis zur Abbildung komplexer biochemischer Vorgänge wie der Neurotransmission zur Verfügung. Als wichtigste klinisch etablierte Indikationen sind heute die Früh- und Differenzialdiagnostik von Demenz- und Basalganglienerkrankungen, die Neuroonkologie sowie die präoperative Epilepsiediagnostik zu nennen. Darüber hinaus spielt trotz der methodischen Fortschritte der Dopplersonografie und der MRT in der Beurteilung zerebraler Durchblutungsstörungen (z. B. durch Entwicklung von perfusions- und diffusionsgewichteten Sequenzen), die Hirnperfusions-SPECT wegen ihrer Reliabilität und weitgehenden Untersucherunabhängigkeit auch heute noch eine relevante Rolle vor allem in der Beurteilung der Perfusionsreservekapazität und der Infarktprognose.

Die in wiederholten Abständen diskutierte Option eines eigenständigen Fachgebiets Neuronuklearmedizin in Analogie zur Neuroradiologie erscheint nicht nur aus inhaltlichen, sondern auch aus berufspolitischen Gründen wenig sinnvoll. Die Entwicklungen der Neuronuklearmedizin (als eigenständiges Fach auf Hochschulebene ohnehin nur auf W 2-Ebene vermittelbar) sind methodisch so eng verbunden mit dem Gesamtfach, dass eine Separation nur zu einer wissenschaftlichen und klinischen Schwächung beider Teile führen würde.

Das vorliegende Themenheft soll nun den aktuellen Stand, die Möglichkeiten, aber auch Limitationen der klinischen Neuronuklearmedizin aufzeigen. Es ist uns dabei gelungen, für die einzelnen Teilbereiche ausgewiesene Experten als Autoren zu gewinnen, wobei die Aufsätze thematisch ganz bewusst auf die klinisch etablierten Anwendungen konzentriert sind und die wichtigsten Indikationen herausstellen. Entscheidende Voraussetzung für einen hohen Qualitätsstandard der nuklearmedizinischen Hirndiagnostik ist dabei die enge interdisziplinäre Kooperation zwischen Kliniker und Diagnostiker. So muss der Neurologe bzw. Psychiater einerseits die Indikationen unseres methodischen Repertoires kennen und andererseits der Nuklearmediziner die Kollegen der Neurofächer in adäquater Weise in Auswertung und Interpretation der Befunde miteinbeziehen. Nicht minder wichtig für die klinische Akzeptanz unserer Methoden ist dabei aber auch das langsam wachsende Bewusstsein, den „schützenden Hort” der eigenen Fachkongresse verlassen und sich auch extra muros einem kritischen Diskurs stellen zu wollen.

M. Schreckenberger

Univ.-Prof. Dr. med. M. Schreckenberger

Klinik für Nuklearmedizin · Johannes-Gutenberg-Universität Mainz

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