Der Klinikarzt 2007; 36(8): 472-473
DOI: 10.1055/s-2007-986575
Blickpunkt

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die Zukunft der Antikoagulation - Was kommt nach den niedermolekularen Heparinen?

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Publication Date:
23 August 2007 (online)

 
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Egal ob es sich um internistische oder um chirurgische Patienten handelt - werden sie in ein Krankenhaus eingewiesen und zur Bettlägerigkeit "verurteilt", steigt ihr Risiko, eine venöse Thromboembolie zu erleiden, eklatant an. "Das wesentlichste Risiko dieser Patienten ist tatsächlich die Immobilisierung", erklärte Prof. Hanno Riess, Berlin. "Dazu kommen dann noch Risiken, wie zum Beispiel ein hohes Alter, Adipositas, eine Krebserkrankung oder eine genetische Disposition, die wir nicht beeinflussen können."

Bei solchen Patienten waren niedermolekulare Heparine (NMH) lange Zeit die erste Wahl zur Thromboseprophylaxe. Unbehandelt wäre ihr Risiko, eine Lungenembolie oder eine tiefe Venenthrombose zu erleiden, etwa doppelt so hoch wie unter einer Therapie. "Trotzdem sehen wir noch immer eine erhebliche Zahl an Thromboembolien", konstatierte Riess. "Wir können also nicht zufrieden sein!"

Weitere Risikoreduktion um bis zu 50 % bei orthopädischen Patienten

Einen weiteren Schritt in die Richtung zu einer besseren Thromboseprophylaxe ermöglicht Fondaparinux. Denn das Pentasaccharid, ein selektiver Faktor-Xa-Inhibitor, reduziert das Risiko orthopädischer Patienten im Vergleich zu dem niedermolekularen Heparin Enoxaparin noch einmal um rund 50 %, berichtete Riess aus dem groß angelegten Studienprogramm zu der Substanz. Vier Studien zur Thromboembolieprophylaxe bei chirurgischen Hochrisikopatienten - insgesamt waren 7344 Patienten beteiligt - wurden zu einer Metaanalyse zusammengefasst. "Damit liegt uns zu dieser Substanz eine Datenlage vor, wie wir sie bislang in der Summe nicht kannten," sagte Riess.

In drei der vier Studien konnte Fondaparinux im Vergleich zu Enoxaparin das thromboembolische Risiko der Patienten nach Hüftfraktur (PENTHIFRA[1]), nach Hüftgelenksersatz (EPHESUS[2]) oder Kniegelenksersatz (PENTAMAKS[3]) um 43-56 % reduzieren. Allein in der US-amerikanischen Studie zum Hüftgelenksersatz (PENTATHLON[4] 2000) war "nur" eine Risikoreduktion gegenüber der Vergleichssubstanz um rund 26 % zu sehen. "In der Summe also eine Halbierung des Risikos", so Riess (Abb. 1) - unabhängig übrigens vom Alter, vom Geschlecht, von der Dauer des Eingriffs oder auch von der Vorgeschichte der Patienten (Adipositas, anamnestische venöse Thromboembolie).

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Abb. 1 Bei orthopädischen Hochrisikopatienten reduziert Fondaparinux das Thromboembolierisiko im Vergleich zur Prophylaxe mit niedermolekularen Heparinenum rund 50 % (nach 1)

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Abb. 2 Das Mortalitätsrisiko der NSTEMI/IA-Patienten unter Fondaparinux ist signifikant niedriger als in der Vergleichsgruppe (nach 2)

Ähnlich effektiv ist Fondaparinux auch in der Abdominalchirurgie. Sank doch in der PEGASUS[5]-Studie das Thromboembolierisiko der Patienten unter der Gabe von Fondaparinux um relative 25 % (n.s.) - Vergleichssubstanz war in diesem Fall die Hochrisikodosierung von Dalteparin (n = 2048). Greift man jedoch nur die Gruppe der 1468 Hochrisikopatienten aus dem Studienkollektiv, in diesem Fall waren dies Patienten, die sich aufgrund eines Malignoms einem abdominalchirurgischen Eingriff unterziehen mussten, kam es unter dem Pentasaccharid zu einer signifikanten 39 %igen Risikoreduktion im Vergleich zu Dalteparin.

