Vor zwanzig Jahren hatten der Neurochirurg Benabid und der Neurologe Pollack in Grenoble
eine einfache, aber geniale Idee, die später die Behandlung neurologischer Bewegungsstörungen
revolutionieren sollte: Ein Patient mit einem schweren Tremor hatte von einer einseitigen
Thalamotomie profitiert, wünschte aber einen zweiten Eingriff zur Linderung des Tremors
in der kontralateralen Extremität. Beidseitige Thalamotomien sind mit einem hohen
Risiko bleibender Sprachstörungen bis hin zum akinetischen Mutismus behaftet, so dass
die beiden Kliniker nach einer weniger riskanten Alternative suchten. Ihre Lösung
war die Implantation eines Neurostimulationssystems in den kontralateralen Thalamus,
von dem über eine chronisch implantierte Elektrode dauerhaft hochfrequente elektrische
Reize an die Zielregion im Gehirn abgegeben wurden. Durch die Hochfrequenzstimulation
konnte klinisch der Effekt einer Läsion imitiert werden, ohne Gehirngewebe zerstören
zu müssen und ohne dauerhafte Nebenwirkungen zu verursachen. Die erste „tiefe Hirnstimulation”
bei einem Patienten mit Tremor wurde im Dezember 1986 in Grenoble durchgeführt. Wegen
der geringeren Risiken, der Anpassbarkeit der Stimulationsparameter im Krankheitsverlauf
und der prinzipiellen Reversibilität hat die tiefe Hirnstimulation schnell die klassische
läsionelle Stereotaxie bei Patienten mit Bewegungsstörungen verdrängt. In rascher
Folge wurden neue Zielgebiete und Indikationen erschlossen. Heute ist die tiefe Hirnstimulation
des Nucleus subthalamicus ein etabliertes Verfahren zur Behandlung motorischer Fluktuationen
und Dyskinesien bei der fortgeschrittenen Parkinson-Krankheit, die Pallidumstimulation
eine erprobte Therapie bei Patienten mit schweren Dystonien und die Thalamusstimulation
wird regelmäßig bei Patienten mit medikamentös refraktären Tremorsyndromen eingesetzt.
Weltweit wurden bis Ende 2006 mehr als 30000 Patienten mittels einer tiefen Hirnstimulation
behandelt.
Die tiefe Hirnstimulation kann keine Erkrankungen heilen, sie kann aber eine deutliche
und lang anhaltende Linderung der Symptome einer Bewegungsstörung bewirken. Bei korrekter
Auswahl der geeigneten Kandidaten verbessert sie signifikant die Lebensqualität der
Betroffenen, wie in zwei großen deutsch-österreichischen Studien im vergangenen Jahr
sowohl für die Parkinsonkrankheit als auch für die Dystonie gezeigt werden konnte.
Der oft dramatische Nutzen steht in einem günstigen Verhältnis zu den möglichen Nebenwirkungen
der Therapie. Die permanente Morbidität, z.B. durch eine Hirnblutung oder Infektion,
betrug 1 %. Diese günstigen Ergebnisse setzen die Anwendung in spezialisierten Zentren
voraus, in denen die Patienten interdisziplinär von besonders ausgebildeten Neurologen,
Neurochirurgen, Psychiatern und Neuropsychologen betreut werden.
In diesem Heft widmen sich zwei Übersichtarbeiten der tiefen Hirnstimulationen bei
Tremor und Dystonie. Obgleich es sich um hochwirksame Verfahren handelt, erleben wir
im klinischen Alltag leider immer wieder, dass geeignete Patienten erst nach Jahren
auf diese operative Behandlungsalternative hingewiesen werden und so kostbare Zeit
verlieren. Ein kontroverses Thema haben wir bei der operativen Behandlung der Parkinson-Krankheit
gewählt: Wegen des günstigen Risiko-Nutzen-Verhältnisses der Nucleus-subthalamicus-Stimulation
stellt sich die Frage, ob nicht früher im Krankheitsverlauf operiert werden sollte.
Diese Überlegung ist Gegenstand der deutsch-französischen EARLYSTIM-Studie, die vergleicht,
ob die Lebensqualität von Patienten am Ende der medikamentösen „Honeymoon”-Phase besser
durch eine optimale medikamentöse Therapie oder eine frühe tiefe Hirnstimulation im
Beobachtungszeitraum von zwei Jahren erhalten werden kann. Eine Ausblick auf ein noch
experimentelles Indikationsgebiet der tiefen Hirnstimulation bietet der Artikel von
Irene Neuner und Frank Schneider, die über die ersten klinischen Anwendungen bei Patienten
mit psychischen Erkrankungen berichten. Wir hoffen, dass wir Ihnen mit dieser Auswahl
eine Kombination von „Bewährtem” und „Zukünftigem” in einem dynamischen Feld der klinischen
Neurowissenschaften nahe bringen können, das einen zunehmenden Stellenwert in der
Neurologie und Psychiatrie haben wird.