Die Rahmenbedingungen für die stationäre und teilstationäre Versorgung in psychiatrisch-psychotherapeutischen
Kliniken haben sich in den letzten Jahren dramatisch verändert. Es besteht eine zunehmende
Leistungsverdichtung, mehr Patienten müssen in kürzerer Zeit behandelt werden [1]. In der Kostendiskussion im stationären Bereich spielt die Verweildauer eine zentrale
Rolle, da zumindest bei vordergründiger Betrachtungsweise Einzelfallverweildauer und
Fallkosten eng miteinander korrelieren und über diesen Indikator direkt auf die von
den Kostenträgern zu erstattenden Kosten der Behandlung eingewirkt werden kann.
Dabei ist die Verweildauer als Kriterium der Effizienz einer Behandlung sehr umstritten.
Krankenhausvergleiche hinsichtlich der Verweildauer sind mit methodologischen Problemen
behaftet und erfordern eine angemessene Berücksichtigung relevanter Einflussvariablen
[2]
[3]. Trotz aller Variabilität findet sich national und international ein Rückgang der
Verweildauer [4], in psychiatrisch-psychotherapeutischen Kliniken in Deutschland von 66,5 Tagen (1991)
auf 24,7 Tage (2004); dies entspricht einer prozentualen Veränderung von − 63 % [1]!
Die zentrale Frage ist: Ist die Verkürzung der Verweildauer auf eine verbesserte Behandlungseffizienz
zurückzuführen, oder werden die Patienten früher entlassen, obwohl sie eines längeren
Aufenthaltes in der Klinik bedurft hätten? Letzteres könnte darauf beruhen, dass die
Patienten jetzt problemlos in eine in der Versorgungsregion bestehende qualifizierte
ambulante Nachsorge entlassen werden können. Eine andere Erklärung könnte aber auch
der zunehmende Druck der Kostenträger auf die Kliniken sein, gekennzeichnet durch
vermehrte Anforderung von Verlängerungsanzeigen (nach § 301 SGB V), MDK-Fehlbelegungsprüfungen
und Prüfungen durch sog. Einigungsausschüsse.
Die im Rahmen der Versorgungsforschung erhobenen Daten liefern einige Argumente bezüglich
der Beantwortung dieser Frage: Während auf ältere Studien bezogene Metaanalysen keinen
Effekt der Verweildauer auf die Wiederaufnahmerate oder auf andere Outcome-Maße fanden
[5]
[6], belegen alle neueren Studien – mit Ausnahme einer Studie bei Patienten mit affektiven
Störungen [7] – einen Zusammenhang zwischen kürzerer Verweildauer und höherer Wiederaufnahmerate
[8]
[9]
[10]
[11]
[12]
[13].
Um die Zusammenhänge zwischen Verweildauer, Wiederaufnahmerate und Behandlungserfolg
genauer zu analysieren, wurden in einer eigenen Studie die Daten der psychiatrischen
Basisdokumentation (BADO) von 18 074 Patienten ausgewertet, die von 1995 bis 2003
vollstationär in der Psychiatrischen Klinik am Bezirksklinikum Regensburg behandelt
wurden [14]. Als wesentliche Ergebnisse fanden sich: Im Verlauf der Jahre liegt bei Aufnahme
ein zunehmend geringeres psychosoziales Funktionsniveau (GAF bei Aufnahme) vor. Trotz
einer immer kürzeren Verweildauer konnte eine relativ größere Besserung (GAF bei Entlassung
minus GAF bei Aufnahme) durch die stationäre Behandlung erzielt werden. Aufgrund des
kränkeren Zustands bei Aufnahme wurden die Patienten dennoch in einem kränkeren Zustand
(GAF bei Entlassung) entlassen. Mit der im Verlauf der Jahre kürzer werdenden Verweildauer
stieg gleichzeitig die Wiederaufnahmerate an. Dieser Anstieg war besonders stark ausgeprägt
bei Indexaufenthalten von drei bis zehn Tagen; er findet sich besonders bei Suchterkrankungen
(ICD-10: F1) sowie bei Schizophrenien/wahnhaften Störungen (ICD-10: F2). Über alle
Jahre hinweg zeigte sich, dass bei Fällen mit einer längeren Verweildauer eine größere
Besserung (CGI Teil 2) erzielt wird, wobei sich bei Schizophrenien/wahnhaften Störungen
(ICD-10: F2) sowie bei affektiven Störungen (ICD-10: F3) bei sechs Wochen ein Plateau
fand. Bei Suchterkrankungen (ICD-10: F1) war bei längerer Verweildauer (über zehn
Tage) eine vermehrte Besserung festzustellen. Die mittlere kumulierte Verweildauer
(innerhalb von 365 Tagen) blieb in den Jahren 1999 bis 2003 gleich.