Höhere Effektivität geht nicht auf Kosten des Blutungsrisikos

Dieser Wirksamkeitsvorteil geht aber nicht zu Lasten der Sicherheit der Substanz, betonte Riess. Allerdings sollte die erste Injektion, wie in der Fachinformation empfohlen, frühestens sechs Stunden nach dem Wundverschluss gegeben werden. Unter Fondaparinux waren keine schweren Blutungen (tödliche bzw. nichttödliche Blutungen in ein kritisches Organ) aufgetreten, während unter Enoxaparin beides jeweils bei einem Patienten der Fall war, so die Daten der erwähnten Metaanalyse. Allerdings war unter Fondaparinux etwas häufiger eine Reoperation aufgrund von Blutungskomplikationen notwendig (12 versus 8 Fälle).

Riess berichtete auch von einer Studie, in der Fondaparinux erst am Morgen des postoperativen Tages gegeben wurde, um potenzielle Blutungen weiter zu reduzieren. "Dies ist auf keinen Fall ungünstig für die Wirkung, es kommt aber noch einmal zu einem Anstieg der Sicherheit!" Denn in der FLEXTRA[6]-Studie waren die Raten an tiefen Venenthrombosen vergleichbar, egal ob Fondaparinux sechs Stunden postoperativ oder alternativ am nächsten Morgen gegeben worden war (1,9 versus 1,8 %). Das Risiko schwerer Blutungen jedoch reduzierte sich bei der verzögerten Gabe von 1,2 auf 0,7 %.

Auch internistische Patienten brauchen eine Thromboseprophylaxe

Anders als in der Chirurgie wird in der inneren Medizin das Thromboserisiko der hospitalisierten Patienten noch häufig unterschätzt. Doch rund zwei Drittel der tödlichen Lungenembolien ereignen sich auf der "Inneren", berichtete Riess. Internistische Patienten benötigen daher bei entsprechender Risikokonstellation eine ebenso effektive Thromboembolieprophylaxe wie chirurgische Patienten, betonte Prof. Rupert M. Bauersachs, Darmstadt. Betroffen sind vor allem herzinsuffiziente Patienten oder Patienten mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) - Patienten, wie sie auch in die placebokontrollierte ARTEMIS[7]-Studie aufgenommen (n = 849) worden waren.

"Bezüglich der Aussagen zur Wirksamkeit ist diese placebokontrollierte Studie nicht ganz ideal", kritisierte Bauersachs. "In Deutschland erhält inzwischen fast jeder Risikopatient, der über die Schwelle eines Krankenhauses tritt, eine Heparinprophylaxe. International war dies - zumindest vor ARTEMIS - jedoch noch nicht so. Einen Vorteil hat die Placebokontolle aber doch. So haben wir die Möglichkeit, die Sicherheitsdaten von Fondaparinux gegenüber Placebo zu beurteilen!"

Unter Fondaparinux sank nicht nur die Zahl der Patienten, die eine venöse Thromboembolie entwickelten, von 10,5 auf 5,6 % (relative Risikoreduktion 46,7 %, p = 0,029), darüber hinaus war in diesem Studienarm keine tödliche Lungenembolie aufgetreten. Im Kontrollarm dagegen erlagen fünf Patienten (1,5 %) den Folgen einer Lungenembolie (p = 0,029). "Auch in einem typischen internistischen Krankengut lässt sich das Risiko der Patienten wie in der Chirurgie um 50 % reduzieren", so Bauersachs. "Das Blutungsrisiko bleibt dabei auf Placeboniveau!" Tödliche Blutungen traten in keinem Fall auf - weder im Verum- noch im Placeboarm.

