psychoneuro 2007; 33(7/08): 271
DOI: 10.1055/s-2007-986618
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Tiefe Hirnstimulation

J. Volkmann
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Publication Date:
27 August 2007 (online)

Vor zwanzig Jahren hatten der Neurochirurg Benabid und der Neurologe Pollack in Grenoble eine einfache, aber geniale Idee, die später die Behandlung neurologischer Bewegungsstörungen revolutionieren sollte: Ein Patient mit einem schweren Tremor hatte von einer einseitigen Thalamotomie profitiert, wünschte aber einen zweiten Eingriff zur Linderung des Tremors in der kontralateralen Extremität. Beidseitige Thalamotomien sind mit einem hohen Risiko bleibender Sprachstörungen bis hin zum akinetischen Mutismus behaftet, so dass die beiden Kliniker nach einer weniger riskanten Alternative suchten. Ihre Lösung war die Implantation eines Neurostimulationssystems in den kontralateralen Thalamus, von dem über eine chronisch implantierte Elektrode dauerhaft hochfrequente elektrische Reize an die Zielregion im Gehirn abgegeben wurden. Durch die Hochfrequenzstimulation konnte klinisch der Effekt einer Läsion imitiert werden, ohne Gehirngewebe zerstören zu müssen und ohne dauerhafte Nebenwirkungen zu verursachen. Die erste „tiefe Hirnstimulation” bei einem Patienten mit Tremor wurde im Dezember 1986 in Grenoble durchgeführt. Wegen der geringeren Risiken, der Anpassbarkeit der Stimulationsparameter im Krankheitsverlauf und der prinzipiellen Reversibilität hat die tiefe Hirnstimulation schnell die klassische läsionelle Stereotaxie bei Patienten mit Bewegungsstörungen verdrängt. In rascher Folge wurden neue Zielgebiete und Indikationen erschlossen. Heute ist die tiefe Hirnstimulation des Nucleus subthalamicus ein etabliertes Verfahren zur Behandlung motorischer Fluktuationen und Dyskinesien bei der fortgeschrittenen Parkinson-Krankheit, die Pallidumstimulation eine erprobte Therapie bei Patienten mit schweren Dystonien und die Thalamusstimulation wird regelmäßig bei Patienten mit medikamentös refraktären Tremorsyndromen eingesetzt. Weltweit wurden bis Ende 2006 mehr als 30000 Patienten mittels einer tiefen Hirnstimulation behandelt.

Die tiefe Hirnstimulation kann keine Erkrankungen heilen, sie kann aber eine deutliche und lang anhaltende Linderung der Symptome einer Bewegungsstörung bewirken. Bei korrekter Auswahl der geeigneten Kandidaten verbessert sie signifikant die Lebensqualität der Betroffenen, wie in zwei großen deutsch-österreichischen Studien im vergangenen Jahr sowohl für die Parkinsonkrankheit als auch für die Dystonie gezeigt werden konnte. Der oft dramatische Nutzen steht in einem günstigen Verhältnis zu den möglichen Nebenwirkungen der Therapie. Die permanente Morbidität, z.B. durch eine Hirnblutung oder Infektion, betrug 1 %. Diese günstigen Ergebnisse setzen die Anwendung in spezialisierten Zentren voraus, in denen die Patienten interdisziplinär von besonders ausgebildeten Neurologen, Neurochirurgen, Psychiatern und Neuropsychologen betreut werden.

In diesem Heft widmen sich zwei Übersichtarbeiten der tiefen Hirnstimulationen bei Tremor und Dystonie. Obgleich es sich um hochwirksame Verfahren handelt, erleben wir im klinischen Alltag leider immer wieder, dass geeignete Patienten erst nach Jahren auf diese operative Behandlungsalternative hingewiesen werden und so kostbare Zeit verlieren. Ein kontroverses Thema haben wir bei der operativen Behandlung der Parkinson-Krankheit gewählt: Wegen des günstigen Risiko-Nutzen-Verhältnisses der Nucleus-subthalamicus-Stimulation stellt sich die Frage, ob nicht früher im Krankheitsverlauf operiert werden sollte. Diese Überlegung ist Gegenstand der deutsch-französischen EARLYSTIM-Studie, die vergleicht, ob die Lebensqualität von Patienten am Ende der medikamentösen „Honeymoon”-Phase besser durch eine optimale medikamentöse Therapie oder eine frühe tiefe Hirnstimulation im Beobachtungszeitraum von zwei Jahren erhalten werden kann. Eine Ausblick auf ein noch experimentelles Indikationsgebiet der tiefen Hirnstimulation bietet der Artikel von Irene Neuner und Frank Schneider, die über die ersten klinischen Anwendungen bei Patienten mit psychischen Erkrankungen berichten. Wir hoffen, dass wir Ihnen mit dieser Auswahl eine Kombination von „Bewährtem” und „Zukünftigem” in einem dynamischen Feld der klinischen Neurowissenschaften nahe bringen können, das einen zunehmenden Stellenwert in der Neurologie und Psychiatrie haben wird.

Prof. J. Volkmann

Kiel

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