DO - Deutsche Zeitschrift für Osteopathie 2007; 5(01): 1
DOI: 10.1055/s-2007-981436
Editorial
Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG Stuttgart

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N. N.
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Publication Date:
15 May 2007 (online)

 

    Osteopathische Lehrbücher vermitteln regelmäßig den Eindruck, dass der therapeutische Prozess eine Einbahnstraße sei: Osteopathen tun etwas - und sei es, dass sie ganz leer werden, nur noch wahrnehmen und die Gesundheit ihrer Patienten reagiert darauf, indem sie stärker wird, wieder die Oberhand über die Krankheit gewinnt, Heilung ermöglicht. Auf der anderen Seite lehrt einen die tägliche Erfahrung ganz schnell etwas anderes: jeder hat seine „Sauger”, Patienten, die die eigene Energie abziehen. Torsten Liem schreibt in seinem neuen Buch „Morphodynamik in der Osteopathie” im Kapitel „Palpation - die Kunst des Fühlens”: „Eine liebevolle, zuhörende Berührung vermittelt ein Gefühl des Angenommenseins, der Liebe...” Das ist völlig richtig, aber manche Patienten danken einem diese Zuwendung damit, dass man sich nachher energetisch nackt fühlt. Nach anderen Behandlungen fühlt man sich stark und gut. Ist das die Freude über eine gute Reaktion auf das eigene Bemühen, hat man vom Patienten etwas geschenkt bekommen oder hat man sich ungefragt bedient? Wer gibt und wer nimmt? Inwieweit lassen wir es zu, wenn wir „beraubt” werden? Können Patienten unseren therapeutischen oder sogar diagnostischen Vorgang beeinflussen durch ihre eigene Einstellung dazu?

    Jean Pierre Barral löst dieses Problem ganz einfach. Er sieht sich als reinen Mechaniker. Zwischen Therapeut und Behandelten finde kein Austausch statt. Er fasse seine Patienten an wie radioaktives Material, durch eine abschirmende Bleiglasscheibe, Energien flössen nicht weiter als bis zu den Ellenbogen. Das andere Extrem bot Robert Fulford, der über das eigene Herz behandelte - beide Hände als sich gegenseitig wahrnehmende Einheit im Kontakt mit der Ganzheit des Patienten und, zur Vervollständigung eines Dreibewusstseins, das eigene Herz als kraftvolle, diagnostische und therapeutische Einheit (nach Zachary Comeaux im Stillpoint Journal, 1/2001). Damit aber noch nicht genug: Er verband sich dann mit der höheren, übergeordneten Kraft zu einer großartigen Einheit. Aus einer Zweier- wurde eine Dreierbeziehung. Auch Viola Fryman verbindet sich mit einer Quelle ewiger Kraft und tankt so auf, während sie behandelt (s. DO Life, DO 3/2003).

    Energien fließen also offensichtlich hin und her, vereinigen sich, verstärken, behindern oder potenzieren sich und wir haben keine adäquaten Worte um darüber zu reden, sind offensichtlich weitgehend sprachlos. Wir hier stehen noch immer am Anfang einer Entwicklung. Keiner hat unseren Sprachschatz angeleitet. Die Ausrede, dass man dieses Phänomen nicht messen kann, zählt nicht. Auch Kunst kann man nicht messen, aber man kann trotzdem auf verschiedenen Ebenen über sie reden.

    Sprechen wir also über das Thema der Energie zwischen Menschen! Ein erster Schritt wäre es, einmal systematisch Aussagen von erfahrenen Therapeuten in der über 130-jährigen Geschichte der Osteopathie zu sammeln. Helfen uns andere Wissenschaften weiter? Philosophen? Die Traditionelle Chinesische Medizin? Vielleicht verhilft uns ein tieferes Verständnis des Fließens von Energien zu einer höheren therapeutischen Effizienz und zu einer tieferen Vorstellung von Ganzheitlichkeit.

    Die Herausgeber

    PS: Ende November 2006 ist Mitherausgeber Roger Seider zum Präsidenten der Deutschen Akademie für Osteopathische Medizin, DAOM, gewählt worden. Das DO-Team gratuliert herzlich!


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