Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2007; 42(7/08): 520-521
DOI: 10.1055/s-2007-985504
Fachwissen
Topthema: Intraoperative Beatmung
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Mehr als nur eine „PEEP-Show”

Martin Westphal, Hugo Van Aken
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Publication Date:
30 July 2007 (online)

Studien der letzten Jahre haben kritisch die Auswirkungen diverser Beatmungsstrategien auf die Morbidität und Letalität von Intensivpatienten untersucht. Während ein hoher positiv endexspiratorischer Druck (PEEP) im Vergleich zum niedrigen PEEP (13,2±3,5 vs. 8,3±3,2 cm H2O) keine Auswirkung auf das Überleben bei akutem Lungenversagen (ARDS) hatte [1], konnte die „lungenprotektive” Beatmung das Outcome von ARDS-Patienten bedeutsam verbessern [2]. In diesem Zusammenhang wurde gezeigt, dass durch ein niedriges Tidalvolumen (6ml/kg KG) - im Vergleich zum „traditionellen” Konzept des eher hohen Tidalvolumens (12ml/kg KG) - Beatmungstage und Krankenhaussterblichkeit (31 % vs. 39,9 %) signifikant reduziert werden konnten [2].

Ob diese positiven Effekte durch das Tidalvolumen per se oder durch die daraus resultierenden, unterschiedlich hohen Plateaudrücke (25±6 vs. 33±8cmH2O) verursacht werden, kann nicht mit Sicherheit beantwortet werden. Untersuchungen bei ARDS-Patienten zeigen deutlich, dass der Anteil potenziell rekrutierbarer Lungenareale eine hohe Variabilität hat, jedoch positiv mit der Antwort auf den PEEP korreliert ist [3].

Beatmung und Rekonvaleszenz

Diese interessanten und wichtigen Ergebnisse drängen geradezu die Frage auf, wie die intraoperative Beatmung die Lungenfunktion und die postoperative Rekonvaleszenz beeinflusst. Wichtige Einflussfaktoren könnten hier die inspiratorische Sauerstoffkonzentration und die Wahl der Beatmungsdrücke sein. Die aktuelle Ausgabe der AINS erörtert diese klinisch relevanten Themenkomplexe anschaulich und differenziert, sie berichtet zudem über die Besonderheiten bei der Beatmung von Kindern.

Pulmonale Veränderungen unter Narkose

Eine Allgemeinanästhesie - mit und ohne mechanische Beatmung - führt bei ca. 90 % allerErwachsenen zu therapiebedürftigen Resorptions- und/oder Kompressionsatelektasen [4]. Diese unerwünschten pulmonalen Veränderungen sind bereits wenige Minuten nach der Narkoseinduktion nachweisbar und werden maßgeblich durch hohe inspiratorische Sauerstofffraktionen (FiO)) verursacht [5]. In Analogie führt eine hohe FiO2 unmittelbar vor Extubation zum bedeutsamen Alveolarkollaps. Dieser verursacht nicht nur pulmonale Shuntphänomene, sondern begünstigt auch die Entstehung postoperativer Pneumonien [6].

Die optimale FiO2 als Gratwanderung

Diesen Nachteilen steht - bei Verwendung einer FiO2 von 0,8 - die Reduktion an Wundinfektionen nach kolorektalen Eingriffen [7] [8] und möglicherweise eine verminderte Inzidenz von postoperativer Übelkeit und Erbrechen (PONV) [9] [10] gegenüber. Insbesondere während Narkoseeinleitung und -ausleitung gilt es, ein Mittelmaß zwischen optimiertem Sauerstoffpool - durch Auffüllen der funktionellen Residualkapazität (FRC) mittels möglichst hoher FiO2 - und den drohenden (sauerstoffinduzierten) Resorptionsatelektasen zu finden.

FiO2 nicht zu gering gestalten

Auch wenn Studien darauf hinweisen, dass während der Narkoseinduktion mit einer FiO2 von 0,3 keine Atelekatasen entstehen [11], sollte dieses Konzept wegen der geringen O2-Reserve bei schwierigen Intubationssituationen nicht favorisiert werden. Obwohl es bis dato keine gesicherte Evidenz gibt, erscheint für die Ein- und Ausleitung eine Sauerstoffkonzentration von 80 % rational - so wird die Entstehung von Resorptionsatelektasen limitiert und die Apnoetoleranz gleichzeitig nur geringfügig verkürzt [12]. Ob eine intraoperative FiO2 von 0,8 generell oder nur in bestimmten Fällen Wundheilungsstörungen und PONV vermindert, muss in weiteren prospektiven Untersuchungen geklärt werden.

