Diabetes aktuell 2007; 5(3): 129-130
DOI: 10.1055/s-2007-985290
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Physiologische Regelkreise bleiben erhalten - Sättigungsverstärker soll Herz und Gefäße retten

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Publication Date:
22 August 2007 (online)

 
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    Übergewicht und Adipositas gehören mit fast einem Viertel zu den häufigsten ärztlichen Diagnosen. Doch welcher Krankheitswert diesem Befund beigemessen wird, steht meist in keinem Verhältnis zu den tatsächlich vorhandenen Gesundheitsrisiken. Adipositas ist schließlich keineswegs nur eine Frage der Kosmetik. Das betonte Prof. Dr. Jürgen Scholze von der Charité in Berlin. Ab einem Body-Mass-Index (BMI) von 28 kg/m2 steigt das Risiko, Lebensjahre zu verlieren, drastisch an. Scholze erläuterte die Gründe für die erhöhten kardiovaskulären Risiken von adipösen Menschen. Insbesondere bei viszeralem Fettansatz ist demnach bei ihnen das Renin-Angiotensin-System (RAS) übermäßig aktiviert. Diese Überaktivität geht zu 40 % allein auf das Konto der Adipozyten. Ferner wird durch die vermehrte Freisetzung von inflammatorischen Zytokinen aus dem Fettgewebe des Bauchraumes das atherosklerotische Geschehen vorangetrieben. Erhöht sind insbesondere TNF-α und IL-6. Die Aktivierung des RAS fördert auch die Blutgerinnung und birgt damit eine erhöhte Gefahr akuter kardiovaskulärer Ereignisse in sich. Diese Beobachtungen gelten allerdings nur für den viszeralen, nicht aber für den subkutanen Fettansatz. So hat sich nicht nur ein direkter Zusammenhang von Taillenumfang und kardiovaskulärem Risiko herausgestellt. Als gefährdet gelten Männer mit einem Taillenumfang über 102 cm und Frauen mit mehr als 88 cm. Auch das Risiko, einen Typ-2-Diabetes zu entwickeln, steigt mit zunehmendem Bauchumfang erstaunlich gradlinig proportional an, so Scholze. Und da der Typ-2-Diabetes von vornherein als KHK-Risikoäquivalent einzuschätzen ist, wird der Zusammenhang von viszeraler Adipositas und Herz-Kreislaufgefährdung auch von dieser Seite her deutlich.

    Eine alleinige Ernährungsumstellung als Basistherapie der Adipositas hielt der Experte für wenig erfolgreich. Diese könne erst dann greifen, wenn durch ein geregeltes Bewegungsprogramm auch der Grundumsatz erhöht wird. Zudem wird bei der Behandlung der Adipositas in Deutschland in den Leitlinien der Deutschen Adipositas- und der Deutschen Diabetesgesellschaft der selektive Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Sibutramin (Reductil®) als zusätzliche medikamentöse Option empfohlen, wenn das Basisprogramm aus Ernährungs- und Bewegungstherapie zur Gewichtsreduktion keinen Erfolg zeigt. "Sibutramin verzögert dabei lediglich die normale Wiederaufnahme der Botenstoffe Serotonin und Noradrenalin, die physiologischen Regelkreise bleiben jedoch völlig erhalten", sagte er wörtlich und wies darauf hin, dass die gefürchteten Nebenwirkungen älterer appetitzügelnder Präparate damit ausgeschlossen werden können.

    Zum Wirkmechanismus des antiadipös wirksamen Medikamentes Sibutramin gehört auch, dass die Abschwächung der metabolischen Rate während des Gewichtsverlustes verringert wird. Als weitere günstige Effekte der Substanz nannte Scholze eine Erhöhung der Thermogenese.

    Insbesondere eine Kombination aus Lebensstiländerung und Sibutramin-Gabe hat sich bewährt. Beobachtet wurden Gewichtsverluste von bis zu zwölf Kilogramm innerhalb eines Jahres. Das hohe gewichtsreduzierende Potenzial von Sibutramin, die deutliche Reduktion des viszeralen Fettgewebes und die Verbesserung der Insulinresistenz und der Lipide lassen vermuten, dass der Wirkstoff auch das kardiovaskuläre Risiko der Patienten minimiert. Ob eine Pharmakotherapie mit Sibutramin allerdings in kausaler Beziehung auch die Inzidenz von Myokardinfarkt, Schlaganfall und anderer kardiovaskulärer Risiken senken kann, wird derzeit in einer großen internationalen Studie untersucht. In die SCOUT-Studie (Sibutramine Cardiovascular Outcomes Trial) wurden 10 742 Patienten aus 300 Zentren in 16 Nationen mit einem BMI zwischen 27 und 45 kg/m2 eingeschlossen. Dabei handelte es sich ausschließlich um Patienten, bei denen nach bisherigem Verständnis eine Sibutramin-Therapie als kontraindiziert galt. Dazu zählten Hochrisikopatienten mit bekannter KHK, einem Myokardinfarkt in der Anamnese und/oder einem Typ-2-Diabetes und mindestens einem zusätzlichen kardiovaskulären Risikofaktor. Gerade diese Patienten könnten aber besonders von der Therapie profitieren.

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    Viel Serotonin im Zwischenraum

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    Wenig Serotonin im Zwischenraum

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    Serotonin bleibt im Zwischenraum durch Hemmung der Wiederaufnahme

    Während einer sechswöchigen Eingangsphase, um die initiale Sicherheit der Therapie zu gewährleisten, wurden die Patienten zusätzlich zu einer Lebensstil-Intervention täglich mit 10 mg Sibutramin behandelt und eingehend beobachtet. Bislang mussten keine außergewöhnlichen Vorfälle gemeldet werden, berichtete Scholze, was für die Sicherheit der Therapie auch bei den hochgefährdeten Patienten spricht. Erwartet wurde eine Abbruchrate von 25 %, tatsächlich aber beendeten nur 2,7 % der Probanden aufgrund von Nebenwirkungen die Teilnahme an der Studie vorzeitig. Auch über erste Erfolge wusste Scholze zu berichten. So nahmen die Patienten in den ersten sechs Wochen durchschnittlich 2,2 kg ab und der Bauchumfang ging im Mittel um 2 cm zurück. Interessanterweise und entgegen früheren Befürchtungen ging auch der Blutdruck im Schnitt um 3,0/1,0 mmHg zurück. Dieser Effekt war umso ausgeprägter je höher die Ausgangswerte lagen. In der zweiten, auf harte kardiovaskuläre Endpunkte angelegten Studienphase werden die Patienten jetzt bis zu fünf Jahre lang plazebokontrolliert mit 10-15 mg Sibutramin behandelt. Geprüft werden soll, inwieweit in diesem Kollektiv die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität gesenkt werden kann.

    Quelle: Abbott-Pressekonferenz "Paradigmenwechsel in der Adipositas-Behandlung: Medikamentöse Therapie und kardiovaskuläre Risikobeeinflussung" am 22. Mai 2007 in Wiesbaden.

     
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    Serotonin bleibt im Zwischenraum durch Hemmung der Wiederaufnahme