Studienprogramm zum akuten Koronarsyndrom[*], ...

... bei NSTEMI/instabiler Angina (IA) ...

Die neu überarbeiteten Leitlinien der "European Society of Cardiology" zur Therapie des akuten Koronarsyndroms ohne ST-Streckenhebung empfehlen Fondaparinux zur Therapie des akuten Myokardinfarkts ohne ST-Streckenhebung (NSTEMI) mit dem höchsten Evidenzgrad (I A). Grundlage dieser Empfehlung sind die Daten der OASIS[8]-5-Studie, die Fondaparinux in dieser Indikation eine gleiche Wirksamkeit bescheinigt wie dem bisherigen Standard Enoxaparin.

"Dabei haben die Initiatoren der Studie Mut bewiesen und Fondaparinux in der Prophylaxedosis eingesetzt, während Enoxaparin in therapeutischer Dosis gegeben wurde", erinnerte Bauersachs. Belohnt wurden sie - oder vielmehr die Studienteilnehmer - mit einer hochsignifikant geringeren Rate an Blutungskomplikationen unter Fondaparinux. Die Rate an schweren Blutungen sank im Vergleich zu Enoxaparin um 48 %.

Dies ist von großer Bedeutung, so Bauersachs, denn Blutungskomplikationen haben einen signifikanten Einfluss auf die Mortalität. Im Falle einer schweren Blutung steige das Risiko der Patienten um das 6,5-fache. Dementsprechend sank auch in OASIS-5 die 30-Tages-Sterberate der Patienten signifikant um relative 17 % (p = 0,022; Abb. [2]). "Dieser Mortalitätsunterschied bleibt sogar über ein halbes Jahr bestehen", so Bauersachs.

... und auch bei STEMI

Beim ST-Elevationsinfarkt (STEMI) ist die Therapie mit Fondaparinux (2,5 mg) effektiver und dabei ebenso sicher wie die bisherige Standardtherapie, so das Ergebnis der OASIS-6-Studie. Die Mortalität war unter Fondaparinux während der gesamten Studienzeit geringer (-12 bis -13 % von Tag 9-180; p < 0,05). Der Mortalitätsvorteil bleibt also über einen langen Zeitraum erhalten. "Die Blutungskomplikationen waren dabei nicht erhöht. Tendenziell waren unter Fondaparinux sogar etwas weniger Blutungen zu verzeichnen als unter Placebo", erklärte Bauersachs.

Besonders deutlich war der Überlebensvorteil bei Lysepatienten. Waren die Patienten einer perkutanen Koronarintervention zugeführt worden, profitierten sie dagegen nicht von der Gabe von Fondaparinux. "Allerdings hatten sie auch keinen Nachteil", meinte Bauersachs.

Eine "Bank" bei der Therapie von Lungenembolie und Venenthrombose

Überzeugende Daten liefert Fondaparinux jedoch nicht nur in der Prophylaxe venöser Thromboembolien, berichtete Bauersachs und verwies auf die Ergebnisse der MATISSE[7]-Studien, der bislang bei weitem größten Studien zur Therapie venöser Thromboembolien. Demnach ist eine Initialtherapie mit Fondaparinux in diesen Indikationen zur Vermeidung von Rezidiven innerhalb von drei Monaten mindestens ebenso wirksam und sicher wie unfraktioniertes Heparin oder Enoxaparin, fasste Bauersachs die Studienergebnisse zusammen.