Indikationen für PEEP

Obwohl die Anwendung von PEEP nicht generell den Gasaustausch verbessert, haben zahlreiche Untersuchungen gezeigt, dass PEEP Atelektasen reduziert. Da PEEP zur Vergrößerung der Totraumventilation und zu einer Ventilations-Perfusions-Störung führen kann, sollte er nur bei selektierten Patienten regelmäßig verwendet werden. Dazu zählen insbesondere Patienten mit Adipositas und/oder erhöhtem intraabdominellem Druck, da sie ein erhöhtes Risiko für die Entstehung von Kompressionsatelektasen haben [13]. In Analogie zur Beatmung von Intensivpatienten mit ARDS ist ein PEEP ebenfalls bei akutem Lungenschaden indiziert. Ferner sollte er eingesetzt werden, wenn sich intraoperativ eine akute Oxygenierungsstörung entwickelt, die wahrscheinlich Folge einer Atelektasenbildung ist. Wichtig ist es in diesem Kontext, die kollabierten Alveolen durch einen erhöhten inspiratorischen Spitzendruck wiederzueröffnen und mittels PEEP in der Exspiration offen zu halten [14].

Recruitmentmanöver

Bei fehlender Kontraindikation und Ausschluss einer Hypovolämie scheinen während des Rekrutierungsmanövers

  • ein kurzzeitiger (7-10Sekunden) inspiratorischer Spitzendruck von 40cmH2O (15) und

  • ein anschließender PEEP von (5-)10cmH2O [16] [17]

geeignet, Atelektasen zu beseitigen bzw. deren Neubildung zu verhindern. Bei erhöhter Thoraxwandcompliance (z.B. bei Patienten mit eröffnetem Thorax und Kindern) sollte der inspiratorische Spitzendruck beim Rekrutierungsmanöver reduziert werden, da für das Wiedereröffnen der Alveolen der transpulmonale - und nicht der intrapulmonale Druck - entscheidend ist. Da es bis dato keine allgemeine Empfehlung zum optimalen PEEP gibt, muss die Wahl individuell und situationsangepasst erfolgen. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass die (Wieder-)Entstehung von Resorptionsatelektasen nach einem Rekrutierungsmanöver primär durch die Höhe der FiO2 determiniert wird [18] [19].

Extubation bei positivem Druck

Unmittelbar vor der Extubation sollte möglichst nicht mehr endotracheal abgesaugt werden, um die sauerstoffinduzierte Atelektasenbildung nicht weiter zu fördern. Es erscheint empfehlenswert, die Extubation bei erhöhtem Oberkörper (Lungenvolumen >Closing Capacity) mit einem positiven Druck (via Handbeatmungsbeutel) durchzuführen, um einem Alveolarkollaps vorzubeugen.

Besonderheiten bei Kindern

Aufgrund anatomischer und physiologischer Besonderheiten sind bei der Beatmung von Kindern zusätzlich einige Aspekte zu berücksichtigen. Während Erwachsene primär volumenkontrolliert beatmet werden - wobei das Tidalvolumen vorgegeben und der inspiratorische Spitzendruck begrenzt wird - wendet man bei Kindern häufig die druckkontrollierte Ventilation an. Bei Kindern erhöhen ein hyperreagibles und vulnerables Tracheobronchialsystem, eine hohe Compliance mit Neigung zur Atelektasenbildung sowie eine verminderte FRC mit konsekutiv reduziertem Sauerstoffreservoir das Risiko pulmonaler Komplikationen. Ferner wird das Risiko von Beatmungs- und Oxygenierungsschwierigkeiten durch

  • die Art des operativen Eingriffs,

  • die Erfahrung des zuständigen Anästhesisten,

  • die erniedrigte Apnoetoleranz und

  • ggf. vorhandene Atemwegsinfektionen

beeinflusst [20]. Da es bei Kindern häufiger als bei Erwachsenen zu respiratorischen Komplikationen während der Narkoseein- und -ausleitung kommt, sollten (klinikinterne) Algorithmen zur Beherrschung potenzieller Komplikationen erstellt und verinnerlicht werden.

Kein intraoperativer State-of-the-Art

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in Analogie zur Beatmung von Patienten auf der Intensivstation zahlreiche Aspekte berücksichtigt werden müssen, um den Patienten individuell und bestmöglich zu betreuen. Aufgrund fehlender klinischer Studien - etwa zur Wahl des optimalen Tidalvolumens bzw. Beatmungsdrucks - steht die Definition einer intraoperativen „State-of-the-Art”-Beatmung noch aus. $

Literaturverzeichnis (neu)

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  • 20 Höhne C, Haack M, Machotta A, Kaisers U.. Airway management in pediatric anesthesia.  Anaesthesist. 2006;  55 809-19

PD Dr. Martin Westphal

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