Diabetes aktuell 2007; 5(1): 13-14
DOI: 10.1055/s-2007-985325
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"Diabetes aktuell" im Gespräch mit Dr. med. Thomas Ulmer, Mitglied des Europäischen Parlaments und Initiator der Initiative "Kinder mit Diabetes".

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18 July 2007 (online)

 
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    Umsetzung des wissenschaftlichen Fortschritts in eine bessere und gleichwertige Versorgung in der EU.

    Wir wollen in ganz Europa die denkbar beste Versorgung bei Typ-1-Diabetes haben.

    ? Diabetes aktuell: Weshalb steht denn der Diabetes bei Kindern und Jugendlichen jetzt plötzlich so sehr im Blickfeld?

    Ulmer: Ich fürchte, der Diabetes bei Kindern und Jugendlichen steht überhaupt noch nicht im Blickfeld. Kinder und Jugendliche haben nämlich in der Europäischen Union keine starke Lobby. Es ist unser Anliegen, den Typ-1-Diabetes in den Fokus der EU zu stellen, weil wir hier ja überwiegend mit Verhaltensmaßnahmen nichts erreichen können. Wir brauchen eine intensive Behandlung der Krankheit und wir brauchen auch viele Forschungsgelder, um weiter zu kommen, z.B. in der Frage einer Pankreasverpflanzung, der Implantation von Inselzellen etc.

    ? Diabetes aktuell: Was hat Sie zur Gründung dieser Initiative "Children and Diabetes" veranlasst, für die heute im Europäischen Parlament der Startschuss gegeben wurde?

    Ulmer: Ich engagiere mich im Europäischen Parlament für die Sozial-, Umwelt- und Gesundheitspolitik. Vor einem Jahr habe ich einen ähnlichen Vorstoß zur Hepatitis B gemacht, mit der Frage einer europaweiten durch die Nationalstaaten finanzierten Impfung. Die Frage der Bezahlung hat große Bedeutung - wird nicht von den Gesundheitssystemen bezahlt, können weite Bevölkerungskreise nicht erreicht werden. Wir müssen Eltern mit diabeteskranken Kindern über die rein medizinische Behandlung hinaus auch die Chance geben, in Europa die beste Versorgung zu bekommen und zwar überall, das heißt in allen Mitgliedsstaaten. Wir müssen dazu auch Krankenschwestern und weiteres Personal ausbilden und wir wollen den Kindern Lebenschancen für ein gemeinsames Europa eröffnen. Europa möchte ja ein Europa der Bürger sein und nicht ein Europa der Institutionen oder der Parteien, und hier haben wir ein klassisches Beispiel, wie wir durch eine Initiative einzelnen Menschen helfen können, ihre Lebensqualität zu erhöhen.

    ? Diabetes aktuell: Auch angesichts der neuen Mitglieder in der Europäischen Union, ist die Situation in den einzelnen Staaten denn sehr unterschiedlich?

    Wie ist der Zugang zu einer guten Versorgung?

    Ulmer: Der Zugang zu einer guten Versorgung ist bisher eher Wunsch als Realität. Wir haben grundlegend zwei Systeme: Auf der einen Seite steht das Bismarck'sche Modell, das sich überwiegend solidarisch und aus Gebühren finanziert. In der Mehrzahl unserer Länder haben wir aber ein dem englischen National Health Service ähnliches System. Dieses Modell wurde vom damaligen britischen Gesundheitsminister Aneurin Bevan 1948 in Großbritannien eingeführt. Darin finanziert letzten Endes der Staat über das Eintreiben der Gelder das Gesundheitssystem. Diese Systeme sind außerordentlich restriktiv und gewähren in der Regel nur die allernotwendigsten Gesundheitsleistungen.

    Wir haben außerdem in Europa ein Gefälle von den alten Mitgliedsstaaten hin zu den neuen, wo die Sozial- und Gesundheitspolitik noch nicht so ausgereift ist, dass sie in großem Umfang alle Hilfs-, Heilmittel und Medikamente zur Verfügung stellt. Hier gilt es nachzuarbeiten. Dazu kommt auch noch, dass Gesundheitspolitik subsidiär ist, d.h. die Mitgliedsstaaten haben im Bereich der Gesundheitspolitik volle Hoheitsrechte. Aber wir stellen uns vor, dass wir im Rahmen von "best practice" die optimalen Erfahrungen aus den Mitgliedsländern auch denen zur Verfügung stellen, die diese Erfahrungen noch nicht haben, sodass sie praktisch den Schritt auslassen können, am Objekt zu lernen.

    ? Diabetes aktuell: Und wie soll dies dann finanziert werden?