So war die Rezidivrate in beiden Studienarmen (Fondaparinux versus Enoxaparin) rund 4 %, wenn die Patienten aufgrund einer tiefen Venenthrombose therapiert wurden. Hatten die Patienten eine Lungenembolie, sank das Risiko für ein Rezidivereignis mithilfe von Fondaparinux im Vergleich zu der Gabe von Heparin über den Perfusor um relative 25 % (5,0 versus 3,8 %, n.s.). "Hier kommen wir mit Fondaparinux auch bei der Lungenembolie erstmals in eine Größenordnung von Rezidivthromben, die wir sonst eigentlich nur von den Patienten mit tiefer Venenthrombose kennen", meinte Bauersachs. Dabei traten unter der Therapie mit Fondaparinux eher weniger Blutungskomplikationen auf als im jeweiligen Vergleichsarm, betonte der Angiologe.

sts

Quelle: 4. GSK Thrombose Masterclass Symposium, veanstaltet von der GlaxoSmithKline GmbH & Co. KG, München

Dieser Bereicht entstand mit freundlicher Unterstützung der GlaxoSmithKline GmbH & Co. KG

Literatur

  • 01 Turpie AG . Bauer KA . Ericsson BI . Lassen MR . Fondaparinux vs enoxaparin for the prevention of venous thromboembolism in major orthopedic surgery: a meta-analysis of 4 randomized double-blind studies.  Arch Intern Med. 2002;  162 (16) 1833-1840
  • 02 Fifth Organisation to Assess Strategies in Acute Ischemic Syndromes Investigators . Yusuf S . Mehta SR . et al . Comparison of fondaparinux and enoxaparin in acute coronary syndromes.  N Engl J Med. 2006;  354 (14) 1464-1476

01 Pentasaccharide in Hip-Fracture

02 European Pentasaccharide Hip Elective SUrgery Study

03 PENTAsaccharide in MAjor Knee Surgery

04 Postoperative fondaparinux versus postoperative enoxaparin for prevention of venous thromboembolism after elective hip-replacement surgery

05 PEntasacharide in GenerAl SUrgery Study

06 Flexibility in Administration of Fondaparinux for Prevention of Symptomatic Venous Thromboembolism in Orthopedic Surgery

07 ARixtra for ThromboEmbolism Prevention in a Medical Indications Study

08 Organization for the Assessment of Strategies for Ischemic Syndromes

09 Die Zulassung für Fondaparinux beim ACS wird Ende August 2007 erwartet.

Literatur

  • 01 Turpie AG . Bauer KA . Ericsson BI . Lassen MR . Fondaparinux vs enoxaparin for the prevention of venous thromboembolism in major orthopedic surgery: a meta-analysis of 4 randomized double-blind studies.  Arch Intern Med. 2002;  162 (16) 1833-1840
  • 02 Fifth Organisation to Assess Strategies in Acute Ischemic Syndromes Investigators . Yusuf S . Mehta SR . et al . Comparison of fondaparinux and enoxaparin in acute coronary syndromes.  N Engl J Med. 2006;  354 (14) 1464-1476

01 Pentasaccharide in Hip-Fracture

02 European Pentasaccharide Hip Elective SUrgery Study

03 PENTAsaccharide in MAjor Knee Surgery

04 Postoperative fondaparinux versus postoperative enoxaparin for prevention of venous thromboembolism after elective hip-replacement surgery

05 PEntasacharide in GenerAl SUrgery Study

06 Flexibility in Administration of Fondaparinux for Prevention of Symptomatic Venous Thromboembolism in Orthopedic Surgery

07 ARixtra for ThromboEmbolism Prevention in a Medical Indications Study

08 Organization for the Assessment of Strategies for Ischemic Syndromes

09 Die Zulassung für Fondaparinux beim ACS wird Ende August 2007 erwartet.

 
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Abb. 1 Bei orthopädischen Hochrisikopatienten reduziert Fondaparinux das Thromboembolierisiko im Vergleich zur Prophylaxe mit niedermolekularen Heparinenum rund 50 % (nach 1)

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Abb. 2 Das Mortalitätsrisiko der NSTEMI/IA-Patienten unter Fondaparinux ist signifikant niedriger als in der Vergleichsgruppe (nach 2)