Die auf Basis der psychiatrischen Basisdokumentation gewonnenen Daten belegen den
Befund, dass eine (unter dem Kostendruck) zunehmend kürzere Verweildauer zu einer
erhöhten Wiederaufnahmerate führt und ab einem gewissen Punkt die kumulierte Verweildauer
(innerhalb eines Jahres) unverändert bleibt, was sich auch in vielen anderen Studien
– insbesondere bei schizophrenen und suchtkranken Patienten – zeigte [2]
[11]
[12]
[15]. Die intendierte Kostenersparnis aufseiten der Krankenkassen wird somit nicht erreicht,
der „Drehtüreffekt” nimmt aber zu. Diese Veränderungen erfolgen auf Kosten der Patienten,
die bei immer kürzer werdender Verweildauer pro Aufenthalt in zunehmend kränkerem
Zustand entlassen werden. Dass die psychosoziale Leistungsfähigkeit bei Entlassung
nur relativ gering abgefallen ist, ist dadurch bedingt, dass während des Aufenthaltes
eine relativ größere Besserung erzielt werden konnte, d. h. dass die stationär-psychiatrische
Behandlung in den letzten Jahren effektiver und effizienter geworden ist. Die effizientere
Behandlung konnte bei zu kurzer Verweildauer den Abfall der psychosozialen Leistungsfähigkeit
bei Entlassung jedoch – zumindest bislang – nicht vollständig kompensieren. Ein niedriges
psychosoziales Funktionsniveau, ein instabiles Zustandsbild oder eine schwerere Krankheitssymptomatik
bei Entlassung sind aber relevante Faktoren für eine häufigere Rehospitalisation [16]
[17]
[18]. Und hier schließt sich der Kreis: kürzere Verweildauer, kränkerer Entlassungszustand,
häufigere Wiederaufnahme.
Als Schlussfolgerung ergibt sich, dass die Verkürzung der Verweildauer pro Aufenthalt
eine untere Grenze erreicht hat und auf Kosten der Wiederaufnahmerate (also eines
Krankheitsrückfalls) und anderer Outcome-Maße (also der Gesundheit des Patienten)
geht. Ein weiterer Druck der Kostenträger auf die Verweildauer pro Einzelaufenthalt
erscheint nicht sinnvoll, da das in den letzten Jahren gleichbleibende Niveau der
mittleren kumulierten Verweildauer (und damit der Summe der tatsächlichen stationären
Kosten) Indiz dafür ist, dass die Grenze für eine weitere Senkung der Einzelfallverweildauer
erreicht ist. Sinnvoller erscheint dagegen, mit den regionalen Vertretern der Krankenkassen
einen „runden Tisch” zu bilden, datenbasiert die Versorgung in der Region zu analysieren
und angemessene Überprüfungszeiträume der stationären Behandlungsnotwendigkeit zu
vereinbaren. Dies würde nicht nur den Patienten zugute kommen, sondern auch den hohen
administrativen Aufwand beider Seiten verringern.