    Ulmer: Gesundheit wird über nationale Systeme finanziert. Wir haben in Europa geringe Beträge zur Verfügung für einen "Health-Action-Plan", mit dem wir Gesundheitsleistungen initiieren. Wir haben die Möglichkeit, über Arbeitsschutz- und Arbeitssicherheit gewisse Projekte zu finanzieren, die Finanzierung ist jedoch zu über 95 % nationalstaatlich. Gesundheitsvorsorge und -fürsorge wird auch noch getrieben über einen Katastrophenschutzplan, der maximal eine Milliarde Euro umfasst. Aus diesem könnte Europa z.B. bei Pandemien, klassisches Beispiel wäre eine Grippepandemie, die Medikamente zur Verfügung stellen, wenn in einzelnen Ländern nichts vorhanden wäre.

    ? Diabetes aktuell: Wo sehen Sie speziell in Deutschland die Probleme? Dort haben wir ja nun alle denkbaren Möglichkeiten. Ist hier die Versorgung der Kinder und Jugendlichen mit Diabetes nicht auf dem höchsten Stand der Wissenschaft?

    Ulmer: Wir sind in Deutschland auf dem Weg, die Versorgung der Typ-1-Diabetiker - und der beginnt überwiegend bei Kindern - auf den höchsten Stand zu bringen. Wir haben in der Bundesrepublik sicher noch ein Gefälle, z.B. soweit es die Aufklärung und auch soweit es die Motivation der Patienten und ihrer Familien betrifft. Wir haben auch noch einige Defizite bei der Fortbildung des medizinischen Personals und der Ärzteschaft, wir sind bei uns aber gut auf dem Weg, diese Defizite auszugleichen. Im Medizinbereich haben wir z.B. das ungeliebte Qualitätsmanagement eingeführt, das ja nicht bedeutet, dass wir bei Ärzten nach Fehlern suchen, sondern dass wir ihnen die Chance geben, im Rahmen der Selbsterkenntnis und der "best practice" noch besser als bisher zu behandeln. Unser deutsches Gesundheitswesen, das ja derzeit wieder einmal renoviert wird, ist nach wie vor eines der besten weltweit. Seine Grundlagen und Grundideen sind optimal - ich weiß, dass dies viele nicht verstehen wollen, aber das ist die Realität. Wir bieten damit eine flächendeckende Versorgung, die weltweit Spitze ist, und das zu einem recht vernünftigen Preis

    ? Diabetes aktuell: Wo sehen Sie auf dieser Basis also in Deutschland noch Möglichkeiten, die Versorgung von Kindern mit Diabetes zu verbessern?

    Ulmer: Wir können Ausbildung, Weiterbildung und Organisation verbessern. Wir müssen auch den Kindern auf dem flachen Land eine Chance geben, fernab des Zentrums kompetente Ansprechpartner zu haben und dazu müssen wir neue Strukturen aufbauen. Wenn wir einen Fehler in unserem Gesundheitssystem haben, dann den, dass es etwas merkantilistisch organisiert ist, eher wie ein Setzkasten der Leistungen als wie eine ganzheitliche Behandlung.

    ? Diabetes aktuell: Brauchen wir dazu mehr "Centers of Exellence" in Deutschland?

    Ulmer: Diese "Centers of Excellence" sollten meiner Auffassung nach auf wenige beschränkt bleiben. Wenn wir in Deutschland drei bis fünf ausweisen, reicht das vollkommen aus. Es ist auch nicht so, dass in Europa jedes kleine Mitgliedsland, nehmen wir als Beispiel Malta, Zypern oder Slowenien, ein eigenes "Center of Excellence" braucht. Dafür sollte eine gewisse Größe vorhanden sein und diese "Centers of Excellence" sollten auch innerhalb Europas vernetzt sein. Lieber mehr Zentren, die eine große Zahl von Patienten überblicken als eine breite Streuung.

    ? Diabetes aktuell: Sie haben nun heute diese Initiative gestartet. Bleibt es dabei - oder was werden die nächsten Schritte sein?

    Ulmer: Der nächste Schritt im Rahmen der Initiative wird ein "call for action" an die Kommission sein, in dem wir die heute besprochenen Themen in Worte und Aktionsvorschläge fassen und die Kommission auffordern, entsprechende Richtlinienvorschläge vorzulegen. Die Kommission wird dann in absehbarer Zeit, und in Europa heißt das zwei, drei, vielleicht auch fünf Jahre, im Gesundheitsausschuss ein entsprechendes Papier vorstellen, wir werden dann darüber diskutieren und es letztendlich verabschieden.

     
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